IT- und Medienrecht

Fortsetzungsfeststellungsklage, Ingewahrsamnahme, Art und Weise des Vollzugs eines polizeilichen Gewahrsams, Entkleiden der Klägerin, Verbleib im Gewahrsam nur mit Unterwäsche bekleidet über eineinhalb Tage, Zurverfügungstellen weiterer Decken im Gewahrsam, Dauerton während des Gewahrsams aufgrund einer technischen Störung

Aktenzeichen  Au 8 K 20.1952

Datum:
10.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45493
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO analog § 113 Abs. 1 S. 1
PAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 3
PAG n.F. Art. 18 PAG a.F./Art. 97
PAG Art. 19

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Entkleidung der Klägerin bis auf ihre Unterwäsche und der damit verbundene Aufenthalt im Haftraum über die gesamte Dauer des Sicherheitsgewahrsams rechtswidrig war.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu drei Viertel und der Beklagte zu einem Viertel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin kann einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Entkleidung bis auf ihre Unterwäsche und der damit verbundene Aufenthalt im Haftraum über die Dauer der Ingewahrsamnahme (Klageantrag zu 1) rechtswidrig war und dies die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), geltend machen. Das Nichtermöglichen, die Hände vor der Entfernung der Kontaktlinsen zu waschen (Klageantrag zu 2), die Verweigerung weiterer warmer Decken trotz niedriger Temperaturen über die gesamte Dauer der Ingewahrsamnahme (Klageantrag zu 3) und das Nichtunterbinden bzw. das Reduzieren des Dauerlärmtons (Klageantrag zu 4) waren demgegenüber rechtmäßig.
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
Nach teilweiser Rücknahme der Klage insoweit, als sie auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Sicherheitsgewahrsams an sich, die grundsätzlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist, gerichtet war, verbleibt es für die übrigen Klageanträge auf nachträgliche Feststellung der Art und Weise des Sicherheitsgewahrsams bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Trennung dieser Fragen erscheint auch sinnvoll, weil im Rahmen einer zulässig angeordneten Freiheitsentziehung allein durch die Art und Weise ihres Vollzugs zusätzliche Rechtsverstöße und Grundrechtsverletzungen erfolgen können (HessVGH, B.v. 24.1.2011 – 8 A 2236/10.Z – juris Rn. 12; VG Köln, U.v. 20.11.2014 – 20 K 1799/13 – juris Rn. 25). Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. So kann die Anordnung einer Ingewahrsamnahme durchaus rechtmäßig sein, während etwa eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs, die zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme nicht notwendigerweise vorhersehbar ist, sich als rechtswidrig erweisen kann, ohne dass von einem Durchschlagen dieses Mangels auf die Freiheitsentziehung als solche ausgegangen werden muss (BVerfG, B.v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – juris Rn. 61). Wegen des engen Sachzusammenhangs ist zwar grundsätzlich das Amtsgericht auch für die Kontrolle freiheitsbeschränkender Maßnahmen, wie etwa einer persönlichen Durchsuchung während einer Ingewahrsamnahme zuständig, wenn dies zur Gewährleistung der Ordnung im Gewahrsam erforderlich ist (BayVGH, U.v. 25.10.1988 – 21 B 88.01491 – NJW 1989, S. 1754 f.; B.v. 1.8.2016 – 10 C 16.637 – juris Rn. 3), die gemäß Art. 97 i.V.m. Art. 98 PAG n.F. (die im Wesentlichen den Vorgängerregelungen Art. 17 i.V.m. Art. 18 Abs. 3 PAG a.F. entsprechen) der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind (offengelassen BayVGH, U.v. 27.1.2012 – 10 B 08.2849 – juris Rn. 27, 32). Im konkreten Fall ist jedoch eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung nicht ausgeschlossen, weil eine Entscheidung des Amtsgerichts nach Art. 97, 98 und 99 PAG nicht beantragt worden ist (VGH BW, U.v. 18.11.2021 – 1 S 803/19 – juris Rn. 24; VG Köln, U.v. 20.11.2014 – 20 K 1799/13 – juris Rn. 25; VG Gießen, U.v. 27.9.2010 – 9 K 1708/09.GI – juris Rn. 14; OLG Celle, B.v. 23.6.2005 – 22 W 32/05 – juris Rn. 21). Die Klägerin hat (nur) die Art und Weise zu einem (eigenen) Streitgegenstand gemacht und ausdrücklich eine bezogen auf die Freiheitsentziehung an sich zusätzliche Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend gemacht.
II. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der konkreten Art und Weise des Gewahrsams ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
1. Dabei kann offenbleiben, ob man die streitbefangenen „Maßnahmen“ als eigenständige polizeiliche Verwaltungsakte mit entsprechendem Regelungsgehalt i.S.d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG oder als (bloße) Realakte im Rahmen des Vollzugs des polizeilichen Gewahrsams einstuft (BayVGH, U.v. 27.1.2012 – 10 B 08.2849 – juris Rn. 29; VGH BW, U.v. 18.11.2021 – 1 S 803/19 – juris Rn. 26). Denn in jedem Fall ist ein effektiver nachträglicher gerichtlicher Rechtsschutz der bereits vor Klageerhebung beendeten Maßnahmen entweder über eine Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder aber die allgemeine Feststellungsklage gemäß Art. 43 Abs. 1 VwGO gewährleistet (siehe oben).
2. Die Klägerin hat auch ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahmen hinreichend dargetan.
Die (Fortsetzung-)Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) oder des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO) hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein.
Hier kann die Klägerin ein berechtigtes Feststellungsinteresse zumindest wegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs geltend machen. Ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse kommt in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe in Betracht (vgl. BVerfG, B.v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – juris Rn. 55; BVerfG, B.v. 5.12.2001 – 2 BvR 527/99 u. a. – juris Rn. 36; BVerfG, B.v. 3.2.1999 – 2 BvR 804/97 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 27.1.2012 – 10 B 08.2849 – juris Rn. 33; VGH BW, U.v. 22.7.2004 – 1 S 410/03 – juris Rn. 20). Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse u.a. in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2001 a. a. O.; BayVGH, U.v. 20.3.2015 – 10 B 12.2280 – juris Rn. 27).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist ein berechtigtes Interesse der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Polizeimaßnahme feststellen zu lassen, gegeben. Denn die Klägerin kann sich auf die Verletzung ihres durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Diese geltend gemachten Grundrechtsverletzungen sind nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein ideelles Feststellungsinteresse in Betracht kommen, wenn die in Frage stehende Maßnahme den Kläger objektiv in seinem grundrechtlich geschützten Bereich beeinträchtigt hat. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (BayVGH, U.v. 27.1.2012 – 10 B 08.2849 – juris Rn. 35).
III. Die Klage ist teilweise begründet. Die Entkleidung der Klägerin bis auf ihre Unterwäsche und der damit verbundene Aufenthalt im Haftraum über die Dauer der Ingewahrsamnahme (Klageantrag zu 1) war rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Nichtermöglichen, die Hände vor der Entfernung der Kontaktlinsen zu waschen (Klageantrag zu 2), die Verweigerung weiterer warmer Decken trotz niedriger Temperaturen über die gesamte Dauer der Ingewahrsamnahme (Klageantrag zu 3) und das Nichtunterbinden bzw. das Reduzieren des Dauerlärmtons (Klageantrag zu 4) waren demgegenüber rechtmäßig.
1. Das Entkleiden der Klägerin bis auf ihre Unterwäsche und der damit verbundene Aufenthalt im Haftraum über die gesamte Dauer der Ingewahrsamnahme in diesem Zustand (Klageantrag zu 1) war rechtswidrig.
a) Die materiell-rechtlichen Anforderungen an den Vollzug des Gewahrsams, der von der Ingewahrsamnahme als solches zu unterscheiden ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 -, juris Rn. 61), ergeben sich aus dem einfachen Recht, dem Verfassungsrecht und den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG begründet Schutzpflichten des Staates, die Person in Polizeigewahrsam menschenwürdig zu behandeln (vgl. BVerfG, B.v. 13.11.2007 – 2 BvR 939/07 – juris Rn. 12 ff.). Zu den Mindeststandards gehören hygienische Haft- oder Gewahrsamsbedingungen einschließlich des Zugangs zu sanitären Einrichtungen und der Möglichkeit, körperliche Bedürfnisse unter Wahrung der eigenen Intimsphäre zu verrichten. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben stimmen im Wesentlichen mit den aus Art. 3 EMRK folgenden besonderen Schutzpflichten des Staates gegenüber Personen in Polizeigewahrsam überein (VGH BW, U.v. 18.11.2021 – 1 S 803/19 – juris Rn. 88). Dabei führen bloße Unannehmlichkeiten oder Beschwernisse noch nicht zu Grundrechtseingriffen, sondern sind grundsätzlich noch hinzunehmen (BayVGH, U.v. 27.1.2012 – a.a.O. – juris Rn. 38; OLG München, B.v. 2.10.2008 – 34 Wx 10/08 – juris Rn. 32; OLG Celle, B.v. 23.6.2005 – 22 W 32/05 – juris Rn. 22). Generell stellen Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (zu einer Entkleidung im Zusammenhang mit Durchsuchungen: BVerfG, B.v. 4.2.2009 – 2 BvR 455/08 – juris Rn. 25; VG Gießen, U.v. 27.9.2010 – 9 K 1708/09.GI – juris Rn. 18). Die Maßnahme kann allenfalls dann verhältnismäßig sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben geboten erscheinen. Dies ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles.
b) Nicht streitgegenständlich ist im vorliegenden Verfahren die Frage, ob eine Entkleidung im Zusammenhang mit einer evtl. durchgeführten Durchsuchung i.S.v. Art. 21 PAG zulässig ist. Nach dem gestellten Klageantrag zu 1 geht es vielmehr um die Frage, ob das bis auf die Unterwäsche erfolgte Entkleiden über die gesamte Dauer der Ingewahrsamnahme von ca. Ostersonntag, 12. April 2020 um 0.40 Uhr bis Montag, 13. April 2020 bis ca. 9.00 Uhr rechtswidrig war.
Unter Auswertung der vorgelegten Akten und nach Durchführung der mündlichen Verhandlung sowie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, bei der zwei vor Ort anwesende Polizeibeamte als Zeugen einvernommen worden sind, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin über den gesamten Zeitraum der Ingewahrsamnahme nur mit Unterwäsche bekleidet im Gewahrsamraum festgehalten war.
Die Klägerin selbst hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass sie sich bei der „Einlieferung“ bis auf die Unterwäsche hat ausziehen müssen. Zwei Polizistinnen hätten ihr dabei geholfen, da sie einen Verband an der Hand gehabt habe. So sei sie in die Gewahrsamszelle verbracht worden. Die Kleidung sei ihr anschließend nicht mehr ausgehändigt worden. In Unterwäsche sei sie bis Montag in der Gewahrsamszelle gewesen. Erst vor dem Verbringen zum Haftrichter habe sie sich wieder anziehen können (S. 4 des Sitzungsprotokolls). Dies wurde von dem Beklagten auch nicht bestritten. Die in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommene Polizeibeamtin hat bestätigt, dass die Kleidung der Klägerin in einem Sack im Vorraum der Gewahrsamszelle verpackt gewesen sei. Sie selbst habe der Klägerin die Kleidung bis zu ihrem Schichtende am 12. April 2020 gegen 7.00 Uhr nicht ausgehändigt. Auch der zweite Polizeibeamte, der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge einvernommen worden ist, hat ausgesagt, dass er der Klägerin keine Kleidung gereicht habe. Die Klägerin hat des Weiteren glaubhaft geschildert, dass sie darauf bestanden habe, sich wieder anziehen zu können. Diesem Wunsch ist offensichtlich nicht nachgekommen worden.
In diesem konkreten Einzelfall war die Maßnahme nicht verhältnismäßig. Gründe, die diese Maßnahme hätten rechtfertigen können, wurden nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die bis auf die Unterwäsche vollständige Entkleidung und der dauerhafte Aufenthalt im Gewahrsamsraum ohne Oberbekleidung zum Eigenschutz oder zum Schutz der vor Ort anwesenden Beamten geboten gewesen wäre. Ausreichend wären in diesem Fall auch mildere Mittel, wie beispielsweise das Entfernen von Gürteln oder Kordeln etc., gewesen. Selbst im Hinblick auf die „Frühphase“ der Covid-Pandemie mit dem erstmaligen Lockdown am 16. März 2020 nur wenige Wochen vor dem Vorfall, wäre es zumindest erforderlich gewesen, der Klägerin entsprechende Ersatzkleidung, bei der keine Gefahr der Virenübertragung gegeben gewesen wäre, auszuhändigen. Auch die unstrittig gegebene Möglichkeit, sich mit der vorhandenen Decke zu schützen, war nicht ausreichend, den Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. So kann eine Decke nicht in jeder Situation vor Blicken schützen, beispielsweise wenn man den Trinkwasserbecher durch die Gitterstäbe entgegennimmt. Auch beispielsweise in der Nacht besteht die Möglichkeit, dass die Decke wegrutscht und man ungeschützt den Blicken kontrollierender Polizeibeamter ausgesetzt ist. Vor allem auch angesichts der zeitlichen Dauer von über 30 Stunden ist diese Situation auch nicht mehr nur als bloße Unannehmlichkeit zu qualifizieren.
Nach allem war diese Maßnahme unverhältnismäßig und verletzte die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
2. Nicht rechtswidrig war es demgegenüber, dass der Klägerin nicht die Möglichkeit gegeben wurde, vor der Entfernung ihrer Kontaktlinsen die Hände zu waschen (Klageantrag zu 2).
Das Recht der Klägerin auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist insoweit nicht verletzt. Zum einen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, dass ihr im Laufe der Tagschicht am 12. April 2020 ein Wasserbecher zur Aufbewahrung der Kontaktlinsen übergeben worden sei. Nach den glaubhaften Angaben des in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen B. hat dieser auch mehrmals Becher mit Leitungswasser in die Gewahrsamsräume gereicht (S. 13 des Sitzungsprotokolls). Dieses Wasser hätte die Klägerin durchaus auch zum Reinigen ihrer Hände verwenden können. Davon abgesehen ist es auch möglich, Kontaktlinsen zu entfernen, ohne dass die Hände das Augeninnere berühren. Selbst wenn jedoch ein Kontakt erfolgen sollte, hat dies nicht zwangsläufig zur Folge, dass sich die Augen entzünden. Dies ist allenfalls als bloße Unannehmlichkeit zu qualifizieren. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden weder vorgetragen noch nachgewiesen.
3. Auch die Verweigerung weiterer warmer Decken trotz niedriger Temperaturen über die gesamte Dauer der Ingewahrsamnahme war nicht rechtswidrig.
Auch darin liegt keine Verletzung des Rechts der Klägerin auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Die Klägerin hat zwar glaubhaft geschildert, dass sie nach einer weiteren Decke verlangt habe. Diese sei ihr auch gegeben worden. Dies wäre relativ zeitnah zur „Einlieferung“ gewesen (S. 4 des Sitzungsprotokolls). Zeuge B. hat geschildert, dass jedenfalls bei ihm nicht nach einer weiteren Decke verlangt worden sei (S. 14 des Sitzungsprotokolls). Die Zeugin W. konnte sich insoweit nicht mehr erinnern (S. 11 des Sitzungsprotokolls). Wie aus der schriftlichen Stellungnahme der PKin F. vom 4. Juli 2021 (Bl. 40 der Behördenakte) zu entnehmen ist, hat die Klägerin eine zweite Decke erhalten, wobei sie eine Decke als Kissen genutzt habe. Dies wird von der Klägerin auch nicht bestritten (vgl. S. 11 des Sitzungsprotokolls). Es ist somit davon auszugehen, dass die Klägerin trotz kalter Temperaturen, v.a. in der Nacht, am Osterwochenende 2020, mit zwei Decken und durch den Schutz des beheizten Gewahrsamraums auch bei eventueller Dauerlüftung mit offener Außentür und offener Haftzelle ausreichend geschützt war und demnach kein Grundrechtseingriff vorliegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es aufgrund der Pandemielage erforderlich war, eine ausreichende Belüftung sicherzustellen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung hat die Klägerin nicht behauptet und auch nicht nachgewiesen.
4. Die „Einschaltung“ des Dauerlärmtons war ebenfalls nicht rechtswidrig (Klageantrag zu 4).
Es steht insoweit nun unstrittig fest, dass es entgegen der früheren Ansicht der Klägerin der Dauerlärmton nicht aktiv eingeschaltet worden ist. Es handelt sich dabei vielmehr um einen Alarm-Ton, der bei einem Defekt der Heizung aktiviert wird. Dies geschieht automatisch. Nach Aussage der Zeugin W. ist der Ton in den Gewahrsamsräumen, v.a. wenn die Außentüre der Gewahrsamsräume offensteht, deutlich zu hören (S. 10 des Sitzungsprotokolls). Die Klägerin selbst hat ausgesagt, sich zunächst über den Ton nicht beschwert zu haben. Sie habe ihn auch erst später gehört. Bei Tagesanbruch sei er plötzlich weggewesen (S. 4 des Sitzungsprotokolls). Es habe sich angehört, wie wenn an einer Schalttafel ein Schalter umgelegt werde. Dann habe sie den Ton nicht mehr gehört. Der Bruder der Klägerin hat insoweit ergänzt, dass er etwa zwei Stunden nach Einsetzen des Tons den diensthabenden Beamten aufgefordert habe, diesen abzustellen. Dies sei dann auch geschehen (vgl. Protokoll im Verfahren Au 8 K 20.1956).
Es ist demnach davon auszugehen, dass der Ton zum einen nicht ausreichend beeinträchtigend war, da sich die Klägerin bzw. ihr Bruder nicht unmittelbar beschwert haben. Zum anderen haben die Polizeibeamten umgehend auf die Beschwerde reagiert, da dann der Ton nicht mehr zu hören war. Es ist somit allenfalls von einer Unannehmlichkeit und nicht von einem Grundrechtseingriff auszugehen. Das Unterlassen des sofortigen Ausschaltens war insoweit nichts rechtswidrig.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.


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