IT- und Medienrecht

Information der Öffentlichkeit, Anhörungsmangel, Kein Maßgabebeschluss bei Antragsablehnung

Aktenzeichen  20 CE 21.2568

Datum:
15.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48613
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 88
LFGB § 40 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 7 E 21.1038 2021-09-29 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts … vom 29. September 2019 wird geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde
Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen
Lebensmittelunternehmen
… GmbH

Kategorie:
Schlacht- und Zerlegebetrieb
Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel
Verstoß:
Hygieneverstöße/ Reinigungsmängel:
altverunreinigte Spaltsäge, teilweise nicht vollständig enthäutete Rinderköpfe, teilweise Schweineschlachtkörper mit Borsten- und Abflammresten, teilweise mit Kot verunreinigte Schlachtkörper Produkt:
Fleisch der Gattung Rind und Schwein
Charge:
MHD:
Datum
Einstelldatum:
Verstoß festgestellt: 09.08.2021
Verstoß beseitigt: 09.08.2021
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5000, – EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung von Hygienemängeln in einem von ihr betriebenen Schlacht- und Zerlegebetrieb durch die Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV).
Das Verwaltungsgericht hat den hiergegen gerichteten Unterlassungsantrag gemäß § 123 VwGO mit der Maßgabe abgelehnt, dass in der zu veröffentlichen beabsichtigten Information unter dem Punkt „Verstoß“ anstelle von „Mängel bei der Betriebshygiene/ Reinigungsmängel“ die Benennung des konkreten Hygieneverstoßes eingefügt werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
Mit Schriftsatz vom 7. November 2021 teilte der Antragsgegner mit, dass er nunmehr folgende Information der Öffentlichkeit beabsichtige:
Verantwortliche Behörde
Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen
Lebensmittelunternehmen
…  GmbH

Kategorie:
Schlacht- und Zerlegebetrieb
Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel
Verstoß:
Hygieneverstöße/ Reinigungsmängel:
altverunreinigte Spaltsäge, teilweise nicht vollständig enthäutete Rinderköpfe, teilweise Schweineschlachtkörper mit Borsten- und Abflammresten, teilweise mit Kot verunreinigte Schlachtkörper Produkt:
Fleisch der Gattung Rind und Schwein
Charge:
MHD:
Datum
Einstelldatum:
Verstoß festgestellt: 09.08.2021
Verstoß beseitigt: 09.08.2021
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördensowie auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Bei der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde ist der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich auf die Prüfung der innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgebrachten und hinreichend dargelegten Gründe beschränkt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 26).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes – wie § 123 VwGO – gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt die Verpflichtung, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt (vgl. BVerfG, B.v. 25.07.1996 – 1 BvR 638/96 – NVwZ 1997,479; B.v.17.01.2017 – 2 BvR 2013/16 – juris).
Dies bedeutet in dem vorliegenden, auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Verhinderung einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB gerichteten Beschwerdeverfahren, dass der Senat neben den fristgerecht von der Antragstellerin vorgebrachten Argumenten auch die in der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung thematisierten Aspekte zu berücksichtigen hat. Denn da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und diese nach § 40 Abs. 4a LFGB (bereits) nach 6 Monaten wieder zu löschen ist, findet ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, regelmäßig nicht statt (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81 – BVerfGE 63, 131). Der gerichtliche Rechtsschutz ist damit nahezu ausschließlich in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verlagert. Dies rechtfertigt eine einschränkende Auslegung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO (BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 20 CE 19.1634 – juris Rn. 20).
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder wenn dies aus anderen Gründen nötig erscheint.
Nach § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB hat die Behörde, bevor sie die Öffentlichkeit nach den Abs. 1 und 1a informiert, den Hersteller oder Inverkehrbringer anzuhören, sofern hierdurch die Erreichung des mit der Maßnahme verfolgten Zwecks nicht gefährdet wird. Dabei muss die Behörde bereits im Rahmen der Anhörung dem Betroffenen den Wortlaut des geplanten Veröffentlichungstextes zur Kenntnis bringen (so auch Ziff. 2.3 Satz 5 der Vollzugshinweise zu Veröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a LFGB, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz v. 24. April 2019 – Az.: 42-G8900-2018/10-88 (BayMBl. Nr. 161)). Der Betroffene kann ohne Kenntnis vom Wortlaut der geplanten Veröffentlichung die Folgen für sein Unternehmen, die sich unmittelbar aus dem Text der Veröffentlichung ergeben, nicht abschätzen und insbesondere auch nicht prüfen, ob ein Rechtsmittel im Vorfeld der Veröffentlichung erfolgreich sein wird. Denn letztlich bestimmt der Wortlaut der geplanten Veröffentlichung maßgeblich den Prüfungsgegenstand im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, da – in Zusammenschau mit den zugrundeliegenden Behördenakten – nur am Veröffentlichungstext selbst überprüft werden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB vorliegen. (BayVGH, B. v. 28.11.2019 – 20 CE 19.1995 – juris Rn 44). Diesen Anforderungen wird die Anhörung durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 25. August 2021 nicht gerecht, weil der Antragsgegner nunmehr die Veröffentlichung eines anderslautenden Textes beabsichtigt, um die durch das Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene „Maßgabe“ zu gewährleisten. Damit hat der Antragsgegner die Antragstellerin nicht entsprechend § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB ordnungsgemäß angehört.
Zwar kann die Anhörung dem Rechtsgedanken des Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG folgend auch noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (BayVGH, B. v. 28.11.2019 – 20 CE 19.1995 – juris Rn. 44). Hier gelten aber die gleichen Grundsätze wie bei der allgemeinen Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG. Der formelle Mangel wurde durch eine Nachholung der Anhörung durch den Antragsgegner im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2015 (Az. 7 C 5.14 – NVwZ-RR 2016, 449 – 454 Rn. 17) in Konkretisierung und unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 24.6.2010 – 3 C 14.09 – BVerwGE 137, 199, Rn. 37 und v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205, Rn. 18) die Anforderungen an eine nachträgliche Heilung einer unterbliebenen Anhörung dargestellt. Danach tritt die Heilung nur dann ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten in gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht ausreichen lassen. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern dass sie das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken. Gemessen an diesen Maßstäben wurde der Anhörungsmangel allein durch das Vorbringen im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Wie sich aus der Stellungnahme der Landesanwaltschaft vom 7. November 2021 ergibt, sieht sich der Antragsgegner ohnehin an den „Maßgabebeschluss“ des Verwaltungsgerichts gebunden.
Bereits aus diesem Grunde hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch.
Ohne dass es noch darauf ankommt, sei noch auf Folgendes hingewiesen: Das Verwaltungsgericht vertritt in seinem Beschluss die Auffassung, dass die vom Antragsgegner beabsichtigte Formulierung „Verstoß: Mängel bei der Betriebshygiene/Reinigungsmängel“ zu unbestimmt sei. Denn diese offene Formulierung stelle nicht klar, welche und wie viele Hygiene- bzw. Reinigungsmängel konkret festgestellt wurden. Ersichtlich ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die vom Antragsgegner zunächst beabsichtigte Veröffentlichung nicht rechtmäßig sei, was eigentlich eine vollständige oder zumindest teilweise Stattgabe des Antrags hätte zur Folge haben müssen. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO steht es zwar im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zur Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind; insofern darf das Gericht seine Entscheidung auch durch Maßgaben wie Auflagen oder Bedingungen ergänzen (Kuhla in Beck’scher Online-Kommentar VwGO, Stand 1.4.2016, § 123 Rn. 139 ff.). Dies gilt jedoch nur im Falle des Erlasses einer Anordnung zugunsten der Antragstellerin und nicht bei einer vollständigen Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Insoweit hat das Verwaltungsgericht den ihm durch die Prozessordnung eingeräumten Rahmen überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. In Anlehnung an die Empfehlung in Nr. 25.2 und Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 hat der Senat den Auffangwert angesetzt und von einer Reduzierung des Betrags im Eilverfahren abgesehen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).


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