IT- und Medienrecht

Beschädigung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung

Aktenzeichen  W 2 K 17.1191

Datum:
6.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 194, § 195, § 241 Abs. 1, § 254 Abs. 1, § 278 S. 1, § 280 Abs. 1
EWS § 15 Abs. 1, § 18 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Das öffentlich-rechtliche Kanalbenutzungsverhältnis ist ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, auf das die bürgerlich-rechtlichen Haftungsnormen anwendbar sind (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 55970). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es gehört zu den Obliegenheiten der Anschlussnehmer, sicherzustellen, dass kein schädliches Abwasser in die Kanalisation gelang. Dem Einrichtungsbetreiber werden Kontrollmöglichkeiten eingeräumt, aber keine Kontrollpflichten. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3 Zu dem zur Wiederherstellung einer Kanalisation erforderlichen Geldbetrag gehören auch die auf die Planung, Bauüberwachung und Baustelleneinrichtung entfallenden Kosten. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
4 Voraussetzung für den Vorteilsausgleich (Abzug „neu für alt“) ist, dass eine messbare Vermögensvermehrung eingetreten ist, diese Werterhöhung sich für den Geschädigten günstig auswirkt und der Vorteilsausgleich für den Geschädigten zumutbar ist. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
5 Das Kanalbenutzungsverhältnis ist ein Dauerschuldverhältnis, bei dem die Verjährung nicht beginnen kann, solange der Eingriff noch dauert. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 23.671,00 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 23.671,00 EUR nach § 280 Abs. 1 BGB. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte eine Pflicht aus dem zwischen den Beteiligten bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis verletzt und zurechenbar den geltend gemachten Schaden verursacht hat.
1. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
Nach der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Die Frage, ob die Rechtsnatur einer Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach ständiger Rechtsprechung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.5.1994 – 5 C 33/91 – NJW 1994, 2968). Öffentlich-rechtlich sind Streitigkeiten, wenn sie sich als Folge eines Sachverhaltes darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 40 Rn. 6).
Das vorliegende Kanalbenutzungsverhältnis ist durch die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs, vgl. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) i.d.F. d. Bek. vom 22. August 1998 (GVBl S. 798) und § 5 EWS, und die Möglichkeit der Erhebung von Benutzungsgebühren in Art. 8 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.d.F. d. Bek. vom 4. April 1993 (GVBl S. 264, BayRS 2024-1-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 351), i.V.m. der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 11. Oktober 2010 (BGS/EWS) subordinationsrechtlich ausgestaltet. Eine spezialgesetzliche Regelung bezüglich des Rechtsweges ist nicht vorhanden. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor.
2. Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft.
Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ist gegeben. Insbesondere fehlt der Klägerin nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für eine allgemeine Leistungsklage, weil als einfacherer Weg für die Geltendmachung und Durchsetzung ihres Anspruches der Erlass eines Leistungsbescheides gegenüber der Beklagten in Betracht gekommen wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, vor § 40 Rn. 48, 50, m.w.N.). Dafür wäre gemäß Art. 20 Abs. 3 GG eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder eine Über-/Unterordnung des Verwaltungsträgers über den Regelungsadressaten gerade auch in Bezug auf den Anspruch notwendig, der durch Verwaltungsakt geregelt werden soll (vgl. VGH BW, B.v. 29.12.1989 – 10 S 2252/89 – juris, m.w.N.). Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches durch Verwaltungsakt ist vorliegend allerdings nicht gegeben. Insbesondere enthält die Entwässerungssatzung keine entsprechende Norm. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 18 Abs. 4 EWS, wonach derjenige, der den Vorschriften dieser Satzung zuwiderhandelt, der Gemeinde für alle ihr dadurch entstehenden Schäden und Nachteile haftet, denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Anknüpfungsnorm, die auf die außerhalb der Abwassersatzung geregelten Haftungstatbestände des öffentlichen Rechts und des Privatrechts verweist (so auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).
3. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 23.671,00 EUR Schadenersatz ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB.
Das öffentlich-rechtliche Kanalbenutzungsverhältnis ist ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, auf das die bürgerlich-rechtlichen Haftungsnormen anwendbar sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2014 – 4 CS 14.77 – juris). Aus diesem folgt die Pflicht, Störungen der Funktionsfähigkeit des Grundstücksanschlusses und der Kanalleitung zu vermeiden. Wird diese Pflicht verletzt, hat der Schuldner diese Pflichtverletzung zu vertreten und entsteht dadurch zurechenbar ein Schaden, kann in entsprechender Anwendung der Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs Schadensersatz verlangt werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2010 – 4 ZB 09.1190 – juris; BVerwG, U.v. 1.3.1995 – 8 C 36/92, NJW 1995, 2303).
Schuldhafte Pflichtverletzungen von Erfüllungsgehilfen, d. h. von Personen, die nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem gegenüber dem Gläubiger obliegenden Verbindlichkeiten als seine Hilfspersonen tätig werden, muss sich der Schuldner dabei nach § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen.
Die materielle Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt der Gläubiger; der Schuldner trägt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die materielle Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 280 BGB Rn. 34).
3.1. Die Beklagte hat eine objektiv pflichtwidrige Vertragsverletzung begangen.
Nach § 15 Abs. 2 Nr. 11 Sp. 3 EWS darf in die öffentliche Entwässerungsanlage der Beklagten kein Abwasser aus Industrie-und Gewerbebetrieben eingeleitet werden, das einen pH-Wert von unter 6,5 oder von über 9,5 aufweist.
Rechtliche Bedenken hinsichtlich der Rechtsgültigkeit der Entwässerungssatzung sind nicht vorgetragen und liegen offensichtlich auch nicht vor.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Beklagte bis zum Bau des Pufferbeckens im Herbst 2014 produktionsbedingt Abwasser in die Kanalisation der Klägerin eingeleitet hat, das zeitweise die nach § 15 Abs. 2 Nr. 11 Sp. 3 EWS zulässigen pH-Werte maßgeblich überschritten hat. Dies ergibt sich daraus, dass in der Besprechung am 29. Oktober 2013 der Vertreter der Beklagten und ein fachkundiger Berater der Beklagen vom Private Brauereien Deutschland e.V. erläutert haben, dass die pH-Wert-Schwankungen produktionsbedingt auftreten würden. Sie erklärten weiter, dass Ursache für die Beschädigungen sei, dass das Abwasser der Brauerei ohne Vorbehandlung oder Zwischenpufferung direkt in die öffentliche Kanalisation eingeleitet würde (vgl. Besprechungsprotokoll vom 29.10.2013, Bl. 94 GA). In dem Dokument “Brauhaus W …, Darstellung der Einleitungssituation und Vorhabensbeschreibung vom 30. Oktober 2013“ (Bl. 95 GA) stellt der Private Brauereien Deutschland e.V. ausdrücklich dar, dass es in mittelständischen Brauereien Stand der Technik sei, das anfallende Abwasser im Tagesausgleich zu puffern und nachgeschaltet die pH-Werte zu überprüfen. Da der Produktionsprozess bei der Beklagten aufgrund geringer Auslastung gesplittet stattfinde – es wird nämlich zwischen sogenannten Sudwochen mit Filtration, Fassabfüllung und Behälterreinigung und sogenannten Abfüllwochen mit Flaschenabfüllung und partieller Reinigung einzelner Behälter unterschieden – und derzeit keinerlei Pufferung installiert worden sei, werde entsprechend der stattfindenden Prozesse stark unterschiedliches Abwasser eingeleitet. Als niedrigster pH-Wert sei während der Produktionsphase 2,36 und als höchster pH-Wert in der Spitze während der Phase der Abfüllung 12 anzunehmen. Dass der Beklagten diese fachspezifischen Umstände nicht bekannt gewesen sein sollen, ist weder nachvollziehbar noch glaubwürdig.
Diese Aussagen zugrunde gelegt kann deshalb an einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten der Beklagten keine Zweifel bestehen. Bei dem regulären Betrieb einer Brauerei, wie sie die Beklagte betreibt, fallen produktionsbedingt Abwasser an, die je nach Arbeitsprozess stark schwankend die zulässigen pH-Werte überschreiten. Da die Beklagte in Kenntnis der Gespräche im Jahr 2009 bis zum Einbau des Pufferbeckens im Herbst 2014 dieses Abwasser ohne Vorbehandlung oder Kontrolle in die öffentliche Entwässerungseinrichtung eingeleitet hat, hat sie gegen § 15 Abs. 2 Nr. 11 Sp. 3 EWS verstoßen. Insbesondere hat sie das Abwasser, dass sie eingeleitet hat, auch nicht überprüft, obwohl ihr die betriebsbedingten Schwankungen der pH-Werte bekannt sein mussten.
3.2. Diesen Pflichtverstoß hat die Beklagte auch zu vertreten, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Dabei handelt derjenige fahrlässig, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB.
Es obliegt den Anschlussnehmern, die Bestimmungen der Entwässerungssatzung einzuhalten. Auch aus der Bußgeldvorschrift des § 18 Abs. 3 i.V.m. § 20 Nr. 4 EWS ergibt sich, dass die Grundstückseigentümer für die ordnungsgemäße Benutzung der Entwässerungseinrichtung zu sorgen haben. Der Beklagten musste als Betreiberin einer Brauerei bekannt sein, dass die unterschiedlichen Betriebsabläufe stark schwankende pH-Werte ihres Abwassers verursachen, da dieses Problem bei dem Brauereiverband Deutschland e.V. hinlänglich bekannt war. Eine Pufferung des Brauereiabwassers war und ist schließlich auch in anderen mittelständischen Brauereien erforderlich. Ein sorgfältig arbeitender Brauereibesitzer hätte sich, falls er nicht selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt, was aber nicht glaubhaft erscheint nach den Vorjahren 2009, bei seinem Verband oder bei anderen Brauereien erkundigen müssen. Im Rechtsverkehr muss sich jeder grundsätzlich darauf verlassen dürfen, dass der andere die für die Erfüllung seiner Pflichten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt (Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 276 Rn. 15).
Wie oben dargestellt, trägt der Schuldner nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die materielle Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. Palandt, a.a.O., § 280 BGB Rn. 34). Für eine Exkulpation der Beklagten sind keine Anhaltspunkte erkennbar. Insbesondere dringt auch der Vortrag der Beklagtenseite nicht durch, dass die Erforschung der Ursache für die Beschädigungen Aufgabe der Klägerin und nicht die der Beklagten sei, weil nur die Klägerin alleinigen Zugang zur Entwässerungsanlage habe. Nach der Regelungssystematik gehört es zu den Obliegenheiten der Anschlussnehmer, sicherzustellen, dass kein schädliches Abwasser in die Kanalisation gelang. Dem Einrichtungsbetreiber werden Kontrollmöglichkeiten (z.B. in § 17 EWS) eingeräumt, aber keine Kontrollpflichten. Auch dringt, der Vortrag der Beklagten, dass sie aufgrund des Benutzungszwanges keine andere Entsorgungsmöglichkeit hatte, nicht durch. Es bestand für die Beklagte von Anfang an die Möglichkeit und die Pflicht, ihr Abwasser satzungskonform in die Entwässerungseinrichtung einzuleiten. Dazu wäre nur der rechtzeitige Bau des Pufferbeckens erforderlich gewesen. Auf mangelnde Kenntnisse kann sich (siehe oben) die Beklagte nicht berufen und die Durchführung dieser Maßnahme war ihr auch zumutbar.
3.3 Ein Mitverschulden der Klägerin (§ 254 Abs. 1 BGB), welches gar zum Ausschluss eines Schadensersatzanspruches führen könnte, liegt zur Überzeugung des Gerichts nicht vor.
Es ist zunächst allein Sache des Grundstückseigentümers, sicherzustellen, dass die in die Kanalisation gelangenden Abwässer den maßgeblichen Satzungsbestimmungen entsprechen und keinen Schaden an der Entwässerungsanlage der Gemeinden verursachen. Gemeinden sind – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nicht gehalten, im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Inanspruchnahme ihrer Einrichtung bei deren Bau kostspieligere Materialen (hier beispielsweise Kunststoffrohre statt Betonrohre) zu verwenden, als bei ordnungsgemäßem Gebrauch erforderlich wären (vgl. BayVGH, B.v. 23.09.2010 – 4 ZB 09.1190 – juris; vorgehend: VG Würzburg, U.v. 22.3.2009, W 2 K 09.22 – juris). Ein solcher zusätzlicher Aufwand würde alle Beitragszahler ungebührend belasten. Ihre Behauptung, dass es Stand der Technik sei, Entwässerungsrohre in einem sogenannten Inlinerverfahren mit einer Kunststoffbeschichtung auszustatten, hat die Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung nicht belegt. Dieser Vortrag blieb unsubstantiiert. Nach den Erfahrungen des Gerichts verwenden die Entwässerungsbetriebe grundsätzlich Betonrohre, die den regulären Anforderung genügen und zudem eine längere Lebensdauer aufweisen.
Die Klägerin durfte im Jahr 2009 auf die Angabe der Beklagten, dass die Schäden „nur“ durch die Verwendung von Reinigungsmitteln, die nun nicht mehr verwendet würden, entstanden seien, vertrauen. Auch im Hinblick auf die vorerst unterlassene Auswertung der zweiten Kamerabefahrung im Jahr 2011 ist kein Mitverschulden der Klägerin zu sehen, da kein aktueller Anlass zu einer Überprüfung vorhanden war.
Hinzukommt, dass ein früheres Tätigwerden der Klägerin den Schadensumfang nicht reduziert hätte, denn die Sanierung im Inlinerverfahren wäre dann in den Jahren 2011/2012 erfolgt und hätte entsprechende Kosten verursacht.
3.4 Der geltend gemachte Schaden wurde auch kausal durch die Beklagte mit der Einleitung von Abwasser mit unzulässigem pH-Werten verursacht.
Saniert wurden die Abwasserrohre in den Haltungen 143 und 144, also der Bereich zwischen den Schächten 142 und 144. In diesem Bereich leitet die Beklagte unmittelbar ihr Abwasser ein.
Die festgestellten Schäden an den Betonrohren sind die typischen Folgen der Einleitung von Abwasser mit zu niedrigem pH-Wert, denn das angetroffene Schadensbild lässt nur den Schluss zu, dass an diesen Stellen saures Abwasser eingeleitet wurde (vgl. Protokoll der Besprechung am 29.10.2013, Bl. 94 GA). Die Stahlbetonrohre bestehen aus Zuschlagstoffen (Kies) und Zementleim. Der Zementleim umgibt die Zuschlagsstoffe und erzeugt eine geschlossene Oberfläche. Werden saure Abwässer eingeleitet, so lösen diese die Kalkbestandteile des Zements auf und legen die Zuschlagsstoffe aus Kies frei. Zunächst wird lediglich der Kies sichtbar, später verlieren die Partikel ihren Halt und werden ausgeschwemmt. Dieses Schadensbild wurde bei den Betonrohren im unmittelbaren Einleitungsbereich der Beklagten festgestellt. In Haltungen 142 und niedriger wurden nach den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung allenfalls kleine Schäden festgestellt, die sich mit zunehmender Entfernung weiter verringerten. Im übrigen Kanalnetz der Klägerin traten keine solchen Schäden auf.
Eine andere mögliche Schadensverursachung wurde weder konkret dargelegt noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lageplan vom 15. Dezember 2015 lässt sich entnehmen, dass sich oberhalb des Betriebsgeländes der Beklagten keine sonstigen Gewerbetriebe, sondern nur wenige Wohnhäuser, befinden. Kurz danach ist dort das Ortsende, wo der Kanal erst beginnt.
3.5 Der Schadenersatzanspruch der Kläger umfasst die geltend gemachten Kosten in Höhe von 23.671,00 EUR.
Gegen die Berechnung und Ermittlung der geltend gemachten Sanierungskosten wurden weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung substantiierte Einwendungen vorgetragen. Dem lediglich alleinigen Hinweis, dass die Höhe der Kosten mit Nichtwissen bestritten wird, muss im Verwaltungsprozess nach den Grundsätzen der Amtsermittlung nicht nachgegangen werden. Allenfalls substantiierte Darlegungen im Hinblick auf die Schadenshöhe wären Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass die geltend gemachten Kosten tatsächlich entstanden sind und auf die Pflichtverletzung der Beklagten beruhen. Die Klägerin hat dem Gericht die von dem Ingenieurbüro … geprüfte Schlussrechnung des Ingenieurbüros … …-Ing. vom 30. November 2015 (Bl. 99 – 102 GA) und die Honorarschlussrechnung des Ingenieurbüros … vom 16. Dezember 2015 (Bl. 103 GA) vorgelegt. In dieser Schlussrechnung werden die Sanierungskosten, die auf die Haltungen 143 und 144 entfallen, getrennt dargestellt. Die Kostenberechnungen sind in sich stimmig und schlüssig. Die Kostenhöhe ist auch angesichts der Sanierungsstrecke von 100 m und der Art der Sanierung (Inlinerverfahren – Schlauchrelining) plausibel.
Nicht zu beanstanden ist ferner, dass die für die Gesamtbaustelle angefallenen Gemeinkosten anteilig dem Schadenersatzanspruch zugerechnet wurden. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1997 (8 S 931/95 – juris) gehören zu dem zur Wiederherstellung einer Kanalisation erforderlichen Geldbetrag auch die auf die Planung, Bauüberwachung und Baustelleneinrichtung entfallenden Kosten.
Insbesondere ist hinsichtlich der Schadenshöhe – entgegen der Ansicht der Beklagtenseite – kein Vorteilsausgleich (Abzug „neu für alt“) vorzunehmen. Eine Schadenersatzpflicht vermindert sich nach diesem Grundsatz dann, wenn eine gebrauchte Sache durch eine neue ersetzt wird oder durch den Einbau von Neuteilen repariert wird, und dies zu einer Werterhöhung führt. Voraussetzung für den Vorteilsausgleich ist, dass eine messbare Vermögensvermehrung eingetreten ist, diese Werterhöhung sich für den Geschädigten günstig auswirkt und der Vorteilsausgleich für den Geschädigten zumutbar ist (vgl. Palandt, a.a.O., vor § 249 Rn. 97-100). Dabei ist bei der Bemessung des Abzugs „neu für alt“ auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts – hier der Beschädigung der Abwasserrohre abzustellen (BVerwG, U.v. 1.3.1995 – 8 C 36/92 – NJW 1995, 2303).
Bei Stahlbeton-Kanalrohren ist nach den glaubhaften Angaben der Klägerseite von einer Lebensdauer von 80 Jahren auszugehen. Das Faltblatt der Fachvereinigung Betonrohre und Stahlbetonrohre „FBS-Rohre“ spricht sogar von einer Lebensdauer von 100 Jahren. Der Vertreter des Ingenieurbüros …, Herr W …, hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die Lebensdauer des Kunststoffmaterials einer Inlinersanierung etwa 50 Jahre betrage. Da die Entwässerungseinrichtung der Klägerin im Jahr 1996 gebaut wurde, die beschädigten Stahlbeton-Kanalrohre mithin zum Zeitpunkt der Sanierung im Jahr 2015 19 Jahre alt waren, erreicht die voraussichtliche Lebensdauer der im Wege des Inlinerverfahrens sanierten Kanalrohre nicht die Lebensdauer der ursprünglichen Rohre. Damit ist durch die Kanalsanierung für die Klägerin keine messbare Vermögensvermehrung eingetreten, sondern allenfalls das Gegenteil.
3.5 Der Schadenersatzanspruch ist nicht verjährt.
Nach § 194 Abs. 1, § 195 BGB verjährt der Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in drei Jahren. Dabei beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem (1.) der Anspruch entstanden ist und (2.) der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Dabei wird die Zeit, die der Gläubiger zur Klärung seines Anspruchs braucht, nicht von der Dreijahresfrist umfasst (Palandt, a.a.O., § 195 Rn. 1).
Ausschlaggebend ist vorliegend, dass bei Dauerhandlungen die Verjährung nicht beginnen kann, solange der Eingriff andauert (Palandt, a.a.O., § 199 Rn. 22). Das Kanalbenutzungsverhältnis ist ein Dauerschuldverhältnis. Die Beklagte hat bis zum Bau des Pufferbeckens im Herbst 2014 durch die andauernde Einleitung von unzulässigem Abwasser die Kanalrohre der Klägerin beschädigt. Dass nicht eine einzelne schadhafte Handlung, z.B. die Einleitung von unzulässigem Abwasser im Zusammenhang mit einem singulären Ereignis, vorliegt, ergibt sich aus der unwidersprochenen Aussage des Vertreters des Vereins „Private Brauereien Deutschland e.V.“ in der Besprechung am 29. Oktober 2013 (Bl. 93 GA), dass die starken Schwankungen der pH-Werte produktionsbedingt seien. Sie treten bei einer mittelständischen Brauerei zwangsläufig auf, wenn das Abwasser – wie bei der Beklagten – nicht vor der Ableitung gepuffert oder behandelt wird. Da die Einleitung satzungswidrigen Abwassers bis zur Inbetriebnahme des Pufferbeckens Ende 2014 erfolgte, war der Schadensersatzanspruch zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 25. November 2016 nicht verjährt.
Darüber hinaus ist selbst, wenn man nicht von einer Dauerhandlung ausginge, entgegen der Ansicht der Beklagtenseite für den Verjährungsbeginn nicht auf das Jahr 2009 abzustellen. Im Jahr 2009 wurde die Problematik, dass an den Einleitungsstellen der Beklagten Schäden auftraten, erstmals bekannt. Die Schäden waren aber nicht so gravierend, als dass eine Sanierung erforderlich war. Dies ist dem Schreiben des Ingenieurbüros S … vom 4. September 2009 (Bl. 55 der GA) zu entnehmen, da dieses als Handlungsempfehlung für die Klägerin lediglich die Überprüfung des Anschlussnehmers enthält. Außerdem durfte die Klägerin auf die Angabe der Beklagten vertrauen, dass seit der Auswechslung des Reinigungsmittels im Jahr 2004 kein satzungswidriges Abwasser mehr in die Kanalisation eingeleitet würde. Die Klägerin hatte keine Kenntnis davon, dass die Schädigungen andauern. Ihre Unkenntnis war auch nicht grob fahrlässig. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. September 2011 (III ZR 186/10 – juris) liegt grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Hierbei trifft den Gläubiger aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können. Gemessen an diesen Vorgaben besaß die Klägerin keine grob fahrlässige Unkenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen. Die Klägerin hat im Jahr 2009 ein Sachverständigenbüro mit der Prüfung der Mängel beauftragt, hat die entsprechende Handlungsempfehlung umgesetzt und die Beklagte als Anschlussnehmerin informiert und überprüft. Dass sie dabei auf die Angaben des damaligen Braumeisters, dass nun kein schädliches Abwasser mehr eingeleitet werde, vertraute, kann ihr nicht vorgeworfen werden.
Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben