IT- und Medienrecht

Einstweiliger Rechtsschutz wegen Ausschuss

Aktenzeichen  B 9 E 20.668

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23954
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1, § 123
GO Art. 33 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 35 S. 1
ZPO § 926 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Sitze in den Ausschüssen des Stadtrats der Antragsgegnerin mit fünf Mitgliedern einstweilen in der Weise zu verteilen, dass die Antragstellerin jeweils einen und die Beigeladene jeweils zwei Sitze erhält.
2. Die einstweilige Anordnung ergeht mit der Maßgabe, dass ihre Wirkungen entfallen, wenn die Antragstellerin nicht binnen eines Monats nach Ablauf der für diesen Beschluss geltenden Beschwerdefrist eine Klärung des Rechtsstreits im Hauptsacheverfahren veranlasst.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Besetzung der Ausschüsse des Stadtrates der Antragsgegnerin.
Aufgrund der Kommunalwahl am 15. März 2020 hat sich für den aus insgesamt 20 ehrenamtlichen Stadträten bestehenden Stadtrat der Antragsgegnerin folgende Zusammensetzung ergeben:
Christlich Soziale Union in Bayern e.V. (CSU)
9 Sitze
45% der Sitze
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
4 Sitze
20% der Sitze
Freie Unabhängige Wählerschaft (FUWR)
4 Sitze
20% der Sitze
Alternative für Deutschland (AfD)
2 Sitze
10% der Sitze
fraktionslos
1 Sitz
5% der Sitze
Die beiden Stadträte der AfD haben sich zur Antragstellerin zusammengeschlossen.
Einer der über den Wahlvorschlag der CSU gewählten Stadträte gab vor Beginn der Amtsperiode bekannt, sich nicht der beigeladenen CSU-Fraktion anschließen zu wollen. Die Beigeladene veröffentlichte daraufhin unter dem 5. Mai 2020 eine Stellungnahme. Darin heißt es insbesondere:
„Erschwerend kommt hinzu, dass sich durch diesen nachträglichen Fraktionsaustritt ohne Not instabile Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat ergeben. So könnte bei jeder Entscheidung nun die AFD das Zünglein an der Waage sein. Ein Zustand, der für einen Christdemokraten nicht tragbar sein kann, keinesfalls aufgrund persönlicher Befindlichkeiten in Kauf genommen werden darf und sicherlich auch beim CSU-Wähler keine Legitimierung findet.
Die CSU-Fraktionsvorsitzenden sind der Meinung, dass ein solches Verhalten vor den Rehauer Wählern nicht zu rechtfertigen ist. Aus diesen genannten Gründen entbehrt ein Verweilen … als Stadtrat der politischen und ganz besonders der demokratischen Legitimation. Deswegen fordert die CSU-Fraktion, dass … sein Stadtratsmandat niederlegt. Diese konsequente Entscheidung schuldet er jedem Wähler, der ihn auf der CSU-Liste unterstützt hat, jedem Wähler, der auf einen handlungsfähigen und stabilen Stadtrat vertraut und in allererster Linie: dem Gemeinwohl.“ Am 6. Mai 2020 fand die konstituierende Sitzung des Stadtrates der Antragsgegnerin statt. Unter TOP 7 wurde die Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts der Antragsgegnerin beschlossen. Deren § 2 Abs. 1 lautet folgendermaßen:
„Der Stadtrat bestellt zur Mitwirkung bei der Erledigung seiner Aufgaben folgende ständige Senate:
a) den Verwaltungs- und Finanzsenat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 5 ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern.
b) den Bau- und Umweltsenat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 5 ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern.
c) den Werksenat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 5 ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern.
d) den Wirtschafts- und Kultursenat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 5 ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern.
e) den Rechnungsprüfungssenat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 3 weiteren Mitgliedern des Stadtrats.“
Unter TOP 8 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin seine Geschäftsordnung. In § 6 Abs. 1 ist darin Folgendes geregelt:
„In den Senaten nach § 2 der Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts sind die den Stadtrat bildenden Fraktionen und Gruppen unter Berücksichtigung von Ausschussgemeinschaften gemäß ihren Vorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Stärke vertreten (Art. 33 Abs. 1 GO). Die Sitze werden nach dem d’Hondt’schen Verfahren verteilt; haben Fraktionen, Gruppen oder Ausschussgemeinschaften den gleichen Anspruch auf einen Ausschusssitz, so entscheidet die größere Zahl der bei der Stadtratswahl auf die Wahlvorschläge der betroffenen Parteien oder Wählergruppen abgegebenen Stimmen. Wird durch den Austritt oder Übertritt von Stadtratsmitgliedern das ursprüngliche Stärkeverhältnis der im Stadtrat vertretenen Fraktionen und Gruppen verändert, so sind diese Änderungen nach Satz 2 Halbsatz 1 auszugleichen; haben danach Fraktionen, Gruppen oder Ausschussgemeinschaften den gleichen Anspruch auf einen Senatssitz, so entscheidet das Los.“
Ausweislich der Niederschrift zur Sitzung des Stadtrates vom 6. Mai 2020 seien in die Geschäftsordnung Anregungen aus einer Besprechung der Fraktionsvorsitzenden vom 28. April 2020 sowie die Erfahrungen der drei Referatsleiter aus Sicht der Verwaltung eingeflossen. Wesentliche Änderung zur Geschäftsordnung der vorhergehenden Wahlperiode sei unter anderem die Verteilung der Senatssitze nach d’Hondt, weil so das Stärkeverhältnis des Stadtrates in den Senaten am besten abgebildet werde. Der Fraktionsvorsitzende der Antragstellerin wandte sich in einer im Wortlaut in die Niederschrift aufgenommenen Erklärung gegen die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens. Dieses sei antiquiert und undemokratisch, es führe bei starken Größenunterschieden der Anteile der einzelnen Parteien zu größeren Abweichungen und zur Benachteiligung kleinerer Parteien. Bislang habe der Stadtrat das Hare/Niemeyer-Verfahren angewandt. Ein Wechsel zum d’Hondt’schen Verfahren habe nur das Ziel, dass die AfD keinen Senatssitz erhalte. Zudem müsse der Stadtrat zunächst über die Änderung der alten Geschäftsordnung beschließen und könne sich erst dann eine neue Geschäftsordnung geben. Die Antragstellerin sei im Hinblick auf die Besetzung der Senate nicht wie die anderen Fraktionen angeschrieben und um Benennung der zu entsendenden Stadträte gebeten worden, weil man sich offenbar des Ausgangs der Abstimmung über die Geschäftsordnung sicher gewesen sei.
Der Stadtrat der Antragsgegnerin beschloss unter TOP 9 die Besetzung seiner Senate entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung. Dabei entfielen hinsichtlich der Senate mit fünf Mitgliedern jeweils auf die Beigeladene drei Sitze (60% der Ausschusssitze), auf die SPD- und die FUWR-Fraktion jeweils ein Sitz (20% der Ausschusssitze). Die Antragstellerin erhielt wie der fraktionslose Stadtrat keine Sitze in den Senaten.
In einem Artikel der „…“ vom 9. Mai 2020 (S. **) unter der Überschrift „AfD bekommt keinen Sitz“ ist (auszugsweise) Folgendes ausgeführt:
„ …, Fraktionsvorsitzender der SPD, gibt sich freimütig: Man habe im Vorfeld alles getan, um der AfD kein Forum zu geben. ‚Wir werfen jedes demokratische Mittel in die Waagschale, um den Feinden der Demokratie keine Stimme zu geben.‘ So habe man sich unter den Fraktions-Chefs darauf geeinigt, das Verfahren zu ändern, um die AfD auszusperren. Bürgermeister … Stellungnahme sieht anders aus. Mit der Umstellung auf das d’Hondt’sche Verfahren entspreche man vielmehr dem Wählerwillen, der die CSU bei den Kommunalwahlen im März mit mehr als 53 Prozent mit Abstand zur stärksten Kraft macht hat. Diese Mehrheit solle sich auch in den Senaten widerspiegeln, sagt … Die Änderung kam kurzfristig. … rechnet es so vor: Nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren wäre die AfD rechnerisch auf 0,5 Sitze gekommen, hätte aber aufgrund der Stärke der CSU-Fraktion auf ihren Sitz verzichten müssen. So der Stand vor dem Wochenende. Dann aber verkündete …, wie berichtet, seinen Austritt aus der Fraktion.
Die CSU-Mehrheit war weg, die AfD hätte plötzlich einen Sitz in den Senaten gehabt. ‚Das wäre nicht im Sinne des Wählers gewesen‘, sagt der Bürgermeister im Hinblick auf die Folgen des …-Austritts. In der Folge kam Anfang der Woche der Vorschlag aus der Verwaltung, das Verfahren zu ändern. Die entscheidende Frage: Hat der Umstand, dass die AfD bei einer Umstellung des Wahlverfahrens ihren Sitz im Senat verliert, eine Rolle bei den Überlegungen gespielt? …: ‚Das möchte ich nicht beantworten.‘“
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. Juli 2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ die Antragstellerin beantragen,
im Wege der einstweiligen Anordnung anzuordnen, sämtliche Ausschüsse des Stadtrats bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der Weise zu verteilen, dass die Antragstellerin einen Sitz in jedem Ausschuss, außer dem Rechnungsprüfungsausschuss, erhält und die CSU-Fraktion korrespondierend einen Sitz weniger erhält;
hilfsweise den Antrag in andere Anträge umzudeuten.
Bislang seien die Sitze der Ausschüsse nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren vergeben worden, überraschend habe man in der konstituierenden Sitzung am 6. Mai 2020 beschlossen, nunmehr das d’Hondt’sche Verfahren anzuwenden. Die Mitglieder der Antragstellerin hätten gegen diese Änderung gestimmt und sich entsprechend zu Wort gemeldet.
Eine einstweilige Anordnung sei geboten, da der Antragstellerin rechtswidrig jeweils ein Ausschusssitz genommen worden sei und die zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin unzumutbar wären, da eine Entscheidung in der Hauptsache zu spät käme. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, sie könne die Verletzung ihres Rechts auf angemessene Vertretung in den Ausschüssen des Stadtrats geltend machen. Bei einer Kommunalverfassungsstreitigkeit sei die Klage gegen das handelnde Organ zu richten; andernfalls werde um richterlichen Hinweis oder Umdeutung und Rubrumsberichtigung von Amts wegen gebeten. Der Antrag sei auf eine zulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, da der Erfolg in der Hauptsache in hohem Grad wahrscheinlich sei. Somit liege ein Anordnungsgrund vor.
Bei der Zusammensetzung der Ausschüsse sei nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung (GO) dem Stärkeverhältnis der im Gemeinderat vertretenen Parteien Rechnung zu tragen. Jeder Ausschuss müsse daher ein verkleinertes Abbild des Plenums und dessen Meinungs- und Kräftespektrums sein. Dem habe die Antragsgegnerin mit dem Wechsel vom Hare/Niemeyerzum d’Hondt’schen Verfahren nicht Rechnung getragen. Hierfür gebe es keinen sachlichen Grund, sondern lediglich das Interesse der CSU, den Verlust eines Fraktionsmitgliedes „auszugleichen“. Dies begründe einen Willkürverdacht und stelle eine missbräuchliche Handhabung der Organisationsautonomie des Stadtrats dar. Insoweit werde auf die Stellungnahme der Beigeladenen vom 5. Mai 2020 verwiesen. Zudem führe die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens zu einer völligen Entleerung des Rechts der Antragstellerin, sich an der kommunalen Willensbildung zu beteiligen und an den Fachausschüssen mitzuwirken. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dieses Verfahren die Stärkeverhältnisse des Stadtrats am besten abbilde. Nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO gelte das Spiegelbildlichkeitsgebot. Die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens sei zulässig, wenn es nicht zu einer sogenannten „Überaufrundung“ komme, die durch alternative Verfahren vermieden werden könne, ohne dass dies umgekehrt zu einer Unterrepräsentation anderer Fraktionen führe. Hier liege aber eine solche Überrepräsentation der CSU-Fraktion in den Ausschüssen vor: Bei 45% der Sitze im Stadtrat erhalte sie 60% der Ausschusssitze, während auf die Antragstellerin mit 10% der Stadtratssitze kein Ausschusssitz entfalle. Die CSU-Fraktion sei daher mit 33,33% über-, die Antragstellerin mit -100,00% unterrepräsentiert. Berechne man die Ausschusssitze nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren, so erhalte die Antragstellerin in allen Ausschüssen außer dem Rechnungsprüfungsausschuss je einen Sitz zu Lasten der CSU-Fraktion, diese würde damit nur zu 11,11% unterrepräsentiert. Das d’Hondt’sche Verfahren verfehle das Spiegelbildlichkeitsgebot deutlich, ohne dass sich bei alternativen Verfahren auftretende Rundungsfehler zu Lasten anderer Fraktionen auswirken würden. Daher könne dieses Verfahren hier nicht angewendet werden. Das Spiegelbildlichkeitsgebot folge aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der repräsentativen Demokratie und der Wahlrechtsgleichheit, die auch für den Stadtrat als Verwaltungsorgan einer Selbstverwaltungskörperschaft Anwendung fänden. Der Stadtrat sei bei der Ausübung des ihm insoweit grundsätzlich zustehenden Ermessens nicht völlig frei. Vielmehr sei dem Stärkeverhältnis der im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen. Auch kleinen Gruppen bzw. Minderheiten müsse eine Partizipationsmöglichkeit in den Ausschüssen eröffnet werden. Bei der Antragstellerin handele es sich um eine ansehnlich große Partei, deren Nichtberücksichtigung bei der Verteilung der Ausschusssitze gegen das Spiegelbildlichkeitsgebot verstoße. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Besetzung der Ausschüsse des Deutschen Bundestages folge das Gleiche.
Mit Schriftsatz vom 5. August 2020 beantragt der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
An der Rechtmäßigkeit der Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts bestehe kein Zweifel. Auch die Beschlussfassung zur Geschäftsordnung des Stadtrats der Antragsgegnerin sei rechtmäßig erfolgt. Das Spiegelbildlichkeitsgebot und das Verbot einer Überaufrundung seien berücksichtigt, die Regelung entspreche auch Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO. Hinsichtlich der Wahl eines Verfahrens zur Sitzverteilung bestehe Geschäftsordnungsautonomie. Ein bestimmtes Verfahren habe der Gesetzgeber ausdrücklich nicht vorgeschrieben. Die Verteilung der Sitze nach dem d’Hondt’schen Verfahren entspreche der Abbildung der Stärkeverhältnisse der im Gemeinderat vertretenen Parteien. Das Verfahren werde für alle Ausschüsse einheitlich angewendet. Eine Überaufrundung oder Überrepräsentation einer Fraktion liege hier nicht vor. Der Unterschied zwischen dem mathematischen Anteil der Sitze der CSU-Fraktion an den Sitzen im Stadtrat von 2,25 und den nach dem d’Hondt’schen Verfahren zugeteilten drei Sitzen betrage 0,75, eine Überaufrundung liege aber erst bei einer Differenz von mehr als 1,0 vor. Eine Sitzverteilung, bei der die CSU-Fraktion zwei, die SPD-, FUWR- und AfD-Fraktion jeweils einen Sitz erhalten hätten, entspreche gerade nicht dem Spiegelbildlichkeitsgebot. Soweit die Antragstellerin darauf verweise, an der Besprechung der Fraktionsvorsitzenden am 28. April 2020 nicht beteiligt worden zu sein, sei darauf hinzuweisen, dass die Stadträte der Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt noch keine Mitglieder des Stadtrats gewesen seien.
Der Antragstellerbevollmächtigte nahm hierzu mit Schriftsatz vom 12. August 2020 dahingehend Stellung, dass die Geschäftsordnungsautonomie der Antragsgegnerin durch den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz begrenzt werde. Dieser schließe die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens aus, wenn eine Überrepräsentation einer Fraktion durch alternative Verfahren vermieden werden könne, ohne dass die dann auftretenden Rundungsfehler zu einer Unterrepräsentation anderer Fraktionen führe. Nach den allgemein anerkannten Rundungsregeln dürfe von dem rechnerischen Sitzanteil der CSU von 2,25 nicht auf 3,0 aufgerundet werden. Es stelle sich die Frage, welches Berechnungsverfahren eher dem Spiegelbildlichkeitsgebot entspreche.
Die Eilbedürftigkeit sei zu bejahen, da der Antragstellerin nicht zugemutet werden könne, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, um in den Ausschüssen mitzuarbeiten. Der Stadtrat habe seine Arbeit bereits aufgenommen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache wäre mit einem Verstreichen eines wesentlichen Teils der Legislaturperiode zu rechnen. Die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache lägen vor.
Zu dem Zeitungsartikel vom 9. Mai 2020 führte der Antragstellerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 20. August 2020 aus, dieser bestätige den Vortrag der Antragstellerin, dass es keinen sachlichen Grund für die Festlegung des Berechnungsverfahrens gegeben habe, sondern eine missbräuchliche Handhabung der Organisationsautonomie des Stadtrats vorliege. Aus den Äußerungen der SPD-Fraktion ergebe sich, dass die Begründung des Hauptamtsleiters der Antragsgegnerin für die Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens unzutreffend sei.
Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsätzen vom 27. August 2020 und 1. September 2020, die Festlegung des d’Hondt’schen Verfahrens sei mit 19 zu zwei Stimmen beschlossen worden. Dieses Berechnungsverfahren entspreche den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der repräsentativen Demokratie und der Wahlrechtsgleichheit und folge in vollem Umfang der Spiegelbildlichkeit, da dem Stärkeverhältnis der im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung getragen worden sei. Eine Überaufrundung liege gerade nicht vor. Das Ergebnis der Anwendung des Hare/Niemeyer-Verfahrens widerspräche dem Spiegelbildlichkeitsgrundsatz, da die Antragstellerin dann, obwohl sie im gesamten Stadtrat nur 10% der Sitze innehabe, in den Ausschüssen die gleiche Zahl an Sitzen beanspruchen könne wie Fraktionen mit einem Sitzanteil von 20% des Plenums. Die Ausführungen der Antragstellerseite zu den Rundungsregeln gingen an der Sache vorbei. Eine Eilbedürftigkeit liege schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht vor.
Der Presseartikel vom 9. Mai 2020 könne die Hintergründe der demokratisch getroffenen Entscheidung des Stadtrats der Antragsgegnerin nicht in Zweifel ziehen. Ob die Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden der Wahrheit entspreche, könne von Seiten der Antragsgegnerin nicht beurteilt werden. Unabhängig davon verbleibe es dabei, dass das d’Hondt’sche Verfahren allein geeignet gewesen sei, die gebotene Spiegelbildlichkeit umzusetzen und damit dem Wählerwillen Ausdruck zu verleihen. Allein dies sei für die Änderung des Berechnungsverfahrens maßgeblich gewesen; anderweitige Mutmaßungen seien schlicht falsch. Im Übrigen habe die Entscheidung zur Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens nicht die CSU, sondern der gesamte Stadtrat mit Ausnahme der Antragstellerin getroffen.
Es bestehe keine Verpflichtung des Stadtrats, kleinen Gruppen durch die Wahl eines für sie besonders günstigen Berechnungsverfahrens die Entsendung von Vertretern in die Ausschüsse zu ermöglichen. Auch im Übrigen sei die Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens nicht grundsätzlich zu beanstanden. Insoweit werde auf die jüngst ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Ansbach und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (AN 4 E 20.973 bzw. 4 CE 20.1442) zum Stadtrat der Stadt Nürnberg verwiesen.
Mit Beschluss vom 31. August 2020 wurde die Fraktion der CSU im Stadtrat der Antragsgegnerin zum Verfahren beigeladen. Deren Vorsitzender nahm mit Schriftsatz vom 7. September 2020 dahingehend Stellung, dass Hintergrund der Sitzverteilung in den Ausschüssen gewesen sei, dass das d’Hondt’sche Verfahren das Stärkeverhältnis im Stadtrat am besten abbilde.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet, der Antrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben. Dazu zählen auch Innenrechtsstreitigkeiten zwischen Organen oder Organteilen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts um deren Befugnisse und damit insbesondere auch – wie hier – ein Kommunalverfassungsstreit um die Organbefugnisse eines Gemeinderates (vgl. Rennert in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 15 m.w.N.).
2. Der Antrag ist zulässig.
a) Die Antragstellerin ist als Fraktion des Stadtrates der Antragsgegnerin im Verwaltungsprozess beteiligtenfähig i.S.d. § 61 Nr. 2 VwGO (vgl. Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 116/118; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 37. EL Juli 2019, § 61 Rn. 7 m.w.N.). Sie kann geltend machen, in eigenen Rechten, namentlich in ihrem Recht auf Berücksichtigung bei der Verteilung der Sitze der Ausschüsse entsprechend der Stärkeverhältnisse im Stadtrat aus Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO verletzt zu sein. Damit ist die Antragstellerin auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt (vgl. BayVGH, U.v. 8.6.1988 – 4 B 87.574 – NVwZ-RR 1989, 90).
b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft. In der Hauptsache ist eine allgemeine Leistungsklage statthaft, da der streitgegenständliche Stadtratsbeschluss zur Besetzung der Ausschüsse mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) darstellt (vgl. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juni 2019, Art. 33 GO Rn. 35 m.w.N.).
c) Der Antragstellerin kann nicht im Hinblick darauf, dass sie ihren Antrag erst über zweieinhalb Monate nach der konstituierenden Sitzung des Stadtrates gestellt hat, ein Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden. Das Rechtsschutzbedürfnis ist ungeschriebene, aber allgemein anerkannte Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts. Unter ihm ist das Interesse eines Rechtsschutzsuchenden zu verstehen, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Gericht in Anspruch nehmen zu dürfen. Für eine unnötige oder gar missbräuchliche Ausübung von Klage- oder Antragsmöglichkeiten müssen die Gerichte nicht zur Verfügung stehen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist letztlich Ausfluss des allgemeinen Verbots eines Missbrauchs prozessualer Rechte (vgl. Rennert in Eyermann, 15. Aufl. 2019, Vor §§ 40-53 Rn. 11; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 38. EL Januar 2020, Vorbemerkung § 40 Rn. 74 f.; jeweils m.w.N.). An einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es insbesondere dann, wenn ein Recht entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben verspätet geltend gemacht wird. Das Klage- bzw. Antragsrecht kann in solchen Fällen fehlen, weil es bereits verwirkt ist. Dies setzt aber einerseits voraus, dass der Berechtigte sein Klage- oder Antragsrecht lange Zeit nicht ausgeübt hat, weswegen der Prozessgegner darauf vertrauen durfte, dass ein gerichtliches Vorgehen nicht mehr erfolgen werde (Vertrauensgrundlage). Andererseits muss der Prozessgegner dieses Vertrauen tatsächlich gefasst haben (Vertrauenstatbestand) und sich entsprechend eingerichtet haben, sodass ihm durch die nunmehr rege Ausübung des Klage- bzw. Antragsrecht ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Vertrauensbetätigung) (vgl. BVerwG, U.v. 7.2.1974 – III C 115.71 – BVerwGE 44, 339; B.v. 9.12.1992 – 6 P 16.91 – BVerwGE 91, 276; U.v. 9.12.1998 – 3 C 1.98 – BVerwGE 108, 93; BayVGH, U.v. 7.8.2001 – 8 A 01.40004 – juris Rn. 21). Eine Verwirkung kommt i.d.R. nur in Betracht, wenn keine Rechtsbehelfsfristen laufen (Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 38. EL Januar 2020, Vorbemerkung § 40 Rn. 105 m.w.N.). Vorliegend ist zwar der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nicht fristgebunden. Allerdings kann in der Zeitspanne von etwas über zweieinhalb Monaten zwischen der konstituierenden Sitzung des Stadtrates und der Antragstellung, in der bereits mehrfach Ausschusssitzungen stattfanden, schon im Hinblick auf die Gesamtdauer der Wahlperiode von 2020 bis 2026 und die in dieser Zeitspanne noch anstehenden Ausschusssitzungen nicht die Begründung einer hinreichenden Vertrauensgrundlage gesehen werden. Eine Verwirkung des Antragsrechts und damit ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis sind vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen.
3. Der Antrag ist auch begründet.
a) Richtige Antragsgegnerin ist hier die Stadt Rehau als Rechtsträgerin des Stadtrates, insoweit genügte aber nach dem Rechtsgedanken des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Bezeichnung des Stadtrates als Antragsgegner im Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 28. Juli 2020 (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.1989 – 4 CE 89.2120 – NVwZ-RR 1990, 99 m.w.N.).
b) Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht, gegebenenfalls bereits vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgebend für die Beurteilung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Das Gericht berücksichtigt bei seiner Entscheidung auch, dass in einem Organstreit eine Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie mit der getroffenen einstweiligen Anordnung erfolgt, nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann. In einem Organstreit ist im Gegensatz zum Außenrechtsstreit nicht über Individualrechte, sondern über innerorganisatorische Kompetenzen zu entscheiden. Diese sind den Antragstellern nicht um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Gemeinde zugewiesen und daher weder aus den Grundrechten herzuleiten, noch im Schutzbereich der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) angesiedelt. Gemessen daran kommt es für den Anordnungsgrund in einem Organstreit nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf an, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig bzw. – bei einer Vorwegnahme der Hauptsache – unabweisbar erscheint. Entscheidend für die Vorwegnahme der Hauptsache ist neben der Bedeutung der konkreten Angelegenheit für die Gemeinde vor allem der Rang des Rechtssatzes, dessen Verletzung durch die einstweilige Anordnung abgewendet werden soll (vgl. OVG NW, B.v. 20.7.1992 – 15 B 1643/92 – juris Rn. 42 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren kommt jedoch jede mögliche Entscheidung faktisch einer Entscheidung in der Hauptsache gleich, da die Teilnahme an Ausschusssitzungen nicht nachholbar wäre und dort gefasste Beschlüsse zwar möglicherweise rechtswidrig, aber wohl trotzdem wirksam wären (vgl. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juni 2019, Art. 33 GO Rn. 26 f., ebenso Mösbauer, KommunalPraxis BY 2001, 296). Daher ist ein besonders strenger Maßstab an die Glaubhaftmachung des Anspruchs der Antragsteller, mithin die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache, anzusetzen.
c) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund und damit die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung glaubhaft i.S.d. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO gemacht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die Voraussetzungen nach § 123 Abs. 1 VwGO für die einstweilige Anordnung vorliegen (Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 53), d.h. im Falle der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wenn die Regelung nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Es stellt für die Antragstellerin einen wesentlichen Nachteil dar, wenn sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu Unrecht gezwungen wäre, auf einen ihr zustehenden Sitz in den Ausschüssen des Stadtrates der Antragsgegnerin zu verzichten und so wesentliche kommunalpolitische Einflussmöglichkeiten verlieren würde.
d) Auch einen Anordnungsanspruch, also den durch die einstweilige Anordnung zu regelnden Anspruch (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 45) hat die Antragstellerin glaubhaft i.S.d. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO gemacht.
aa) Nach Art. 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GO regelt der Gemeinderat die Zusammensetzung der Ausschüsse in seiner Geschäftsordnung; dabei hat er dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen. Sowohl die Entscheidung über die Bildung von Ausschüssen, ihre Größe (soweit nicht bereits gesetzlich geregelt) als auch das bei der Besetzung anzuwendende Verfahren sind Ausfluss der Organisationskompetenz des Gemeinderats als kollegialem Verwaltungsorgan der Selbstverwaltungskörperschaft. Begrenzt wird diese Autonomie aber durch Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO, der eine Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der im Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählergruppen erfordert (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 13). Daraus folgt das Spiegelbildlichkeitsgebot, demzufolge jeder Ausschuss in seiner Zusammensetzung ein verkleinertes Abbild des Gemeinderates darstellen muss (vgl. grundlegend BayVGH, U.v. 26.11.1954 – 91 IV 54 -VGH n.F. 8, 5 ff.).
bb) Die Bestimmung der Ausschussgröße hat die notwendige Effektivität der Ausschussarbeit zu berücksichtigen. Ausschüsse als spezialisierte Unterorgane des Gemeinderats dienen der Beschleunigung der im Plenum vergleichsweise umständlichen Willensbildung, der darin liegende Entlastungseffekt nimmt jedoch mit zunehmender Ausschussgröße ab. Daher muss die Zahl der Sitze nicht zwingend so bemessen werden, dass selbst kleinste Fraktionen oder Gruppen in den Ausschüssen vertreten sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2009 – 8 C 17.08 – juris Rn. 29). Es obliegt vielmehr der kommunalpolitischen Einschätzung des Gemeinderats, bis zu welcher Größe eine zügige und sachgerechte Ausschussarbeit noch möglich erscheint (vgl. BVerfG, U.v. 13.2.2008 – 2 BvK 1/07 – BVerfGE 120, 82/121). Das Spiegelbildlichkeitsgebot wirkt dabei nur insoweit limitierend, als die Mitgliederzahl eines Ausschusses nicht so gering bemessen werden darf, dass ansehnlich große Fraktionen und Gruppen von vornherein von der Vertretung im Ausschuss ausgeschlossen werden; aus Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO folgt insoweit nur ein Verbot grober Verzerrungen (BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Hieran gemessen ergeben sich unter Berücksichtigung des weiten Organisationsermessens keine rechtlichen Bedenken allein wegen der Größe der Ausschüsse des Stadtrats der Antragsgegnerin. Diese entspricht ausweislich der Niederschrift zu TOP 7 der konstituierenden Sitzung der Größe der vorhergehenden Wahlperiode. Die in § 2 Abs. 1 der Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts geregelten Größen der Ausschüsse sind – angesichts der Gesamtgröße des Stadtrates mit 20 Mitgliedern – auch nicht auffallend klein gewählt, so dass eine Benachteiligung der Antragsteller allein durch die Ausschussgröße naheliegend wäre. Insoweit hat die Antragstellerseite auch nichts vorgetragen oder glaubhaft gemacht, was für eine Verletzung von Rechten der Antragsteller allein aufgrund der gewählten Größe der Ausschüsse sprechen würde.
cc) Anders ist dies für die Wahl des Berechnungsverfahrens zur Verteilung der Ausschusssitze zu sehen: Eine gesetzliche Vorgabe eines bestimmten Verfahrens enthält die Gemeindeordnung (anders als etwa Art. 35 Abs. 2 des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes – GLKrWG) nicht. Daher hat der Gemeinderat insoweit grundsätzlich die Wahlmöglichkeit unter verschiedenen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Prinzips der repräsentativen Demokratie und des Gebots der Wahlgleichheit gerecht werdenden Berechnungsverfahren. Es entspricht dabei ständiger Rechtsprechung, dass die drei gebräuchlichen Verfahren nach d’Hondt, Sainte-Laguë/Schepers und Hare/Niemeyer dem Gebot der Wahlgleichheit nach Maßgabe des verbesserten Verhältniswahlrechts entsprechen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind (vgl. BayVerfGH, E.v. 10.6.1994 – Vf. 11-VII-94 – VerfGH 47, 154/156; BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 16; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juni 2019, Art. 33 GO Rn. 17; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 30. EL Februar 2020, Art. 33 Rn. 10 ff.; jeweils m.w.N.). Grundsätzlich ist damit auch eine Entscheidung eines Gemeinderates für das d’Hondt‘sche Höchstzahlverfahren nicht zu beanstanden (BayVGH, U.v. 8.5.1968 – 284 VI 67 – BayVBl 1968, 324; U.v. 5.3.1986 – 4 B 85 A.2589 – BayVBl 1986, 366; U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 16).
Wegen der Unteilbarkeit von Menschen und Ausschusssitzen müssen die bei proporzgerechter Übertragung der Kräfteverhältnisse aus dem Plenum auf die (gewählte) Ausschussgröße (also der Anzahl der Gemeinderatssitze der Fraktion multipliziert mit der Gesamtzahl der Ausschusssitze geteilt durch die Gesamtzahl der Gemeinderatssitze) typischerweise auftretenden Teilungsreste (Dezimalbrüche) aufgelöst werden. Dazu stehen verschiedene mathematische Verfahren zur Verfügung: Entweder werden auf der Grundlage der strengen Proportionalberechnung im Anschluss an die Sitzvergabe nach ganzen Zahlen die restlichen Ausschusssitze im zweiten Schritt nach der Größe der Dezimalreste verteilt (so z.B. Hare/Niemeyer) oder es wird die Reihenfolge der Zugriffe auf die Ausschusssitze für die einzelnen Fraktionen über Rangmaßzahlen bzw. Höchstzahlen definiert (so d’Hondt mit fortlaufenden und Sainte-Laguë/Schepers nur mit ungeraden Höchstzahlen). Sobald bei der strengen Proportionalberechnung Dezimalzahlen auftreten und angesichts der sachgesetzlichen Forderung nach ganzzahligen Ergebnissen ein Rundungsbedarf besteht, können die verschiedenen Verfahren zu unterschiedlichen Resultaten führen. Tendenziell ist festzustellen, dass das d’Hondt’sche Verfahren eher größere Fraktionen bevorzugt, während das Restverteilungsverfahren eher die Minderheiten begünstigt und deren Beteiligung am demokratischen Prozess fördert (BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 17 m.w.N.). Die insoweit geäußerte Kritik am d’Hondt’sche Verfahren (vgl. Rauber, NVwZ 2014, 626) ändert nichts an der für den Gemeinderat grundsätzlich bestehenden Wahlfreiheit. Es gibt weder einen Anspruch auf Anwendung eines bestimmten Zählverfahrens noch einen Billigkeitsgrundsatz dahingehend, dass Parteien oder Ausschussgemeinschaften durch die Wahl eines passenden Auswahlverfahrens so (über) repräsentiert werden müssten, dass auch sie einen Ausschusssitz erhalten können (BayVGH, B.v. 20.3.2017 – 4 ZB 16.1815 – juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Solche Billigkeitserwägungen würden mangels einer eindeutigen Abgrenzbarkeit im Übrigen auch keinen brauchbaren Maßstab darstellen (BayVGH, U.v. 5.3.1986 – 4 B 85 A.2589 – BayVBl 1986, 366/367). Der Kommunalgesetzgeber hat, nachdem sich mit keinem der Verfahren eine exakte Spiegelbildlichkeit der Sitzverteilung erreichen lässt, ebenso wie der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils „bestmöglichen“ Verfahrens festzulegen. Erst recht besteht danach keine Verpflichtung, den kleinen Gruppen im Gemeinderat durch die Wahl eines sie besonders begünstigenden Auswahlverfahrens die Entsendung von Vertretern in die Ausschüsse zu ermöglichen (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – Rn. 21 m.w.N.).
Eine Grenze der Zulässigkeit des d’Hondt’schen Verfahrens ist jedoch dann erreicht, wenn seine Anwendung im Ergebnis zu einer sogenannten Überaufrundung führt. Eine solche liegt dann vor, wenn bei einer Fraktion oder Wählergruppe das d’Hondt’sche Höchstzahlverfahren im Vergleich zu ihrem Sitzanteil nach einer streng mathematischen Proportionalität die nächst höhere ganze Zahl überschreiten würde, es also zu einer Aufrundung um mehr als 0,99 käme; eine derartige Überrepräsentation wäre mit dem Spiegelbildlichkeitsgebot nicht mehr vereinbar (BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 19 ff.; vgl. dazu Anm. von Deubert, BayVBl 2004, 435 ff.).
Auch für die der Beigeladenen nach dem d’Hondt’schen Verfahren zustehenden Ausschusssitze ist dies hier jedoch nicht der Fall: Die CSU hat einen rechnerischen Anteil von 45% der Sitze des gesamten Stadtrats. Proportional entsprächen dem in einem Ausschuss mit fünf Mitgliedern 2,25 Sitze. Nach dem d’Hondt’schen Verfahren entfallen auf die Beigeladene in diesen Ausschüssen jeweils drei Ausschusssitze. Dies stellt aber noch keine Aufrundung über die nächst höhere ganze Zahl hinaus bzw. um mehr als 0,99, sondern lediglich um 0,75 dar. Eine Überaufrundung im oben dargestellten Sinne ergäbe sich erst bei vier Ausschusssitzen für die CSU. Die Ausführungen der Antragstellerseite gehen insoweit an der Sache vorbei. Für die anderen Fraktionen im Stadtrat der Antragsgegnerin liegt angesichts ihrer Sitzanteile am Stadtratsplenum erst recht keine Überaufrundung vor.
Allerdings sind die in der Geschäftsordnung des Gemeinderats getroffenen Organisations- oder Verfahrensregelungen nach allgemeiner Auffassung willkürlich und daher unzulässig, wenn sie sich gegen eine bestimmte politische Gruppierung richten und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgen, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten (BayVGH, U.v. 16.2.2000 – 4 N 98.1341 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 12.10.2010 – 4 ZB 10.1246 – juris Rn. 6; HessVGH, B.v. 4.8.1983 – 2 TG 40/83 – NVwZ 1984, 54; OVG SH, U.v. 15.3.2006 – 2 LB 48/05 – juris Rn. 55 ff.). Ob eine solche vom Zweck der Geschäftsordnungsautonomie nicht mehr gedeckte diskriminierende Gestaltung des ratsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses vorliegt, beurteilt sich nicht allein anhand der offiziellen Erklärungen jener Fraktionen und Wählergruppen, die sich mehrheitlich für die betreffenden Bestimmungen ausgesprochen haben. Von Bedeutung sind darüber hinaus die äußeren Umstände, die dem Erlass der Vorschriften zugrunde liegen, sowie die möglichen Sachgründe, die sich für das gewählte Regelungskonzept anführen lassen. Je stärker von einer bisher überwiegend akzeptierten Handhabung abgewichen wird und je gezielter die gewählte Verfahrensgestaltung auf einen bestimmten (Ausgrenzungs-)Effekt hin zugeschnitten erscheint, desto gewichtiger müssen die sachbezogenen Argumente sein, die das Vorgehen der Ratsmehrheit rechtfertigen (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – Rn. 23).
Hier ist nach Überzeugung der Kammer angesichts der zu berücksichtigenden Umstände davon auszugehen, dass die Entscheidung für die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens zumindest für die Mehrheit der Stadträte vorrangig dazu diente, die Antragstellerin dadurch zu benachteiligen, dass sie in den Ausschüssen des Stadtrats nicht vertreten ist. Der Beschluss des Stadtrats, mit dem die Geschäftsordnung, die die entsprechenden Regelungen vorsieht, angenommen wurde, wurde mit 19 zu zwei Stimmen gefasst; die Stadträte der Antragstellerin stimmten dagegen, alle anderen Stadträte dafür. Zwar mag es angesichts der Vorgeschichte um den Fraktionsaustritt eines Stadtrats der CSU sein, dass es für die neun Mitglieder der Beigeladenen nicht in erster Linie darum ging, die Antragstellerin zu benachteiligen, sondern vielmehr die – aufgrund des Wahlergebnisses ursprünglich erzielte – Mehrheit im Stadtrat auch in den Ausschüssen zu sichern. Dass die Beigeladene vorrangig das Ziel gehabt hätte, der Antragstellerin Ausschusssitze zu verwehren, kann weder ihrer Stellungnahme zum Fraktionsaustritt vom 5. Mai 2020 noch ihrem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren entnommen werden. Ein entsprechendes Interesse an der Unterstützung einer – aus ihrer Sicht – konkurrierenden Partei kann allerdings den anderen Fraktionen nicht unterstellt werden. Im Gegenteil ist es für die Kammer glaubhaft, dass – wie vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion gegenüber der „…“ geäußert – die maßgebliche Motivation für die anderen zehn Mitglieder des Stadtrats, die neben der CSU-Fraktion für die Geschäftsordnung stimmten, gewesen ist, „die AfD auszusperren“. Dafür, dass dies der entscheidende Grund für die Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens war, spricht auch, dass der „Vorteil“ einer Verhinderung von Ausschusssitzen für die Antragstellerin mit dem damit verbundenen „Nachteil“ für die anderen Fraktionen, nämlich einer Ausschussmehrheit für den politischen Konkurrenten erkauft wurde. Anderweitige, überzeugendere Gründe, die aus Sicht der nicht der Beigeladenen angehörenden Stadtratsmitglieder für die Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens gesprochen hätten, sind für das Gericht nicht ersichtlich. Auch die Antragsgegnerin bzw. ihr erster Bürgermeister haben dies in ihren Äußerungen in der Presse bzw. im gerichtlichen Verfahren nicht entkräften können. Damit ist zur Überzeugung der Kammer in der Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens eine nach den oben genannten Maßstäben willkürliche und damit unzulässige Beeinträchtigung der politischen Tätigkeit der Antragstellerin durch die Mehrheit der Stadtratsmitglieder zu sehen. Die Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens scheidet vor diesem Hintergrund somit aus. Es ist auch nicht ersichtlich, wie angesichts der vorlegenden Gesamtumstände eine Entscheidung für das d’Hondt’sche Verfahren „nachträglich“ in rechtmäßiger Weise begründet werden könnte.
e) Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks, d.h. zur Regelung des Zustandes i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderlich sind. Für die Ermessensausübung des Gerichts ist dabei Folgendes maßgeblich:
Zum einen ist für das Gericht hier nach obigen Ausführungen ein sachlicher Grund für die Wahl des d’Hondt’schen Verfahrens nicht ersichtlich. Zum anderen führen die beiden anderen, gebräuchlichen Verfahren zur Berechnung der Verteilung der Ausschusssitze nach Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers jeweils dazu, dass im Ergebnis in den Ausschüssen mit fünf Mitgliedern auf die Antragstellerin jeweils ein Sitz und auf die Beigeladene zwei Sitze entfallen, im Übrigen ändert sich an der Sitzverteilung im Vergleich zur Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens jedoch nichts. Vor diesem Hintergrund war es auch unter Berücksichtigung der Organisationshoheit des Stadtrats der Antragsgegnerin angemessen, dem Antrag der Antragstellerin in vollem Umfang zu entsprechen.
Im Rahmen des dem Gericht zukommenden Gestaltungsermessens hinsichtlich der vorläufigen Regelung war der Antragstellerin allerdings aufzugeben, gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 926 Abs. 1 ZPO alsbald im Hauptsacheverfahren die Rechtslage klären zu lassen, da ihr im Wege der eilbedürftigen einstweiligen Anordnung und aufgrund der hier nur möglichen summarischen Prüfung nur eine vorläufige Vertretung in den Ausschüssen des Stadtrates der Antragsgegnerin ermöglicht wird. Das Gericht darf dabei den Fortbestand der einstweiligen Anordnung auch ohne Antrag eines Beteiligten nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 926 Abs. 1 ZPO von der rechtzeitigen Erhebung der Klage in der Hauptsache abhängig machen (NdsOVG, B.v. 30.5.2018 – 8 ME 3/18 – juris Rn. 51).
4. Als unterlegene Beteiligte hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt hat und sie somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt war, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 1.5, 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da in dem Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung wegen der noch bis zum 30. April 2026 reichenden Dauer der Wahlperiode allenfalls für einen untergeordneten Zeitraum eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zu sehen wäre, kommt hier eine Anhebung des Streitwerts auf den vollen Regelstreitwert nicht in Betracht (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442).


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