IT- und Medienrecht

Kein Anspruch auf Neulieferung eines VW Tiguan wegen des VW-Abgasskandals, aber auf Nachbesserung

Aktenzeichen  21 O 34/16

Datum:
20.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134824
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 439 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263

 

Leitsatz

1. Der Einsatz einer prüfstandsoptimierenden Software begründet zwar einen Sachmangel, jedoch keinen Anspruch auf Lieferung des Nachfolgemodells der zweiten Modellgeneration (Tiguan II) gegen den Verkäufer. (Rn. 17)
2. Der Hersteller haftet mangels ausreichenden Sachvortrags zum Vorsatz nicht aus Delikt. (Rn. 27)

Tenor

I. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, den Pkw VW Tiguan 2,0 l TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W… insoweit nachzubessern, als er wegen Einsatzes einer den Stickoxidausstoß im Prüfstandbetrieb optimierenden Software einen Sachmangel aufweist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Der Streitwert wird auf 35.350 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind nur gegen die Beklagte zu 1 teilweise begründet.
I.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1 ist nur nach dem Hilfsantrag zu Ziff. 4. begründet.
1. Der Hauptantrag ist unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachlieferung des geforderten Pkw nach § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 zweite Alternative, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB.
a) Der Pkw weist einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Sachmängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
Der Pkw eignet sich zwar trotz des Einbaus der Abschalteinrichtung für die gewöhnliche Verwendung, da er technisch sicher und verkehrstauglich ist. Er weist aber nicht die Beschaffenheit auf, welche der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Reduzierung der Stickoxidwerte erfolgreich absolviert. Die Einhaltung der Grenzwerte unter Verwendung einer dafür konzipierten Software kann diesen Erwartungen nicht gerecht werden.
b) Der Anspruch auf Nachlieferung ist wegen objektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen.
Der Nacherfüllungsanspruch stellt einen modifizierten Erfüllungsanspruch dar und kann nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch. Er beschränkt sich auf die Nachlieferung einer gleichartigen und gleichwertigen Sache (Palandt/Weidenkaff, BGB,75. Auflage, § 439, Rn. 15). Der Pkw wird unbestritten nicht mehr hergestellt. Bei einem vom Verkäufer bestellten und vom Hersteller nach dessen individuellen Konfigurationen gefertigten Neuwagen ist davon auszugehen, dass nach der übereinstimmenden Vorstellung der Parteien der Erfüllungsanspruch auf ein diesen Käuferwünschen entsprechendes Fahrzeug gerichtet und beschränkt ist (vgl. OLG Nürnberg, 15.12.2011, Az. 13 U 1611/11, Rn. 60 Juris). Die Lieferung eines Neuwagens der zweiten Generation mit einer geänderten Motorisierung ist deshalb nicht gleichartig und gleichwertig. Der Käufer würde durch die Nachlieferung eines Nachfolgemodells eine über den ursprünglichen Erfüllungsanspruch hinausgehende Leistung zugesprochen bekommen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass dem Beklagten die Beschaffung des vom Kläger geforderten Fahrzeugs auf andere Weise als durch den Direktbezug vom Hersteller möglich ist, da alle vergleichbaren, am Markt verfügbaren, Pkw von dem Mangel betroffen sind.
2. Die mit dem Klageantrag unter Ziff. 2 begehrte Feststellung des Annahmeverzugs kann wegen der fehlenden Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme des Fahrzeugs nicht verlangt werden.
3. Der Hilfsantrag zu Ziff. III ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Nachbesserung des Pkw gemäß § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 erste Alternative, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zu. Das insoweit erforderliche Update der Software ist zwischenzeitlich vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben, so dass die Beklagte zu 1 die geforderte Nachbesserung durchführen kann.
4. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren besteht vorliegend nicht, weil die Nachbesserung vorgerichtlich nicht verweigert worden und deshalb die Beauftragung der Klägervertreter zur Durchsetzung der Nachbesserung nicht erforderlich war.
II.
Die Klage gegen die Beklagte zu 2 ist unbegründet.
1. Der Kläger hat schon dem Grunde nach keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2. a) Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 823 Abs. 1 BGB, denn es fehlt schon die hierzu erforderliche Rechtsgutsverletzung. Eine Eigentumsverletzung liegt wegen der bereits ursprünglich bestehenden Mangelhaftigkeit des Pkw nicht vor. Eine bloße Vermögensschädigung stellt keine Rechtsgutsverletzung dar.
b) Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Der Kläger hat alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergeben. Diesen Nachweis hat der Kläger nicht erbracht.
Zwar kann man aufgrund des Einbaus der Abschalteinrichtung eine Täuschungshandlung gegenüber den betroffenen Endkunden in mittelbarer Täterschaft dahingehend bejahen, dass hierin ein Irrtum über die Erlangung der Typengenehmigung auf legalem Wege hervorgerufen oder zumindest nach internem Bekanntwerden der Manipulationen erhalten wurde. Allerdings ist vorliegend schon nicht dargelegt worden, wie das Verhalten der zuständigen Softwareentwickler der Beklagten zu 2 zugerechnet werden kann. Eine Zurechnung der diesbezüglichen Handlungen Einzelner über § 31 BGB (analog) wird vom Kläger nicht hinreichend dargelegt.
c) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Verordnung EG Nr. 715/2007, da diese Norm ihrem Zweck nach der Vollendung des Binnenmarkts dient. Der Kläger wäre damit schon nicht vom sachlichen und persönlichen Schutzbereich der Norm erfasst.
d) Schließlich scheidet ein Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung des Klägers durch die Beklagte zu 2 aus. Die Haftung eines Unternehmens nach § 826 BGB setzt voraus, dass der Vorstand oder ein verfassungsmäßig berufener Vertreter in seiner Person den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht (BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, Leitsatz 1., Juris). Die Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und -zusammenrechnung durch das Abstellen auf die „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse reicht nicht (BGH ebenda in Leitsatz 3. und Rn. 23, unter Ablehnung der Ansicht von Wagner in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 826 Rn. 36). Erforderlich ist sowohl die Feststellung der Sittenwidrigkeit in einer konkreten Person im Sinne eines moralischen Unwerturteils als auch eines Schädigungsvorsatzes, der die Schädigung des Anspruchstellers erkannt und in seinen Willen aufgenommen haben muss (BGH, ebenda, Rn. 23, 25, 26). Da hierzu schon ein konkreter Vortrag des Klägers fehlt, kann auch kein Anspruch aus § 826 BGB zuerkannt werden.
e) Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB, denn es fehlt bereits an der Verwirklichung der objektiven Tatbestände einer unerlaubten Handlung nach §§ 823-826, 832 ff. BGB.
2. Wegen des fehlenden materiellen Anspruchs steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gegen die Beklagte zu 2 zu.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Da der Kläger allein mit dem Nachbesserungsverlangen wegen der „Schummelsoftware“ gegenüber der Beklagten zu 1 obsiegt und die neue Software lediglich mit einem Zeitaufwand von weniger als einer Stunde aufgespielt werden muss (Update), ist der Wert der Nachbesserung relativ gering. Entwicklungskosten für das Update sind der Beklagten zu 1 nicht entstanden. Sie werden von der Beklagten zu 2 als Hersteller getragen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
Der Streitwert folgt aus der Addition des werthöchsten Antrags gegenüber der Beklagten zu 1 (Ersatzlieferung eines neuen Fahrzeugs, das 31.350 Euro kostete) und dem Feststellungsantrag gegenüber der Beklagten 2, der sonstige Schäden abdeckt, insbesondere eine evtl. Wertminderung im Fall des späteren Verkaufs. Diese wird vorliegend mit 5.000 Euro geschätzt; reduziert um 20% Feststellungsabschlag verbleiben 4.000 Euro.


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