IT- und Medienrecht

Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht in einer Apotheke

Aktenzeichen  274 C 17475/15

Datum:
24.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 241 Abs. 2, § 276 Abs. 2, § 280 Abs. 1 S. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Eine Verkehrssicherungspflicht entsteht bei Eröffnung einer Gefahrenquelle und beinhaltet die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Bei der Bestimmung der zu stellenden Anforderungen ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorgebeugt werden kann. Es sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (ebenso BGH BeckRS 2006, 07593 Rn. 7). (redaktioneller Leitsatz)
Eine Apotheke treffen geringere Verkehrssicherungspflichten als zB Kaufhäuser oder sonstige Einrichtungen mit großem Publikumsverkehr, da in Apotheken regelmäßig kein Publikumsandrang herrscht, der die Einsehbarkeit des Bodenbereichs für Kunden signifikant einschränkt. Zudem gehen von den Auslagen einer Apotheke keine besonderen Ablenkungswirkungen aus. Hinzu kommt, dass auch das Warensortiment einer Apotheke regelmäßig keine erhebliche Sturzgefahr für Kunden hervorruft. (redaktioneller Leitsatz)
Besucher eines Geschäfts müssen im Winter eine gewisse Feuchtigkeit des Fußbodens hinnehmen. Eine Feuchtigkeit des Fußbodens lässt sich nämlich in einem solchen Falle auch durch häufiges Aufwischen niemals ganz beseitigen, weil sich infolge des Publikumsverkehrs stets alsbald wieder eine neue Feuchtigkeitsschicht bildet, bevor noch die alte Feuchtigkeit aufgetrocknet ist. Deshalb kann lediglich ein Aufwischen in angemessenen Zeiträumen gefordert werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.567,49 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB, weil der Beklagte keine vertragliche Schutzpflicht hinsichtlich der Klägerin verletzt hat.
Im Zeitpunkt des Sturzes der Klägerin bestand zwischen den Parteien jedenfalls ein vorvertragliches Schuldverhältnis aufgrund von Vertragsverhandlungen gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Es kann dahinstehen, ob vor dem Sturz bereits ein Kaufvertrag über ein Medikament zustande gekommen war, weil diese Abgrenzung im Ergebnis keine Auswirkungen auf die Anforderungen an die Schutzpflichten des Beklagten hat.
Den Beklagten traf eine Schutzpflicht hinsichtlich der Klägerin gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Sie umfasst das Gebot, Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht zu verletzen. Die Verkehrssicherungspflicht bildet innerhalb eines Schuldverhältnisses zugleich eine solche Schutzpflicht (BGH, Urteil vom 14. März 2013 – III ZR 296/11 – juris Rn. 25; OLG Hamm, Urteil vom 29. August 2012 – I-12 U 52/12, 12 U 52/12 -, juris Rn. 20; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl., 2016, § 280, Rn. 28).
Eine Verkehrssicherungspflicht entsteht bei Eröffnung einer Gefahrenquelle und beinhaltet die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Bei der Bestimmung der zu stellenden Anforderungen ist auch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorgebeugt werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, wäre im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) genügt, wenn im Ergebnis der Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Es sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2008, 3775, juris Rn. 9; NJW 2006, 610, juris Rn. 9 f.; NJW 2006, 2326, juris Rn. 6 f.).
Bei der Bestimmung der Sicherheitsanforderungen sind u. a. der Zuschnitt, die Größe und das Warensortiment eines Geschäfts zu berücksichtigen (Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Auflage, 2013, § 823, Rn. 500; Hager, in Staudinger, BGB, 2009, § 823, Rn. E 249.). Beispielsweise kann es bei einem großen und schwer überschaubaren Ladenlokal, etwa in den Fällen einer großen Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses im Zentrum einer Großstadt oder eines Einkaufsmarkts mit mehreren tausend Quadratmetern Verkaufsfläche auf mehreren Ebenen, erforderlich sein, entweder einzelne Mitarbeiter mit einer Überprüfung des gesamten Objekts in bestimmten, kurzen Zeitabständen zu beauftragen oder jeweils einem Mitarbeiter die Verantwortung für die Sauberkeit seiner Abteilung zu übertragen. Bei einem Geschäftslokal mittlerer Größe (z. B. Lebensmittelmarkt mit einer Größe von ca. 650 m² laut Urteil des OLG Köln vom 24.04.1996, 2 U 107/95, VersR 1997, 1114) kann der Filialleiter die Einhaltung der Weisungen der Geschäftsleitung durch die Mitarbeiter noch ständig selbst kontrollieren. Deshalb erscheint es in dieser Situation nicht erforderlich, die Aufgabe der Beseitigung von Verunreinigungen des Bodens einem bestimmten Mitarbeiter zu übertragen, um ihre Erfüllung oder die Verantwortlichkeit bei fehlender Erfüllung im Nachhinein überprüfen zu können. Vielmehr ist es ausreichend, wenn nicht sogar vorzugswürdig, wenn diese Aufgabe von allen Mitarbeitern wahrgenommen wird, zumal hierdurch im Regelfall eine schnellere Beseitigung einer Verunreinigung – nämlich durch den Mitarbeiter, der sich gerade in der Nähe befindet – erreicht werden kann. Dies gilt auch und gerade dann, wenn der Filialleiter selbst regelmäßig auf Verunreinigungen und damit zugleich auf die Erfüllung seiner Weisung achtet (OLG Köln, Urteil vom 24.04.1996, 2 U 107/95, VersR 1997, 1114; der BGH hat die Revision der Klägerin durch Beschluss vom 21.01.1997 (VI ZR 190/96) nicht angenommen. Vgl. ferner auch Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Auflage, 2013, § 823, Rn. 500).
Eine Apotheke trifft dagegen geringere Verkehrssicherungspflichten als z. B. Kaufhäuser oder sonstige Einrichtungen mit großem Publikumsandrang. Einrichtungen mit großem Publikumsandrang unterliegen besonderen Anforderungen an die Glättesicherheit der Fußböden, weil deren Besucher zum einen oftmals wegen der Enge die Sicht auf den Fußboden zum Zwecke der Gefahreinschätzung verlieren und sie zum anderen durch die Geschäftsauslagen erheblichen Ablenkungen unterliegen. Unter solchen Gegebenheiten muss der Fußboden besonders gefahrlos betretbar sein. Anders verhält es sich aber im Falle einer Apotheke. In Apotheken herrscht regelmäßig kein Publikumsandrang, der die Einsehbarkeit des Bodenbereichs für Kunden signifikant einschränkt. Zudem gehen von den Auslagen einer Apotheke keine besonderen Ablenkungswirkungen aus (Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. September 1998 – 22 U 59/98 -, juris Rn. 6 f.). Hinzu kommt, dass auch das Warensortiment einer Apotheke regelmäßig keine erhebliche Sturzgefahr für Kunden hervorruft. Dies unterscheidet Apotheken wertungsmäßig von Geschäften, deren Betrieb als solches bereits erhöhte Gefahren für Kunden bewirkt. Bei Nahrungsmittelgeschäften besteht beispielsweise die typische Gefahr, dass in der Gemüseabteilung Salatblätter etc. auf den Boden fallen, auf denen Kunden ausrutschen können. Dagegen entstehen die Gefahren beim Betrieb einer Apotheke primär durch äußere Faktoren. Gerade im Winter existiert die naheliegende Gefahr, dass Kunden von draußen Feuchtigkeit und Verunreinigungen in eine Apotheke hineintragen und dadurch der Boden zu einer Gefahrenstelle wird.
Es kann im Ergebnis mangels Pflichtverletzung dahinstehen, ob der Klägerin der Beweis einer von Dritten verursachten Gefahrenquelle gelungen ist. Die Beweisaufnahme war diesbezüglich nicht hinreichend ergiebig. Der klägerseits benannte Zeuge P. erklärte, dass die Stelle, an der er seiner Frau nach dem Sturz aufgeholfen habe, nass gewesen sei. Dies lässt jedoch keinen verlässlichen Schluss auf die Ursache der Feuchtigkeit zu, zumal die Feuchtigkeit auch von den Schuhen der Klägerin hervorgerufen worden sein kann.
Der Beklagte hat aber jedenfalls keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es steht aufgrund der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte ausreichend dafür Sorge getragen hat, dass Feuchtigkeit und Verunreinigungen nach Möglichkeit nicht in den Innenraum der Apotheke gelangen und im gegenteiligen Fall umgehend beseitigt werden.
Die zwei Fußmatten am Eingangsbereich mit einer Länge von jeweils 1,40 m, wovon eine (gröbere) im Außenbereich und eine (feinere) im Innenbereich angebracht sind, sollen verhindern, dass Kunden Feuchtigkeit und Verunreinigungen von draußen in die Apotheke hineintragen. Dadurch ist gewährleistet, dass ein Teil des Schmutzes und der Feuchtigkeit erst gar nicht in die Apotheke gelangt.
Darüber hinaus hat der Beklagte eine Reinigungskraft, die Zeugin D., extra dafür angestellt, damit diese während der Stoßzeiten von ca. 12 Uhr bis 17 Uhr Verunreinigungen und Feuchtigkeit umgehend beseitigt. Die Zeugin D. ist montags, mittwochs, donnerstags und freitags in der Apotheke tätig. Der Umstand, dass sie dienstags nicht in der Apotheke reinigt, ist unerheblich, weil der Sturz sich nicht an einem Dienstag ereignet hat. Außerdem wird die Apotheke nach Geschäftsschluss von einem Reinigungsunternehmen gesäubert. Ferner wies die leitende Apothekerin, die Zeugin S., die anderen Mitarbeiter der Apotheke an, vor allem im Winter auf Feuchtigkeit und Verschmutzungen besonders zu achten und diese umgehend zu beseitigen.
Die vorstehenden Angaben zur Organisation der Reinigung stehen aufgrund der glaubhaften Aussagen der glaubwürdigen Zeuginnen K., D., J. und S. fest. Die geschilderte Vorsicht in Bezug auf Verunreinigungen und Feuchtigkeit ist glaubhaft, vor allem belegt die Anstellung einer eigenen Reinigungskraft das besondere Bewusstsein für diese Problematik. Eine Begünstigungstendenz war trotz eines potenziellen Interesses am Ausgang des Verfahrens nicht erkennbar.
Der Beklagte genügte durch diese Vorkehrungen seiner Verkehrssicherungspflicht. Er entschied sich für ein gemischtes System, indem er eine bestimmte Mitarbeiterin – sogar ausschließlich – mit der Reinigung während der Stoßzeiten beauftragte und im Übrigen seinen Mitarbeitern diese Aufgabe gemeinsam übertrug. Dieser Aufwand ist für eine Apotheke (ein vergleichsweise kleines und überschaubares Geschäft) jedenfalls ausreichend. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob es zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht notwendig war, eine Mitarbeiterin ausschließlich mit der Reinigung während der Stoßzeiten zu beauftragen.
Im Übrigen müssen Besucher eines Geschäfts im Winter eine gewisse Feuchtigkeit des Fußbodens hinnehmen. Eine Feuchtigkeit des Fußbodens lässt sich nämlich in einem solchen Falle auch durch häufiges Aufwischen niemals ganz beseitigen, weil sich infolge des Publikumsverkehrs stets alsbald wieder eine neue Feuchtigkeitsschicht bildet, bevor noch die alte Feuchtigkeit aufgetrocknet ist. Deshalb kann lediglich ein Aufwischen in angemessenen Zeiträumen gefordert werden (Vgl. zu regenbedingter Feuchtigkeit des Fußbodens: OLG Nürnberg, Urteil vom 04.04.1967, 3 U 113/66, VersR 1967, 1083, siehe ferner: OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. September 1998 – 22 U 59/98). Gemessen daran ist der Beklagte erst recht seiner Verkehrssicherungspflicht gerecht geworden, weil im Unfallzeitpunkt sogar eine Mitarbeiterin eigens mit der ständigen Beseitigung von Feuchtigkeit befasst war.
Auch der Umstand, dass die Klägerin in dem Bereich stürzte, in dem die Zeugin D. zuvor Reinigungsarbeiten durchgeführt hatte, begründet keine Pflichtverletzung, weil die Zeugin D. durch ihre Reinigungstätigkeit keine zusätzliche Gefahr geschaffen, sondern im Gegenteil zur Gefahrenbeseitigung beigetragen hat. Denn ihre Reinigungstätigkeit zielte auf die Beseitigung von Feuchtigkeit und nicht auf eine nasse Reinigung. Dies hat die Zeugin D. glaubhaft bekundet. Sie verwende bewusst keinen nassen Wischmopp, weil sie darauf achte, keine feuchten Stellen zu hinterlassen. Ihre Aufgabe sei es, Schmutz und Feuchtigkeit zu entfernen. Ihr Wischmopp nehme die Feuchtigkeit auf und solle die Trocknung des Bodens herbeiführen. Dies ist nachvollziehbar. Zum einen ist die Zeugin eigens für die Beseitigung von Verunreinigungen und Feuchtigkeit angestellt. Zum anderen wird ein Reinigungsunternehmen nach Geschäftsschluss tätig, das dann eine klassische Nassreinigung durchführen kann.
Die Tatsache, dass keine Fußmatten vor der Verkaufstheke ausgelegt waren, begründet ebenfalls keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. An der Theke besteht keine erhöhte Ausrutschgefahr. Im Gegenteil ist das Risiko dort relativ gering, da die Kunden sich während des Beratungsgesprächs regelmäßig wenig bewegen. Dass die Klägerin vorliegend um die Theke herumgehen wollte, stellt dies wertungsmäßig nicht in Frage, weil es sich um eine atypische Situation handelt. Würde man dennoch eine Pflichtverletzung bejahen, bestünde keine Kausalität der Pflichtverletzung für den Sturz der Klägerin. Denn das Auslegen einer Fußmatte vor der Theke hätte den Sturz nicht verhindert. Die Klägerin bekundete im Rahmen der informatorischen Anhörung, dass sie nach zwei Schritten ausgerutscht sei. Selbst wenn eine Fußmatte vor der Theke vorhanden gewesen wäre, hätte die Klägerin diese nach zwei Schritten bereits verlassen gehabt.
Weiterhin ist unschädlich, dass der Beklagte kein Warnschild aufgestellt hatte. Selbst wenn trotz der Reinigung durch die Zeugin D. eine Rutschgefahr bestanden hätte, wäre ein Warnschild entbehrlich gewesen, weil mit einer Rutschgefahr beim Betreten eines Geschäfts im Winter gerechnet werden muss und der Besucher zu erhöhter Vorsicht verpflichtet ist (Vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 04.04.1967, 3 U 113/66, VersR 1967, 1083). Die Klägerin räumte selbst ein, dass sie sich aufgrund der im Verkaufsraum der Apotheke befindlichen Feuchtigkeit besonders vorsichtig hätte bewegen müssen (S. 6 der Klageschrift).
Unabhängig davon kommt hinzu, dass sich das Fehlen eines Warnschildes nicht ausgewirkt hat, weil die Anwesenheit der Reinigungskraft einen ähnlich warnenden Effekt wie das Aufstellen eines Hinweisschildes hatte. Denn entweder besteht die ursprüngliche Gefahr fort, weil die Reinigungskraft die Verunreinigung bzw. Feuchtigkeit noch nicht vollständig entfernt hat, oder der Boden kann aufgrund der Reinigungstätigkeit feucht sein. Das Gericht geht aufgrund einer Gesamtwürdigung des klägerischen Vortrags davon aus, dass die Klägerin die Reinigungskraft wahrgenommen hat. Die Klägerin hat sich widersprüchlich eingelassen. Zunächst führte sie in der Klageschrift aus, dass die Rutschgefahr für sie trotz oder gerade wegen der Anwesenheit der Reinigungskraft nicht erkennbar gewesen sei, da sie davon ausgegangen sei, dass der gesamte Bereich des Verkaufsraums bereits ordnungsgemäß gewischt worden sei. Dies würde bedeuten, dass die Klägerin die Reinigungskraft sah, als sie das Geschäft betrat. Das Gericht hat die vorgenannten Gesichtspunkte (erhöhte Aufmerksamkeitspflicht bei Wahrnehmung einer Reinigungskraft) in einem Hinweis (Verfügung vom 30.10.2015) ausgeführt. In der zeitlich späteren informatorischen Anhörung erklärte die Klägerin, die Reinigungskraft nicht gesehen zu haben. Das Gericht hält die erste Darstellung für glaubhafter, weil sie noch unbeeinflusst von der gerichtlichen Einschätzung der Sach- und Rechtslage erfolgt war. Der Vortrag wurde erkennbar nachträglich angepasst.
Selbst wenn man annähme, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflicht – wenn auch in sehr geringem Maße – verletzt hätte, läge ein anspruchsausschließendes Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB vor, weil sie durch die Feuchtigkeit ihrer Schuhe in weit überwiegender Weise zur Gefahrverwirklichung beigetragen hat (Vgl. LG Detmold, Beschluss vom 27. April 2011 – 10 S 47/11 -, juris Rn. 2 ff.).
Das Gericht ist aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt Schnee an den Schuhen hatte bzw. die Schuhe nass waren.
Die Klägerin erklärte im Rahmen der informatorischen Anhörung, dass sie trockenen Fußes in die Apotheke gelangt sei. An eine Erklärung nach dem Sturz, dass sie selbst schuld sei, weil sie Schnee an den Schuhen habe, könne sie sich nicht erinnern. Ein Berufen auf Nichtwissen ist bei Gegenständen der eigenen Wahrnehmung jedoch unzulässig, § 138 Abs. 4 ZPO. Jedenfalls werden ihre Angaben durch die Aussagen der Zeugen K., J. und D. widerlegt.
Die Zeugin K. bekundete, dass die Klägerin nach dem Sturz erklärt habe, dass sie selbst schuld gewesen sei, da sich noch Schnee an ihren Schuhen befunden habe. Die Zeugin teilte ferner mit, dass sie an den Schuhen der Klägerin Schneereste erkannt habe. Die Aussage ist glaubhaft, insbesondere schilderte die Zeugin den Vorgang zusammenhängend, lebensnah und widerspruchsfrei. Sie hatte aufgrund der Aussage der Klägerin auch einen plausiblen Anlass, auf Schnee an den Schuhen der Klägerin zu achten. Die Zeugin konnte sich zudem an den Schuhtyp, den sie als Wanderschuh beschrieb, erinnern. Die Zeugin ist auch glaubwürdig. Zwar steht sie als Angestellte des Beklagten in dessen Lager, aber ihre Aussage hat keine Begünstigungstendenz erkennen lassen. Sie bestätigte beispielsweise nicht den Vortrag des Beklagten zur rutschhemmenden Eigenschaft der Fließen.
Die Zeugin J. sagte ebenfalls aus, dass sich Schnee an den Schuhen der Klägerin befunden habe. Die Klägerin habe sinngemäß geäußert, dass sie selbst schuld sei, da sie ihre Schuhe nicht richtig abgewischt habe und noch Schnee an den Schuhen habe. Die Aussage ist glaubhaft und die Zeugin glaubwürdig. Ihre Schilderung war zusammenhängend, lebensnah und widerspruchsfrei. Sie hatte – ähnlich wie die Zeugin K. – aufgrund der Aussage der Klägerin einen plausiblen Grund, auf Schnee an den Schuhen zu achten. Ferner konnte sie sich an den Schuhtyp erinnern, den sie als dunklen Sportschuh bezeichnete. Sie zeigte keine erkennbare Begünstigungstendenz.
Die Aussagen der Zeuginnen K. und J. werden durch die Aussage der Zeugin D. bestätigt. Diese bekundete zwar, dass sie keinen Schnee an den Schuhen der Klägerin wahrgenommen habe, dass deren Schuhe aber nass gewesen seien. Dies kann darauf beruhen, dass der Schnee zwischenzeitlich geschmolzen ist. Die Aussage der Zeugin D. ist glaubhaft und sie selbst glaubwürdig. Ihre Ausführungen waren zusammenhängend, lebensnah und widerspruchsfrei. Sie konnte auch Details wiedergeben, indem sie z. B. aussagte, dass sie hinter der Klägerin geputzt hatte und diese nicht habe stören wollen, weil die Klägerin sich noch in einem Gespräch befunden habe. Sie habe links neben der Klägerin gestanden, sei dann rückwärts und nach links gelaufen, um an einer anderen Stelle weiter zu putzen. Sie konnte sich weiterhin daran erinnern, dass die Mitarbeiter des Beklagten der Klägerin etwas zu trinken angeboten hätten. Die Aussage ließ keine Begünstigungstendenz erkennen.
Die Aussage des Zeugen P. war dagegen unergiebig. Er bekundete, nichts zu einem Schuldbekenntnis seiner Frau nach dem Sturz oder zu Schnee an deren Schuhen sagen zu können. Der Weg zur Apotheke sei trocken gewesen, auf Teilen des Weges habe sich aber Altschnee befunden. Als er seiner Frau aufgeholfen habe, sei es an dieser Stelle nass gewesen. Diese Angaben lassen keinen zuverlässigen Schluss auf den Zustand der Schuhe und die Ursache der Nässe zu.
Aus den vorgenannten Erwägungen steht der Klägerin auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO.
Die Vollstreckbarkeitsentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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