IT- und Medienrecht

Anfechtung eines Vergleichs wegen arglistiger Täuschung

Aktenzeichen  7 ZB 15.2303

Datum:
15.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 42606
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO müssen sich insbesondere auf ihr Ergebnis beziehen. Es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 2004, 21684). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 K 11.1700 2015-04-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens gesamtverbindlich.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin zu 1 ist Geschäftsführerin der Klägerin zu 2, die unter anderem Führung-Coaching und Persönlichkeitstraining anbietet. Die Klägerinnen begehren die Fortsetzung eines im Jahr 2006 anhängig gewordenen Klageverfahrens, das durch gerichtlichen Vergleich vom 24. Februar 2010 beendet worden ist. Den Vergleich haben sie wegen arglistiger Täuschung im September 2010 angefochten. Die Klage war darauf gerichtet, dass die Beklagten es unterlassen, einen unter der Internetadresse der Beklagten zu 1 veröffentlichten Beitrag wiederholend im Internet oder durch sonstige Veröffentlichungen wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten, hilfsweise es zu unterlassen, bestimmte näher ausgeführte Behauptungen über die Klägerinnen unter dieser Internetadresse oder einer anderen Subdomainsite im Internet oder durch sonstige Veröffentlichungen wörtlich oder sinngemäß aufzustellen und bzw. oder zu verbreiten. Im Rahmen des Prozessvergleichs verpflichtete sich die Beklagte zu 1, es zu unterlassen, auf der von ihr betriebenen Website oder einer Subsite dieser Domain und bzw. oder im Wege sonstiger Veröffentlichungen, gleichgültig ob in elektronischer Form oder gedruckt, eine Reihe näher bezeichneter Behauptungen über die Klägerinnen aufzustellen und an die Klägerin zu 2 ein Distanzierungsschreiben mit vorformuliertem Inhalt zu richten, das diese ihren Geschäftspartnern zugänglich machen kann.
Der Bevollmächtigte der Klägerinnen hat mit jeweils an die Beklagten gerichteten Erklärungen den Vergleich gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Den Klägerinnen sei vor und bei Abschluss des Vergleichs durch die Beklagten vorgespiegelt und zugesichert worden, dass sich die Beklagten künftig nur noch öffentlich über die Klägerinnen äußern wollten. Dies habe auch in dem im Vergleich vereinbarten Distanzierungsschreiben seinen Niederschlag gefunden.
Unter Bezugnahme darauf, dass in den Jahren 2006 und 2007 Unbekannte an Persönlichkeiten, die als Referenten im Rahmen von der Klägerin zu 2 vorgesehenen Konferenzen vorgesehen waren, mit dem Ziel, diese von einer Teilnahme an den Konferenzen abzuhalten, herangetreten sind und auf den Hinweis einer angeblichen Sektenbeauftragten eine Steuerprüfung bei einer Kundin der Klägerin zu 2 stattgefunden hat, hätten die Beklagten erklärt, dass sowohl die Erzdiözese München und Freising als Körperschaft des öffentlichen Rechts als auch der Sektenbeauftragte, der Beklagte zu 2, sich, sofern aus ihrer Sicht die Notwendigkeit bestehe, öffentlich äußern würden. Anonyme Hinweise, auch an Steuerbehörden, gehörten nicht zu den Mitteln, mit welchen sie ihre Aufgaben bisher erfüllt hätten und in Zukunft erfüllen würden. Dem widerspreche es eklatant, wenn die Beklagten die Klägerinnen hinter vorgehaltener Hand bei verschiedenen Stellen und Behörden zu Unrecht anschwärzten. Dies sei mit einer Unterrichtung der Polizeiinspektion S. über Rückgewinnungsversuche gegenüber einer Kundin der Klägerin zu 2, die gebuchtes Training zum Preis von 20.000,– Euro storniert hatte, geschehen. Dabei sei das Verhalten von Mitarbeitern der Klägerin zu 2 als nötigende Handlung und Psychoterror bezeichnet worden.
Mit Urteil vom 23. April 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Klägerinnen auf Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt und festgestellt, dass das Verfahren durch den Vergleich vom 24. Februar 2010 beendet ist. Zum einen sei schon die Anfechtung deshalb unwirksam, weil sie verspätet erklärt worden sei. Zum anderen hätten die Klägerinnen keinen Anfechtungsgrund geltend machen können. Die inkriminierte Äußerung gegenüber der Polizeiinspektion habe vom Inhalt her nichts mit den im Vergleich untersagten Behauptungen zu tun. Auch nach ihrer Form unterfalle sie nicht dem Vergleich. Es sei auch nicht zu erkennen, dass das Verbot jeglicher kritischer Äußerung bestimmendes Motiv für den Abschluss des Vergleichs auf Seiten der Klägerinnen gewesen sein soll. Die Behauptung, die Beklagten hätten stets den Eindruck erweckt und entsprechende Zusagen abgegeben, sich künftig nur noch „öffentlich“ zu äußern, entbehrten jeder Grundlage. Schließlich habe der Beklagtenbevollmächtigte die inkriminierten Äußerungen nicht in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter der Beklagten abgegeben, sondern als Bevollmächtigter einer ehemaligen Kundin der Klägerin zu 2. Den Streitwert hat das Verwaltungsgericht wie schon unmittelbar nach dem Abschluss des Vergleichs auf 40.000,– Euro festgesetzt.
Ihren Antrag auf Zulassung der Berufung begründeten die Klägerinnen mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils vom 23. April 2015. Hinsichtlich des Anfechtungsgrundes komme es nicht nur auf den Text des Vergleichs vom 24. Februar 2010 an und auch nicht darauf, ob durch die Äußerungen des Beklagten zu 2 an die Polizeiinspektion S. die von den Beklagten im Vergleich eingegangenen Verpflichtungen verletzt würden. Es gehe vielmehr um die Frage, ob die Klägerinnen den Vergleich abgeschlossen hätten, wenn ihnen zuvor die wahre Sachlage bekannt gewesen wäre. Es sei ihnen darum gegangen, dass die Beklagten ihre heimlichen Diffamierungen komplett einstellen. Entscheidend sei damit das tatsächliche Verhalten der Beklagten vor und nach dem Abschluss des Vergleichs.
Die Berufung sei ferner wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweiche. Es sei die Frage zu entscheiden, ob eine Anfechtungsbefugnis voraussetze, dass der Täuschende durch sein Verhalten einen Irrtum erregt oder aufrechterhalten will oder ob sich eine Anfechtungsbefugnis nach dem Inhalt der abgegebenen Willenserklärung beurteile.
Schließlich sei die Berufung auch wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Das Verwaltungsgericht habe den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin zu 1 den Anträgen der Klägerseite auf Terminverlegung nicht nachgekommen sei. Der Klägerinnenbevollmächtigte habe schriftsätzlich beantragt, die Klägerin zu 1 als Partei zu der Frage zu vernehmen, ob die Erwartung, die Beklagten würden sich künftig nur mehr öffentlich über die Klägerinnen äußern, ausschlaggebend für den Vergleichsabschluss gewesen sei.
Die Beklagten treten dem entgegen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 23. April 2015 (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung müssen sich insbesondere auf ihr Ergebnis beziehen. Es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Ergebnis können der Antragsbegründung allerdings nicht entnommen werden.
Wie die Klägerinnen richtig darlegen, scheitert die Anfechtung des Vergleichs vom 24. Februar 2010 nicht daran, dass sie verspätet erklärt worden ist. Die Anfechtungserklärung wurde den Beklagten jeweils rechtzeitig durch eine Gerichtsvollzieherin, und zwar am 9. und am 12. November 2010 zugestellt.
Es kann ferner dahinstehen, ob ein Anfechtungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 BGB – wegen arglistiger Täuschung – voraussetzt, dass die Beklagten gegen den Vergleich selbst verstoßen haben. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob insbesondere die Klägerin zu 1 sich darüber getäuscht hatte, dass die Beklagten sich über sie nur noch öffentlich äußern würden und ob diese Überzeugung für den Vergleichsabschluss ausschlaggebend war.
Der Schluss der Klägerinnen aus der Mitteilung des Beklagten zu 2 an die Polizeiinspektion S. über einen konkreten Vorfall etwa ein halbes Jahr nach dem Abschluss des Vergleichs, bei dem nach den Angaben des Beklagten zu 2 aus dem Umfeld der Klägerinnen auf eine ehemalige Kundin der Klägerin zu 2 eingewirkt worden sein soll, auf eine von vornherein bestehende Täuschungsabsicht beim Abschluss des Vergleichs auf Seiten der Beklagten ist nicht nachvollziehbar. Auch darauf kommt es letztlich nicht an.
Die Mitteilung des Beklagten zu 2 vom 13. August 2010 an die Polizeiinspektion S., auf die sich auch der Beklagtenbevollmächtigte in einer E-Mail vom selben Tag u. a. an die Klägerin zu 1 bezogen hat, widerspricht keiner Zusage der Beklagten über ihr zukünftiges Verhalten, wie sie sich insbesondere auch aus Nr. 1.2 Buchst. g des Vergleichs ergeben mag.
Der Beklagtenbevollmächtigte war insoweit als Vertreter einer ehemaligen Kundin der Beklagten zu 2 tätig. Sein Verhalten kann deshalb weder dem Beklagten zu 1 noch dem Beklagten zu 2 zugerechnet werden.
Der Beklagte zu 2 bezieht sich in seiner E-Mail an die Polizeiinspektion S. auf einen konkreten Vorfall und wendet sich damit an die zuständige Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörde. Die Erklärung in Nr. 1.2 Buchst. g des Vergleichs besagt, dass Kritik am Verhalten der Klägerinnen nicht anonym geübt werde und auch keine Denunziationen beispielsweise gegenüber Steuerbehörden vorgenommen werden. Das schließt auch vom Empfängerhorizont gesehen nicht aus, dass sich die Beklagten aus Anlass eines konkreten Vorfalls, dem sie strafrechtliche Relevanz beimessen, an die zuständige Verfolgungsbehörde wenden und die Polizei im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben um Unterstützung bitten. Die rechtliche Würdigung des angezeigten Verhaltens und die zu treffenden Maßnahmen sind Sache der angegangenen Behörde.
Dass der mitgeteilte Vorgang frei erfunden gewesen sein könnte, vermag schon deshalb nicht einzuleuchten, weil sich der Bevollmächtigte der Beklagten in seiner E-Mail vom 13. August 2010 an die Klägerin zu 1 ebenfalls auf den Vorfall bezogen hat und auch auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen hingewiesen hat. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2, insbesondere aber auch der Beklagtenbevollmächtigte wissen, dass unzutreffende Angaben gegenüber Behörden, mit dem Ziel, eine strafrechtliche oder andere Verfolgung zu veranlassen, ihrerseits strafbar sind. Der von den Klägerinnen behauptete Anfechtungsgrund liegt daher nicht vor.
Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, greift ebenfalls nicht durch. Soweit er überhaupt den gesetzlichen Anforderungen genügend dargelegt ist, ist die von den Klägerinnen aufgeworfene Fragestellung, ob eine Anfechtungsbefugnis gemäß § 123 Abs. 1 BGB voraussetzt, dass der Täuschende durch sein Verhalten einen Irrtum erregt oder aufrecht erhält oder aber, ob sich die Anfechtungsbefugnis nach dem Inhalt der abgegebenen Willenserklärung beurteilt, in den von den Klägerinnen herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs eindeutig beantwortet. Die Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich, wie die vorstehenden Ausführungen ergeben.
Aus demselben Grund ist die Berufung auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers, insbesondere wegen der Verletzung des Anspruchs der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, zuzulassen. Unabhängig davon, ob das Verwaltungsgericht das persönliche Erscheinen der Klägerin zu 1 angeordnet hatte und die Klägerinnen, um die Vernehmung der Klägerin zu 2 als Partei durchzusetzen, einen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung hätten stellen müssen, wäre diese Vernehmung nicht entscheidungserheblich gewesen. Auf die Frage, ob die Klägerin zu 1 beim Abschluss des Vergleichs der Überzeugung gewesen sei, dass die Beklagten sich über die Klägerinnen nur noch öffentlich äußern würden, kommt es nicht an, weil – wie die vorstehenden Ausführungen zeigen – feststeht, dass die Überzeugung, die Zusagen der Beklagten würden auch die Befassung der zuständigen Strafverfolgungsbehörden mit konkreten Vorfällen ausschließen, nicht im Ansatz begründet ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG. An den der Festsetzung des Streitwerts am 1. März 2010 auf 40.000,– Euro zugrundeliegenden Verhältnissen hat sich nichts geändert. Dem Verfahren liegt immer noch die am 16. Juli 2006 zum Landgericht München I erhobene Unterlassungsklage zugrunde. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte und im Schriftsatz vom 19. August 2011 formulierte Antrag hat den Streitgegenstand nicht geändert. Eine Änderung wurde schon gar nicht durch die Anfechtung des Vergleichs bewirkt. Ziel des Verfahrens war deshalb immer noch die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung der damals näher bezeichneten Behauptungen im Internet. Die Klage wurde nicht auf eine Verpflichtung zur Unterlassung nicht öffentlicher Mitteilungen beschränkt oder geändert.


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