IT- und Medienrecht

Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für Teilstreckenausbau

Aktenzeichen  M 2 K 16.1170

Datum:
26.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Wie weit eine einzelne Ortsstraße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung iSv Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG reicht und wo eine andere Anlage beginnt, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt (wie VGH München BeckRS 2014, 55891). Dabei hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder straßenverkehrsrechtlichen Regelungen, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise aus einem Blickwinkel am Boden, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung auszurichten. Im Straßenausbaubeitragsrecht können dabei im Einzelfall spezifisch ausbaubeitragsrechtliche Umstände eine Ausnahme verlangen, insbesondere dann, wenn Verkehrsanlagen unterschiedlichen Verkehrsfunktionen dienen, die zu unterschiedlichen Gemeindeanteilen führen. (redaktioneller Leitsatz)
Erstreckt sich eine gemeindliche Straßenbaumaßnahme nicht auf die jeweilige Anlage insgesamt, sondern „mangels weitergehenden Erneuerungsbedarfs“ lediglich auf eine Teilstrecke (sog. Teilstreckenausbau), kann ausbaubeitragsrechtlich eine beitragsfähige Erneuerung in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die betroffene Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst (wie VGH München NVwZ-RR 2010, 622). (redaktioneller Leitsatz)
Die Abrechnung eines durchgeführten Teilstreckenausbaus, bei der das Abrechnungsgebiet aus allen an der gesamten Anlage anliegenden Grundstücken besteht, ist erst dann möglich, wenn auch in der (oder den) restlichen Teilstrecke(n) kein Erneuerungsbedarf hinsichtlich der Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung (mehr) besteht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2015 und der Widerspruchsbescheid der Regierung … vom 29. Februar 2016 werden aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2015 und der zurückweisende Widerspruchbescheid vom 29. Februar 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Beitragsbescheid der Beklagten beruht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG i. V. m. der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 26. Oktober 2010 (ABS).
Die Gemeinden können gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von (u. a.) Ortsstraßen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge zu erheben sind. Gemäß § 1 ABS „erhebt“ die Beklagte entsprechende Beiträge. Nach § 2 ABS sind beitragspflichtig solche Grundstücke, die aus der Möglichkeit der Inanspruchnahme der jeweils hergestellten, angeschafften, verbesserten oder erneuerten öffentlichen Einrichtung – hier Ortsstraße – einen besonderen Vorteil ziehen können.
2. Der Beitragsbescheid vom 3. August 2015 ist rechtswidrig, weil die Beklagte die Straßenbaumaßnahme nicht nach den Grundsätzen eines Teilstreckenausbaus abrechnen durfte, da die abgerechneten Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung jedenfalls in einer weiteren Teilstrecke der maßgeblichen Anlage (nachfolgend a)) ebenfalls erneuerungsbedürftig sind (nachfolgend b)).
a) Die Abgrenzung der abgerechneten Anlage durch die Beklagte erscheint nicht zweifelsfrei.
Wie weit eine einzelne Ortsstraße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG reicht und wo eine andere Anlage beginnt, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B. v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 8; B. v. 30.1.2014 – 6 ZB 13.1011 – juris Rn. 4 jeweils m. w. N.) nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Dabei hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder straßenverkehrsrechtlichen Regelungen, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise aus einem Blickwinkel am Boden, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung auszurichten. Im Straßenausbaubeitragsrecht können dabei im Einzelfall spezifisch ausbaubeitragsrechtliche Umstände eine Ausnahme verlangen, insbesondere dann, wenn Verkehrsanlagen unterschiedlichen Verkehrsfunktionen dienen, die zu unterschiedlichen Gemeindeanteilen führen.
Gemessen hieran ist die Beklagte zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die …-straße und die …-Straße (jeweils bis zur Straße …) als eine Anlage i. S.-v. Art. 5 BayKAG anzusehen sind. Nicht zweifelsfrei erscheint indes die Bewertung der Beklagten, dass diese Anlage an der (südlichen) Kreuzung mit der Straße … ende und sich nicht in der …-straße fortsetze. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist diese Frage jedoch nicht entscheidungserheblich und muss deshalb nicht weiter aufgeklärt und entschieden werden.
b) Nach eigener Bewertung der Beklagten besteht hinsichtlich der Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung auch in einer weiteren Teilstrecke der Anlage (nämlich zwischen der Einmündung …-straße und der Einmündung der …-straße in die Straße …) derselbe Erneuerungsbedarf, wie er in der ausgebauten Teilstrecke vor Durchführung der Baumaßnahmen bestand. Dies folgt zweifelsfrei bereits aus dem Aktenvermerk vom 18. Dezember 2014 über ein Gespräch der Beitragssachbearbeiterin mit dem Tiefbauamt der Beklagten (Blatt 11 der Behördenakte) sowie aus der auf die gerichtliche Anfrage hin eingeholten Stellungnahme der Beklagten (Aktenvermerke vom 8. Juli 2016 hinsichtlich der Straßenentwässerung, vom 12. Juli 2016 hinsichtlich der Straßenbeleuchtung).
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U. v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 13 f.) kann ausbaubeitragsrechtlich in dem Fall, dass sich eine gemeindliche Straßenbaumaßnahme nicht auf die jeweilige Anlage insgesamt, sondern „mangels weitergehenden Erneuerungsbedarfs“ lediglich auf eine Teilstrecke erstreckt (sog. Teilstreckenausbau), eine beitragsfähige Erneuerung in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die betroffene Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. Die in dieser Entscheidung angelegte Voraussetzung eines abrechenbaren Teilstreckenausbaus, dass die Reststrecke der Anlage nicht ebenso erneuerungsbedürftig sein darf wie die ausgebaute Teilstrecke selbst, beruht darauf, dass im Ausbaubeitragsrecht aus Gründen der Vorteilsgerechtigkeit und Rechtssicherheit eine Abrechnung nach zeitlichen Bauphasen nicht zulässig ist (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 32 Rn. 11 a. E. m. w. N.). Die Beklagte durfte die Straßenbaumaßnahme deshalb nicht nach den Grundsätzen eines Teilstreckenausbaus abrechnen. Die Abrechnung des durchgeführten Teilstreckenausbaus, bei der das Abrechnungsgebiet aus allen an der gesamten Anlage anliegenden Grundstücken besteht, wird erst möglich sein, wenn auch in der (oder den) restlichen Teilstrecke(n) kein Erneuerungsbedarf hinsichtlich der Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung (mehr) besteht.
Anzumerken bleibt, dass es der Beklagten aus Rechtsgründen auch nicht möglich gewesen wäre, die „erneuerte“ Teilstrecke als Abschnitt der maßgeblichen Anlage rechtlich zu verselbstständigen und gesondert abzurechnen. Neben weiteren rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen einer – vorliegend ohnehin nicht beschlossenen – Abschnittsbildung (vgl. hierzu: BayVGH, B. v. 23.2.2015 – 6 B 14.2435 – juris Rn. 17 ff.; B. v. 20.8.2013 – 6 AS 13.1444 – juris Rn. 4; B. v. 10.9.2009 – 6 CS 09.1435 – juris Rn. 17; B. v. 6.5.2008 – 6 CS 08.103 – juris) scheiterte die gesonderte Abrechnung vor allem daran, dass ausweislich der Behördenakte (vgl. Aktenvermerk vom 18.12.2014, Blatt 11 der Behördenakte: „Aufgrund der angespannten Haushaltslage sei jedoch ein Ausbau in den nächsten 5 – 10 Jahren nicht realistisch“) noch keinerlei Aussage der Beklagten dazu möglich ist, wann die Erneuerung fortgeführt werden soll, geschweige denn, dass eine inhaltliche Planung und ein zeitlicher Horizont für die Fortführung der Maßnahme im Sinne eines konkreten Bauprogramms gegeben gewesen wäre (vgl. hierzu: BayVGH, B. v. 15.4.2015 – 6 ZB 14.2843 – juris Rn. 10; U. v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 16).
Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 881,57 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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