IT- und Medienrecht

Disziplinarverfügung

Aktenzeichen  M 19L DB 19.5067

Datum:
1.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35795
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 3 ,Art. 22 ,Art. 32 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S.1
RDGEG § 3, § 5
BayVwVfGArt. 45 Abs. 1 Nr. 3,Abs. 2 S. 1,Art.46

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 11. September 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage hat Erfolg. Die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 11. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (Art. 3 BayDG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Disziplinarverfügung leidet an einem Verfahrensmangel in Form eines Anhörungsmangels, weil der Klägerin im Rahmen der abschließenden Anhörung eine nicht ausreichende Frist zur Äußerung eingeräumt (2.), dieser Mangel nicht geheilt wurde (3.) und nicht unbeachtlich ist (4.).
1. Einem Beamten oder einer Beamtin ist nach Art. 32 Satz 1 Halbs. 1 BayDG nach Beendigung der Ermittlungen Gelegenheit zu geben, sich abschließend zu äußern. Hierfür ist nach Art. 32 Satz 1 Halbs. 2 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 Satz 1 BayDG eine angemessene Frist zu setzen. Die Angemessenheit der Frist richtet sich dabei nach Umfang und Gegenstand des Verfahrens; angemessen ist die Frist, die der Beamte voraussichtlich benötigt, um – gegebenenfalls unter Einschaltung eines Bevollmächtigten – eine schriftliche Äußerung zu fertigen. In schwierigeren oder umfangreicheren Fällen wird, entsprechend der früheren Rechtslage, eine Monatsfrist angemessen sein (Zängl, Bayer Disziplinarrecht, Stand August 2020, Art. 22 Rn. 21).
2. Die der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten gesetzte Frist von zwei Wochen zur abschließenden Äußerung ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf die konkreten Umstände nicht angemessen. Der am 19. August 2019 vorab per Telefax übermittelten abschließenden Anhörung lag ein 35 Seiten umfassender, einzeilig geschriebener Entwurf einer Disziplinarverfügung zugrunde, aus dem sich das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ergab. Gegen die Klägerin wurden darin insgesamt acht Vorwürfe erhoben, die auf acht unterschiedlichen, jeweils mehraktigen Geschehensabläufen beruhen. Zusammen mit der am 21. August 2019 nochmals mit Postzustellungsurkunde zugestellten Anhörung wurden die Protokolle der Zeugenvernehmungen von Dezember 2017 und Januar 2018 im Umfang von rund 300 Seiten übersandt. Das Protokoll der Vernehmung der Zeugin K. Sch. ging schließlich am 29. August 2019 bei der Bevollmächtigten der Klägerin ein. Darüber hinaus umfasste die ihr bereits vorliegende Disziplinarakte, zusammengestellt aus vorangegangenen Akteneinsichten, bereits über 450 Seiten. Die Möglichkeit der Äußerung fiel überdies in die bayerischen Sommerferien. In diesen war einerseits die Klägerin nach ihrer glaubhaften und nachvollziehbaren Schilderung in der mündlichen Verhandlung mangels Möglichkeit der Briefzustellung und Internetzugangs jedenfalls zeitweise tatsächlich nicht oder nur schwer erreichbar und andererseits ihre Bevollmächtigte infolge der in der Urlaubszeit erforderlichen Vertretung von Kollegen besonders beansprucht.
Aufgrund dieser Umstände war in der eingeräumten Frist von zwei Wochen eine wirksame Verteidigung in schriftlicher Form nicht möglich. Hierzu bedurfte es des Erfassens der umfangreichen Vorwürfe und Zeugenaussagen, der Prüfung, inwieweit sich die Vorwürfe durch die Zeugenaussagen belegen lassen und einer Abstimmung mit der jedenfalls zeitweise nicht oder nur schwer erreichbaren Klägerin. Anschließend mussten die rechtliche Würdigung der Vorwürfe und der Zumessungserwägungen sowie die Abfassung aller Überlegungen in schriftlicher und nachvollziehbarer Form erfolgen. Hinzu kommt, dass die Zeugenaussagen der Bevollmächtigten infolge der Übermittlung mit der Post nicht einmal während der gesamten Frist von zwei Wochen zur Verfügung standen, sondern ihr erst am 21. bzw. 29. August 2019 zugestellt wurden. Im Hinblick darauf, dass die Zeugenvernehmungen bereits im Dezember 2017 und Januar 2018 stattgefunden hatten und der Bevollmächtigten ohne erkennbaren Grund nicht schon früher zugesandt worden waren, war zudem im August 2019 ein bloßes „Querlesen“ der Aussagen nicht ausreichend, vielmehr bedurfte es aufgrund der langen vergangenen Zeit einer völlig neuen Einarbeitung in die Darstellungen der Zeugen. Dasselbe gilt im Hinblick auf die bereits vorliegende Disziplinarakte mit einem Umfang von über 450 Seiten. Aufgrund der vielen inmitten stehenden Details war auch eine sehr zeitaufwändige Abstimmung mit der Klägerin erforderlich, die im Verfahren ein ausgeprägtes Bedürfnis für eigene Äußerungen gezeigt hat. All dies war innerhalb von zwei Wochen nicht leistbar.
Ferner zeigt ein Blick auf vorangegangene Anhörungen im Disziplinarverfahren, dass die der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten eingeräumten Äußerungsfristen jeweils drei bis vier Wochen betrugen und bei Bedarf angemessen verlängert wurden. Diese Handhabung legt die Annahme nahe, dass Frist von zwei Wochen für die abschließende Anhörung nicht auf der Betrachtung der Beklagten dieser Frist als angemessen beruhte, sondern dem am 11. September 2019 nach Art. 16 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 BayDG eintretenden Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs geschuldet war.
3. Der Anhörungsmangel wurde auch nicht nach Art. 3 BayDG, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) im gerichtlichen Verfahren geheilt. Hierzu reicht insbesondere der bloße Austausch von Schriftsätzen nicht aus. Eine Heilung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BVerwG, U.v. 18.4.2017 – 9 B 54/16 – juris Rn. 4; U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 13.11.2017 – 9 B 54/16 – juris Rn. 10 ff.). Durch die Klagebegründung der Klägerseite vom 6. Dezember 2019 allein kann eine Heilung daher nicht bewirkt werden. Erforderlich gewesen wäre vielmehr, dass die vorgebrachten Tatsachen von der Disziplinarbehörde berücksichtigt wurden und aufgrund der nachträglichen Einwendungen eine neue, unvoreingenommene Prüfung stattfand. Die insoweit zu erfüllenden Voraussetzungen entsprechen denen für eine von vornherein gesetzmäßig durchgeführte Anhörung (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 84 f.). Eine Heilung scheitert hier bereits daran, dass die Beklagte auf die Klagebegründung nicht erwidert und das Vorbringen der Klagepartei demgemäß nicht berücksichtigt hat.
Eine Ausnahme vom Erfordernis der Heilung durch Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens durch die Beklagte kann vorliegend auch nicht aufgrund der Besonderheiten des Disziplinarverfahrens und des Umstands angenommen werden, dass das Gericht eigene Disziplinarbefugnisse hat und die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme abändern könnte (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 1 A 4/04 – juris Rn. 23). Die besonderen Befugnisse des Disziplinargerichts spielen erst bei der Überprüfung der behördlichen Disziplinarmaßnahme eine Rolle, entbinden die Disziplinarbehörde aber nicht von einer ordnungsgemäßen Durchführung des Disziplinarverfahrens unter Berücksichtigung aller Verfahrensrechte des Beamten oder der Beamtin. Eine andere Auffassung würde dazu führen, dass die detaillierten Vorschriften zur Anhörung im Disziplinarverfahren (vgl. Art. 22 und 32 BayDG) leerlaufen würden.
4. Schließlich liegt kein Anwendungsfall von Art. 3 BayDG i.V.m. Art. 46 BayVwVfG vor. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 3 BayDG, Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hier ist nicht offensichtlich, dass der Anhörungsmangel die von der Beklagten getroffene Entscheidung nicht beeinflusst hat, weil im Rahmen des Disziplinarverfahrens gerade eine differenzierte Zumessungsentscheidung unter Berücksichtigung verschiedener Milderungsgründe und eine Auswahl unter mehreren möglichen Disziplinarmaßnahmen (vgl. Art. 6 Abs. 1 BayDG) zu treffen ist. Damit ist nicht jeglicher Zweifel ausgeschlossen, dass die Beklagte ohne den Verfahrensfehler genauso entschieden hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO; danach trägt die Beklagte als unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens. Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist nach Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG gerichtsgebührenfrei.


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