IT- und Medienrecht

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, Polizeibeamter, Chat-Verkehr mit rechten, fremdenfeindlichen und reichsbürgertypischen Inhalten

Aktenzeichen  M 19B DA 21.3474

Datum:
26.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23261
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 27
StPO § 94 ff.

 

Leitsatz

Tenor

I. Angeordnet wird die Durchsuchung
1. des Grundstücks sowie der Wohn- und Nebenräume des Antragsgegners an den Anschriften
– H … in … G … (Hauptwohnung)
– A … in … G … (Nebenwohnung).
Die Anordnung umfasst die Durchsuchung der im Allein- oder Mitgewahrsam des Antragsgegners befindlichen Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume sowie Fahrzeuge.
Die Anordnung erstreckt sich auch auf vom Durchsuchungsobjekt räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf diese von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann.
2. des persönlichen Schranks und des persönlichen Postfachs des Antragsgegners in dessen Dienststelle BPOLI … …
3. des dienstlich zugewiesenen Y-Laufwerks des Antragsgegners zur Speicherung persönlicher Daten auf dem allgemein zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz-PC in der Dienststelle BPOLI … …
4. der Protokolldatenauswertung des freien Internets des vom Antragsgegner genutzten, allgemein zur Verfügung stehenden dienstlichen Arbeitsplatz-PCs in der Dienststelle BPOLI … …
5. seiner Person und der ihm gehörenden Sachen.
Zweck der Durchsuchung ist das Auffinden folgender Gegenstände:
– Fantasiedokumente der Reichsbürgerbewegung
– Propagandamaterial der Reichsbürgerbewegung
– Unterlagen, die Hinweise auf die Zugehörigkeit und Aktivität in der Reichsbürgerszene geben
– Gegenstände, die als Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu werten sind
– Unterlagen, die analog § 130 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB die Menschenwürde von Personen einer in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Gruppe angreifen
– Unterlagen, die analog § 131 Abs. 1 StGB grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt
– elektronische Kommunikations- und Speichermedien (Computer, Datenträger, Mobiltelefone, Tablets, Laptops, etc.).
II. Angeordnet wird weiter die Beschlagnahme
1. von bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismitteln (wie oben genannt).
2. des elektronischen Postfachs des Antragsgegners beim Provider Microsoft Corporation …@ …
Die Beschlagnahmeanordnung umfasst die Durchsicht aller in diesem Postfach gespeicherten Nachrichten inklusive der Nachrichtenanhänge, insbesondere auch der noch nicht endgültig gelöschten Nachrichten und Nachrichtenentwürfe.
III. Die Durchsicht der aufgefundenen Unterlagen, elektronischen Speichermedien und elektronischen Postfächer wird der Antragstellerin, dort dem Disziplinarvorgesetzten, übertragen.
IV. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung unter Nr. I und II gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses.
V. Die Antragstellerin wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner beauftragt. Die Zustellung hat spätestens einen Tag nach Durchführung der unter Nr. I und II genannten Maßnahmen zu erfolgen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung.
1. Der am … 19… geborene Antragsgegner steht als Polizeihauptmeister (Besoldungsgruppe A8) im Dienst der Antragstellerin. Er ist an der Dienststelle BPOLI … … als Kontroll- und Streifenbeamter eingesetzt.
Der Antragsgegner ist verheiratet und hat einen Sohn. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
2. Die Disziplinarbehörde wurde auf den Antragsgegner aufmerksam, weil im Rahmen eines gegen einen Kollegen gerichteten Disziplinarverfahrens, in dem bereits Durchsuchung und Beschlagnahme angeordnet und durchgeführt worden waren, bekannt wurde, dass dieser mit dem Antragsgegner dienstliche und private E-Mails sowie WhatsApp-Nachrichten mit nationalsozialistischen, rechten, verschwörungstheoretischen und esoterischen Inhalten ausgetauscht hat.
Der Präsident der Bundespolizeidirektion M. leitete daraufhin mit Verfügung vom 1. März 2021 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsgegner ein und bestimmte PHKin K. zur Ermittlungsführerin. Um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, erfolgte keine Aushändigung der Einleitungsverfügung an den Antragsgegner. Im Rahmen der laufenden Ermittlungen wurden die Protokolldaten des E-Mail Gateway und des persönlichen E-Mail-Postfachs des Antragsgegners für den Zeitraum vom 17. August 2020 bis 6. April 2021 ausgewertet.
Am 1. Juli 2021 stellte die Bundespolizeidirektion M. beim Verwaltungsgericht München den Antrag auf Anordnung
1. der Durchsuchung der im Tenor genannten Örtlichkeiten, Fahrzeuge, Behältnisse und Speichermedien sowie der Person des Antragsgegners und der ihm gehörenden Sachen
zum Zweck des Auffindens der ebenfalls im Tenor genannten Gegenstände.
2. der Beschlagnahme von bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismitteln, elektronischen Kommunikations- und Speichermedien sowie des privaten elektronischen Postfachs des Antragsgegners.
Auf den gestellten Antrag wird verwiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, bisher lägen folgende Beweismittel gegen den Antragsgegner vor:
– Er habe am 1. Juli 2015 über seine private E-Mail-Adresse eine E-Mail von PHM F. mit einem Link auf den auf Youtube gezeigten, 72 Minuten langen Dokumentarfilm „Geheimakte Hess“ empfangen (Disziplinarakte = DA Anl. 1 Nr. 1), der unrichtige geschichtliche Darstellungen und Thesen enthalte, die hauptsächlich in rechtsextremen Kreisen vertreten würden. Wenige Minuten nach Eingang dieser E-Mail habe PHM F. eine E-Mail nachgesendet, in der er den offenen Verteiler bedauert und um vertrauliche Behandlung gebeten habe. Es könne somit davon ausgegangen werden, dass neun weitere E-Mails, die PHM F. unter verdecktem Verteiler mutmaßlich an denselben Adressatenkreis versendet habe, auch an den Antragsgegner gegangen seien.
– Dieser habe zudem am 16. Februar 2017 an seine dienstliche E-Mail-Adresse eine E-Mail von PHM F. erhalten, die zwei Internet-Links mit einer Empfehlung für das der Kategorie Esoterik und Verschwörungstheorie zuzuordnende Buch „Das Dritte Auge und der Ursprung der Menschheit“ von Ernst Muldashev enthalten hätten (DA Anl. 1 Nr. 2).
– Der Antragsgegner habe weiter am 23. November 2017 von seinem dienstlichen E-Mail-Account aus während der Dienstzeit eine E-Mail an PHM F. übersendet, die das aus dem gleichnamigen nationalsozialistischen Propagandafilm aus dem Jahr 1936 stammende Gedicht „Ewiger Wald“ als Textnachricht beinhaltet habe (DA Anl. 1 Nr. 14).
– Weiter habe er zwischen November 2016 und Juli 2019 von seinem privaten Mobiltelefon aus über WhatsApp Nachrichten mit PHM F. ausgetauscht. Exemplarisch zu nennen seien
– eine am 19. September 2017 empfangene Bilddatei zum Wahlbetrug bei Briefwahlverfahren anlässlich der Bundestagswahl 2017 (DA Anl. 1 Nr. 3)
– eine am 19. September 2017 empfangene Video-Datei, in der die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck spreche (DA Anl. 1 Nr. 4); der Antragsgegner habe die Nachricht u.a. mit „Die alte is einfach geil/ wusst nemma wie sie heißt/ Hab scho mehr von ihr gesehen/ … ja Meister, gibt nemma viel, dass du mir beibringen kannst ☺“ kommentiert.
– eine am 17. Oktober 2017 versendete Textnachricht des Antragsgegners über Probleme mit der GEZ (DA Anl. 1 Nr. 6)
– mehrere empfangene Nachrichten mit Internet-Links auf Beiträge von Thomas Veit auf dem Youtube-Kanal „Schöpferwissen TV“ (DA Anl. 1 Nr. 13)
– einen am 9. Mai 2018 empfangenen Link auf einen Beitrag zu „Chemtrails!? Das sollte DIR die Augen öffnen, Ingenieur packt aus“ (DA Anl. 1 Nr. 21)
– eine am 22. Januar 2018 versendete Textnachricht des Antragsgegners: „Übrigens, eigene Erkenntnis: wir sagen ja nicht bayrisch sondern boarisch, also bo-arisch. Also doch ein Germanen Stamm …“ (DA Anl. 1 Nr. 17)
– eine am 27. August 2018 empfangene Bild-Datei, in der nach Europa immigrierte Afrikaner als „Abschaum und Müll Afrikas, Ratten“ bezeichnet würden (DA Anl. 1 Nr. 23)
– ein empfangenes Video, in dem eine Stimme „Mein Führer“ sage und ein Kakadu den rechten Flügel hebe und mit „Heil“ antworte (DA Anl. 1 Nr. 8). Dieses Video habe der Antragsgegner mit „☺ Geiler Vogel“ kommentiert.
Insgesamt seien von Mai 2015 bis Juli 2019 im Rahmen des Chat-Verkehrs mindestens 23 Dateien vorhanden, die politisch bedenklich und geprägt seien von der Verherrlichung des Nationalsozialismus, Ausländerfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und Inhalten der Reichsbürger-Szene. Der Antragsgegner habe 17 Dateien erhalten und sechs versendet. Eine tabellarische Aufstellung der ausgewerteten Dateien mit Inhaltsangabe finde sich in der vorgelegten Disziplinarakte. Video-/ Audio- und Bilddateien könnten zudem zwei als Anlage vorgelegten CDs entnommen werden.
Aufgrund des vorliegenden Beweismaterials bestehe der dringende Verdacht, dass der Beamte schuldhaft gegen die politische Treuepflicht (§ 60 Abs. 1 Satz 3 Bundesbeamtengesetz – BBG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) verstoßen habe.
Die Bedeutung der Sache sei als hoch einzustufen, weil der Verdacht bestehe, dass der Beamte nicht mehr für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintrete. Durch die versendeten Nachrichten habe er gezeigt, dass er nationalsozialistisches, rassistisches und Reichsbürger-/ Selbstverwalter-Gedankengut nicht nur toleriere, sondern auch weiterverbreite. Ein Polizeibeamter, der sich an einem derartigen Chat-Verkehr beteilige, zeige eine unzureichende Dienstauffassung und charakterliche Eignungsmängel und beeinträchtige daher das Vertrauen der Bürger in die Beamtenschaft. Insgesamt werde das Ansehen der Bundespolizei empfindlichen Schaden nehmen, wenn die Beamten ihrer Verpflichtung zur Verfassungstreue nicht nachkämen. Das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und das Eintreten für deren Erhalt stelle eine Kernpflicht dar. Von einem Polizeibeamten werde erwartet, dass er eindeutig Stellung beziehe, wenn er von einem Kollegen derartiges Material empfange, um einem weiteren, zukünftigen Versenden entgegenzuwirken. Dies könne durch Information an den Vorgesetzten, zumindest aber durch missbilligende Äußerung als Reaktion in der Kommunikation erfolgen. Dies habe der Antragsgegner nicht getan, sondern sich im Gegenteil zustimmend zu den erhaltenden Inhalten geäußert.
Die beantragten Maßnahmen seien geeignet, Beweismittel für das vorgeworfene Dienstvergehen in Form von elektronischen Speichermedien aufzufinden. Da sich der Beamte bereits im dienstlichen Umfeld gegenüber Kollegen entsprechend verhalten habe, sei davon auszugehen, dass er sich erst recht im privaten Umfeld entsprechend verhalte. Zur Bestätigung oder Entkräftung des Verdachts sei eine Durchsuchung und Beschlagnahme daher zwingend notwendig. Zwar sei der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung äußerst schwerwiegend; gegenüber stehe jedoch der Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen, die, sollten sie sich bewahrheiten, zwingend eine Zurückstufung oder Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Disziplinarmaßnahme zum Folge hätten.
Die Beteiligung des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren unterblieb, weil sie den Zweck der Anordnungen gefährdet hätte.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte und der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung wird entsprochen.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen. Zuständig für die Anordnung ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 BDG der oder die Vorsitzende der Disziplinarkammer ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter. Das entsprechende Ersuchen darf nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 3 BDG nur von dem Dienstvorgesetzten, seinem allgemeinen Vertreter oder einem beauftragten Beschäftigen gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Anordnung darf nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BDG nur getroffen werden, wenn der Beamte des Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG entsprechend.
Die Regelung des § 27 Abs. 1 BDG ist anwendbar (1.). Im vorliegenden Fall ist sowohl ein dringender Tatverdacht (2.) als auch die Verhältnismäßigkeit der begehrten Anordnung (3.) gegeben. Die angeordneten Maßnahmen sind nach der StPO zulässig (4.). Weiter ist die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung hinreichend bestimmt formuliert (5.). Von einer Zustellung des Antrags und einer Anhörung des Antragsgegners konnte abgesehen werden (6.).
1. § 27 Abs. 1 BDG ist hier anwendbar. Gegen den Antragsgegner wurde mit Verfügung vom 1. März 2021 ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG vorgeschriebene Unterrichtung, Belehrung und Anhörung über die Einleitung konnten vorerst unterbleiben, weil sie nicht ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich waren (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 a.E. BDG).
2. Ein dringender Tatverdacht der Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht durch Unterstützung von nationalsozialistischem, rechtem, rassistischem und Reichsbürger-/ Selbstverwalter-Gedankengut durch den Antragsgegner ist gegeben. Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat (BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 16b DC 20.1871 – juris Rn. 6; B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 6).
Die dem Antragsgegner vorgeworfene Nähe zu diesem Gedankengut ergibt sich aus den angeführten Chats zwischen ihm und PHM F. im Zeitraum von Juli 2015 bis August 2018, die von seinem dienstlichen und privaten Computer aus und über WhatsApp geführt wurden.
Die Nachrichten und die jeweils angehängten oder nach Verfolgung der verschickten Links aufrufbaren Dateien finden sich in ausgedruckter Form oder auf CD bei der dem Gericht vorgelegten Disziplinarakte. Die Videos, Bilder und Texte geben nationalsozialistisches, rechtes, fremdenfeindliches und reichsbürgertypisches Gedankengut wieder. So enthält der am 1. Juli 2015 über die private E-Mail-Adresse des Antragsgegners empfangene Film „Geheimakte Hess“ die Behauptung, Winston Churchill trage die Verantwortung für die Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs nach 1949, was von der geschichtswissenschaftlichen Forschung zurückgewiesen wird, und Hess habe im Kriegsverbrechergefängnis Spandau nicht Suizid begangen, sondern sei ermordet worden. Die letztgenannte These wird hauptsächlich in rechtsextremen Veröffentlichung und auf Neonazi-Demonstrationen sowie in deren Umfeld vertreten (Wikipedia). Das vom Antragsgegner versendete Gedicht „Ewiger Wald“ stammt aus dem gleichnamigen Propagandafilm aus dem Jahr 1936, der die Geschichte des deutschen Volkes als Geschichte des Deutschen Waldes im Sinn der Blut- und Boden-Ideologie der Nationalsozialisten erzählt (Wikipedia). Nationalsozialistisches Gedankengut beinhalten auch das dem Antragsgegner übersendete Video mit Ursula Haverbeck, zu der er äußert „Die alte is einfach geil…“ oder seine Nachricht zu „bo-arisch“. Dieses Gedankengut verharmlosend ist ein von ihm empfangenes Video, in dem ein Kakadu – auf die Worte „Mein Führer“ – den rechten Flügel hebt und mit „Heil“ antwortet, das von ihm mit den Worten „☺ Geiler Vogel“ kommentiert wurde.
Rassistischen Inhalt hat ein von ihm empfangenes Bild, das nach Europa immigrierte Afrikaner als „Abschaum und Müll Afrikas, Ratten“ bezeichnet. Dabei ist es unerheblich, dass dort lediglich eine Auffassung wiedergegeben ist, die Serge Boret Bokwango, Mitglied der Ständigen Vertretung des Kongo bei den Vereinten Nationen in Genf (UNOG), in einen offenen Brief am 8. Juni 2016 vertreten hat.
Reichsbürgertypische oder verschwörungstheoretische Ideen lassen sich – ungeachtet der Unterschiedlichkeit der von diesen Gruppierungen im einzelnen vertretenen Auffassungen – der vom Antragsgegner empfangenen Bilddatei zum Wahlbetrug beim Briefwahlverfahren anlässlich der Bundestagswahl 2017, einigen der ihm nahe gelegten Beiträge von Thomas Veit auf dem Youtube-Kanal „Schöpferwissen TV“, dem ihm gesendeten Kurzfilm über Chemtrails und seiner Textnachricht zu seinen Problemen mit der GEZ entnehmen.
Angesichts der Inhalte der vorgenannten Videos, Bilder und Texte kommt es nicht darauf an, dass sich – entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung – dem Buch „Das Dritte Auge und der Ursprung der Menschheit“ von Ernst Muldashev bei erster Durchsicht keine dienstlich vorwerfbaren Inhalte entnehmen lassen.
3. Die beantragten Maßnahmen stehen nicht zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei in zweierlei Hinsicht zu beachten: Zum einen darf die Maßnahme, um die ersucht wird, nicht zur Bedeutung der Sache, zum anderen darf sie auch nicht zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis stehen (BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 16b DC 20.1871 – juris Rn. 15; B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 12).
3.1. Die beantragten Maßnahmen sind verhältnismäßig.
Die Durchsuchung der im Allein- oder Mitgewahrsam befindlichen Wohnungen des Antragsgegners mit Nebenräumen, des von ihm genutzten Fahrzeugs und seiner Dienststelle nach Schriften und elektronischen Kommunikations- und Speichermedien mit den vorgeworfenen Inhalten und die Beschlagnahme dieser Schriften und Medien sind geeignet, die erforderlichen Beweismittel für die Bestätigung oder Entkräftung des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der Nähe zu nationalsozialistischem, rechtem, fremdenfeindlichem und reichsbürgertypischem Gedankengut zu erlangen. Recherchen oder Meinungskundgaben in diesem Bereich werden mit hoher Wahrscheinlichkeit über schriftliche und elektronische Medien getätigt, so dass deren Beschlagnahme und Auswertung weitere Erkenntnisse verspricht. Da der Antragsgegner mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aus dem privaten Bereich heraus agiert haben wird, ist die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung auch auf diesen Bereich zu erstrecken.
Zur Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit war die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zu befristen; die richterliche Prüfung kann die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten.
3.2. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung steht auch zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG). Regelmäßig kommen entsprechende Zwangsmaßnahmen nur in Betracht, wenn die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist (BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 16b DC 20.1871 – juris Rn. 15; B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
Vorliegend wiegt das dem Antragsgegner zur Last gelegte Dienstvergehen schwer. Sollte sich der Vorwurf erhärten, er sei Anhänger der sogenannten Reichsbürgerbewegung oder vertrete zumindest deren Gedankengut, käme allein deswegen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht. Gleiches gilt für den Fall, dass er nationalsozialistisches, rechtes oder fremdenfeindliches Gedankengut vertritt oder dieses auch nur toleriert. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu betrauen, die die freiheitlich demokratische Verfassungsordnung ablehnen (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 16b DC 20.1871 – juris Rn. 17; BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 91; VG Regensburg, U.v. 26.11.2018 – RN 10 B DK 17.1988 – S. 17, n.v.; VG Trier, U.v. 14.8.2018 – 3 K 2486/18.TR – juris Rn. 53 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 15.3.2018 – 10 L 9/17 – juris Rn. 56 ff.; VG München, U.v. 8.2.2018 – M 19L DK 17.5914 – n.v.).
Dabei liegt eine Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht, die immer als innerdienstliche zu qualifizieren ist (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 85), nicht nur im aktiven Versenden von Nachrichten mit den vorgeworfenen Inhalten, sondern auch in deren Empfang, ohne den Inhalten entgegen zu treten oder sich zumindest davon zu distanzieren. Dies könnte – wie von der Antragstellerin vorgeschlagen – durch eine Mitteilung an einen Vorgesetzen geschehen oder aber durch verbales Einhaltgebieten an den Chat-Partner. Ohne ein solches erweckt der Beamte den Eindruck, das Versenden derartiger Nachrichten sei in Ordnung. Eine wie auch immer geartete missbilligende Reaktion erfolgte jedoch seitens des Antragsgegners nicht; vielmehr hat dieser die empfangenen Inhalte mit zustimmenden Bemerkungen quittiert („Die alte is einfach geil…“ oder „☺ Geiler Vogel“).
Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner als Polizeibeamter in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung genießt (vgl. nur BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 2 B 21.16 – juris Rn. 10; U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – Ls. 1 und Rn. 35 ff.).
4. Die angeordneten Maßnahmen sind von den Bestimmungen der Strafprozessordnung gedeckt.
Nach § 102 StPO kann die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume, der Person und der ihr gehörenden Sachen angeordnet werden, wenn zu vermuten ist, dass sie zur Auffindung von Beweismitteln führen wird. Hinsichtlich der Durchsuchung der Wohnung ist unerheblich, ob der Antragsgegner Allein- oder Mitinhaber ist (Hegmann in BeckOK StPO, Stand 1.1.2021, § 104 Rn. 8). Nach § 102 StPO ist auch die Durchsuchung der von ihm genutzten Fahrzeuge und der ihm zur Verfügung gestellten dienstlichen Spinde am Flughafen M. zulässig.
Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich auch auf von diesen Durchsuchungsobjekten räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann (§ 110 Abs. 3 Satz 1 StPO).
Die Zulässigkeit der Beschlagnahme nicht freiwillig herausgegebener Gegenstände ergibt sich aus § 94 Abs. 2 StPO.
Die Beschlagnahme der bei einem Provider befindlichen und sicherzustellenden E-Mails kann nach § 99 StPO analog angeordnet werden. Diese E-Mails sind mit den im Gewahrsam eines Post- oder Telekommunikationsdienstleisters befindlichen Briefsendungen und Telegrammen vergleichbar (BVerfG, B.v. 16.6.2009 – 2 BvR 902.06 – juris; BGH, B.v. 31.3.2009 – 1 StR 76.09 – juris; VG München, B.v. 23.1.2019 – M 13B DA 19.160 – juris Rn. 44). Die Herausgabepflicht ergibt sich zudem allgemein aus § 95 StPO. Auf der Grundlage des vorhandenen Chat-Verkehrs des Antragsgegners ist anzunehmen, dass auch sein privater E-Mail-Verkehr entsprechende Inhalte aufweisen und daher für die Untersuchung von Bedeutung sein wird.
Die Übertragung der Befugnis zur Durchsicht der elektronischen Postfächer auf den Disziplinarvorgesetzten erfolgt in entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 3 Satz 2 StPO. Eine Übermittlung der E-Mails zur Durchsicht an das Gericht würde zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung führen. Die Durchsicht von bei der Durchsuchung aufgefundenen Papieren steht nach § 110 Abs. 1 StPO analog ohnehin dem Disziplinarvorgesetzten zu.
5. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist hinreichend bestimmt ausgestaltet. Da die Ermächtigung der Exekutive, im Wege der Durchsuchung in den grundrechtlich geschützten Bereich des Betroffenen einzugreifen, regelmäßig den Gerichten vorbehalten ist, trifft diese als Kontrollorgan zugleich die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 22). Diesen Anforderungen genügen die tenorierten Maßnahmen.
6. Von einer Zustellung des Antrags und einer Anhörung des Antragsgegners vor Erlass des Beschlusses konnte abgesehen werden.
Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) grundsätzlich die vorherige Anhörung des Antragsgegners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt (BVerfG, B.v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn. 52 ff.). In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen, was § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO zulässt.
Aus den dargestellten Gründen war die handelnde Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 3 BDG, § 173 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO, § 168 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Die Kostenentscheidung bleibt, weil es sich um eine unselbständige Nebenentscheidung handelt, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.


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