IT- und Medienrecht

Information der Öffentlichkeit über Verstöße gegen Lebensmittelrecht

Aktenzeichen  20 CE 19.1634

Datum:
12.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35082
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146
LFGB § 40 Abs. 1a S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Gibt die für den Vollzug des Lebensmittelrechts zuständige Behörde den Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zur Ahndung als Straftat an die Staatsanwaltschaft ab, so sind die Voraussetzungen für eine Information der Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB nicht erfüllt. Die Bestimmung ist weder im Wege der Auslegung noch der Analogie auf eine zu erwartende strafrechtliche Ahndung anwendbar. (Rn. 23 – 28)

Verfahrensgang

W 8 E 19.766 2019-07-24 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. Juli 2019 wird geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde
Landratsamt Würzburg
Lebensmittelunternehmen
Kategorie Lebensmitteleinzelhandel
Name
. . . GmbH
Straße, Hausnummer
. . *
PLZ, Ort
. .
Betroffenes Lebensmittel
Name:
. Multi Vitamine & Mineralien Nahrungsergänzungsmittel Los-/Chargennummer:
. .
MHD:
21.10.2020
Verstoß
Verbrauchertäuschung
Verstoß festgestellt am:
16.05.2019
Verstoß beseitigt am:
17.05.2019
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die vom Antragsgegner beabsichtigte Internetveröffentlichung von einer auf einem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) basierenden Beanstandung eines Nahrungsergänzungsmittels wegen Täuschung der Verbraucher.
Am 8. Februar 2019 nahm die Lebensmittelüberwachung des Antragsgegners im Betrieb der Antragstellerin eine Planprobe des von dieser in Deutschland vertriebenen Nahrungsergänzungsmittels “. Multi Vitamine & Mineralien”. Das LGL kam mit Befund/Gutachten vom 16. Mai 2019 aufgrund chemischer Untersuchung im Wesentlichen zu der Feststellung, dass eine Abweichung zwischen dem deklarierten und dem festgestellten Mangangehalt von 61,6%, zwischen dem deklarierten und dem festgestellten Kaliumgehalt von 669% und zwischen dem deklarierten und dem festgestellten Folsäuregehalt von 882% bestehe. Die deklarierten Gehalte an Mangan, Kalium und Folsäure in der Tagesverzehrmenge seien somit wegen zum Teil erheblichen Abweichungen von den analysierten Gehaltsangaben als irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) zu beurteilen. Nach § 4 Abs. 3 Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) müssten die deklarierten Gehalte an Vitaminen und Mineralstoffen sich auf die mit der Tagesverzehrmenge aufzunehmende Gesamtmenge an diesen für das Produkt wertgebenden Stoffen (hier: Mangan, Kalium) beziehen und nicht auf einzelne Verbindungen (hier: Mangangluconat, Kaliumcitrat) als Quelle beschränken, wenn eine zusätzliche Aufnahme durch andere Quellen im Produkt möglich sei.
Die Lebensmittelüberwachung des Antragsgegners hielt in einem Aktenvermerk vom 22. Mai 2019 fest, dass aufgrund des Gutachtens vom 16. Mai 2019 der Vorgang an die Staatsanwaltschaft . weitergeleitet worden sei, da vom Verdacht einer Straftat nach § 59 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV ausgegangen werde. Da Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat vorhanden seien und eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sei, sei das Tatbestandsmerkmal des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB, dass ein Bußgeld von mindestens 350,– Euro zu erwarten sei, im Sinne eines “Erst-recht-Schlusses” erfüllt. Sofern die Staatsanwaltschaft das Verfahren zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit zurückgebe, sei ein Bußgeld von über 350,– Euro zu erwarten. Gegen den Beschuldigten seien seit 2017 bereits zweimal Bußgelder wegen Irreführung festgesetzt worden. In der Behördenakte findet sich eine Übersicht über sämtliche gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin eingeleiteten Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, der sich zwei weitere Verfahren wegen eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV entnehmen lassen, die mit Bußgeldern von 100,– (Bußgeldbescheid vom 11. September 2017) und 150,– Euro (Bußgeldbescheid vom 24. Januar 2018) geahndet wurden.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2019 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB angehört. Der Antragstellerin wurde die Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. Juni 2019 eröffnet.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2019 wurde vom Antragsgegner Strafanzeige gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin wegen des Verdachts eines strafrechtlich relevanten Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften gestellt und der Vorgang der Staatsanwaltschaft . vorgelegt.
Die Lebensmittelüberwachung des Antragsgegners nahm mit Schreiben vom 17. Juni 2019 zu den aufgrund der Anhörung vorgebrachten Argumenten Stellung und kündigte eine Veröffentlichung nach einer Wartefrist von sieben Werktagen ab Zustellung dieses Schreibens an. Das Schreiben wurde der Antragstellerin mit Postzustellungsurkunde am 18. Juni 2019 zugestellt.
Mit am 27. Juni 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg eingegangenem Schriftsatz ihrer jetzigen Bevollmächtigten ließ die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen. Diesen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Juli 2019 ab. Zur Begründung führt es aus, dass die Antragstellerin zwar einen Anordnungsgrund, aber keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setze einen rechtswidrigen Eingriff in ein Recht der Antragstellerin, etwa in das Grundrecht der Berufsfreiheit voraus, woran es hier mangele. Denn die beabsichtigte Veröffentlichung sei von § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB gedeckt. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV liege vor (wird ausgeführt). Auch die Voraussetzung der zu erwartenden Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,– Euro sei im Ergebnis zu bejahen. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB auf Straftaten, wie sie der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 24. Mai 2019 an die Staatsanwaltschaft vertrete, sei angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung (“Bußgeld”) gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung nicht unkritisch zu bejahen. Eine geforderte Klarstellung durch den Gesetzgeber sei bislang unterblieben (unter Verweis auf BT-Drs. 19/4726, S. 10; BR-Drs. 369/1/18 S. 3 f. bzw. 369/18 S. 3). Weiterhin sei zweifelhaft, ob ein Vorsatz, den § 59 LFGB voraussetze, im Sinne eines hinreichend begründeten Verdachts vorliege (wird ausgeführt). Dies könne aber dahingestellt bleiben, weil das Landratsamt in seinem Aktenvermerk vom 22. Mai 2019 weiter ausgeführt habe, dass jedenfalls ein Bußgeld von über 350,– Euro zu erwarten sei, weil gegen den Geschäftsführer seit 2017 bereits zweimal Bußgelder wegen Irreführung festgesetzt worden seien. Des Weiteren zeige die Liste der Bußgeld- und Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin, dass in der Vergangenheit auch schon Bußgelder in Höhe von 350,– Euro, 400,– Euro und 450,– Euro verhängt worden seien. Wiederholte Verstöße in den letzten zwei Jahren gegen das Lebensmittelrecht sowie auch wiederholte einschlägige Verstöße wegen Irreführung trügen die Prognose eines zu erwartenden Bußgeldes von mindestens 350,– Euro. Die Prognoseentscheidung des Landratsamts sei daher nachvollziehbar. Schließlich bestünden auch gegen die Art und Weise der geplanten Veröffentlichung keine Bedenken (wird ausgeführt).
Der Beschluss wurde den Bevollmächtigten der Antragstellerin am 30. Juli 2019 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit am 13. August 2019 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Telefax erhob die Antragstellerin die vorliegende Beschwerde. Sie beantragt,
entgegen dem Beschluss des VG Würzburg dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Information zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde
Landratsamt Würzburg
Lebensmittelunternehmen
Kategorie Lebensmitteleinzelhandel
Name
. . . GmbH
Straße, Hausnummer
. . *
PLZ, Ort
. .
Betroffenes Lebensmittel
Name:
. Multi Vitamine & Mineralien Nahrungsergänzungsmittel Los-/Chargennummer:
. .
MHD:
21.10.2020
Verstoß
Verbrauchertäuschung
Verstoß festgestellt am:
16.05.2019
Verstoß beseitigt am:
17.05.2019
Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Auf die Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung wird ebenso wie auf die Ausführungen in den weiteren Schriftsätzen der Beteiligten Bezug genommen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten und die Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat im Ergebnis sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Bei der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde ist der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich auf die Prüfung der innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgebrachten und hinreichend dargelegten Gründe beschränkt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 26). Allerdings hat eine Beschwerde unabhängig von den ordnungsgemäß dargelegten Gründen Erfolg, wenn die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts offensichtlich unzutreffend ist (BayVGH, B.v. 27.8.2002 – 8 CS 02.1514 – NVwZ-RR 2003, 154; Happ a.a.O., Rn. 27).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes – wie § 123 VwGO – gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt die Verpflichtung, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt (vgl. BVerfG, B.v. 25.07.1996 – 1 BvR 638/96 – NVwZ 1997,479; B.v.17.01.2017 – 2 BvR 2013/16 – juris).
Dies bedeutet in dem vorliegenden, auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Verhinderung einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB gerichteten Beschwerdeverfahren, dass der Senat neben den fristgerecht von der Antragstellerin vorgebrachten Argumenten auch die in der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung thematisierten Aspekte zu berücksichtigen hat. Denn da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und diese nach § 40 Abs. 4a LFGB (bereits) nach 6 Monaten wieder zu löschen ist, findet ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, regelmäßig nicht statt (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81 – BVerfGE 63, 131). Der gerichtliche Rechtsschutz ist damit nahezu ausschließlich in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verlagert. Dies rechtfertigt eine einschränkende Auslegung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO.
Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass aufgrund der nach der Mitteilung des Beklagten geplanten Veröffentlichung auf den Internetseiten des LGL ein Anordnungsgrund besteht. Nachdem dies im Beschwerdeverfahren nicht angezweifelt wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
Auch ein Anordnungsanspruch liegt vor, da die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB rechtswidrig wäre. Sie würde daher auf nicht gerechtfertigte Weise in die Grundrechte der Antragstellerin eingreifen, vor allem in deren Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 25ff; VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.1.2013 – 9 S 2423/12 – juris Rn. 10; Hessischer VGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – juris Rn. 22). Der Antragstellerin steht somit ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner zur Seite.
Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels sowie unter Nennung des Lebensmittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 LFGB auf der Grundlage von mindestens zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass (Nr. 3) gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung dienen, in nicht nur unerheblichen Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts ist vorliegend nicht die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten, da der Antragsgegner gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin Strafanzeige gestellt und damit das Verfahren nach § 41 OWiG an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat.
1.
§ 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB verlangt neben dem Verstoß gegen bestimmte Vorschriften des Lebensmittelrechts insbesondere, dass die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist. Mit der Verwendung des Begriffs “Bußgeldes” stellt das Gesetz dem Wortlaut nach auf die Erwartung einer Ahndung im Ordnungswidrigkeitenverfahren ab. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Artikel 26 Absatz 6 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724)) verwendet im 1. Abschnitt seines 1. Teils zwar wiederholt dem Begriff der Geldbuße, im weiteren Gesetzestext, insbesondere im 2. Teil (Bußgeldverfahren) aber den synonym damit verwendeten Begriff des Bußgeldes. Dementsprechend wird auch in anderen Gesetzen, wie z.B. § 343 StGB, unter Bußgeldverfahren ausschließlich das Verfahren nach § 35ff OWiG verstanden (vgl. Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 343, Rn. 15; ebenso die dortige Kommentierung zu §§ 344, 353d und 355 StGB; Creifelds Rechtswörterbuch, 23. Edition 2019, Stichwort “Bußgeld, Bußgeldverfahren”). Hingegen wird im Strafverfahren, wenn eine geldmäßige Sanktion verhängt wird, der Begriff der Geldstrafe verwendet (vgl. insb. §§ 40ff StGB). Im Strafverfahren kann nach § 153a StPO das Verfahren gegen Zahlung eines Geldbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse eingestellt werden. Dies wird aber bereits nach der gesetzlichen Regelung nicht als Einstellung gegen “Geldbuße” bezeichnet, wenn auch in der Praxis eine solche Bezeichnung durchaus vorkommt. Damit spricht der Wortlaut des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB dafür, dass allein eine zu erwartende Ahndung des festgestellten Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften im Verfahren nach dem OWiG gemeint ist (ebenso der Bundesrat in BR-Drs. 369/1/18, S. 3/4).
Sinn und Zweck der Vorschrift, die nach der Gesetzesbegründung darauf abzielt, die Verbraucher zu informieren und sie zu einer sachgerechten Entscheidung über ihr Konsumverhalten zu befähigen (BT-Drs. 17/7374, S. 2), würde zwar auch eine Veröffentlichung von Verstößen gegen Vorschriften, deren Verletzung der Gesetzgeber als Straftat eingestuft hat, rechtfertigen (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Stand Juli 2019, § 40 LFGB, Rn. 115; insofern zweifelnd Meisterernst/Vergho, ZLR 2019, 45, 73). Aber auch eine teleologische Auslegung findet ihre Grenze immer im Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung. Dieser ist hier eindeutig und einer erweiternden Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung nicht zugänglich. Denn es besteht im Wortlaut des Gesetzes kein Anknüpfungspunkt dafür, dass über Ordnungswidrigkeiten hinaus auch die vom Unrechtsgehalt her schwerwiegenderen Straftaten von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB erfasst sein sollten. Hierfür wäre eine Formulierung etwa derart, dass “mindestens die Verhängung eines Bußgeldes” zu erwarten wäre, erforderlich. So ist die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung aber nicht gefasst.
Aus dem gleichen Grund ist auch der in der Literatur (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Stand Juli 2019, § 40 LFGB, Rn. 115; Boch, LFGB, 8. Online-Ausgabe 2019, § 40 Rn. 54) und der Vollzugsbekanntmachung des Antragsgegners (BayMBl. 2019, Nr. 161, S. 5, Ziff. 3.9, Satz 11) vertretene Erst-Recht-Schluss (argumentum a minore ad maius), nach dem bei einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft nach § 41 Abs. 1 OWiG das Tatbestandsmerkmal erst recht erfüllt sei, unzulässig. Denn dieser widerspricht wie gezeigt dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, die eben gerade nicht von der Verhängung “mindestens” eines Bußgelds spricht. Der eindeutige Wortlaut lässt sich auch nicht mit einem Erst-recht-Schluss aushebeln.
Dementsprechend hat auch der Bundesrat eine Klarstellung, dass auch Straftaten erfasst sein sollen, verlangt (BR-Drs. 369/1/18, S. 3/4).
2.
Für eine analoge Anwendung des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB auf eine zu erwartende Ahndung im Strafverfahren besteht mangels einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum. Dagegen sprechen die insoweit eindeutigen Gesetzesmaterialien.
Die Formulierung, dass die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten sein muss, fand sich bereits in der Fassung des § 40 Abs. 1a LFGB des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. März 2012 (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 10). Auch in der diesbezüglichen Gesetzesbegründung ist allein die Rede davon, dass ein “Bußgeld” erwartet wird (S. 20). Eine Aussage zu einer zu erwartenden Straftat findet sich dort gerade nicht.
Nachdem § 40 Abs. 1a LFGB wegen der von einigen Oberverwaltungsgerichten angenommenen Verfassungswidrigkeit nicht mehr vollzogen worden war und das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. März 2018 (1 BVF 1/13) die Verfassungsgemäßheit mit bestimmten Maßgaben bestätigt hatte, sollten diese Ergänzungen mit dem 1. Gesetz zur Änderung des Lebensmittel und Futtermittelgesetzbuchs in dieses eingefügt werden (BT-Drs. 19/4726). Auch dieser Entwurf sah keine Ergänzung der Bestimmung um die Konstellation, dass eine strafrechtliche Verurteilung zu erwarten sei, vor. Dies beanstandete der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 7. September 2018 (BR-Drs. 369/1/18, S. 3/4) und führte aus, dass nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes erst recht eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestehen sollte, wenn der hinreichende Verdacht einer Straftat bestehe und eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sei. Eine analoge Anwendung der Vorschrift sei angesichts des klaren Wortlauts gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung kritisch zu sehen. Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber sei deshalb zwingend erforderlich.
Die Bundesregierung äußerte sich hierzu dahingehend (BT-Drs. 19/4726, S. 14), dass sie Verständnis für die vom Bundesrat vorgebrachten Empfehlungen habe. Um die Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist nicht zu gefährden, solle jedoch mit dem Gesetzentwurf § 40 LFGB ausschließlich um die vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesetzliche Löschungsfrist ergänzt werden. Weitere Änderungen am § 40 LFGB sollten in einem gesonderten, nicht fristgebundenen Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden.
Dem parlamentarischen Gesetzgeber war daher vollkommen bewusst, dass die geltende Fassung des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB nicht auf eine zu erwartende Ahndung als Straftat anwendbar ist. Dennoch hat der Gesetzgeber von einer Ergänzung der Bestimmung bis zum heutigen Tag Abstand genommen. Aufgrund der in der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Ausdruck gebrachten Absicht, die vom Bundesrat angemahnten weiteren Änderungen am § 40 LFGB erst in einem späteren Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen, sieht sich der Senat außerstande, hier die für die Annahme einer Analogie notwendige planwidrige Regelungslücke zu erkennen. Daher scheidet eine analoge Anwendung des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB auf den Fall, dass eine Verurteilung in einem Strafverfahren erwartet wird, aus.
Im Übrigen wäre hier auch fraglich, ob jegliche prognostizierte Ahndung in einem Strafverfahren hierfür ausreicht, oder ob § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB erst ab einer bestimmten Strafart oder -höhe anwendbar sein soll. Insoweit bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Letztlich hat der Senat auch Bedenken, ob die Interessenlage bei der Ahndung in einem Strafverfahren mit der Festsetzung eines Bußgeldes durch die Verwaltungsbehörde vergleichbar ist, da die Grundsätze der Strafzumessung (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) wesentlich komplexer sind als die Bestimmung der Höhe der Geldbuße nach § 17 OWiG.
3.
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Tatbestandsvoraussetzung der zu erwartenden Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro nicht erfüllt ist. Denn der Antragsgegner erwartet eine Ahndung der festgestellten Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften in einem Strafverfahren.
Der Antragsgegner hat die Voraussetzungen einer Straftat nach § 59 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. A LMIV bejaht und dementsprechend diese der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht, womit eine Vorlage nach § 41 OWiG erfolgt ist. Damit liegt die Entscheidung über die Art und Weise der Ahndung der vom Antragsgegner festgestellten Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften in der alleinigen Zuständigkeit und Verantwortung der Strafverfolgungsbehörden. Diesen obliegt die Entscheidung, ob sie – wie das Landratsamt – von der Verwirklichung eines Straftatbestandes ausgehen und Anklage erheben, ob sie die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nicht gegeben sehen und das Verfahren einstellen oder ob sie stattdessen (aufgrund der nur fahrlässigen Begehung) von einer Ordnungswidrigkeit ausgehen und dementsprechend das Verfahren zur Verfolgung im Ordnungswidrigkeitenverfahren an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Wie die Staatsanwaltschaft und das Strafgericht hier entscheiden werden, liegt außerhalb der Zuständigkeit des Landratsamts als Bußgeldbehörde und auch außerhalb der Zuständigkeit des Senats, weshalb sich Spekulationen hierüber verbieten. Im vorliegenden Verfahrensstadium ist daher die Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von mindestens 350 Euro nicht zu erwarten i.S.v. § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB.
Aus diesem Grund ist das Tatbestandsmerkmal auch nicht aufgrund der vom Landratsamt angestellten Hilfserwägungen, es sei jedenfalls eine Geldbuße in Höhe von mindestens 350 Euro zu erwarten, erfüllt. Denn derartige Hilfserwägungen sind per se unzulässig. Bejaht die Bußgeldbehörde nämlich die Begehung einer Straftat und stellt sie aus diesem Grunde Strafanzeige, so gibt sie das Verfahren aus ihrer Hand. Mangels Zuständigkeit und Erfahrungswerten in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Ahndung ist es ihr auch verwehrt, eine Aussage über den vermutlichen Ausgang des von ihr eingeleiteten Strafverfahrens zu treffen. Es bleibt ihr daher allein die Möglichkeit, eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB in die Wege zu leiten, wenn sie eine Ahndung durch Bußgeldbescheid, der eine Bußgeldhöhe von mehr als 350 Euro umfasst, ins Auge fasst. Solange das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft bzw. dem Amtsgericht liegt, ist der Lebensmittelbehörde ein Vorgehen nach § 40 Abs. 1a LFGB verwehrt.
Mit dieser Wertung werden die Handlungsmöglichkeiten der Bußgeldbehörde nicht in übermäßiger Weise eingeschränkt. Geht die Bußgeldbehörde nämlich davon aus, dass die begangene Zuwiderhandlung im Grenzbereich zwischen einer (vorsätzlichen) Straftat und einer (fahrlässigen) Ordnungswidrigkeit liegt, so bleibt ihr jedenfalls die Möglichkeit, die Fahrlässigkeitstat mit einem Bußgeldbescheid zu ahnden. Insoweit obliegt es ihr, aufgrund ihrer Erfahrungswerte und unter Berücksichtigung insbesondere der Schwere des Verstoßes innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens die Bußgeldhöhe konkret festzulegen. Kommt sie zu der Einschätzung, dass ein Bußgeld von mindestens 350 Euro zu verhängen ist, hat sie eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB in die Wege zu leiten. Diese Veröffentlichung ist dann jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Legt der Betroffene gegenüber dem Bußgeldbescheid Einspruch ein, muss sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft als Verfolgungsbehörde abgeben. Diese hat dann die Möglichkeit, nach § 81 Abs. 2 OWiG beim Gericht zu beantragen, den Hinweis zur Überleitung ins Strafverfahren zu erteilen, wenn sie anders als die Bußgeldbehörde die Voraussetzungen einer Straftat und nicht lediglich einer Ordnungswidrigkeit als gegeben erachtet (Ganter in Beck-OK OWiG, Stand 15.9.2019, § 81 Rn. 20; Schulz in Blum/Gassner/Seith, OWiG, 1. Aufl. 2016, § 81 Rn. 8). Gelangt das Amtsgericht von sich aus zu dieser Einschätzung, hat es von Amts wegen den Hinweis nach § 81 Abs. 1 OWiG zu erteilen mit der Folge, dass das Verfahren damit in das Strafverfahren übergeleitet wird (§ 81 Abs. 2 Satz 2 OWiG; Schulz a.a.O. § 81 Rn. 11).
Ist die Bußgeldbehörde jedoch überzeugt davon, dass nur eine Straftat vorliegen kann, so hat sie diese bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen. Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Abs. 1 Nr. 3 LFGB ist ihr dann aufgrund von dessen Wortlaut verwehrt. Verneint die Staatsanwaltschaft das Vorliegen einer Straftat und gibt den Vorgang zur Verfolgung im Ordnungswidrigkeitenverfahren an die Verwaltungsbehörde zurück, so ist ein Vorgehen nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB zwar wieder grundsätzlich möglich. Jedoch dürfte eine Veröffentlichung dann meist daran scheitern, dass diese aufgrund der inzwischen vergangenen Zeit nicht mehr “unverzüglich” ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert war mangels Anhaltspunkten für die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG in Höhe des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielte war dieser nach der Empfehlung der Ziff. 1.5, Satz 2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu halbieren, obwohl es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelte.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 VwGO


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