IT- und Medienrecht

Kaufvertrag, Disziplinarverfahren, Dienstvergehen, Vertragsschluss, Kaufpreis, Disziplinarklage, Generalstaatsanwaltschaft, Genehmigung, Arbeitsvertrag, Dienstpflicht, Zulassung, Bescheid, Verletzung, Verbraucher, Kosten des Rechtsstreits, Kosten des Verfahrens, Freistaat Bayern

Aktenzeichen  501 DSNot 1/19

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42067
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte ist eines einheitlichen Dienstvergehens wegen Verletzung
der in § 25 Abs. 2, 14 Abs. 3 BNotO normierten Dienstpflichten in einem Fall,
der in § 9 Abs. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in einem Fall,
der in § 13a Abs. 1 Satz 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 119 Fällen,
der in § 13 Abs. 1 Satz 1 BeurkG normierten Dienstpflicht in 3 Fällen,
der in § 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 2 Fällen,
der in § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO in Verbindung mit §§ 309 Nr. 7, 475a a. F. BGB normierten Dienstpflicht in 30 Fällen
sowie der in § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 54 Fällen
schuldig.
II. Gegen ihn werden daher eine Geldbuße von 50.000 € sowie ein Ver- weis verhängt.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Disziplinarklage – zu deren Entscheidung der Senat berufen ist (§§ 99, 100 BNotO, § 2 Satz 1 NotV vom 10. Februar 2000 (GVBl. S. 60, BayRS 303-1-3-J), in der Fassung der Verordnung vom 2. Oktober 2018 (GVBl. S. 745)) – ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Während der Beklagte gegen die dort näher bezeichneten Dienstpflichten verstoßen hat (dazu folgend unter 1.), liegen die übrigen Pflichtverletzungen nicht vor bzw. ist der Senat gemäß § 56 Abs. 1 BDG verfahren (dazu unter 2.). Hierwegen waren gegen den Beklagten die ausgesprochenen Disziplinarmaßnahmen zu verhängen (hierzu unter 3.).
1. Der Beklagte ist eines einheitlichen Dienstvergehens wegen Verletzung der in § 25 Abs. 2, 14 Abs. 3 BNotO normierten Dienstpflicht in einem Fall, der in § 9 Abs. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in einem Fall, der in § 13a Abs. 1 Satz 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 119 Fällen, der in § 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 2 Fällen, der in § 13 Abs. 1 Satz 1 BeurkG normierten Dienstpflicht in 3 Fällen, der in § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO in Verbindung mit §§ 309 Nr. 7, 475a a. F. BGB normierten Dienstpflicht in 30 Fällen, sowie der in § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG normierten Dienstpflicht in 54 Fällen schuldig.
a) Verstoß gegen §§ 25 Abs. 2, 14 Abs. 3 BNotO (Beschäftigung des Zeugen Dr. W.)
aa) Der Beklagte hat sich eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die in § 25 Abs. 2 BNotO normierte Dienstpflicht schuldig gemacht, da er spätestens seit August 2014 in seinem Notariat den zu diesem Zeitpunkt als Rechtsanwalt zugelassenen Dr. M. W. als juristischen Mitarbeiter mit Befähigung zum Richteramt beschäftigte, obwohl er wusste, dass eine gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 NotV (a. F.) erforderliche Genehmigung dieser Beschäftigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts München nicht vorlag und Dr. W. als Rechtsanwalt zugelassen war.
Erst mit Schreiben vom 9. Januar 2015 an den Präsidenten des Oberlandesgerichts München beantragte der Beklagte die erforderliche Genehmigung, die ihm mit Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 25. März 2015, Gz.: IV p – Kr 720 auch erteilt wurde. Darin, dass der Beklagte in seinem Genehmigungsantrag angeben hat, dass eine zukünftige Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses beabsichtigt sei, während diese Beschäftigung tatsächlich bereits aufgenommen worden war, liegt ein weiterer vorsätzlicher Verstoß gegen die in § 14 Abs. 3 BNotO normierte Pflicht zur ordnungsgemäßen Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden, die naturgemäß auch wahrheitsgemäße Angaben in Genehmigungsanträgen erfordert.
bb) Dieser Sachverhalt ist bewiesen durch die übereinstimmenden Angaben des Beklagten anlässlich seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020 (Protokoll S. 6) und des Zeugen Dr. W. dortselbst (Protokoll S. 7-9); der Beklagte hat auch eingeräumt, dass er wusste, dass der Zeuge als Rechtsanwalt zugelassen war und somit über die Befähigung zum Richteramt verfügte, weshalb er vorsätzlich handelte. Der Zeitpunkt des Genehmigungsantrages und der erteilten Genehmigung ergeben sich aus den diesbezüglichen Urkunden (Hilfsakte Bl. 101-103), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
b) Verstoß gegen die in § 9 Abs. 2 BeurkG normierte Dienstpflicht (Grundurkunde T.)
aa) Eine fahrlässige Verletzung der Dienstpflicht aus § 9 Abs. 2 BeurkG liegt darin, dass der Beklagte am 25. Mai 2015 eine Beurkundungsverhandlung über eine Grundlagenurkunde zur Aufteilung des Objekts … in M. durchführte, die nach mehrstündiger Verhandlung und Verlesung unterbrochen werden musste, weil unterschiedliche Themen noch abzuklären waren, und diese am 29. Oktober 2015 unter URNr. 6744/2015 fortsetzte und unter Außerachtlassung der notwendigen Sorgfalt in die Niederschrift nur den 29. Oktober 2015 als Tag der Verhandlung aufnahm.
bb) Der Nachweis insoweit ist geführt durch die geständige Einlassung des Beklagten im Schriftsatz vom 14. August 2019 (dort S. 5, Hauptakte Bd. I Bl. 77), der durch die in die mündliche Verhandlung eingeführten Urkunden (Hilfsakte Bl. 104-111) bestätigt wird. Zwar bindet ein prozessuales Geständnis das Gericht im Disziplinarverfahren anders als im Zivilprozess (§ 288 ZPO) wegen des Untersuchungsgrundsatzes nach § 86 VwGO nicht (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 86 Rdn. 16 m. w. N.; BVerwG, JZ 1972, 119). Bei übereinstimmendem Vortrag der Parteien ist aber keine weitere Überprüfung durch das Gericht angezeigt, wenn der Vortrag widerspruchsfrei ist und keinen Anlass zu Zweifeln bietet (Rixen in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 86 Rdn. 18 m. w. N.). So liegt es hier aufgrund der den Sachvortrag bestätigenden Urkunden.
c) Verstoß gegen § 13a Abs. 1 Satz 2 BeurkG (fehlende Bekanntheitserklärungen „T.“)
aa) Der Beklagte hat im Zeitraum von 29. Oktober 2015 bis 30. Juni 2017 in 119 Fällen fahrlässig dadurch gegen die in § 13a Abs. 1 Satz 2 BeurkG normierte Dienstpflicht verstoßen, dass er in diesen Einzelfällen Kaufverträge zwischen dem Bauträger f. GmbH & Co. KG in Essen und verschiedenen Erwerbern von als Teileigentum zu errichtenden Wohnungen im Objekt „T.“, … in M. beurkundete und hierbei jeweils die „Bekanntheitserklärung“ bezüglich der Grundlagenurkunde (URNr. 6744/2015 vom 29. Oktober 2015) unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt jeweils nicht in die notarielle Niederschrift aufnahm, obwohl er von der Verlesung der in Bezug genommenen Grundlagenurkunde abgesehen hatte und die Beteiligten jeweils erklärt hatten, dass ihnen die Grundlagenurkunde bekannt sei.
bb) Dieser Sachverhalt ist ebenfalls nachgewiesen durch die geständige Einlassung des Beklagten im Schriftsatz vom 14. August 2019 (dort S. 6, Hauptakte Bd. I Bl. 78), der durch die in die mündliche Verhandlung eingeführte Urkunde (Hilfsakte Bl. 112-114) bestätigt wird. Auch insoweit war eine weitere Überprüfung durch den Senat nicht geboten, weil keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Tatsachen bestehen (s. im Einzelnen oben zu b) bb)). Es handelt sich um einen sich stetig wiederholenden Fehler, es wurde stets dasselbe Muster verwendet.
d) Verstöße gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BeurkG (Grundschuldbestellungsurkunden)
aa) Der Beklagte nahm in zwei Grundschuldbestellungsurkunden vom 26.Oktober 2016 (URNrn. 7512/2016 und 7514/2016) Zustimmungserklärungen der Ehegatten/Lebenspartner auf, obwohl diese nicht vorlagen. In einer weiteren Urkunde vom 16. Dezember 2015 ist die Zustimmungserklärung des Ehegatten nicht gestrichen, obwohl der Beteiligte nicht verheiratet war (URNr. 8058/2015). Dies beruhte jeweils darauf, dass der Beklagte notwendige Streichungen nicht vornahm. Im Beurkundungstermin wurden die zu streichenden, aber nicht gestrichenen Textteile nicht verlesen.
Bei der Beurkundung von zwei weiteren Grundschuldbestellungen vom 2. und 19. Dezember 2015 ließ der Beklagte auf beigefügten Schriftstücken nicht jede einzelne dieser Seiten, sondern nur die letzte Seite der Urkunde unterzeichnen (URNrn. 7559/2015 und 8132/2015).
Diese hätte der Beklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt jeweils erkennen können.
bb) Auch dieser Sachverhalt ist bewiesen durch die geständige Einlassung des Beklagten im Schriftsatz vom 14. August 2019 (dort S. 7 und 13, Hauptakte Bd. I Bl. 79 und 85), der durch die in die mündliche Verhandlung eingeführten Urkunden (Hilfsakte Bl. 115-132) bestätigt wird. Eine weitere Überprüfung durch den Senat war nicht veranlasst, weil keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Tatsachen bestehen (s. im Einzelnen oben zu b) bb)).
Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten liegt in den vorbezeichneten drei Fällen der Nichtverlesung von zu streichenden, aber nicht gestrichenen Textteilen ein fahrlässiger Verstoß gegen das Verlesungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 BeurkG. Denn der Beklagte hat in den streitgegenständlichen Fällen die von in ihm aus mangelnder Sorgfalt in den Urkunden nicht gestrichenen Textteile einfach nicht mitverlesen, weil er sie für überflüssig hielt, ohne die Streichungen bei der Beurkundung oder später (§ 44a Abs. 2 BeurkG) auch in einer den Formvorschriften entsprechenden Weise zu dokumentieren. Eine Verlesungspflicht besteht nämlich bei Urkunden mit mehreren Textvarianten für nicht ausgewählten oder nicht einschlägigen Varianten nur dann nicht, wenn diese im Rahmen der Beurkundungsverhandlung tatsächlich durchgestrichen werden (vgl. Seebach/Rachlitz in: BeckOGK, Stand 01.07.2019, § 13 BeurkG Rdn. 24). Dass der Beklagte in diesen Fällen auch einen grundsätzlich möglichen Nachtragsvermerk nach § 44a Abs. 2 BeurkG nicht erstellt hat, hat demgegenüber keinen über den Verstoß gegen das Verlesungsgebot eigenständigen Unrechtsgehalt und stellt deshalb keine weitere Dienstpflichtverletzung dar.
Die Nichtunterzeichnung der Beteiligten auf jeder Seite der Anlage in den beiden angeführten Fällen stellt jeweils eine fahrlässige Verletzung von § 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BeurkG dar.
e) Verstöße gegen § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO in Verbindung mit §§ 309 Nr. 7, 475a a. F. BGB (Haftungsausschlüsse in Verbraucherverträgen)
aa) Im Zeitraum von 1. Oktober 2013 bis 6. November 2016 beurkundete der Beklagte unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt in insgesamt 30 Fällen Kaufverträge zwischen den Unternehmern D. E. K., der C. Treuhandgesellschaft mbH für Vermögen und Grundbesitz und der B. KG und Verbrauchern unter Verstoß gegen zwingende Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 309 Nr. 7 und 475 [a. F.]), wobei allerdings jeweils nur ein nachlässiger Umgang mit Textbausteinen ohne Benachteiligungsabsicht vorlag. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Fälle:
(1) In den in der 7. Spalte der auf S. 11 des Urteils wiedergegebenen Tabelle (die in der 2. Spalte die jeweiligen UR-Nrn. enthält) gekennzeichneten 23 Fällen sah der vom Betroffenen vorbereitete und beurkundete Kaufvertrag auch den Ausschluss der Gewährleistung für Sachmängel ”etwa mitverkaufter beweglicher Sachen“ vor.
(2) In den in der 8. Spalte der auf S. 11 des Urteils wiedergegebenen Tabelle (die in der 2. Spalte die jeweiligen UR-Nrn. enthält) gekennzeichneten 11 Fällen (davon liegt in 4 Fällen zugleich ein unter (1) fallender Fall vor) sah der vom Beklagten im Auftrag der Unternehmer vorbereitete und schließlich beurkundete Kaufvertrag eine Vertragsklausel vor, welche für eine wiederholte Verwendung durch den Unternehmer bestimmt war und welche den Ausschluss der Sachmängelhaftung auch für grob fahrlässiges Verhalten des Verkäufers und/oder für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, welche auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verkäufers beruhen, enthielt. Die vorgenannte Vertragsklausel wurde vom Unternehmer nicht ernsthaft in einer Weise zur Disposition gestellt, dass dies dem Verbraucher bewusst geworden wäre.
bb) Auch diesen Sachverhalt hat der Beklagte im Schriftsatz vom 14. August 2019 eingeräumt (dort S. 15, Hauptakte Bd. I Bl. 87; der dort genannte zusätzliche Fall des § 309 Nr. 7 BGB ist infolge der Einräumung eines Schreibversehens durch den Kläger (Bd. I Bl. 118) entfallen und in der Tabelle S. 11 des Urteiles nicht mehr enthalten). Er wird durch die (beispielhaft) in die mündliche Verhandlung eingeführten Urkunden URNrn. 5663/2014, 245/2016, 540/2016, 1623/2014, 3349/2015 und 6567/2016 (Hilfsakte Bl. 133-151a) bestätigt. Eine weitere Überprüfung durch den Senat war daher nicht geboten (s. im Einzelnen oben zu b) bb)).
cc) Darin liegt in jedem der genannten Sachverhalte ein fahrlässiger Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 BNotO, weil der Notar bei unwirksamen Vertragsklauseln verpflichtet ist, die Beurkundung abzulehnen (vgl. Frenz in: Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl., § 14 Rdn. 29-31 m. w. N.).
In den unter oben bb) (2) genannten Fällen lagen jeweils Allgemeine Geschäftsbedingungen des Unternehmers vor, weil eine mehrfache Verwendungsabsicht nicht bezogen auf eine bestimmtes Verkaufsabsicht oder gar einen bestimmten Verbraucher vorliegen muss, sondern im Gegenteil die mehrfache Verwendung bezüglich eines von vornherein feststehenden Personenkreises ausreicht (vgl. Urteil des BGH vom 11.12.2003, VII ZR 31/03, NJW 2004, 1454f.; Basedow in: Münchener Kommentar zum BGB (MK- BGB), 8. Aufl., § 305 Rdn. 18). Demgemäß war der in den Urkunden enthaltene Haftungsausschluss nach § 309 Nr. 7b BGB unwirksam.
Anders als der Beklagte meint, waren in den unter bb) (1) aufgeführten Fällen auch jeweils „bewegliche Sachen“ i. S. d. § 475 (a. F.) BGB (nun § 476 BGB) gegeben, weil „normale“ Einbauküchen ebenso wie Wand- und Deckenleuchten keine wesentlichen Bestandteile des Gebäudes sind (vgl. MKBGB/Stresemann aaO § 97 Rdn. 31ff.), so dass ein bei Vertragsschluss vereinbarter Gewährleistungsausschluss zu Lasten des Verbrauchers unwirksam (vgl. MK-BGB/Lorenz aaO § 476 Rdn. 29) war.
f) Zuwiderhandlungen gegen § 17 Abs. 2a BeurkG
aa) In zwei Fällen im Jahr 2014 beurkundete der Beklagte den Verkauf einer Eigentumswohnung durch Verbraucher an die B. KG, obwohl ein Kaufvertragsentwurf nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist vor dem Beurkundungstermin (§ 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 BeurkG) vom Beklagten an den jeweiligen Verbraucher übersandt worden war (URNr. 327/2014 und 4481/2014) und der Schutzzweck des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 BeurkG auch nicht anderweitig gewährleistet war.
bb) In 32 Fällen im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31.Dezember 2015 (davon entfallend 22 Fälle auf 2014 und 10 Fälle auf 2015, vgl. die Aufstellung in der Tabelle auf S. 14 und 15 des Urteiles) beurkundete der Beklagte Kaufverträge zwischen Unternehmen der P.-Gruppe und einzelnen Verbrauchern, welche als Erklärung der Verbraucher folgende oder eine entsprechende Passage enthielten:
„Der nachstehende unterzeichnete Käufer bestätigt hiermit, dass ihm mindestens 14 Tage vor dem heutigen Beurkundungstag ein Entwurf des heute zu beurkundenden Vertrages und der Teilungserklärung zur Verfügung gestellt wurde.“
In Wahrheit war in all diesen Fällen der Entwurf des zu beurkundenden Kaufvertrags vom Beklagten weniger als 14 Tage vor dem Beurkundungstag oder gar nicht an den Verbraucher versandt worden.
cc) In weiteren 20 Fällen im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. Mai 2015 (vgl. im Einzelnen die Tabelle auf S. 17 des Urteiles) beurkundete der Beklagte Kaufverträge zwischen Unternehmen der P.-Gruppe und Verbrauchern, nachdem den Verbrauchern vom Notariat fristgerecht ein Vertragsentwurf übersandt wurde. Der den Verbrauchern übersandte Kaufvertragsentwurf enthielt aber nicht alle wesentlichen Angaben für das zu beurkundende Geschäft. Es fehlte insbesondere die Höhe des Kaufpreises.
dd) Auch bezüglich dieser Dienstvergehen hat der Beklagte im Schriftsatz vom 14. August 2019 den objektiven Sachverhalt eingeräumt (dort S. 17/18, Hauptakte Bd. I Bl. 89/90). Er wird durch die (beispielhaft) in die mündliche Verhandlung eingeführten Urkunden URNrn. 327/2014, 4481/2014, 432/2014, 3373/2014, 6414/2014, 751/2014, 4585/2014, 2848/2015, 8035/2015, 438/2014, 4222/2014, 6478/2014 und 1639/2015 (Hilfsakte Bl. 152-312) bestätigt. Eine weitere Überprüfung durch den Senat war daher nicht geboten (s. im Einzelnen oben zu b) bb)).
ee) Die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe in den vorgenannten Fällen aa)-cc) seine Dienstpflichten vorsätzlich verletzt, ist hingegen nicht zur Überzeugung des Senates nachgewiesen.
Der Beklagte hat eingeräumt, dass sein Vorgehen materiell gesetzwidrig war, er jedoch damals überzeugt gewesen sei, im Interesse der durch den „Vertragsordner“ bereits vorinformierten und in keinem Fall geschädigten Verbraucher zu handeln, während bereits seit dem Jahr 2017 die gesetzlichen Vorgaben nunmehr penibel eingehalten würden (Schriftsatz vom 14. August 2019, dort S. 18-22, Hauptakte Bd. I Bl. 90-94; vgl. auch Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020, dort S. 5/6). Auch aus den Angaben der Zeugin W. im Ermittlungsverfahren (Ermittlungsakte IVpkr 720 Bd. I Bl. 161-163) ergibt sich keineswegs eine gezielte Missachtung der gesetzlichen Vorschriften, schon gar nicht zum Nachteil der Verbraucher, sondern (wie auch in sonstigen Fällen) eine mangelhafte Organisation und Überwachung des Notariates durch den Beklagten. Dies schließt zwar nicht das Verschulden, wohl aber vorsätzliches Handeln des Beklagten aus, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die damalige rechtliche Einschätzung des Beklagten vertretbar war.
ff) Der Beklagte hat sich demnach in 54 Fällen des fahrlässigen Verstoßes gegen die Dienstpflicht aus § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG schuldig gemacht.
Nach dieser Bestimmung soll dem Verbraucher der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäftes vom beurkundenden Notar zwei Wochen vor der Beurkundung zur Verfügung gestellt werden. Der zur Verfügung gestellte Text muss die wesentlichen Vertragsbestandteile, insbesondere die Höhe des Kaufpreises enthalten (vgl. BeckOGK-Seebach/Regler aaO § 17 BeurkG Rdn. 210f.), und die Versendung muss durch das Urkundsnotariat erfolgen (vgl. BeckOGKSeebach/Regler aaO § 17 BeurkG Rdn. 223ff.). Dies ist in den unter aa)-cc) dargestellten Fällen unter Verstoß gegen die notwendige Sorgfalt durch den Beklagten nicht geschehen. Zwingende Gründe für die Fristunterschreitung sind weder ersichtlich noch wurden sie in den Niederschriften angegeben (vgl. § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 a. E. BeurkG).
2. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Zeugen Dr. W. weitere Dienstpflichtverletzungen des Beklagten behauptet hat, liegen diese nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Hinsichtlich weiterer Dienstvergehen, die dem Beklagten in der Disziplinarklage und in der Nachtragsdisziplinarklage zur Last gelegt wurden, verfährt der Senat nach §§ 96 Abs. 1 Satz 1, 99, 100 BNotO, 56 Satz 1 BDG.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers liegen Dienstpflichtverletzungen des Beklagten im Rahmen der Beschäftigung des Zeugen Dr. W. nach Beantragung bzw. Erteilung der Genehmigung dieser Beschäftigung durch Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 25. März 2015 nicht (mehr) vor.
Der Senat hat auch hierzu den Beklagten persönlich angehört und den Zeugen Dr. W. in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020 vernommen. Diese Beweisaufnahme hat die Behauptungen des Klägers jedoch nicht zur Überzeugung des Senates bestätigen können; auch der weitere Inhalt der Akten vermag dies nicht.
aa) Der Beklagte hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020, dort S. 6), dass der Zeuge eine Festanstellung bei ihm betreffend zögerte, weil er fürchtete, seine Fachanwaltstitel zu verlieren. Der Zeuge habe sich dann erst um Weihnachten 2014 herum entschieden, nachdem aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klar war, dass er die Fachanwaltstitel nicht verliert. Dann habe es Vertragsverhandlungen gegeben und er (der Beklagte) habe die Genehmigung beantragt. Im Vertrag sei auch ein Nebentätigkeitsverbot vereinbart gewesen; das beinhalte ja die Zusage, dass er nicht mehr als Rechtsanwalt tätig ist. Er habe dem Zeugen bezüglich der Rückgabe der Zulassung vertraut und nicht weiter nachgeforscht.
bb) Der Zeuge Dr. W. hat demgegenüber angegeben (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2020, dort S. 8/9), dass er zunächst nicht genau gewusst habe, ob er berufsrechtlich zum einen als Rechtsanwalt/Fachanwalt und zum anderen als notarieller Rechtsassessor tätig werden durfte. Das Problem habe darin bestanden, dass er gegebenenfalls seine Zulassung als Anwalt und als Fachanwalt zurückgeben und den Fachanwalt dann wieder komplett neu machen hätte müssen. Nachdem aufgrund eines Telefongespräches mit der Anwaltskammer für ihn festgestanden habe, dass er seine Fachanwaltsbezeichnung behalten kann, kam es Ende 2014, Anfang 2015 (erinnerlich) zu dem Abschluss eines Dienstvertrages mit Herrn ….. Er wisse nicht mehr, ob er im Vorfeld des Vertragsabschlusses Herrn … gesagt habe, dass er seine Anwaltszulassung behalte und weiter als Anwalt tätig sei. Es sei sicher darüber gesprochen worden, insbesondere wegen des drohenden Verlustes des Fachanwaltstitels. Er räume ein, sich den Dienstvertrag mit Herrn … vor Unterzeichnung nicht genau angeschaut zu haben. Es sei aus seiner Sicht nicht so gewesen, dass er Herrn … bei Vertragsabschluss zugesagt hätte, dass er seine Anwaltszulassung zurückgeben werde. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der man in solchen Fällen die Fachanwaltstitel behalten darf, sei erst zu einem späteren Zeitpunkt gewesen bzw. er hätte erst deutlich nach dem Vertragsschluss von ihr Kenntnis erlangt. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe ihm aus seiner Sicht der Verlust dieser Fachanwaltstitel gedroht, so dass er die Tätigkeit bei Herrn … nicht aufgenommen hätte, wenn er seine Zulassung nicht hätte behalten können.
cc) Weitere Feststellungen dazu, ob der Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Zeuge Dr. W. auch nach Januar bzw. März 2015 weiter über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügte und anwaltlich tätig war, konnten nicht getroffen werden. Aus den Angaben der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen Dr. S. (vgl. Ermittlungsakte IVpkr 720 Bd. I Bl. 124127, dort S. 2-4), P. (vgl. Ermittlungsakte IVpkr 720 Bd. I Bl. 121) und W. (vgl. Ermittlungsakte IVpkr 720 Bd. I Bl. 162) ergeben sich keine sicheren Erkenntnisse darüber, ob der Beklagte nach Abschluss des Dienstvertrages zum 1. Februar 2015 wusste, dass der Zeuge Dr. W. (weiterhin) über eine Anwaltszulassung verfügte und/oder als solcher tätig war. Die Aussage des Zeugen Dr. S. (aaO, Bl. 124 und 126) deutet allenfalls darauf hin, dass eine anwaltliche Tätigkeit auch in diesem Zeitraum erkennbar war (Bl. 124: „daraus wurde auch kein Geheimnis gemacht.“).
Der Arbeitsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Zeugen Dr. W. wurde am 31. Januar 2015 abgeschlossen und enthielt in § 10 eine Nebentätigkeitsverbotsklausel (vgl. Ermittlungsakte IVpkr 720 Bd. I Bl. 45). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. Oktober 2014, 1 BvR 1815/12, wonach einmal erworbene Fachanwaltstitel nach einer Wiederzulassung zur Anwaltschaft weiterhin geführt werden könne, wurde veröffentlicht in BRAK, Nachrichten aus Berlin 16/2014 vom 21. November 2014, sowie (mit den vollständigen Gründen) in Heft 12/2014 (AnwBl. 2014, 1052-1054) des Anwaltsblattes (vgl. www.juris.de).
dd) Auf der Grundlage dieser Feststellungen aus der Beweisaufnahme, den Verfahrensakten sowie allgemein zugänglichen Quellen (§§ 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, 3 BDG, 173 Satz 1 VwGO, 291 ZPO) hält der Senat die Angaben des Beklagten, wonach er nach dem Abschluss des Dienstvertrages darauf vertraut habe, dass der Zeuge seine Anwaltszulassung zurückgeben und nicht weiter anwaltlich tätig sein werde, und auch nicht gewusst habe, dass dies in Wahrheit nicht der Fall war, für plausibel. Sie lässt sich mit dem zeitlichen Ablauf in Einklang abbringen, wonach der Zeuge zunächst gezögert habe, weil er den Verlust seiner Fachanwaltstitel befürchtet habe, dies aber um Weihnachten 2014 herum durch eine Entscheidung des BVerfG in dessen Sinne geklärt gewesen sei, so dass es dann zum Vertragsabschluss kam. Tatsächlich wurde diese Entscheidung (vom 22. Oktober 2014, s. o.) auch im Dezember 2014 veröffentlicht. Die Aussage des Zeugen Dr. W,, wonach ihm diese Entscheidung erst „deutlich nach Vertragsabschluss“ zur Kenntnis gelangt sei, erscheint dem gegenüber wenig glaubhaft, weil das Thema ein für ihn entscheidendes war, so dass damit zu rechnen war, dass er Veröffentlichungen hierzu aufmerksam verfolgt, und zudem wenig wahrscheinlich ist, dass er Veröffentlichungen in den BRAK-Mitteilungen und im Anwaltsblatt nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl er zum damaligen Zeitpunkt als Rechtsanwalt zugelassen war. Ebenso zweifelhaft erscheint die Angabe des Zeugen, er habe den Dienstvertrag mit einem (seiner weiteren Tätigkeit als Rechtsanwalt entgegenstehenden) Nebentätigkeitsverbot nur unterzeichnet, weil er ihn nicht genau durchgelesen habe. Hingegen ist lebensnah und nachvollziehbar, dass der Beklagte nach Abschluss dieses Vertrages ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte keinen Anlass hatte, daran zu zweifeln, dass der Zeuge seine Anwaltszulassung zurückgeben und nicht mehr als Anwalt tätig sein werde.
ee) Ein (weiteres) Dienstvergehen nach § 25 Abs. 2 BNotO nach Erteilung der Genehmigung durch Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 25. März 2015 hätte vorausgesetzt, dass der Beklagte entweder schon bei Beantragung der Genehmigung (dann „Erschleichen“ der Genehmigung) oder zu einem späteren Zeitpunkt positiv gewusst hätte, dass der Zeuge weiterhin über eine Zulassung verfügen und als Anwalt tätig sein wird. Dies war nach obigen Ausführungen nicht der Fall. Er hatte aufgrund des vereinbarten Nebentätigkeitsverbotes auch keinen Anlass, dies ohne konkreten Anlass zu überprüfen oder sich dies vom Zeugen nachweisen zu lassen. Allein die Tatsache, dass der Beklagte möglicherweise hätte erkennen können, dass der Zeuge (weiterhin) anwaltlicher Tätigkeit nachgeht, reicht hierfür nicht aus.
b) Soweit dem Beklagten in der Disziplinarklage vom 13. März 2019 weiter vorgeworfen wird, es über die unter Ziff. 1d aufgeführten Fälle hinaus auch in mindestens 26 weiteren Fällen bei Grundschuldbestellungsurkunden in den Jahren 2015 und 2016 unterlassen zu haben, die Streichung der für die zu beurkundenden Erklärungen unzutreffenden und deshalb auch nicht verlesenen, teils alternativ auszuwählenden, Textpassagen (z.B.: Einzahl/Mehrzahl) aus den jeweiligen Textbausteinen der Kreditunternehmen vorzunehmen (vgl. im Einzelnen Disziplinarklage vom 13. März 2019, S. 9/10, Hauptakten Bd. I Bl. 122/123), sowie in weiteren 27 Fällen Immobilienkaufverträge unter Beteiligung von Verbrauchern beurkundet zu haben, obwohl diesen der Kaufvertragsentwurf vom Beklagten entweder gar nicht oder weniger als 15 Tage vor dem Beurkundungstermin übersandt wurde oder der übersandte Entwurf nicht alle wesentlichen Angaben enthalten hatte (Disziplinarklage vom 13. März 2019, S. 14-22, Hauptakten Bd. I Bl. 127/135; dies betrifft die URNrn. 690/2014, 303/2014, 2280/2014, 3501/2014, 4488/2014, 4621/2014, 5563/2014, 5569/2014, 6525/2014, 6999/2014, 8082/2014, 3327/2015, 3757/2015, 3767/2015, 4001/2015, 4238/2015, 4596/2015, 4600/2015, 4902/2015, 4903/2015, 4927/15, 8166/2015, 8290/2015, 3271/2015, 630/2014, 5440/2014 und 6477/2014, vgl. Verfügungen des Senatsvorsitzenden vom 24. September und 21. Oktober 2020, Hauptakten Bd. I Bl. 240/241 und 252/253), werden diese Fälle gemäß § 56 Satz 1 BDG ausgeschieden, weil sie angesichts der Tatsache, dass der Senat den (auch unter Berücksichtigung dieser Dienstvergehen) maximal möglichen Ahndungsrahmen ausgeschöpft hat (s. im einzelnen unten 3.), für Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme nicht ins Gewicht fallen. Die Beschränkung konnte auch noch in den Urteilsgründen erfolgen (vgl. Fürst/Weiß, GKÖD, Band II, § 56 BDG Rdn. 13 und 14; BGH, Beschluss vom 28.08.2019, NotSt (Brfg) 1/18, BGHZ 223, 335ff., zitiert nach juris, dort Rdn. 90).
c) Gleiches gilt für die Dienstvergehen, welche dem Beklagten mit der Nachtragsdisziplinarklage vom 20. August 2020 zur Last gelegt werden (vgl. im Einzelnen Nachtragsdisziplinarklage vom 20. August 2020, dort S. 6-13). Diese waren mit Eingang der als solche bezeichneten Nachtragsdisziplinarklage innerhalb der Frist des § 53 Abs. 2 Satz 2 BDG ohne Weiteres Bestandteil des anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den Beklagten geworden (vgl. Fürst/Weiß aaO § 53 Rdn. 51), auch wenn die (verlängerte) Einlassungsfrist für den Beklagten gemäß §§ 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, 54, 58 Abs. 2 BDG bis zur mündlichen Verhandlung nicht gewahrt werden konnte. Auch insoweit konnte im Urteil nach § 56 BDG verfahren werden, ohne dass es eines vorherigen rechtlichen Hinweises bedurfte (vgl. Fürst/Weiß aaO § 53 Rdn. 49). Aus den zuvor unter b) dargestellten Gründen fallen auch diese (möglichen) Dienstvergehen für Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme nicht ins Gewicht.
3. Wegen der festgestellten Dienstpflichtverletzungen hält der Senat die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 50.000 € sowie eines Verweises (§ 97 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und Satz 2 BNotO) gegen den Beklagten für erforderlich.
Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere der Amtspflichtverletzung unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbilds des Notars und des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit zu bemessen, § 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 13 Abs. 1 BDG.
a) Entgegen der Ansicht des Klägers erfordert das aufgrund der schuldhaften Verletzung der Amtspflichten begangene einheitliche Dienstvergehen (vgl. Herrmann in: Schippel/Görk, BNotO, 10. Aufl., § 95 Rdn. 7) nicht die dauerhafte Entfernung des Beklagten aus dem Amt (§ 97 Abs. 1 BNotO) oder eine Entfernung vom bisherigen Amtssitz (§ 97 Abs. 2 Satz 1 BNotO).
aa) Die dauerhafte Entfernung aus dem Amt darf im Disziplinarverfahren als schwerste Maßnahme lediglich dann verhängt werden, wenn der Notar in einer Weise gegen seine Pflichten verstoßen hat, die sein Verbleiben im Amt untragbar macht (BGH, Beschluss vom 28.08.2019, NotSt(Brfg) 1/18, BGHZ 223, 335ff., zitiert nach juris, dort Rdn. 114ff. sowie Urteile vom 18.11.2019, NotSt(Brfg) 4/18, WM 2020, 615ff., zitiert nach juris, dort Rdn. 47ff., und vom 24.11.2014, NotSt(Brfg) 1/14, BGHZ 203, 280ff., zitiert nach juris, dort Rdn. 51ff.). Diese Voraussetzungen können regelmäßig dann vorliegen, wenn der Notar strafbare Handlungen, vor allem die Veruntreuung von ihm Anvertrautem oder Falschbeurkundungen, begangen oder in schwerwiegender Weise an unerlaubten oder unredlichen Geschäften mitgewirkt hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18.11.2019 aaO). Geringere Pflichtverletzungen setzen zumindest einschlägige vorausgegangene Disziplinarmaßnahmen voraus (BGH, Beschluss vom 28.08.2019 aaO und Urteil vom 24.11.2014 aaO). Maßgeblich für die Beurteilung, ob das Dienstvergehen einen die Entfernung gebietenden und zugleich rechtfertigenden Schweregrad aufweist, ist eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände. Die Entfernung vom bisherigen Amtssitz kommt in Betracht, wenn der beschuldigte Notar durch erhebliche, in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Verfehlungen sein Ansehen so sehr geschädigt hat, dass er am bisherigen Amtssitz nicht mehr tragbar erscheint, eine Entfernung aus dem Amt aber eine zu harte Maßnahme wäre (Herrmann in: Schippel/Görk aaO § 97 Rdn. 12; Kindler in: Frenz/Miermeister aaO § 97 Rdn. 23).
bb) Die nach diesem Maßstab vorgenommene Bewertung führt dazu, dass das einheitliche Dienstvergehen des Beklagten eine Entfernung aus dem Amt oder auch eine Entfernung vom bisherigen Amtssitz nicht (mehr) zu rechtfertigen vermag.
(1) Zwar hat der Beklagte über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren in zahlreichen Einzelfällen gegen diverse Dienstpflichten verstoßen, darunter jedenfalls mit § 17 Abs. 2a BeurkG auch gegen solche, die für die unparteiische und unabhängige Ausübung des Notaramts wesentlich sind. Auch der vorsätzliche Verstoß gegen § 25 Abs. 2 BNotO wiegt schwer. Im Kreis der in Bayern tätigen Notare mag aufgrund der möglichen negativen Auswirkungen auf das Ansehen des gesamtes Berufstandes auch eine deutliche Reaktion auf diese erheblichen Pflichtverletzungen erwartet werden.
(2) Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte bisher disziplinarisch nicht vorbelastet ist, dass er während des gesamten Verfahrens bei der Aufklärung des Sachverhalts kooperativ mitgewirkt hat und dass sich auch nach Ansicht des Klägers keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass durch seine Handlungen Verbraucher oder andere Urkundsbeteiligte tatsächlich geschädigt wurden. Auch hat er seine Kanzleiorganisation und Beurkundungspraxis im Zusammenhang mit § 17 Abs. 2a BeurkG geändert, so dass es insoweit mindestens seit dem Jahr 2018 zu keinen weiteren Beanstandungen mehr kam. Der Beklagte ist seit Beginn der Ermittlungen und Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens über mehr als drei Jahre weiter als Notar tätig gewesen, ohne dass seine Amtsführung (mit Ausnahme der weniger gewichtigen Verfehlungen, die der Nachtragsdisziplinarklage zugrunde lagen) Anlass zu Beanstandungen gegeben hätte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände geht der Senat auch aufgrund der in seiner persönlichen Anhörung dargestellten Maßnahmen zur Verbesserung der Kanzleiorganisation und Reduzierung des Beurkundungsumfanges davon aus, dass der Notar zwischenzeitlich die grundlegenden Anforderungen an sein Amt, insbesondere in Bezug auf den ihm gemäß § 17 Abs. 2a BeurkG obliegenden Schutz unerfahrener und ungewandter Beteiligter, erkannt hat, sich ernsthaft bemüht, ihnen mit der gebotenen hohen Sorgfalt gerecht zu werden, und dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Angesichts dessen kann jedenfalls nicht mehr festgestellt werden, dass der Beklagte als Notar insgesamt oder an seinem Amtssitz untragbar erscheint. Weiterhin konnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte und seine Familie durch die lange Dauer der Ermittlungen und des Disziplinarverfahrens (seit Juni 2017) bereits erheblich belastet worden sind. Es ist daher auch unter Berücksichtigung des belehrenden Charakters der den notariellen Pflichtenkatalog noch einmal verdeutlichenden Ausführungen im vorliegenden Urteil davon auszugehen, dass die Verhängung einer Geldbuße und eines Verweises ausreicht, um den Notar zu einem pflichtgemäßen Verhalten anzuhalten. Nach den oben dargelegten Maßstäben kommt eine Entfernung aus dem Amt oder auch eine Entfernung vom bisherigen Amtssitz (§ 97 Abs. 2 Satz 1 BNotO) auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht (mehr) in Betracht.
b) Die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 BNotO, der dem Senat die Verhängung einer an den durch die Dienstpflichtverletzungen erzielten Vorteilen orientierten Geldbuße ermöglichen würde, liegen im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
Dies würde Gewinnsucht voraussetzen. Diese verlangt ein (anstößiges) Erwerbsstreben nach Vermögensvorteilen, die gesetzwidrig oder nach dem Standesrecht unerlaubt und unangemessen sind (BGH, Beschluss vom 28.08.2019 aaO Rdn. 120; Kindler in: Frenz/Miermeister aaO § 97 Rdn. 19). Mit dem strafrechtlichen Begriff der Gewinnsucht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. Mai 2017, 2 StR 489/16, wistra 2017, 407ff.: Streben nach Gewinn um jeden Preis) ist dieses Merkmal nicht gleichzusetzen (BGH vom 28.08.2019 aaO; Frenz/Miermeister aaO). So kann Gewinnsucht etwa vorliegen bei unerlaubter Nebentätigkeit, gesetzeswidriger Werbung oder fortgesetzter, nicht gerechtfertigter Tätigkeit außerhalb des Amtsbereichs, wenn der Notar erstrebt, andernfalls nicht erreichbare Beurkundungsaufträge zu erhalten (BGH vom 28.08.2019 aaO und Frenz/Miermeister aaO).
Soweit dem Beklagten nach den obigen Feststellungen nur fahrlässig begangene Dienstpflichtverletzungen zur Last liegen, scheidet Gewinnsucht bereits begrifflich aus, weil diese ein zielgerichtetes, also vorsätzliches Handeln voraussetzt. Hinsichtlich der Beschäftigung des Mitarbeiters Dr. W. über einen Zeitraum von ca. 6 Monaten ohne Genehmigung ist nicht ersichtlich, dass diese (in erster Linie, vgl. Herrmann in: Schippel/Görk aaO § 97 Rdn. 9a) erfolgte, um so anderweitig nicht erreichbare Beurkundungsaufträge zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass nach Beantragung der Genehmigung für die Beschäftigung diese auch erteilt worden ist.
c) Der Senat hält eine Geldbuße in Höhe von 50.000 € für erforderlich, um das Dienstvergehen zu ahnden, § 97 Abs. 4 Satz 1 BNotO. Obwohl der Kläger disziplinarrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war, scheidet insbesondere in Anbetracht des erheblichen Gewichts der festgestellten, wie ausgeführt teilweise den Kernbereich der notariellen Amtspflichten betreffenden zahlreichen und über einen langen Zeitraum von etwa fünf Jahren begangenen Verstöße, die Verhängung einer niedrigeren Geldbuße aus. Dabei nimmt der Senat im Hinblick auf die Bemessung der Geldbuße zunächst Bezug auf die oben zur Entfernung aus dem Amt angestellten Erwägungen zur Schwere der Amtspflichtverletzungen, zu dem Persönlichkeitsbild des Notars und zu dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit durch die Amtspflichtverletzungen. Schließlich haben auch die weiteren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Notars Berücksichtigung gefunden, insbesondere das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten von 40.000 € bis 60.000 €.
Die Verhängung einer höheren Geldbuße (die angesichts der Vielzahl der Pflichtverletzungen des Beklagten sonst durchaus denkbar wäre) ist dem Senat angesichts des Erreichens der gesetzlichen Höchstgrenze (§ 97 Abs. 4 Satz 1 BNotO) nicht möglich.
d) Es erscheint dem Senat angesichts der Vielzahl der Pflichtverletzungen in verschiedenen Bereichen über einen längeren Zeitraum angemessen, neben der Geldbuße einen Verweis gegen den Beklagten auszusprechen (vgl. § 97 Abs. 1 Satz 2 BNotO). Der Verweis ist nach §§ 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, 6 Satz 1 BDG der schriftliche Tadel der festgestellten Dienstpflichtverletzungen in ernster, deutlicher Form (vgl. Kindler in: Frenz/Miermeister aaO § 97 Rdn. 15). Hierdurch soll dem Beklagten nochmals die Vorwerfbarkeit und der Umfang seiner Dienstpflichtverletzungen deutlich gemacht werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 96 Abs. 1 BNotO, 77 BDG, 154 Abs. 1 VwGO; der Beklagte trägt danach die gesamten Kosten des Rechtsstreits, auch wenn der Senat nicht die Kläger erstrebte Entfernung aus dem Amt verhängt hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.08.2019 aaO Rdn. 134; Bormann/Hüren in: Frenz/Miermeister aaO § 99 Rdn. 27). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28.08.2019 aaO Rdn. 134; BVerwG, NVwZ-RR 2010, 166; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl., § 78 Rdn. 3).


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