IT- und Medienrecht

Anspruch auf Herausgabe bzw. Löschung von durch vorläufige Vollstreckung eines später aufgehobenen Patentverletzungsurteils erlangten Informationsträger bzw. Informationen

Aktenzeichen  21 O 4641/21

Datum:
22.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37987
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1
ZPO § 717 Abs. 2
PatG § 140b

 

Leitsatz

1. Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO ist neben den Geschäftsgeheimnisse betreffenden Regelungen des GeschGehG anwendbar. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der vorläufigen Vollstreckung eines später aufgehobenen Titels auf Auskunft besteht nicht nur ein Anspruch auf Herausgabe bzw. Löschung der erlangten Informationsträger bzw. Informationen, sondern auch auf Unterlassung ihrer Nutzung. Der Anspruch auf Nutzungsuntersagung ist dem Herausgabeanspruch immanent und von der Ersatzpflicht des § 717 Abs. 2 ZPO umfasst. (Rn. 39 – 40 und Rn. 58 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bereicherungsansprüche nach § 812 BGB bestehen neben den in § 717 Abs. 2 ZPO geregelten Schadensersatzansprüchen. Das durch die Vollstreckung aus einem später aufgehobenen Titel Erlangte ist kondizierbar. Dies gilt auch für erlangte Informationen. (Rn. 42 und 47 – 50 und 58 und 64) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagten wird
1. aufgegeben, die in den Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen vom 4./5. Mai 2020, 5. Juni 2020 und 27. Juli 2020 sowie den mit diesen jeweils überreichten Anlagen an die Rechtsanwaltskanzlei Bardehle Pagenberg Partnerschaft mbB enthaltenen Informationen innerhalb einer Frist von 1 Woche ab Vollstreckung dieses Urteils
– soweit die Informationen physisch verkörpert sind, an die Klägerinnen herauszugeben – einschließlich der vom Obergerichtsvollzieher Martin Koch am 4. Februar 2021 gemäß Wegnahmeprotokoll unter dem Auftragszeichen 92 DR II 122/21 weggenommenen physischen Verkörperungen der Informationen, nämlich einen Papierordner;
und
– soweit die Informationen nichtphysisch verkörpert sind, diese vollständig zu löschen – einschließlich der vom Obergerichtsvollzieher Martin Koch am 4. Februar 2021 gemäß Wegnahmeprotokoll unter dem Auftragszeichen 92 DR II 122/21 weggenommenen nichtphysischen Verkörperungen der Informationen, nämlich solche auf einem USB-Stick -, dies zu dokumentieren und die Löschung den Klägerinnen innerhalb weiterer drei Tage nachzuweisen;
wobei sich beides auch auf indirekt und/oder mittelbar im Besitz oder Zugriffsbereich der Beklagten befindliche Informationen bezieht, insbesondere aufgrund von Auftragsverhältnissen mit IT-Dienstleistern oder Anwälten, wobei sich die Herausgabe- bzw. Löschungspflicht im Falle von Anwälten auf Dokumente (einschließlich elektronischer Dokumente) beschränkt, die der Anwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von der Beklagten oder für diese erhalten hat,
und wobei Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt und der Beklagten sowie Dokumente, die die Beklagte bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, ausgenommen sind,
ausgenommen sind Informationsträger (Schriftsätze und Anlagen sowohl in elektronischer als auch nichtelektronischer Form), die Gegenstand dieses Rechtsstreits und/oder des Verfügungsverfahrens vor dem Landgericht München I (Az. 21 O 17815/20) sind;
2. bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen CEO zu vollziehen ist, untersagt,
a) die unter Ziffer I. 1 bezeichneten Informationen, soweit diese aus der Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4c 39/16) erlangt wurden – außer zum Zwecke der Umsetzung des Tenors zu Ziffer I. 1. –
– zu besitzen oder Zugriff darauf aufrechtzuerhalten,
– zu nutzen, offenzulegen, zu vervielfältigen oder weiterzugeben, insbesondere im Rahmen von Gerichtsverfahren,
– sich über Hilfspersonen oder anderweitig erneuten Zugriff darauf zu verschaffen, insbesondere über Anwälte, Gerichtsakten, IT-Dienstleister,
wobei zu der Unterlassungspflicht gehört,
II. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. 
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 75.000,00 € für Ziffer I.1. und 75.000,00 € für Ziffer I.2. sowie hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet.
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere sind die Klageanträge hinreichend bestimmt gefasst.
Die Klageanträge sind mit Blick auf den Begriff „Informationen“ bestimmt genug gefasst, da diese dahin konkretisiert sind, dass sie in den im Antrag konkret benannten Schreiben enthalten sind; die Schreiben sind klägerseits vorgelegt worden und datieren antragsgemäß vom 4./5. Mai 2020, 5. Juni 2020 und 27. Juni 2020. Auch die mit den genannten Schreiben übersandten Anlagen, welche ebenfalls antragsgegenständliche Informationen enthalten, sind bestimmt genug bezeichnet, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die entsprechenden Anlagen müssen als Gegenstände des erhobenen Anspruchs so konkret beschrieben werden, dass die Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts klar umrissen ist, die Beklagte sich erschöpfend verteidigen kann und in der Vollstreckung Klarheit über den Verbotsinhalt besteht (BGH GRUR 2018, 203).
Vorliegend ist von der Beklagten nicht vorgetragen worden, dass Zweifel daran bestehen, um welche Anlagen es sich handeln soll. Die Beklagte weiß vielmehr aufgrund der im Rahmen der Vollstreckung übergebenen Schreiben sehr genau, welche Anlagen diesen jeweils beigegeben waren. Dass hier keine Zweifel daran bestehen, welche Informationen Gegenstand des Klageantrags sind, zeigt insbesondere die im Rahmen des vorangegangenen Verfügungsverfahrens erfolgte Vollstreckung: Der mit der Wegnahme der antragsgegenständlichen Informationen befasste Obergerichtsvollzieher hatte ausweislich des Wegnahmeprotokolls (Auftragszeichen 92 DR II 122/21) offenbar keinerlei Schwierigkeiten, die betroffenen Informationen auf Grundlage der erlassenen Verfügung zu identifizieren. Sind die betroffenen Informationen eindeutig identifizierbar, leidet der Antrag nicht an einer unbestimmten Bezeichnung des Antragsgegenstandes im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; fraglich ist dann allenfalls, ob der klägerseits formulierte Antrag sich in den Grenzen der materiellrechtlich bestehenden Anspruchsgrundlagen hält.
II. Wie bereits im vorangegangenen Verfügungsverfahren ausgeführt, machen die Klägerinnen die streitgegenständlichen Ansprüche dem Grunde nach zu Recht geltend; Grundlage der Ansprüche ist neben § 717 Abs. 2 ZPO auch § 812 Abs. 1 BGB. Einschränkungen ergeben sich allerdings im Anspruchsumfang.
1. Rechtsgrundlage der geltend gemachten Ansprüche ist einerseits § 717 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB. Die Kammer nimmt insofern Bezug auf ihre umfangreichen Ausführungen hierzu im vorangegangenen Verfügungsverfahren (Az. 21 O 17815/20; Beschluss vom 26. Januar 2021 und Endurteil vom 12. März 2021). Die Kammer hält an dieser, im Verfügungsverfahren bereits ausführlich erörterten Rechtsauffassung zur Anwendung von § 717 Abs. 2 ZPO im vorliegenden Fall ausdrücklich fest. Auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten (dort S. 11) kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, dass „die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs auf Schadensersatz nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO grundsätzlich“ vorliegen.
In Ergänzung zu den Ausführungen im Verfügungsverfahren ist zu § 717 ZPO allein Folgendes festzuhalten:
a. Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO ist neben den Geschäftsgeheimnisse betreffenden Regelungen des GeschGehG anwendbar. Zu diesem Ergebnis kommt auch das beklagtenseits vorgelegte Rechtsgutachten, in welchem zutreffend auf den spezifischen Zweck des § 717 Abs. 2 ZPO abgestellt wird, wobei mit § 717 Abs. 2 ZPO ein anderer, außerhalb der Zwecke des GeschGehG liegender Schutzzweck verfolgt wird.
§ 717 Abs. 2 ZPO hat eine spezifisch vollstreckungsrechtlich bestehende Gefahr zum Gegenstand; diese Norm sieht eine Risiko- oder Gefährdungshaftung des Gläubigers gegenüber dem Vollstreckungsschuldner für den Fall vor, dass das Urteil, aus dem vorläufig vollstreckt wurde, letztlich keinen Bestand hat. Die Regelungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes dienen demgegenüber insbesondere der Bestimmung und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
b. Die Kammer geht weiterhin – wie bereits im Verfügungsverfahren ausgeführt (Az. 21 O 17815/20; Beschluss vom 26.01.2021 und Endurteil vom 12.03.2021) – davon aus, dass es sich bei den streitgegenständlichen Informationen um Geschäftsgeheimnisse handelt.
Sofern die Beklagte meint, die streitgegenständlichen Informationen – bei denen es sich ganz offensichtlich um nicht frei zugängliche (deshalb die betriebene Vollstreckung!), hochsensible produktbezogene Unternehmensdaten (die sensibelsten sind nachfolgend fett gedruckt), nämlich
– die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
– die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummern, und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
– die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
– der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger, handelt – als „schlichte Informationen“ charakterisieren zu können, die etwa der nun wirklich banalen und jedermann zugänglichen Tatsache der Art des Sitzbezugs eines Pkw gleichstehen (Rechtsgutachten S. 27), ist eine solche Gleichsetzung offensichtlich fernliegend. Es geht hier nicht um Informationen darüber, welcher Art die Sitzbezüge eines Pkw sind, sondern um hochsensible, betriebsinterne und produktbezogene Unternehmensdaten. Der beklagtenseits gezogene Vergleich zeigt einmal mehr, dass sich die Beklagte der Bedeutung und der Sensibilität der aus der Vollstreckung erhaltenen Informationen nicht bewusst ist und gerade hierin die Gefahr besteht, die mit der Wiederherstellung des Zustands vor der Vollstreckung beseitigt werden muss. Der angestellte Vergleich kann nur als verfehlt bezeichnet werden: Es geht hier nicht um Zebrafelle in einem Pkw, sondern um hochsensible, dem Zugriff eines Wettbewerbers außerhalb der Vollstreckung aus guten Gründen unzugängliche produktbezogene Unternehmensdaten.
Aus Sicht der Kammer ergibt sich auch nicht, dass die streitgegenständlichen Informationen entsprechend der Klageerwiderung bekannt oder für die Beklagte anders als durch die Vollstreckung des Auskunftsanspruchs ermittelbar waren; wären die Informationen allgemein bekannt oder sonstwie öffentlich zugänglich gewesen, hätte es insofern sicher nicht der mit allen rechtlichen Mitteln (einschließlich Zwangsmittelverfahren) geführten Vollstreckung bedurft. So ergeben sich beispielsweise die zu beauskunftenden Informationen nach Ziffer II. 1 und 3. des Urteils des LG Düsseldorf offensichtlich nicht aus „entsprechenden Analysen des Marktforschungsunternehmens IMS PharmaScope® / IQVIA“, insbesondere nicht aus der Anlage B 2. Auch ist nicht dargetan, woher der Beklagten die Kundenliste samt der darin enthaltenen Informationen (Anlage AG 16 (Annex C 3) aus dem Verfügungsverfahren) bekannt gewesen sein soll, zumal diese in der Kopfzeile den eindeutigen Hinweis „PRIVILEGED AND HIGHLY CONFIDENTIAL INFORMATION“ sowie „ONLY TO BE USED FOR SPECIFIC PURPOSE / ONLY TO BE FORWARDED ON NEED-TO-KNOW BASIS” trägt; die Beklagte behauptet schlicht, ihr sei der „überschaubare Kundenkreis natürlich bekannt“. Es geht allerdings für die Frage des Geheimnisschutzes nicht darum, ob ihr einzelne oder alle Kunden als solche bekannt sind, sondern ob ihr diese (einschließlich der weiteren Daten aus der Kundenbeziehung, die sich aus der Anlage AG 16 (Annex C) ergeben, als Kunden der Klägerinnen bekannt sind; dazu fehlt jeder Vortrag. Soweit die Beklagte vorträgt, die nach Ziffer II.5. des Urteils des Landgerichts Düsseldorf zu beauskunftenden Informationen zur betriebenen Werbung seien ihr bekannt gewesen, da sie geschaltete Werbeanzeigen sorgsam überwache und diese im Übrigen ja auch allgemein bekannt seien, handelt es sich ersichtlich um Behauptungen ohne jeden Beleg. Nach dem Vortrag der Parteien ist davon auszugehen, dass der Beklagten die mit der Anlage AG 8 (Annex C) vorgelegten Informationen nicht bekannt waren. Auch soweit die Beklagte suggeriert, die beauskunfteten Mitarbeitergehälter der Klägerinnen (Betriebskosten) seien bekannt gewesen, da Mitarbeitergehälter „heutzutage auf einschlägigen Webportalen abrufbar“ seien, kann ein Vortrag dieser Qualität nur mit Verwunderung zur Kenntnis genommen werden: es geht um spezifische, produktbezogene Mitarbeitergehälter im Konzern der Klägerinnen; diese stehen so wie beauskunftet sicher nicht auf www.stepstone.de.
Bereits das Vollstreckungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf zeigt, dass die Klägerinnen um den Schutz der zu beauskunfteten Informationen bemüht waren; sie haben sich vehement, aber letztlich vergeblich um den Abschluss einer Geheimhaltungsverpflichtung der Beklagten bemüht. Während des Erkenntnisverfahrens waren entsprechende Bemühungen entgegen der Ansicht der Beklagten schon deshalb nicht veranlasst, weil die Offenlegung der Informationen gegenüber der Beklagten erst mit der Vollstreckung des landgerichtlichen Urteils zu besorgen war. Die Klägerinnen haben auch eingehend zu ihren betrieblichen Geheimhaltungsmaßnahmen vorgetragen.
Letztlich kann die Qualifikation der streitgegenständlichen Informationen als Geschäftsgeheimnisse allerdings schon deshalb dahinstehen, weil weder § 717 Abs. 2 ZPO noch § 812 BGB (siehe dazu unten II.2.) voraussetzen, dass nach den genannten Anspruchsnormen etwa herauszugebende bzw. zu löschende Informationen Geschäftsgeheimnisse nach dem GeschGehG sein müssen, zumal die Beklagte und das von ihr vorgelegte Rechtsgutachten den Rechtscharakter der streitgegenständlichen Informationen (siehe dazu unten Ziffer II.2.b.bb.) verkennen.
c. Was die Frage anbelangt, ob nach § 717 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB auch Unterlassungsansprüche in Betracht kommen, stellt auch das beklagtenseits vorgelegte Rechtsgutachten (dort S. 12) zutreffend fest, dass „nach der herrschenden Meinung in der Literatur wohl im Prinzip auch Unterlassungsansprüche in Betracht kommen“.
Die Kammer kann ausgehend davon, dass die Beklagte die im Rahmen der Vollstreckung erlangten Informationen vollständig herauszugeben bzw. zu löschen hat, kein Rechtsproblem darin erkennen, dass ergänzend beantragt wird, auch die Nutzung dieser Informationen zu unterlassen: Die Nutzungsuntersagung stellt im Hinblick auf das Herausgabeverlangen ein wesensgleiches Minus dar und ist daher dem Herausgabeanspruch immanent. Wer Informationen vollständig herauszugeben und zu löschen hat, so dass er diese Informationen nicht mehr in Besitz hat, darf diese selbstverständlich auch nicht nutzen. Insofern folgt aus der mit § 717 Abs. 2 ZPO statuierten Ersatzpflicht erforderlichenfalls auch ein Unterlassungsanspruch (wie hier Zöller/Herget, ZPO, 33. Auflage 2020, § 717 Rn. 6 m.w.N.).
2. Die geltend gemachten Ansprüche ergeben sich neben dem Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO auch aus § 812 Abs. 1 BGB.
a. Bereicherungsansprüche nach § 812 BGB bestehen neben den in § 717 Abs. 2 ZPO geregelten Schadensersatzansprüchen (BGH NZI 2007, 740 Tz. 22 ff. m.w.N.). Die Anwendung der Bereicherungsvorschriften wird durch § 717 Abs. 2 ZPO nicht ausgeschlossen.
Diese Vorschrift dient – wie bereits ausgeführt – dem besonderen Schutz der Prozesspartei, die die Vollstreckung aus einem erstinstanzlichen Urteil hingenommen oder zur Abwendung der Vollstreckung geleistet hat, indem der Rückforderungsanspruch bereits nach Aufhebung jenes Urteils durchgesetzt werden kann. Diese als Instrument innerprozessualer Waffengleichheit ausgestaltete Norm (BGHZ 136, 199 [207]) verwehrt es der Partei jedoch nicht, bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung abzuwarten und sodann die daraus folgenden Bereicherungsansprüche geltend zu machen (BGH NZI 2007, 740 Tz. 22 ff. m.w.N.).
b. Die Beklagte hat durch Leistung der Klägerinnen etwas erlangt (physisch bzw. nichtphysisch verkörperte Informationen gemäß Auskunft vom 4./5. Mai 2020, 5. Juni 2020 und 27. Juli 2020), wobei der Rechtsgrund für die Leistung durch das Verzichtsurteil des OLG Düsseldorf weggefallen ist. Die Beklagte ist den Klägerinnen daher zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Satz 2 Alt. 1 BGB.
aa. Die Leistung der Klägerinnen liegt in der mit den Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen vom 4./5. Mai 2020, 5. Juni 2020 und 27. Juli 2020 erfolgten Übermittlung physisch bzw. nichtphysisch verkörperter Informationen an die Rechtsanwaltskanzlei Bardehle Pagenberg Partnerschaft mbB.
In diesem Zusammenhang ist unschädlich, dass die Leistung nicht freiwillig erfolgte: Auch und gerade der Vollstreckungsschuldner leistet zur Erfüllung einer titulierten Verbindlichkeit, auch wenn diese materiellrechtlich nicht besteht; nur so kann es ihm nämlich gelingen, sich von der titulierten Leistungspflicht zu befreien und weiteren Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers vorzubeugen (Schwab in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 51).
bb. Erlangt hat die Beklagte die streitgegenständlichen Informationen in physisch bzw. nichtphysisch verkörperter Form. Soweit die im Wege der Vollstreckung erlangten Informationen physisch verkörpert sind, hat die Beklagte sogar Besitz an einer Sache erlangt.
Das erlangte Etwas kann allerdings nicht nur in Gestalt einer Sache im Sinne eines körperlichen Gegenstands (§ 90) vorliegen. Der Gegenstand des Bereicherungsanspruchs, das erlangte Etwas, kann auch nichtgegenständlicher Natur sein (Schwab in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 4). Der Art nach kann das „etwas“ jede wirtschaftlich vorteilhafte Position sein, auch wenn sie keinen eigenständigen Vermögenswert besitzt (Palandt/Sprau, BGB, 80. Auflage 2021, § 812 Rn. 8). Befindet sich „etwas“, das ursprünglich dem Gläubiger gehörte, nunmehr rechtsgrundlos im Schuldnervermögen, so ist es selbst dann herauszugeben, wenn es für den Schuldner oder Gläubiger keinen Vermögenswert haben sollte (Schwab in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 3 m.w.N.). Die streitgegenständlichen Informationen haben die Beklagte entsprechend der gesetzlichen Zwecksetzung in § 140b PatG in die wirtschaftlich vorteilhafte Position gebracht, einen etwaigen Schaden aus einer (angeblichen) Patentverletzung konkret berechnen und geltend machen zu können. Die streitgegenständlichen Informationen vermitteln der Beklagten aber auch unabhängig hiervon wirtschaftlich wertvolle Erkenntnisse über Produktherstellung und -vertrieb eines Wettbewerbers.
Die streitgegenständlichen Informationen sind ferner unter dem Gesichtspunkt als erlangtes Etwas kondizierbar, dass es sich ihrer Rechtsnatur nach um Inhalt und Gegenstand gesetzlich in § 140b PatG statuierter Forderungsrechte handelt; anerkannt ist ferner, dass kondizierbare Rechtsstellungen durch staatliche Rechtsakte – etwa wie hier Ziffer II. des Urteils des Landgerichts Düsseldorf – geschaffen werden können (siehe zu all dem Palandt/Sprau, a.a.O., § 812 Rn. 9).
Die im Wege der Vollstreckung an die Beklagte übermittelten Informationen (hier im wesentlichen produktbezogene Unternehmensdaten) sind angesichts dessen unabhängig von ihrem Informationsträger als Gegenstand des Bereicherungsrechts anzuerkennen (so zutreffend Adam, NJW 2020, 2063).
cc. Die Beklagte hat die Informationen auch auf Kosten der Klägerinnen erlangt; die entsprechende Vollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf ging ersichtlich zu Lasten der Klägerinnen.
dd. Die Beklagte hat die streitgegenständlichen Informationen auch ohne rechtlichen Grund erlangt. Nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB besteht die Herausgabeverpflichtung auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt Im Verhältnis der Prozessparteien steht mit der Wirkung des § 322 Abs. 1 ZPO fest, dass der von der Beklagten eingeklagte Auskunftsanspruch unbegründet ist. Folglich ist der rechtliche Grund für die zur Abwendung der Vollstreckung geleisteten Auskünfte weggefallen. Unbeachtlich ist nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB, dass mit dem landgerichtlichen Urteil zunächst ein Rechtsgrund für die Vollstreckung bestand.
3. Die streitgegenständlichen Informationen fallen auch unter den Schutzzweck der geltend gemachten Anspruchsnormen.
Die Beklagte ist der Ansicht, nach immaterialgüterrechtlichen Vorschriften nicht schutzfähige „schlichte“ Informationen unterfielen auch nicht dem Schutz des § 717 Abs. 2 ZPO, wenn dies
„…zu einer Ausdehnung der hinsichtlich immaterieller Gegenstände (hier insbesondere „schlichten“ Informationen als solchen) von der Rechtsordnung überhaupt normativ bestimmten Personen zugewiesenen Rechts- und Interessenpositionen (also zu einer erweiternden Änderung der normativen Zuweisungsentscheidungen der Rechtsordnung) führen kann.“
Die Beklagte befürchtet in diesem Zusammenhang (Rechtsgutachten S. 28), dass
„…auf dem Wege der §§ 717 Abs. 2 ZPO, 249 Abs. 1 BGB Unterlassungsansprüche gewährt [werden], die sich mit den normativen Grundwertungen der Immaterialgüterrechte, aber auch des zivilrechtlichen Haftungssystems mit Blick auf die vergleichsweise begrenzte Gewährung von Rechtspositionen mit ausschließlichem Zuweisungsgehalt an immateriellen Gegenständen in Wertungswiderspruch setzen würden, ohne dass der diesbezüglich unspezifische Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO eine solche Erweiterung hinsichtlich in diesem Bereich auch gar nicht eindeutig bestimmbarer Beseitigungsansprüche oder Nutzungsverbote tragen könnte.“ (Rechtsgutachten S. 28)
Zunächst ist festzustellen, dass nach § 812 Abs. 1 BGB die Herausgabe der in den übergebenen Unterlagen verkörperten Informationen verlangt werden kann, wenn diese Informationen einen Vorteil darstellen, der das wirtschaftliche Vermögen des Begünstigten irgendwie vermehrt hat (Palandt/Sprau, a.a.O., § 812 Rn. 8 m.w.N.). Kondiktionsobjekt kann auch ein gegenständlich nicht fassbarer Vorteil sein (siehe zu § 812 BGB von Sachsen-Gessaphe in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Auflage 2021, § 812 Rn. 8 ff.).
Festzustellen ist weiter, dass es einen Grundsatz, wonach immaterialgüterrechtliche Wertungen und Schutzzwecke im Zivilrecht stets Vorrang genießen und insofern von allgemeinen zivilrechtlichen Normen nicht unterlaufen werden dürfen, nicht gibt; dies zeigt etwa § 141a PatG und entsprechende Vorschriften aus dem Immaterialgüterrecht. Richtig ist vielmehr, dass Wertungswidersprüche im Konkurrenzverhältnis zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen nach Möglichkeit zu vermeiden sind; nicht ausgeschlossen ist aber, dass Wertungen des Immaterialgüterrechts (etwa: nur qualifizierte Informationen verdienen nach immaterialgüterrechtlicher Betrachtung Schutz) nicht zur Geltung kommen, soweit eine konkurrierende Anspruchsnorm von einem spezifischen, vom Immaterialgüterrecht unabhängigen Schutzzweck getragen ist. Im Falle des § 717 Abs. 2 ZPO, bei dem es sich schon nicht um eine allgemeinzivilrechtliche, sondern spezifisch vollstreckungsrechtliche Anspruchsnorm handelt, liegt ein solch spezifischer Schutzzweck vor (so zutreffend auch das beklagtenseits vorgelegte Rechtsgutachten, dort. S. 10). Aber auch der in § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB geregelte Kondiktionsanspruch verfolgt ein vom Immaterialgüterrecht unabhängiges, selbständiges und gegenüber den Schutzzwecken des Immaterialgüterrechts nicht minder bedeutsames Schutzanliegen: Fällt der rechtliche Grund für das Behaltendürfen des erlangten Etwas weg, ist es dem Berechtigten herauszugeben.
Der § 717 Abs. 2 ZPO und § 812 Abs. 1 BGB in der hier zu beurteilenden Konstellation (vorläufige Vollstreckung aus nachträglich in Wegfall geratenem Titel) zugrundeliegende Gesetzeszweck geht dahin, dass die Beklagte all das zurückzugeben hat, was sie in der Vollstreckung von den Klägerinnen erlangt hat, um damit den Zustand vor der von ihr betriebenen Vollstreckung wiederherzustellen (siehe hierzu OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 7832; Zöller/Herget, ZPO, 33. Auflage 2020, § 717 Rn. 6 m.w.N.); dabei ist für den Gesetzeszweck und die Bedeutung des Rechtsziels, Recht wiederherzustellen und damit Unrecht zu beseitigen, in besondere Weise zu berücksichtigen, dass gerade die Vollstreckung von Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen – zumal die nur vorläufige, also rechtlich nicht abschließend gesicherte – ein gravierender Eingriff in die Sphäre des Vollstreckungsschuldners ist. Zu diesem Zweck bestehen erforderlichenfalls auch Unterlassungsansprüche (so ausdrücklich Zöller/Herget, ZPO, 33. Auflage 2020, § 717 Rn. 6), um die Beklagte dazu zu zwingen, die aus der Vollstreckung erlangten Informationen nicht weiter zu nutzen bzw. sich auf die aus der Vollstreckung erlangten Informationen nicht erneut Zugriff zu verschaffen. Dabei handelt es sich auch nicht um „überschießende Schadensbeseitigungsmaßnahmen“ (Rechtsgutachten S. 17), sondern eben um das, was nach dem Gesetzeszweck vorgesehen ist: Die Wiederherstellung des Zustandes vor der Vollstreckung. Es besteht angesichts dessen entgegen der Ansicht der Beklagten die Verpflichtung, die streitgegenständlichen Informationen herauszugeben und zu löschen, soweit sie aus der Vollstreckung erlangt worden sind. Dabei ist nach § 717 Abs. 2 ZPO bzw. § 812 BGB gerade unerheblich, ob diese ursprünglich legitim erlangt wurden; entscheidend ist, dass ihr Behalten nach dem Gesetzeszweck nun nicht mehr legitim ist.
Sofern es die Beklagte nicht als vom Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO umfasst ansieht, in zivilprozessualen Streitigkeiten nicht mit umfassenden, vollständigen und korrekten Informationen hinsichtlich des Sachstands konfrontiert zu werden, ist dies natürlich richtig. Es hat aber auch niemand – weder die Kammer noch die Klägerinnen – diese abwegige Auffassung vertreten, so dass es auch der Widerlegung nicht bedurfte. Bei der Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, die aus der Vollstreckung erlangten Informationen den Klägerinnen anderweit entgegenzuhalten, geht es auch erkennbar nicht um eine Frage des Schutzzwecks der Norm, sondern um die Folge der gesetzgeberischen Maßgabe, den vormaligen Zustand wiederherzustellen. Aus der Wiederherstellung des Zustands vor der Vollstreckung folgt, dass die Beklagte „informationslos“ zu stellen ist; die Folge ist dann naturgemäß, dass sie die fraglichen Informationen, soweit diese aus der Vollstreckung erlangt wurden, nicht nutzen kann. Dabei handelt es sich auch um keine unzumutbare Härte sondern die Herstellung des Normalzustandes: Wer mit der Schadensersatzforderung eines Wettbewerbers konfrontiert ist, die dieser auf Basis eigener Unternehmensdaten berechnet, ist regelmäßig nicht in der Lage, diese Daten mit eigenen Kenntnissen der maßgeblichen Unternehmenskennziffern des Anspruchsstellers abzugleichen und daraus Vorhalte abzuleiten; er hat auf diese Daten nämlich keinen Zugriff – die vorliegend erfolgte Vollstreckung zeigt dies mehr als deutlich.
Es ist kein Widerspruch darin erkennbar, dass die Rechtsordnung eine Information einerseits als so bedeutsam ansieht, dass sie dem Informationsberechtigten bestimmte Rechte im Hinblick auf die Information gewährt, wie dies mit dem GeschGehG geschieht, und andererseits dem Träger einer Information das Recht zuspricht, diese von einem anderen – der die Information zu Unrecht besitzt – herauszuverlangen und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Rechtsposition mit ausschließlichem Zuweisungsgehalt handelt.
Der sich aus § 717 Abs. 2 ZPO ergebende Anspruch ist nach dem gesetzgeberischen Willen aufgrund einer ganz spezifischen, von der Zwecksetzung und dem Schutzgut des GeschGehG völlig losgelösten Konstellation aus dem Vollstreckungsrecht gerechtfertigt. Aus dieser gänzlich andersartigen und im Anwendungsbereich eng begrenzten Zwecksetzung folgt kein Eingriff in oder Widerspruch zum Gesetzeszweck des GeschGehG.
4. Auch soweit die Beklagte meint, der Besitz der hier gegenständlichen, von den Klägerinnen ursprünglich zur Verfügung gestellten Unterlagen und Dokumente sowie die geltend gemachten weitergehenden Löschungs- und Unterlassungsansprüche seien im Hinblick auf das Risiko künftiger Nutzung oder Wiederbeschaffung der in ihnen verkörperten Informationen bei normativer Betrachtung nicht vom Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO umfasst, es fehle deshalb insoweit an der haftungsausfüllenden Kausalität, kann dem nicht beigetreten werden.
Die Beklagte ist der Ansicht, § 717 Abs. 2 ZPO dürfe keine dahingehende überschießende Wirkungen entfalten, dass dem Vollstreckungsschuldner im Wege der Schadensersatzhaftung windfall profits im Sinne zusätzlicher, im Gesamtsystem des materiellen Zivilrechts so nicht vorgesehener Vorteile verschafft würden. Die geltend gemachten Ansprüche auf Löschung, Unterlassung der weiteren Nutzung, Offenlegung oder Wiederbeschaffung der betroffenen Informationen, insbesondere in Gerichtsprozessen, sei bei normativer Betrachtung unter dem Blickwinkel des Schutzzwecks des § 717 Abs. 2 ZPO nicht normativ zurechenbar. Der Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO könne nicht zu einer Ausdehnung der hinsichtlich immaterieller Gegenstände (hier insbesondere „schlichten“ Informationen als solchen) von der Rechtsordnung überhaupt normativ bestimmten Personen zugewiesenen Rechts- und Interessenpositionen (also zu einer erweiternden Änderung der normativen Zuweisungsentscheidungen der Rechtsordnung) führen. Vom Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO seien daher Löschungs-, Nutzungs- oder Wiederbeschaffungsverbote hinsichtlich schlichter Informationen, die nach § 2 Nr. 1 GeschGehG schon keine schutzwürdigen Geschäftsgeheimnisse darstellen, nicht umfasst; andernfalls würden auf dem Wege der §§ 717 Abs. 2 ZPO, 249 Abs. 1 BGB Unterlassungsansprüche gewährt, die sich mit den normativen Grundwertungen der Immaterialgüterrechte, aber auch des zivilrechtlichen Haftungssystems mit Blick auf die vergleichsweise begrenzte Gewährung von Rechtspositionen mit ausschließlichem Zuweisungsgehalt an immateriellen Gegenständen in Wertungswiderspruch setzen würden, ohne dass der diesbezüglich unspezifische Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO eine solche Erweiterung hinsichtlich in diesem Bereich auch gar nicht eindeutig bestimmbarer Beseitigungsansprüche oder Nutzungsverbote tragen könnte. Der Schutzzweck des § 717 Abs. 2 ZPO trage keine gegenüber den normativen Wertungen des Immaterialgüterrechts, insbesondere des Geschäftsgeheimnisschutzes, und des Systems der gesetzlichen Schuldverhältnisse im allgemeinen Zivilrecht, wesentlich erweiterte Gewährung von umfassenden Löschungs- und Unterlassungsansprüchen, insbesondere vorbeugenden Unterlassungsansprüchen, hinsichtlich der Nutzung, Offenlegung oder Wiedererlangung der im Zuge der Vollstreckung erlangten Informationen.
§ 717 Abs. 2 ZPO und auch § 812 BGB verfolgen im Hinblick auf eine – ex post betrachtet – unberechtigte Zwangsvollstreckung einen vom Immaterialgüterrecht völlig unabhängigen und von diesem auch nicht überlagerten Schutzzweck: Wer sich zu Unrecht einer Vollstreckung aus einem Urteil ausgesetzt sah, soll das Recht haben, den Zustand vor der Vollstreckung wiederherzustellen. Das gilt nach dem dargelegten Schutzzweck auch für durch die Vollstreckung erlangte – und insoweit klar konturierten -, produktbezogene Unternehmensinformationen, die vorliegend – wie oben gezeigt – auch nicht daran leiden, nicht identifizierbar zu sein; wie gesagt: Der mit der Sache nicht vorbefasste Obergerichtsvollzieher hatte insoweit offenbar ausgehend vom Urteilstenor keinerlei Schwierigkeiten mit „Kontur“ und Identifizierbarkeit der fraglichen Informationen. Dies ist schon nach ganz allgemeinen gültigen Gerechtigkeitserwägungen leicht nachvollziehbar und gerechtfertigt. Dabei geht dieser Schutzweck erkennbar über das Immaterialgüterrecht hinaus und besteht unabhängig von den das Immaterialgüterrecht tragenden Schutzzwecken, da sowohl schadens- als auch bereicherungsrechtlich eine Anspruchsbeschränkung auf absolute Rechtspositionen nicht vorgesehen ist. Es ist auch entgegen der Behauptung der Beklagten (Rechtsgutachten S. 26 ff.) nicht ersichtlich, wie die Wiederherstellung des Zustands vor der Vollstreckung die Rechtsstellung der Klägerinnen verbessern sollte: Es wird mit den geltend gemachten Klageanträgen lediglich der rechtmäßige Zustand vor der Vollstreckung wiederhergestellt, in dem die Beklagte keinerlei Kenntnis der fraglichen produktbezogenen Unternehmensinformationen hatte. Ohne die Erkenntnisse aus der Vollstreckung könnte die Beklagte diese auch nicht nutzen, indem sie diese etwa in einem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums zum Zwecke der Rechtsverteidigung vorbringt. Den Klägerinnen werden also mitnichten zusätzliche Befugnisse zugewiesen, die ihre rechtliche Position verbessern. Die Anträge beschränken sich entsprechend dem Gesetzeszweck der inmitten stehenden Anspruchsnormen darauf, den Zustand vor der Vollstreckung wiederherzustellen – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.
5. Rechtsfolge der geltend gemachten Ansprüche ist die Herausgabe bzw. Löschung der aus der Vollstreckung erlangten Informationen einerseits sowie die Unterlassung der weiteren Nutzung, Offenlegung oder Wiederbeschaffung dieser Informationen andererseits (vgl. dazu Zöller/Herget, ZPO. 33. Auflage 2020, § 717 Rn. 6).
Auch die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Klägerinnen nach § 717 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 249 BGB beanspruchen können, dass die streitgegenständlichen Unterlagen und Dokumente, die die Beklagte im Rahmen des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs erhalten hat, herauszugeben bzw. zu löschen sind und die Beklagte hieran keinen Besitz aufrechtzuerhalten darf (Rechtsgutachten S. 45).
Mit Blick auf den Besitz und die Aufrechterhaltung des Zugriffs auf die aus der Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4c 39/16) erlangten Informationen ergibt sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ohne weiteres aus der fortbestehenden Zuwiderhandlung gegen die materiellrechtlich bestehende Herausgabepflicht. Soweit mit dem Beschluss des OLG München vom 29.04.2021 (dort S. 15) in Zweifel gezogen wird, dass bereits der Besitz einen Verbotstatbestand begründen kann, sei Folgendes festgestellt: Wer von Rechts wegen etwas herauszugeben hat, darf es nicht behalten. Folglich ist ihm der Besitz und die Aufrechterhaltung des Zugriffs verboten. Folglich ist ihm auch untersagt, das zu Unrecht in Besitz gehaltene zu nutzen, offenzulegen, zu vervielfältigen oder weiterzugeben.
Es besteht auch die für die Geltendmachung eines solchen Unterlassungsanspruchs erforderliche Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr: Die Beklagte verweigert – wie nicht zuletzt ihr Klageabweisungsantrag zeigt – nicht nur die Herausgabe und Löschung der streitgegenständlichen Informationen; sie hat zudem angekündigt, die Informationen im Rahmen eines Rechtsstreits verwenden zu wollen. Deshalb ist zu besorgen, dass sich die Beklagte über Hilfspersonen oder anderweitig erneuten Zugriff darauf verschafft, insbesondere über Anwälte, Gerichtsakten oder IT-Dienstleister. Zu besorgen ist aufgrund dieser Ankündigung ferner, dass die Beklagte die Informationen nutzt, offenlegt, vervielfältigt und weitergibt.
III. Die von der Beklagten ins Feld geführten Einwendungen greifen nur teilweise durch.
1. Die Beklagte vertritt mit dem vorgelegten Rechtsgutachten die Ansicht, aus schadensrechtlicher Sicht sei der Aspekt der objektiven Unmöglichkeit des Vergessens der hier gegenständlichen Informationen nach §§ 275 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB als rechtsvernichtende Einwendung zu berücksichtigen. Danach seien einzelne der geltend gemachten Ansprüche nicht erfüllbar.
aa. Erfüllbar sind aus Sicht der Beklagten der Anspruch auf Aufgabe des Besitzes durch Herausgabe bzw. Löschung von Unterlagen sowie die Beendigung entsprechender Zugriffsmöglichkeiten (Rechtsgutachten S. 14). Dem ist aus Sicht der Kammer nichts hinzuzufügen.
bb. Soweit die Beklagte meint, der Unterlassungsanspruch beziehe sich auch auf die bloße Kenntnis (Rechtsgutachten S. 15) der streitgegenständlichen Informationen ist festzustellen, dass ein solches Verbot nicht beantragt ist; antragsgegenständlich ist der Besitz der Informationen (physisch und nichtverkörpert) und die Aufrechterhaltung des Zugriffs. Die Beklagte trägt nicht vor, weshalb es objektiv unmöglich sein sollte, den Besitz der Informationen oder die Aufrechterhaltung des Zugriffs hierauf zu unterlassen. Die Beklagte trägt im Übrigen auch nicht vor, wie es angesichts des Umfangs der streitgegenständlichen Auskunft (Daten auf mehreren tausend Seiten) einem Menschen überhaupt möglich sein sollte, sich all diese Informationen zu merken, so dass überhaupt die Möglichkeit des Vergessens im Raum stünde.
cc. Zutreffend hat die Beklagte demgegenüber (allerdings unter dem Aspekt der Unmöglichkeit) darauf hingewiesen (Rechtsgutachten S. 15 ff.), dass die beanspruchten Unterlassungsansprüche unabhängig davon gelten sollen, ob die betroffenen Handlungen auf den ursprünglich erlangten Informationen beruhen. Dabei handelt es sich zwar nicht um ein Problem der Erfüllbarkeit; richtig ist aber, dass sowohl nach § 717 Abs. 2 ZPO als auch nach § 812 Abs. 1 BGB darauf abzustellen ist, inwiefern die Informationen aus der Vollstreckung erlangt wurden.
Im Gegensatz zur aus § 717 Abs. 2 ZPO und § 812 Abs. 1 BGB folgenden Verpflichtung der Beklagten, den Zustand vor der Vollstreckung wiederherzustellen, steht das berechtigte Anliegen, unabhängig von der Vollstreckung erlangte (identische) Informationen besitzen und nutzen zu dürfen, sofern diese rechtmäßig erlangt wurden oder werden – etwa im Rahmen einer Zeugeneinvernahme. Dass solchermaßen erlangte Informationen, auch wenn sie mit den streitgegenständlichen identisch sein sollten, nicht von den genannten Ansprüchen umfasst sind, ergibt sich unmittelbar aus den genannten Anspruchsnormen, die auf eine Herausgabe bzw. Zustandswiederherstellung gerichtet sind, nicht aber einen (künftigen) und rechtmäßigen Erwerb eben dieser Informationen verhindern können und sollen. Das entspricht etwa dem in § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, wonach private Vervielfältigungen eines Werkes nur dann zulässig sind, wenn sie aus einer legalen Quelle stammen, nicht aber, wenn zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wurde. Dieses Beispiel zeigt, dass die Rechtsordnung keine unüberwindbare Hürde (objektive Unmöglichkeit) darin sieht, die Nutzung eines Werkes oder – wie hier – einer Information abhängig von der Rechtmäßigkeit der Quelle, der sie entstammt, zuzulassen oder zu verbieten. Dass sich nicht klären lässt, auf welchem Wege die Beklagte eine konkrete Information erlangt hat, ist nicht ersichtlich. Es mag im Einzelfall zugegebenermaßen schwierig sein, die Quelle der Information herauszufinden – unmöglich ist dies aber nicht.
Die Kammer hat daher im Tenor ausdrücklich klargestellt, dass unabhängig von der streitgegenständlichen Vollstreckung erlangte Informationen dem mit Ziffer I.2. ausgesprochenen Verbot nicht unterfallen. Diese Klarstellung ist eine aus den Anspruchsnormen folgende Selbstverständlichkeit und ergibt sich auch aus dem Streitgegenstand: Streit- und antragsgegenständlich sind nur die aus der streitgegenständlichen Vollstreckung erlangten Informationen.
2. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, die geltend gemachten Unterlassungsansprüche würden durch das mit Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Recht zur effektiven Verteidigung als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren in allfälligen gerichtlichen Streitigkeiten, und auch durch die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit beschränkt. Die Beklagte habe ein legitimes Interesse, die streitgegenständlichen Informationen im Rahmen des Schadensersatzprozesses unter umgekehrtem Rubrum zum Zwecke der Rechtsverteidigung zu verwenden. Etwaige Geheimhaltungsinteressen der Klägerinnen könnten durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Geheimnisschutzmaßnahmen nach §§ 172 ff. GVG oder gegebenenfalls §§ 16 ff. GeschGehG, gewahrt werden. Im Übrigen bestünden berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten der Rechts- und Patentanwälte und die Möglichkeit strafbewehrter Geheimhaltungsvereinbarungen.
Dem folgt die Kammer nicht. Zwar durfte die Beklagte aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel vollstrecken. Wird aber – wie hier geschehen – das für vorläufig vollstreckbare Urteil rechtskräftig aufgehoben, ist der Zustand vor der Vollstreckung wiederherzustellen. Dies folgt gleichermaßen aus § 717 Abs. 2 ZPO und § 812 Abs. 1 BGB. Informationen, die die Beklagte aus der Vollstreckung des vermeintlich bestehenden Auskunftsanspruchs erlangt hat, hat sie herauszugeben. Sie darf die solchermaßen erlangten Informationen selbstredend nicht mehr nutzen; dem verweigert sich die Beklagte und verhält sich insofern nicht gesetzeskonform. Eine Einschränkung des Gebots der Wiederherstellung des Zustands vor Vollstreckung im Hinblick auf das Recht zur effektiven Verteidigung als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren in allfälligen gerichtlichen Streitigkeiten ist nicht geboten. Denn die Rechtsordnung ermöglicht der Beklagten durch die im Zivilprozess geltenden Grundsätze und Regelungen, von denen insbesondere die Grundsätze der Beweislastverteilung und der Wahrheitspflicht sowie die Vorlageanordnung nach § 142 ZPO genannt seien, die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung in einem Schadensersatzprozess umgekehrten Rubrums. Die genannten Grundsätze und Regelungen zeigen, dass die Beklagte mitnichten nur dann in die Lage versetzt ist, die streitgegenständlichen Informationen zum Gegenstand eines gegen sie geführten Schadensersatzprozesses zu machen, wenn man ihr die Informationen aus der Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf belässt. Der Umfang der geltend gemachten Ansprüche ist daher mit Blick auf die beklagtenseits geltend gemachten Grundrechtspositionen auch nicht unverhältnismäßig.
Sofern die Beklagte ausführen lässt (Rechtsgutachten S. 43 f.; Fettdruck diesseits), dass bei
„…lebensnaher Betrachtung … durchaus davon auszugehen [sei], dass … eine gewisse Gefahr bestehen könnte, dass bei der Erfüllung des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs im Rahmen der Vollstreckung Angaben eher dahingehend optimiert werden, Umsätze und Gewinne des Vollstreckungsschuldners möglichst niedrig erscheinen zu lassen. Genau spiegelbildlich bestünde im Rahmen eines späteren Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von § 717 Abs. 2 ZPO sicherlich unleugbar ein gewisser Anreiz (und damit bei lebensnaher Betrachtung eine gewisse Gefahr), dass Angaben eher dahingehend strukturiert werden, die aufgrund der vorläufigen Vollstreckung entgangenen Umsätze und Gewinne des Vollstreckungsschuldners möglichst hoch zur Geltung zu bringen. Könnte nun der Vollstreckungsgläubiger dem Vollstreckungsschuldner dessen ursprüngliche Angaben aus dem Vollstreckungsverfahren in einem allfälligen gerichtlichen Verfahren um Schadensersatz in Geld aufgrund kategorisch entgegenstehender Unterlassungsansprüche nicht entgegenhalten, würden für derlei prozesstaktisches Verhalten entgegen der Intention der zivilrechtlichen Wahrheitspflicht regelrecht zusätzliche Anreize gesetzt.“
versteht die Kammer diese Ausführungen allgemein und abstrakt und nicht dahin, dass den Klägerinnen damit Verstöße gegen die sowohl im Rahmen der Vollstreckung als auch im Erkenntnisverfahren geltende Wahrheitspflicht unterstellt werden sollen. Das Verhalten der Klägerinnen gibt hierzu aus Sicht der Kammer keinerlei Anlaß.
Auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich im Übrigen nicht, dass aufgrund eines materiellrechtlichen Anspruchs herauszugebende Unterlagen oder Informationen dann behalten und weiter genutzt werden dürfen, wenn sie dem Herausgabeschuldner in einem Rechtsstreit gegen den Herausgabegläubiger nützlich sein können. In seiner Entscheidung „Marder“ (GRUR 1990, 515) hat der Bundesgerichtshof lediglich festgestellt, dass ein Herausgabeverlangen auch im Falle einer materiellrechtlich bestehenden Herausgabepflicht (im Fall „Marder“ die arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers zur Rückgabe von Unterlagen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses) rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn der Herausgabegläubiger diese aus einem anderen Rechtsgrund (im Fall „Marder“ §§ 9, 12 ArbErfG in Verb. mit § 242 BGB) an den Herausgabeschuldner zurückgeben muss. Vorliegend – und das ist der entscheidende, von der Beklagten verkannte Unterschied zum Fall „Marder“ – steht der Beklagten allerdings kein materiellrechtlicher Herausgabeanspruch gegenüber den Klägerinnen zu. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot rechtlichen Gehörs und dem Anspruch auf ein faires Verfahren ergibt sich ein solcher (materiellrechtlicher Herausgabe-)Anspruch jedenfalls nicht. Er ergibt sich auch nicht als Pflicht oder Nebenpflicht aus dem Prozessrechtsverhältnis; die Pflicht des Gegners zur Vorlage von Unterlagen hat in § 142 Abs. 1 ZPO eine ausdrückliche prozessuale Regelung erfahren, so dass daneben die Notwendigkeit der Kreation einer Nebenpflicht aus dem Prozessrechtsverhältnis ausscheidet.
3. Ein Gegenanspruch aus § 810 BGB besteht nicht.
Eine nach § 810 BGB vorzulegende Urkunde muss stets genau bezeichnet werden. Deshalb genügt es nicht, wenn der Anspruchsteller beantragt, ihm Einsicht in Urkundensammlungen oder in sämtliche, einen bestimmten Vertrag betreffende Schriftstücke (hier: „die streitgegenständlichen Dokumente“) zu gewähren (BGH NJW 2014, 3312). Der für die Voraussetzungen einer Einsichtsgewährung nach § 810 BGB darlegungs- und beweispflichtige Anspruchsteller muss deshalb außer dem objektiven Zusammenhang des konkreten Rechtsverhältnisses mit der Urkunde und seinem rechtlichen Interesse auch die Urkunde selbst und deren angeblichen Inhalt genau bezeichnen. Daran fehlt es offensichtlich.
4. Die Beklagte beruft sich im Hinblick auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise mit Erfolg auf das Bestehen von Zurückbehaltungsrechten.
Mit Blick auf den Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sind grundsätzlich alle Einwendungen sachlichrechtlicher Art zulässig; auch Zurückbehaltungsrechte können grundsätzlich geltend gemacht werden (MükoZPO-Götz, 6. Auflage 2020, § 717 Rn. 19 ff.).
a. Ein Zurückbehaltungsrecht ergibt sich nicht aus einem Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien betreffend einen Schadensersatzprozess auf der Grundlage von § 242 BGB. Zwar ist ein solcher Schadensersatzprozess zwischen den Parteien mittlerweile anhängig. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht indes nicht. Ein solches wird auch vom BAG in der beklagtenseits zitierten Entscheidung (NZA 2014, 1258) nicht erwähnt; dort geht es insoweit allein um die Frage, ob im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits bestimmte Tatsachen offengelegt werden durften. Gleiches gilt im Falle des beklagtenseits zitierten Urteils des LAG Düsseldorf (ZIP 1982, 217).
b. Die Beklagte kann sich aber gegenüber den Klägerinnen auf ein eingeschränktes Zurückbehaltungsrecht aus § 50 BRAO berufen.
Zwar kann der Rechtsansicht der Beklagten, ihrem Prozessbevollmächtigten sei es rechtlich verboten, die Handakte herauszugeben und zu löschen, in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden. Aus § 50 Abs. 1 BRAO ergibt sich zwar die Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Handakten. Die Aufbewahrungspflicht besteht aber nach § 50 Abs. 2 BRAO nicht uneingeschränkt: Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO hat der Rechtsanwalt Dokumente, die er aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben. Dies gilt nach § 50 Abs. 1 Satz 4 BRAO nicht für die Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber sowie für die Dokumente, die der Auftraggeber bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. In dem solchermaßen gesetzlich beschränkten Umfang besteht folglich ein Herausgabe- bzw. Löschungsanspruch der Beklagten gegen ihre Prozessbevollmächtigten. Dem entsprechend war der weitergehend formulierte Klageantrag einzuschränken.
V. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Aus den vorgenommenen Einschränkungen der Klageanträge ergibt sich lediglich eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung der Klägerinnen.


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