IT- und Medienrecht

Behinderung, Gesellschafterversammlung, Untersagung, Betreuung, Vollziehung, Aufhebung, Gesellschafterliste, Zustellung, Handelsregister, Notar, Zeitpunkt, Beschlussverfahren, Betreuer, Tod, notarielle Urkunde

Aktenzeichen  14 HK O 2900/20

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50145
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beschluss des LG München I in dieser Sache vom 09.04.2020 wird aufrechterhalten.
2. Die weiteren Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Der Erlass der einstweiligen Verfügung ist bis zum heutigen Tage materiellrechtlich wirksam, da die Geschäftsanteilsveräußerung vom 17.01.2020 bereits unwirksam gemäß § 1795 I 1 BGB ist.
1. Zwar liegt der über § 1908 i Abs. 1 BGB auch im Betreuungsrecht anwendbare § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB vom direkt benannten Tatbestand her nicht vor, da der Betreuer … den Kläger nicht vertrat in einem Rechtsgeschäft mit einem Verwandten in gerader Linie (wie es der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) im Hauptsacheverfahren als Stiefbruder des Klägers und Sohn des Betreuers wäre).
2. Jedoch wird § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch bei Umgehungstatbeständen angewandt (vgl. Beck-Online Großkommentar, Zell/Krüger/Lorenz/Reimann-Sonnenfeld, Rn. 34 zu § 1795 BGB; Münchener Kommentar-Spickhoff, Rn. 16, 17).
Ein solcher Umgehungstatbestand lag hier vor aufgrund der Gesamtschau der Umstände des Abschlusses des Vertrages.
a) Die von den Eltern des Klägers vorgenommene Teilung der Gesellschaftsanteile und damit auch der gegenseitigen Kontrolle auf den Kläger einerseits, den Geschäftsführer der … auf der anderen Seite, wurde vollständig aufgehoben dadurch, dass nunmehr nur der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) alleine zusammen mit seiner mit ihm im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehefrau die Kontrolle über die Beklagte zu 1) (und damit mittelbar auch über die … Grundstücks KG) erhielt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist bereits, dass der anwaltliche Vertreter der Beklagten nicht einmal zur beruflichen Erfahrung oder Tätigkeiten der Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung Stellung nehmen konnte oder wollte. In dieses Bild passt auch, daß im Hauptsacheverfahren sich die hier Verfügungsbeklagte vom gleichen Anwalt vertreten ließ wie die dortige Beklagte zu 1), der …, deren Geschäftsführer der Stiefbruder des Verfügungsklägers und Ehemann der hiesigen Verfügungsbeklagten ist.
b) Auch die Abläufe der Gesellschafterversammlung vom 17. Januar 2020, 2 Tage vor dem Tod des verfügenden …, beweisen den Umgehungswillen aller der an dieser Geschäftsanteilsveräußerung bezüglich der … beteiligten Personen.
Auffällig ist bereits, dass die Niederschrift des beurkundenden Notars Dr. G. (vgl. Anl. K 17) entgegen der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 2 Beurkundungsgesetz keinerlei Feststellungen über die Geschäftsfähigkeit des 2 Tage später versterbenden Peter Reiß enthält, obwohl der Notar in einer weiteren Urkunde auch noch erbrechtliche Verfügungen des später Versterbenden aufgenommen hat. Aus der vom Notar … gefertigten Urkunde, Anlage K 17, ergibt sich ferner, dass er „auf Ansuchen“ sich in das Klinikum Neuperlach begeben hat, wobei er darüber sich ausschweigt, auf wessen Ansuchen er dort eintraf. Eine Schreibkraft hatte der Notar nicht dabei, weshalb davon auszugehen ist, dass die Urkunde Anl. K 17 bereits im Notariat vorbereitet worden war, ohne daß seitens der Beklagten erklärt werden konnte, wie der etwaige Vertretungs-(!)Wille des Betreuers überhaupt erkundet worden wäre. Auch ist fragwürdig, wieso – so die Beurkundung des Notars im Krankenhaus – die Betreuungsakte des Amtsgerichts München, Aktenzeichen 709 XVII 981/98 zur Einsichtnahme vorgelegt worden sei.
Der Notar gab auch nicht an, in welchem Zimmer des Klinikums Neuperlach er den Beurkundungsvorgang vorgenommen hat. Nach Angaben des Beklagtenvertreters soll dies das Patientenzimmer gewesen sein, einen weiteren Patienten habe man während der Beurkundung zum Verlassen des Zimmers bewegen können. Die Beklagtenseite konnte auch nach telefonischer Rücksprache – zu deren Möglichkeit die Sitzung unterbrochen war – nicht näher dartun, wer den Notartermin genau vereinbart habe, wer den Notar in das „unbenannte Zimmer“ (so die notarielle Urkunde) gebracht hatte, wer den Vertragstext vorgegeben hatte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Herr … an Blasenkrebs erkrankt gewesen sei und ihm eine Woche vor dem Tod noch ein Röhrchen in den Gallengang gelegt worden sei, ferner er starke Schmerzmittel bekam. Daß die Geschäftsfähigkeit des Betreuers trotz des psychiatrischen Konsils vom 14.1.20 (also 5 Tage vor dem Tod des Betreuers), welches dem Betreuer kognitive Defizite im Kurzzeitgedächtnis sowie beeinträchtigte Kritik- und Urteilsfähigkeit bescheinigte (vgl. K 40), nicht mehr überprüft wurde, ist ebenfalls ein starkes Indiz für den Umgehungswillen aller Beteiligten.
Die Gesamtschau dieser Umstände des Beurkundungsvorgangs zeigt, dass sie von vornherein nur darauf angelegt waren, dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) die faktische Kontrolle über alle Geschäftsanteile zu verschaffen, was ihm durch Übertragung an sich selbst gemäß § 1795 Abs. 2 Nr. 1 BGB verwehrt worden ist. Insoweit liegt ein Umgehungstatbestand vor, weshalb die Übertragung unwirksam war. Schon aus diesem Grund braucht die Frage der Geschäftsfähigkeit des Betreuers im Hinblick auf § 166 BGB nicht endgültig geklärt werden, ebensowenig wie die Frage eines Ladungsmangels bezüglich der abgehaltenen Gesellschafterversammlung.
II.
Die erwirkte einstweilige Verfügung ist auch ordnungsgemäß i.S.v. § 929 ZPO binnen Monatsfrist vollzogen werden. Es war für die wirksame Vollziehung auch nicht für den Unterlassungsteil zwingend erforderlich, dass eine Ordnungsmittelandrohung gem. § 890 II ZPO in dieser enthalten gewesen wäre.
Grundsätzlich muss der Vollziehung von einstweiligen Verfügungen der Gläubiger gegenüber dem Schuldner zum Ausdruck bringen, dass er von der einstweiligen Verfügung Gebrauch machen will. Dazu dient zum ersten bereits die Zustellung im Parteibetrieb, die im vorliegenden Fall durch Zustellung an die Verfügungsbeklagtenvertreter vollzogen wurde.
Eine weitere Androhung von Zwangsmitteln gem. § 890 II ZPO ist zur Vollziehung nach Ansicht des Gerichts nicht erforderlich, da die Zustellung im Parteibetrieb genügt.
Gerade bei einer im Beschlussverfahren erlassenen einstweiligen Verfügung muss es dem Gläubiger freistehen, ob er von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht und damit ggf. das Haftungsrisiko des § 945 ZPO eingeht (vgl. Zimmermann Kommentar zur ZPO Rn 9 a zu § 929 ZPO). Die Ernsthaftigkeit des Gebrauchmachens der einstweiligen Verfügung kann gerade bei Zustellung unter Rechtskundigen wie Rechtsanwälten ausreichend klar gemacht werden.
Kosten vorläufige Vollstreckbarkeit §§ 91, 708 Nr. 11 ZPO.


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