IT- und Medienrecht

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, Polizeibeamter, Chat, Neonazistisches Gedankengut

Aktenzeichen  16a DC 21.2707

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41420
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 29 Abs. 1 S. 3
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 19L DA 21.4338 2021-08-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Durchsuchungsanordnung nach Art. 29 BayDG haben zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses vorgelegen.
Nach Absatz 1 Satz 3 dieser Vorschrift setzt dies voraus, dass der Beamte des Dienstvergehens dringend verdächtig ist (1.) und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht (2.).
1. Der Terminus des „dringenden Verdachts“ ist weitaus enger als der der „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“, die nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 BayDG die Einleitung eines Disziplinarverfahrens erforderlich machen. Der Begriff ist dem Strafprozessrecht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) entnommen und ebenso wie dort auszulegen (vgl. Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 27 BDG Rn. 22). Ein dringender Verdacht liegt deshalb nur dann vor, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat (vgl. Graf in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 112 Rn. 3; Krauß in BeckOK StPO, Stand: Juli 2020, § 112 Rn. 9; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 27 Rn. 3: hoher Grad an Wahrscheinlichkeit; vgl. auch BayVGH, B.v. 19.10.2009 – 16b DC 09.2188 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Der dringende Verdacht eines Verstoßes des Antragsgegners gegen seine Verfassungstreuepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG, § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) ergibt sich für den Senat aus dem im angefochtenen Beschluss wiedergegebenen Chatverlauf zwischen dem Antragsgegner und dem anderweitig verfolgten Polizeibeamten M., die sich im Chat über Musikgruppen austauschen. Der dort an den Tag gelegte Sprachgebrauch des Antragsgegners („ordentliche Black Metal Band mit germanischem Gedankengut“ , „gemeint ist der deutsche Tiger Kampfpanzer Marduk sind unübertroffen“ „Hab ich als T-Shirt Kamerad“, „Die Texte hätten dem Onkel auch gefallen Wie läuft´s sonst so Kamerad“ , „Scheiß Linken Gesocks“ … „Linke Dreckspack“) setzt den Antragsgegner dem dringenden Verdacht aus, dass er sich neonazistisches Gedankengut zu eigen gemacht hat. Nachträglich gewonnene Erkenntnisse durch die Auswertung beschlagnahmten Materials bleiben dabei außer Betracht. Es kommt mithin nicht darauf an, ob sich diese Einschätzung dadurch – wie hier – bestätigt hat (die auf dem Mobiltelefon des Antragsgegners befindlichen zwei „Selfies“ zeigen beide den Antragsgegner mit zwei Gleichgesinnten im öffentlichen Raum, wobei jeweils einer von diesen den Hitlergruß zeigt; ferner berichtet der Antragsteller von einem bei einer Geburtstagsfeier aufgenommenen Video mit diesen Freunden, wobei der Antragsgegner zu den überreichten T-Shirts von „Marduk“ äußere: „Die Farbe schwarz-rot-weiß, da machst nichts falsch“ und das Video mit dem Bemerken beende: „Kamera aus, jetzt können wieder verfassungsfeindliche Parolen geäußert werden.“).
Das Beschwerdevorbringen erlaubt keine abweichende Beurteilung. Wenn der Bevollmächtigte des Antragsgegners darauf abhebt, dass die Lieder der Metalbands MGLA, Marduk, Graveland, Cannibal Corpse Tiamat und zwei frei verfügbare Alben der Band Deus Mortem sämtlich über das kommerzielle Spotify-Angebot erhältlich und somit gemäß der Spotify-Community-Richtlinien frei von extremistischem Gedankengut seien, legt er nicht dar, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts unzutreffend wäre. Dieses hat ausgeführt, die Songtexte der genannten Bands enthielten neben gewaltverherrlichendem auch nationalistisches, nationalsozialistisches und rechtsextremes Gedankengut. Graveland werde auf Wikipedia dem NSBM (National Socialist Black Metal) zugeordnet, Stahlgewitter dort als Rechtsrock-Band bezeichnet. Diese den dringenden Tatverdacht stützende Einschätzung kann nicht dadurch widerlegt werden, dass der Antragsgegner auf die Einschätzung gemäß metal-archives.com verweist, wo die Bands nicht NSBM oder RAC (Rock Against Communism) zugeordnet würden. Dass insoweit keine Unbedenklichkeit besteht, zeigen die vom Antragsgegner zu Cannibal Corpse und Graveland vorgelegten Ausdrucke aus der Mediendatenbank Rechtsextremismus (MBD-DAREX).
2. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Die Maßnahme ist geeignet, zu entsprechenden Beweismitteln zu führen. Damit können Gegenstände, Unterlagen und Daten gefunden werden, die geeignet sind, Nachweise dafür zu erbringen, dass der Antragsgegner seine politische Treuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verletzt hat. Ein milderes Mittel hat sich hier von vornherein nicht angeboten, da bei jeder anderen denkbaren Aufklärungsmaßnahme eine Vernichtung der einschlägigen Beweismaterialien zu besorgen gewesen wäre. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung steht auch zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Sollte sich der Vorwurf erhärten, der Antragsgegner identifiziere sich mit rechtsradikalem Liedgut und letztlich dem Nationalsozialismus, käme allein deswegen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu betrauen, die die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung ablehnen (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 91; OVG LSA, U.v. 15.3.2018 – 10 L 9/17 – juris Rn. 56 ff.).
Entgegen der Auffassung der Beschwerde beschränkt sich der dringende Verdacht gegen den Antragsgegner nicht darauf, dass dieser eine (rechtsextreme) Überzeugung habe. Mit dem Chat hat der Antragsgegner seine politische Auffassung nach außen plakativ kundgetan. Insoweit genügt eine Betätigung der politischen Auffassung im Kreise Gleichgesinnter. Dass ein Dienstvergehen in der Öffentlichkeit tatsächlich bekannt geworden und hierüber berichtet worden ist, ist nicht erforderlich (BayVGH, U.v. 16.1.2019 – 16a D 15.2672 – juris Rn. 25 f.).
3. Die Kostenentscheidung verbleibt, weil es sich um eine unselbständige Nebenentscheidung handelt, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 23; B.v.5.10.2020 – 16b DC 20.1871 – juris Rn. 20).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 VwGO).


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