IT- und Medienrecht

Anforderungern an die Erstbegehungsgefahr bei Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen erwarteter Berichterstattung in einer Zeitschrift

Aktenzeichen  9 O 20869/16

Datum:
8.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
K & R – 2017, 664
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
GG GG Art. 5

 

Leitsatz

1 Der grundrechtlich geschützte Anspruch auf Pressefreiheit gebietet es, an die drohende Erstbegehungsgefahr hohe Anforderungen zu stellen, weil anderenfalls Medien aus Sorge vor vorbeugenden Unterlassungsansprüchen von gebotenen Recherchemaßnahmen Abstand nehmen könnten, um eine geplante Veröffentlichung nicht zu gefährden (im Anschluss an OLG Koblenz BeckRS 2008, 7370). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Recherchemaßnahmen und im Rahmen der Recherche an die Betroffenen gerichtete Anfragen vermögen eine Erstbegehungsgefahr regelmäßig noch nicht zu begründen. Diese Maßnahmen bewegen sich im Vorbereitungsstadium vor der eigentlichen Berichterstattung, deren Inhalt bis zum Abschluss der Recherche noch gar nicht feststeht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 13.12.2016 (Az. 9 O 20869/16) wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.
3. Das Urteil ist für die Verfügungsbeklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 13.12.2016 ist aufzuheben, weil der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zwar zulässig, im Ergebnis aber unbegründet ist, weil die erforderliche Erstbegehungsgefahr, wie nunmehr zur Überzeugung der Kammer feststeht, nicht besteht.
1. Dabei kann es dahingestellt bleiben, dass es sich bei Äußerungen, deren Unterlassen im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes begehrt wird, um wahre Tatsachenbehauptungen handelt. Gleichermaßen kann dahingestellt bleiben, ob die befürchteten Äußerungen tatsächlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin zu verletzen geeignet wären.
2. Denn jedenfalls fehlt es an einer – im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch bestehenden – Erstbegehungsgefahr, die im vorliegenden Fall eine vorbeugende Untersagung zu begründen vermöchte.
2.1. Grundsätzlich kann ein Unterlassungsanspruch auch dann begründet sein, wenn zwar ein Rechtsverstoß noch nicht begangen ist, aber in nicht allzu ferner Zukunft greifbar bevorsteht. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Gegner sich in naher Zukunft in einer konkreten Weise rechtswidrig verhalten werde (BGH v. 31.05.2001 – Az. I ZR 106/99 – Rz. 35 m.w.N. – alle Entscheidungen, auch im Folgenden, soweit nicht anderweitig gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank; vgl. auch Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, § 12, Rz. 33; Soehring in Soehring/Hoene, Presserecht, § 30, Rz. 12). Allerdings gebietet der grundrechtlich geschützte Anspruch auf Pressefreiheit, an die drohende Erstbegehungsgefahr hohe Anforderungen zu stellen, weil andernfalls Medien aus Sorge vor vorbeugenden Unterlassungsansprüchen von gebotenen Recherchemaßnahmen Abstand nehmen könnten, um eine geplante Veröffentlichung nicht zu gefährden (OLG Koblenz v. 25.03.2008 – Az. 4 U 1292/07 – Rz. 34; Soehring, a.a.O., Rz. 13). Daher vermögen Recherchemaßnahmen und im Rahmen der Recherche an die Betroffenen gerichtete Anfragen eine Erstbegehungsgefahr regelmäßig noch nicht zu begründen (Burkhardt, a.a.O., Rz. 35; Soehring, a.a.O., Rz. 13; OLG Karlsruhe v. 04.08.2006 – Az. 14 u 90/06 – Rz. 16), sondern vielmehr bewegen sich diese Maßnahmen im Vorbereitungsstadium vor der eigentlichen Berichterstattung, deren Inhalt bis zum Abschluss der Recherche noch gar nicht feststeht. Denn die Recherchetätigkeit stellt einen Kernbereich der Meinungs- und Pressefreiheit dar, weil sie deren Grundlagen betrifft, und muss deshalb grundsätzlich von vorbeugenden Unterlassungsklagen freigehalten werden. Die Pressefreiheit gewährleistet dabei auch das Recht der Presse, weitgehend selbst zu entscheiden, ob Anlass zur Recherche besteht und welche Recherchemaßnahmen zur Klärung eines Sachverhalts geeignet und erforderlich sind (OLG Karlsruhe v. 04.08.2006 – Az. 14 U 90/06 – Rz. 16; OLG Koblenz v. 25.03.2008 – Az. 4 U 1292/07 – Rz. 34).
2.2. Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist vorliegend eine Erstbegehungsgefahr allein auf der Grundlage der E-Mail-Anfrage vom 08.12.2016 noch nicht zu bejahen. Denn die darin enthaltenen Anfragen lassen noch keinen Rückschluss auf den tatsächlichen Inhalt des geplanten Artikels zu und begründen deshalb auch noch nicht in ausreichendem Maße die konkrete Gefahr, dass in dem Artikel die befürchteten, die Verfügungsklägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzenden Äußerungen enthalten sein werden.
Dabei ist aus Sicht der Kammer in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass tatsächlich auch noch vor Zustellung der hier streitgegenständlichen einstweiligen Verfügung der befürchtete Artikel erschienen ist, er allerdings tatsächlich viele der in der E-Mail vom 08.12.2016 enthaltenen Fragen gar nicht thematisierte. Exemplarisch zu nennen sind die Exhumierung des Vaters der Verfügungsklägerin und der mögliche Grund dafür oder die befürchtete konkrete Behauptung, die Verfügungsklägerin habe Frau Brülhart-Ströher Univest-Aktien vorenthalten – hier berichtet der Artikel tatsächlich sogar von der Unterschrift von Frau … über eine Teilungsvereinbarung hinsichtlich der Univest-Aktien.
Andere Themenkreise werden dagegen in dem Artikel dann tatsächlich aufgegriffen, allerdings in einer aus Sicht der Kammer zulässigen Weise. So wird zwar über Vorwürfe von Seiten der Familie … gegenüber Frau … im Zusammenhang mit einer außerehelichen Beziehung und dem Tod von Herrn … berichtet, aber nicht behauptet, dass die Verfügungsklägerin diese Vorwürfe erhoben hätte.
Dies zeigt, dass die E-Mail-Anfrage vom 08.12.2016 als Recherchemaßnahme gedacht war und gerade noch nicht den Rückschluss auf den Inhalt des Artikels zuließ. Dieser war dann auch teilweise anders als befürchtet. Dass nunmehr – im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung – noch weiterhin eine konkrete Erstbegehungsgefahr bestünde, ist ohnedies nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
2.3. Somit handelt es sich bei der streitgegenständlichen E-Mail und den darin enthaltenen Fragen um eine zulässige und von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Recherchemaßnahme. Dementsprechend ist die einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten aufzuheben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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