IT- und Medienrecht

Bundesnetzagentur, Berufung, Bescheid, Versorgung, Mitverschulden, Berechnung, Trennung, Regulierung, Versorgungsunterbrechung, Schaden, Regulierungsperiode, Eigentumsverletzung, Netzentgelte, Anspruch, entgangener Gewinn, entgangenen Gewinn, keinen Erfolg

Aktenzeichen  20 U 7142/20

Datum:
2.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3412
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

53 O 4178/18 2020-10-19 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Oktober 2020, Az. 53 O 4178/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 36.428,18 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin nach der Beschädigung eines Netzkabels durch den Beklagten Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns verlangen kann, weil die Beschädigung behauptet zu einer Netzunterbrechung sowie nachfolgend zu einer Verschlechterung des Qualitätselements und einer Herabsetzung der Erlösobergrenze durch die Bundesnetzagentur geführt hat.
Die Klägerin betreibt ein regionales Energieversorgungsnetz gemäß § 11 Energiewirtschaftsgesetz.
Der Beklagte beschädigte am 14. Mai 2015 bei Kanalbauarbeiten mit einem Bagger ein 20-kV-Kabel in der K. Str. 31, M. Den entstandenen Sachschaden in Höhe von € 3.221,93 beglich er.
Die Klägerin unterliegt als Netzbetreiberin der Regulierung durch die Bundesnetzagentur, die die Erlöse aus dem Netzbetrieb über die Festlegung einer individuellen Erlösobergrenze steuert, § 4 ARegV. Die Erlösobergrenzen werden gem. § 17 ARegV nach den Regelungen der Strom- und Gasnetzentgeltverordnungen in konkrete Netzentgelte für Entnahmen aus den einzelnen Netzebenen umgerechnet. Mit der Festlegung der Erlöse für einen bestimmten Zeitraum (Regulierungsperiode) wird eine Trennung der Erlöse von den Kosten eines Netzbetreibers erreicht, wodurch zusätzliche Kostensenkungen „angereizt“ werden sollen. Die Erlösobergrenze wird nach § 7 ARegV nach der Regulierungsformel gem. Anlage 1 zur ARegV bestimmt. Ein Element dieser Regulierungsformel ist das „Qualitätselement“ nach § 19 ARegV. Dieses soll verhindern, dass Kostensenkungen zulasten der Versorgungsqualität gehen. Über dieses Qualitätselement in der Regulierungsformel ist die Höhe der Erlösobergrenze auch von dem Umfang der im Netz aufgetretenen Versorgungsunterbrechungen abhängig.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2017 (K 6, K 8), Az. BK8 – 17/1041-81, legte die Bundesnetzagentur gegenüber der B. AG fest, dass den kalenderjährlichen Erlösobergrenzen der Jahre 2017 und 2018 jeweils ein nach bestimmten Vorgaben berechneter und in Anlage 1 des vorgenannten Beschlusses näher bestimmter Malus wegen der Ergebnisse der Mittelspannungsebene hinzugerechnet wird. Von einer Kappung sei der Netzbetreiber nicht betroffen (K 8, S. 36). Unter dem 4. Dezember 2017 berechnete die Klägerin dem Beklagten deshalb entgangenen Gewinn in Höhe von € 26.785,68 als weiteren Schaden und übermittelte diese Rechnung (K 3), die ein Zahlungsziel bis 3. Januar 2018 enthielt, mit Anschreiben vom 13. Dezember 2017 (K 4) an ihn. Die Klägerin führte dort aus, dass sie die Ermittlung der Schadenshöhe nach dem branchengültigen Leitfaden des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. vom 8. Oktober 2014 vorgenommen habe unter Zugrundelegung des wegen der Versorgungsunterbrechung von der Bundesnetzagentur festgelegten Malus. Mit Schreiben vom 9. Januar 2018 (K 5) forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 19. Januar 2018 erneut vergeblich zur Zahlung der ursprünglich berechneten € 26.785,68 auf.
Mit Beschluss vom 15. Mai 2019 (K 9), Az. BK8 – 18/10463-81, entschied die Bundesnetzagentur, dass den kalenderjährlichen Erlösobergrenzen der Klägerin für die Jahre 2019 und 2020 jeweils ein Bonus gemäß Anlage 1 des Beschlusses hinzugerechnet werde; dabei stellte sie für den Mittelspannungsbereich einen Malus fest (S. 30 des Beschlusses K 9) sowie, dass die Klägerin nicht von einer Kappung betroffen sei (S. 31 des Beschlusses K 9).
Die Klägerin hat vor dem Landgericht vorgetragen, dass sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin B. AG am 14. Mai 2015 Eigentümerin des von dem Beklagten beschädigten Kabels gewesen sei. Für das vorliegende Verfahren sei sie aktivlegitimiert, denn die B. AG habe zum 3. Juli 2017 ihr gesamtes Netzgeschäft auf sie als 100%-ige Tochtergesellschaft übertragen. Dies ergebe sich aus dem in § 4 Abs. 1 iVm Ziffer F der Präambel des Ausgliederungs- und Übernahmevertrags „Netz“ zwischen der B. AG und der Klägerin beschriebenen Ausgliederungsgegenstand. Weiter hat die Klägerin behauptet, dass sie Versorgungsunterbrechungen entsprechend des Erfassungsschemas B des Forums Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) sowie nach der Allgemeinverfügung der Bundesnetzagentur nach § 52 S. 5 EnWG erfasse. Angesichts der von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Berechnung des Qualitätselements könne der Einfluss jeder einzelnen Versorgungsunterbrechung auf die Erlösobergrenze mathematisch exakt bestimmt werden. Verkürzt dargestellt könne der Schaden aber auch so berechnet werden, dass der von der Bundesnetzagentur festgesetzte Monetarisierungsfaktor mit der Gesamtzahl der Letztverbraucher und dem Quotienten aus unterbrochenen Bemessungsscheinminuten und der Gesamtbemessungsleistung im Jahr multipliziert werde (Rechenweg nach der bdew Anwendungshilfe). Hieraus ergebe sich, dass durch die von dem Beklagten verursachte Versorgungsunterbrechung 1.098,709 MVAmin an Energie im Mittelspannungsbereich nicht an den Letztverbraucher ausgeliefert worden und ausgefallen seien. Die Bundesnetzagentur habe den aktuellen Monetarisierungsfaktor für Versorgungsunterbrechungen im hier betroffenen Kalenderjahr 2015 in der Festlegungsperiode 2017 – 2018 auf € 0,21 pro Minute und Letztverbraucher bzw. in der Festlegungsperiode 2019 – 2020 auf € 0,22 festgelegt (K 6, K 8, K 9). Unter Zugrundelegung der geschilderten Berechnungsweise ergebe sich, dass sich die Versorgungsunterbrechung mit € 36.428,57 negativ auf die Erlösobergrenze ausgewirkt habe. Da die Klägerin die Netzentgelte so berechne, dass die Erlösobergrenze erreicht werde, führe die Verringerung der Erlösobergrenze zu einer entsprechenden Verringerung der Erlöse und, da die Kosten hiervon unberührt blieben, zu einer Verringerung des Gewinns der Klägerin. Die ausgefallene Leistung sei mit einem Drittel in den Durchschnittswert der Jahre 2013 bis 2015 eingegangen, auf dessen Grundlage der Bonus/Malus für die zwei Jahre 2017 und 2018 ermittelt wurde und mit einem Drittel in den Durchschnittswert der Jahre 2015 bis 2017 mit Auswirkung auf den Bonus/Malus und die Erlösobergrenze der Jahre 2019 und 2020. Der Anteil der durch die hier streitige Beschädigung hervorgerufenen Versorgungsunterbrechung sei daher in Höhe von 4/3 zu berücksichtigen und mit der Anzahl der Letztverbraucher und dem Monetarisierungsfaktor zu multiplizieren. In der Rechnung vom 4. Dezember 2017 (K 3) habe die Klägerin bislang nur einen 3/3-Ansatz berücksichtigt. Soweit in den Unterlagen zum Schadenseintritt ein zweiter Fehlerort aufscheine, sei dies nicht relevant, denn der zweite Fehler habe auf dem ersten beruht, der einen Erdschluss ausgelöst habe.
Der Beklagte hat vor dem Landgericht die Aktivlegitimation der Klägerin, die Eigentümerstellung der B. AG hinsichtlich des beschädigten Kabels und die behauptete Versorgungsunterbrechung bestritten. Er hat argumentiert, dass der Ausfall einer Leitung keineswegs zu einem Stromausfall oder einer Versorgungsunterbrechung führe, weil die Versorgung über den Rest des Netzes stattfinden könne. Weiter hat der Beklagte die von der Klägerin behaupteten, ihrer Berechnung zugrunde liegenden Werte, insbesondere die Dauer des Ausfalls und die Richtigkeit der Bemessungsformel bestritten und behauptet, das Qualitätselement, die Gesamtbemessungsscheinleistung und die Gesamtzahl der Netzverbraucher seien unzutreffend ermittelt worden. Auch führe allein die Herabsetzung einer Erlösobergrenze nicht zu einem Gewinnentgang; dass die Kosten gleich geblieben und die Erlösobergrenze im fraglichen Zeitraum überhaupt erreicht worden wäre, werde bestritten, ebenso wie überhaupt die Richtigkeit der Berechnungen der Bundesnetzagentur und der Klägerin. Dass der hier interessierende Wert auch in die Bonus- und Malusberechnung für die Jahre 2019 und 2020 einfließe, könne nicht vorausgesagt werden. Zudem hat der Beklagte geltend gemacht, dass der Klägerin jedenfalls ein Mitverschulden an der Schadensentstehung anzulasten sei, denn sie habe den aus mehreren Gründen angreifbaren Bescheid der Bundesnetzagentur nicht angegriffen; der Bescheid enthalte eine unzulässige Rückwirkung und verstoße gegen § 4 Abs. 5 ARegV, da diese Vorschrift nur eine einmalige Anpassung zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres vorsehe. Bestritten hat der Beklagte auch, dass der Schaden am Kabel von der Klägerin nicht deutlich schneller hätte behoben werden können.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage zunächst die Zahlung der von ihr bereits in Rechnung gestellten € 26.785,68 nebst gesetzlicher Zinsen seit 20. Januar 2018 begehrt sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den weiteren Schaden zu ersetzen, der wegen der aus der Beschädigung des Kabels resultierenden Versorgungsunterbrechung und der daraus folgenden Verschlechterung des Qualitätselements entsteht. Nach Erlass des Beschlusses der Bundesnetzagentur zur Bestimmung des Qualitätselements der Jahre 2019 und 2020 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. März 2020 (Bl. 75 ff.), dem Beklagten zugestellt am 10. März 2020, die Klage von dem Feststellungsantrag auf einen einheitlichen Leistungsantrag umgestellt und nunmehr die Zahlung von insgesamt € 36.428,57 nebst gesetzlicher Zinsen aus € 26.768,68 seit dem 20. Januar 2018 und aus € 9.659,89 seit Rechtshängigkeit begehrt. Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 19. Oktober 2020 hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen E. B. und J. M. und Einholung eines Sachverständigengutachtens (Bl. 81 ff.) nebst Ergänzungsgutachten (Bl. 113 ff.) des Sachverständigen Prof. Dr. J. sowie Anhörung des Sachverständigen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 1 BGB zur Zahlung von € 36.428,18 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 26.768,68 seit dem 20. Januar 2018 und aus € 9.659,50 seit dem 11. März 2020 verurteilt. Hinsichtlich eines Betrages von € 0,39 nebst Zinsen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte das im Eigentum der Rechtsvorgängerin der Klägerin stehende Kabel unstreitig zumindest fahrlässig beschädigt habe. Nach dem vorgelegten Handelsregisterauszug (K 1) stehe auch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der daraus resultierende deliktische Anspruch als Bestandteil des Vermögens Teilbetrieb Netz der B. AG gemäß Ausgliederungsvertrag vom 30. Mai 2017 sowie Beschluss der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 30. Mai 2017 und Beschluss der Hauptversammlung der B. AG vom 30. Mai 2017 gemäß § 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG auf die Klägerin im Rahmen einer Ausgliederung zur Aufnahme übertragen worden, die Klägerin mithin aktivlegitimiert sei.
Die Klägerin könne Ersatz des Gewinns verlangen, der ihr entgangen sei, weil die Beschädigung des Kabels eine Versorgungsunterbrechung verursacht habe, die zu einer Verschlechterung ihres Qualitätselements und in der Folge zu einer Herabsetzung der von der Bundesnetzagentur festgelegten Erlösobergrenzen geführt habe. Nach einer Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB bestimme sich der Umfang des Ersatzanspruchs gemäß §§ 249 ff. BGB. Der Anspruch richte sich auf das negative Interesse und umfasse den entgangenen Gewinn, § 252 BGB. Entgangener Gewinn sei stets anzunehmen, wenn der Geschädigte infolge Beeinträchtigung seines Eigentums etwaige Produktionsmittel nicht gewinnbringend nutzen könne.
Aufgrund der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass durch die Kabelbeschädigung durch den Bagger des Beklagten eine Versorgungsunterbrechung entstanden sei, die zu einem Leistungsausfall in Höhe von 1.098,708 MVAmin geführt habe, wodurch sich das Qualitätselement gemäß § 19 ARegV in den Festlegungsperioden der Jahre 2017 und 2018 sowie der Jahre 2019 und 2020 verschlechtert habe mit der Folge einer Senkung der Erlösobergrenze nach § 4 ARegV. Dadurch seien, wie der Sachverständige festgestellt habe, der Klägerin im Ergebnis Netzentgelte in Höhe von € 36.428,18 entgangen.
Die von dem Beklagten bestrittene Datengrundlage zur Berechnung des konkreten Mindererlöses lasse sich den von der Klägerin übermittelten Anlagen entnehmen. Bei dem auch vom Sachverständigen angewendeten Rechenweg nach der Anwendungshilfe des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (bdew) handele es sich um eine näherungsweise Ermittlung eines Sachfolgeschadens, der – so der Sachverständige – als gute fachliche Praxis anerkannt sei. Der Sachverständige habe dargelegt, dass er sich in gleichartigen Fällen durch umfangreiche Kalkulationen von der Richtigkeit und Zuverlässigkeit dieser näherungsweisen Rechenmethode überzeugt habe. Die wesentlich aufwändigere Ermittlung eines Sachfolgeschadens über die fiktive Nachberechnung des Bonus-Malus-Wertes aus dem jeweiligen Beschluss der Bundesnetzagentur führe rechnerisch zu nahezu identischen Ergebnissen.
Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht verneint; es bestehe schon kein Verbot der rückwirkenden Anpassung der Erlösobergrenze durch das Qualitätselement (vgl. OLG Düsseldorf, 3 Kart 67/17). Dafür, dass die Klägerin im Rahmen der Beseitigung der Unterbrechung eine Verzögerung verursacht hätte, habe sich unter Würdigung der Aussage des Zeugen M. und der Bewertung des Sachverständigen kein Anhaltspunkt ergeben. Der Anspruch in Höhe von € 26.768,68 sei nach der Mahnung vom 9. Januar 2018 zu verzinsen, die mit Klageerweiterung zusätzlich geltend gemachten € 9.659,50 ab dem auf die Zustellung der Klageerweiterung folgenden Tag.
Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung erstrebt der Beklagte die Abänderung des landgerichtlichen Urteils und die vollständige Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage.
Der Beklagte macht unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags insbesondere geltend, dass das Landgericht die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin und das Bestreiten des Beklagten, dass die Erlösobergrenze erreicht worden wäre, nicht berücksichtigt und auch die Frage, ob die verwendeten Formeln eine hinreichende Schätzgrundlage darstellten, nicht durch das insoweit erforderliche Sachverständigengutachten geklärt habe. Eine Überprüfung der von der Klägerin vorgelegten Daten sei nicht erfolgt, dies sei wegen der Schwärzungen auch nicht möglich gewesen. Im Übrigen sei es fehlerhaft, die Qualität eines Netzes nach den von Dritten verursachten Unterbrechungen zu bewerten; Ansatzpunkt könne allenfalls die Dauer einer Unterbrechung sein, worauf der Schädiger allerdings keinen Einfluss habe und diese auch nicht verursache, weshalb eine Haftung ausscheiden müsse. Eine Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Schaden sei deshalb nicht gegeben.
Auch sei die Datenerhebung der Bundesnetzagentur fehlerhaft: sie erhebe keine Unterbrechungen, die kürzer als drei Minuten dauern; sie lege das Qualitätselement für zwei Jahre fest, weshalb sich die Unterbrechung aus dem einen Jahr 2015 auf die beiden Jahre 2017 und 2018 auswirke; die von Dritten verursachten Unterbrechungen wirkten sich zu 100% aus, geplante Unterbrechungen aber nur zu 50%; die Bundesnetzagentur stelle auf die Bemessungsscheinleistung ab, die aber nur die theoretisch mögliche Kapazität eines Transformators darstelle und nicht, welcher Strom tatsächlich geflossen sei oder hätte ausfallen können. Diese Unzulänglichkeiten führten dazu, dass eine belastbare Schätzgrundlage fehle und eine Kausalität nicht gegeben sein könne.
Jedenfalls aber treffe die Klägerin ein Mitverschulden an der Schadensentstehung, da sie den fehlerhaften Bescheid nicht angegriffen habe. Im Übrigen stehe deshalb, weil nach Aussage des Zeugen W. die letzten zwei Drittel einer über das Regulierungskonto auszugleichenden Menge für das Jahr 2018 noch gar nicht abgerechnet seien, derzeit auch nicht fest, ob die Erlösobergrenze für das Jahr 2018 erreicht worden sei. Entsprechendes gelte für das Jahr 2017.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Zurückweisung der Berufung. Sie macht insbesondere weiterhin geltend, dass in Beachtung der kaufmännischen Sorgfaltspflicht die Netzentgelte so kalkuliert seien, dass die erwarteten Umsätze insgesamt den Erlösobergrenzen entsprächen. Unterschiede zwischen den Erlösobergrenzen und den tatsächlichen Erlösen, die infolge von Prognoseabweichungen bei den Absatzmengen aufträten, würden auf das Regulierungskonto, § 5 ARegV, gebucht und verzinst dem jeweiligen Jahr zu- oder abgerechnet, so dass letztlich für jedes Jahr die behördlich festgelegten zulässigen Erlöse erzielt würden. Dies werde in den Folgejahren ausgeglichen. Ein freiwilliges Nichtausschöpfen der zulässigen Erlöse durch den Netzbetreiber sei damit allenfalls theoretischer Natur, da dies einem Gewinnverzicht entspräche und wirtschaftlicher Vernunft und kaufmännischer Sorgfalt zuwiderlaufe.
Der Senat hat mit Verfügung vom 21. Mai 2021 darauf hingewiesen, dass die Einwände der Berufung gegen die Schadensberechnung nicht durchgreifend erscheinen, das Landgericht allerdings die vom Beklagten gerügte Aktivlegitimation der Klägerin hätte überprüfen und auch darüber Beweis erheben müssen, ob – was der Beklagte bestritten hat – die Herabsetzung der Erlösobergrenze überhaupt zu einem Gewinnentgang bei der Klägerin geführt hat. Hierauf hat die Klägerin vorgetragen, dass es sich bei der Forderung um einen Bestandteil des Finanzumlaufvermögens handle, das nach dem Ausgliederungs- und Übernahmevertrag „Netz“ (BB 2) auf die Klägerin übergegangen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2022 hat der Senat die Zeugen E. B. und S. W. vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2022 (Bl. 61 ff.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch im Ergebnis mit Recht zugesprochen. Die Berufung des Beklagten war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
a) Der Beklagte hat nicht bestritten, dass, wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Juli 2021 vorgetragen hat, die B. AG das Kabel ursprünglich erworben und in das Erdreich eingebracht hat; für einen Rechtsverlust gibt es keinen Anhalt. Die B. AG als Rechtsvorgängerin der Klägerin war damit unzweifelhaft im Zeitpunkt der Beschädigung Eigentümerin des von dem Beklagten beschädigten Kabels.
b) Aus dem von der Klägerin vorgelegten notariellen „Ausgliederungs- und Übernahmevertrag „Netz““ vom 30. Mai 2017 (BB 2) ergibt sich, dass die Klägerin Forderungsinhaberin des ursprünglich der B. AG zustehenden deliktischen Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten geworden ist. Denn die B. AG hat in diesem Vertrag ausweislich der Präambel unter „D.“ und „F.“ ihr gesamtes Netzgeschäft ausgegliedert. Zu diesem gehörten neben den Leitungsnetzen für Strom und Gas insbesondere auch „die dem Netzgeschäft zuzuordnenden und zugeordneten Verträge und Rechtsverhältnisse“ (vgl. S. 6 des Vertrags BB 2) „mit allen ihm rechtlich und/oder wirtschaftlich zuzuordnenden Gegenständen des Aktiv- und Passivvermögens sowie allen zuzuordnenden Rechten und Pflichten“ (vgl. § 4 (1) des Vertrags BB 2). Dieses Geschäft wurde auf die im Vertrag als „NETZ-GmbH“ bezeichnete Klägerin (vgl. S. 4 des Vertrags BB2) übertragen.
2. Dass die unstreitig zumindest fahrlässig durch den Beklagten verursachte Beschädigung des Kabels zu der von der Klägerin behaupteten Versorgungsunterbrechung von 1.098,708 MVAmin geführt hat, hat die erstinstanzliche Beweisaufnahme zur Überzeugung des Landgerichts ergeben. Hieran ist nichts zu erinnern.
Auch die Berufung greift die Feststellung des Landgerichts nicht mehr an, dass die Beschädigung des Kabels zu der von der Klägerin behaupteten Netzunterbrechung von der behaupteten Dauer geführt hat.
Soweit sie grundsätzlich moniert, dass im Verfahren die von der Klägerin vorgelegten Daten ohne weitere Überprüfung zugrunde gelegt worden seien, kann dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. So hat der Zeuge B. erstinstanzlich geschildert, dass das Netzleitsystem Art und Dauer einer Versorgungsunterbrechung automatisch mitprotokolliert und dass der als Anlage K 7 vorgelegte Störungsbericht automatisch vom Netzleitsystem erstellt worden ist (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2019, S. 3, Bl. 47). Eine Datenmanipulation durch die Klägerin ist mithin ausgeschlossen und wird von dem Beklagten auch nicht behauptet, weshalb die aus der Anlage K 7 ersichtlichen Informationen, die die Versorgungsunterbrechung belegen, mit Recht ohne weitere Prüfung im Verfahren zugrunde gelegt wurden. Ähnliches gilt für die sonstigen von der Klägerin herangezogenen Zahlen, die sich – wie schon das Landgericht ausgeführt hat – sämtlich aus amtlichen Bescheiden ergeben.
3. Zutreffend hat das Landgericht grundsätzlich einen Anspruch der Klägerin gemäß § 823 Abs. 1, § 252 BGB auf Schadensersatz bejaht, weil – wie unstreitig geblieben ist – die Bundesnetzagentur das Qualitätselement und hierauf beruhend in der Folge auch die Erlösobergrenzen der Klägerin wegen der aus der Beschädigung des Kabels resultierenden Versorgungsunterbrechung im Mittelspannungsbereich herabgesetzt hat.
Zwar ist nicht jeder adäquat verursachte Schaden zu ersetzen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stellen Einnahmeausfälle infolge Verschlechterung des Qualitätselements allerdings einen ersatzfähigen Schaden dar. Denn insoweit handelt es sich um entgangenen Gewinn (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2018, VI ZR 295/17, juris Rn. 16 ff.). Der hier zu verzeichnende Einnahmeausfall ist adäquat kausal auf die Eigentumsverletzung zurückzuführen, denn die von dem Beklagten verursachte Versorgungsunterbrechung hat unstreitig zur Herabsetzung der Erlösobergrenzen der Klägerin durch die Bundesnetzagentur geführt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2018, VI ZR 295/17, juris Rn. 24). Er ist auch vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2018, VI ZR 295/17, juris Rn. 29 ff.).
Die von der Berufung gegen die Bejahung der Kausalität vorgetragenen Bedenken teilt der Senat nicht. Soweit die Berufung darauf hinweist, dass der Schädiger die Dauer der von ihm verursachten Unterbrechung nicht beeinflussen könne, stellt dieser Umstand im Schadensrecht keine Besonderheit dar; kein Verantwortlicher einer unerlaubten Handlung hat Einfluss auf Heilungsverlauf oder Reparaturdauer. Im Übrigen stünde dem Schädiger bei einer vom Geschädigten zu vertretenden Verzögerung der Einwand des § 254 BGB offen.
4. Dass der Klägerin ein Schaden in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe entstanden ist, ergibt sich zur Überzeugung auch des Senats aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. J.
a) Soweit die Berufung meint, dem Sachverständigen sei eine Prüfung wegen der Schwärzung der klägerischen Unterlagen gar nicht möglich gewesen, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat die Klägerin dem Sachverständigen ausweislich des klägerischen Schriftsatzes vom 6. April 2020 die benötigten Unterlagen mit Ausnahme der unstreitig für das hiesige Verfahren nicht relevanten Werte für den Niederspannungsbereich ungeschwärzt zur Verfügung gestellt. Dass der Sachverständige die automatisch generierten Zahlen des Störungsberichts K 7 zugrunde gelegt hat, begegnet – wie vorstehend ausgeführt – keinen Bedenken. Im Übrigen hat der Sachverständige die Vorgaben der Allgemeinverfügung nach § 52 S. 5 EnWG zugrunde gelegt (vgl. Anlage 2 des Ergänzungsgutachtens, Bl. 119); dass die Klägerin diese Vorgaben nicht beachten oder ihrer Meldepflicht bewusst falsch nachkommen würde, behauptet auch der Beklagte nicht.
b) Dass der Sachverständige den Schaden nach der bdew Anwendungshilfe ermittelt hat, ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht zu beanstanden. Der Sachverständige, dessen Kompetenz auch der Beklagte nicht anzweifelt, hat vielmehr in seiner Anhörung gut nachvollziehbar ausgeführt, dass im Bereich der Elektrotechnik die Erstellung und Heranziehung von sog. Anwendungshilfen vielfach erfolgt und als gute fachliche Praxis anerkannt ist. Zur konkreten Anwendungshilfe hat er zudem mitteilen können, dass durch konkrete Nachberechnungen erfolgte eigene Überprüfungen der unter Beachtung der Anwendungshilfe erzielten Ergebnisse nur marginale Unterschiede zwischen den Ergebnissen der beiden Rechenwege ergeben hätten (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2020, S. 5, Bl. 144). Die Geeignetheit der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO mit Hilfe der Anwendungshilfe steht damit fest; die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hierzu war nicht erforderlich.
Angesichts der vom Sachverständigen geschilderten, außer Verhältnis zum Streitgegenstand stehenden Kosten einer konkreten Berechnung (vgl. Sachverständigengutachten vom 3. August 2020, S. 3, Bl. 116), war eine solche nicht veranlasst, § 287 Abs. 2 ZPO.
c) Soweit die Berufung die Daten der Bundesnetzagentur für nicht geeignet hält, die Qualität eines Netzes zu messen, ändert dies nichts daran, dass die Festlegung des Qualitätselements auf diese Weise erfolgt und die konkrete Versorgungsunterbrechung die vom Sachverständigen festgestellten monetären Auswirkungen hat.
d) Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass die Erlösobergrenzen jeweils erreicht worden wären. Denn die glaubwürdigen Zeugen B. und W., die keinerlei Eigeninteresse am Verfahrensausgang haben, haben übereinstimmend und glaubhaft und im Übrigen im Einklang mit dem regelmäßig zu erwartenden Gewinnstreben eines Unternehmens ausgesagt, dass die Klägerin die Netzentgelte grundsätzlich und ausnahmslos so berechnet, dass die Erlösobergrenzen erreicht werden. Auf dieser Prämisse beruht im Übrigen auch das System der Anreizregulierung (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2018, VI ZR 295/17, juris Rn. 39); das von der Verordnung geschaffene Regulierungskontos macht dieses stetige Ausschöpfen der Erlösobergrenzen erst möglich.
Dass ein Teil der auszugleichenden Menge für 2017 bzw. 2018 noch nicht über das Regulierungskonto ausgeglichen worden ist, bedeutet nicht, dass die Erlösobergrenzen für die Jahre 2017 und 2018 nicht erreicht worden wären. Das Gegenteil steht vielmehr aufgrund der von den Zeugen geschilderten Berechnungsweise und dem Ausgleichsmechanismus über das Regulierungskonto bereits jetzt fest. Denn dass in den Jahren 2021 und 2022 die von den Zeugen geschilderte Berechnung der Netzentgelte anhand der jährlich prognostizierten Abnahmemenge und der jeweils von der Bundesnetzagentur festgelegten Erlösobergrenze sowie der Ausgleichsmechanismus über das Regulierungskonto nicht mehr zur Anwendung kämen, ist offensichtlich nicht der Fall und behauptet auch der Beklagte nicht.
5. Dass die Klägerin den – ihrer Ansicht nach rechtmäßigen – Bescheid der Bundesnetzagentur nicht angegriffen hat, führt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu einem gemäß § 254 BGB schadensmindernd zu berücksichtigenden Mitverschulden der Klägerin. Denn dass das von dem Beklagten geforderte Rechtsmittel erfolgreich gewesen wäre, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Bundesgerichtshof die Vorgehensweise der Bundesnetzagentur bereits inzident gebilligt hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2018, VI ZR 295/17, juris). Die Bundesnetzagentur selbst hat sich mit den Argumenten des Beklagten ausweislich der fraglichen Bescheide (K 8, K 9) auseinandergesetzt und sie nicht für durchgreifend erachtet.
Zwar weist die Berufung zutreffend darauf hin, dass § 4 Abs. 5 ARegV eine Anpassung der Erlösobergrenze und der Zu- und Abschläge höchstens einmal im Kalenderjahr zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres gestattet. Sie verkennt aber, dass hierdurch gerade nicht ausgeschlossen wird, dass dasselbe Ereignis in weiteren Kalenderjahren zu weiteren Anpassungen führt. Denn nach der zitierten Vorschrift findet lediglich keine mehrmalige Änderung der Erlösobergrenze oder der Zu- und Abschläge in einem einzigen Kalenderjahr statt.
Gegen die im Einklang mit der Beurteilung des Sachverständigen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2020, S. 2) stehende Bewertung des Landgerichts, dass die Störungsbehebung zügig erfolgt und insoweit kein Mitverschulden gegeben ist, wendet sich die Berufung nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen; die aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben