IT- und Medienrecht

Kein Anspruch auf Schadensersatz bei im März 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Neu-)Fahrzeug

Aktenzeichen  3 U 144/19

Datum:
20.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29353
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals im Ergebnis wie hier: BGH BeckRS 2020, 19146; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2020, 18189; BeckRS 2019, 43569; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29275; sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen OLG München BeckRS 2020, 27980 (dort Ls. 1); OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7457 (dort Ls. 4); noch weitergehend: OLG Braunschweig BeckRS 2020, 28511; aA noch: OLG Köln BeckRS 2020, 7312; OLG Hamm BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 280; BeckRS 2020, 6021; OLG Dresden BeckRS 2020, 4135; OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086; BeckRS 2020, 17856; differenzierend OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5609 (Kenntnis erst ab März 2016). (redaktioneller Leitsatz)
2. Beim Kauf eines betroffenen Fahrzeugs rund ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des sog. „Dieselskandals“ fehlt es schon am notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen einem etwaigen Sittenverstoß und dem Schadenseintritt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Jedenfalls ab Mitte Oktober 2015 kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Kaufverträge über Dieselfahrzeuge mit dem Motor EA 189 von der Herstellerin in sittenwidriger Weise „veranlasst“ worden waren. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 673/18 2019-04-18 Endurteil LGBAMBERG LG Bamberg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 18.04.2019, Az. 11 O 673/18, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 22.05.2020 Stellung zu nehmen.

Gründe

A.
I.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
Der Kläger nimmt die Beklagte nach Deliktsgrundsätzen auf Schadensersatz und Feststellung im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 21.03.2016 bei der Fa. A. in … einen gebrauchten X., Fahrzeugidentifizierungsnummer …, mit einer Laufleistung von 11.500 km zum Kaufpreis von 33.990,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und mit einer Software ausgerüstet, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrug 71.837 km.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er Kenntnis von der gesetzwidrigen Software erst durch ein Schreiben der Beklagten im Dezember 2016 erhalten habe. Hätte er dies schon beim Kauf gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Er habe sogar beim Kauf gefragt, ob es Probleme beim Wiederverkauf geben könne, was der Händler verneint habe. Er habe sich darauf verlassen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte eingehalten würden. Die Beklagte hafte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und aus § 823 Abs. 2 iV.m. § 27 EG-FGV und sei zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Nutzungsvorteil sei anzurechnen.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, soweit in der Berufungsinstanz noch von Belang:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.990,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% Punkten seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückgabe des KFZ X., FIN … und Zahlung einer angemessenen Nutzungsentschädigung zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch als nicht gegeben angesehen. Insbesondere sei kein Schädigungsvorsatz gegeben. Die Beklagte habe in einer Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015 über die Problematik informiert. Danach sei die „DieselgateAffäre“ in der Öffentlichkeit in sämtlichen Medien diskutiert worden. Auch dem Kläger könne dies nicht entgangen sein. Diesem sei es auf den Schadstoffausstoß ohnehin nicht angekommen.
II.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Täuschungshandlung der Beklagten habe zwar zunächst durch die Verwendung der manipulierten Software vorgelegen. Allerdings sei diese nicht mehr kausal für den Kaufentschluss des Klägers gewesen. Aufgrund der adhocMitteilung vom 22.09.2015 der Beklagten und des nachfolgenden Medienechos sei es nicht vorstellbar, dass der Kläger im relevanten Zeitpunkt des Erwerbs am 21.03.2016 keinerlei Kenntnis von diesen Vorgängen gehabt habe. Tatsächlich habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er Bedenken gehabt habe, dass es bei einem Wiederverkauf zu Problemen kommen könne.
III.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags. Das Handeln der Beklagten sei auch noch im Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs als sittenwidrig einzuordnen. Insbesondere sei die adhoc-Mitteilung und die anschließende mediale Berichterstattung nicht geeignet gewesen, die Sittenwidrigkeit zu beseitigen. Eine umfassende Information habe nicht stattgefunden. Vor allem habe die Beklagte die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB nicht eingeräumt. Der Kläger habe erst mit der Benachrichtigung durch die Beklagte Kenntnis von der Manipulation erlangt. Bei Kenntnis von dem Fehlen der gesetzlichen Vorgaben hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben.
Der Kläger beantragt,
1.Das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 18.04.2019, Az. 43 O 165/19, wird aufhoben.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.990,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% Punkten über jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.139,13 € Zug um Zug gegen Rückgabe des KFZ X., Fahrgestellnummer … zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
B.
Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet mit der Folge, dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO bietet. Zu Recht und auch mit in jeder Hinsicht überzeugenden Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Feststellungen im Ersturteil Bezug, die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden. Zu den Berufungsangriffen sind lediglich die folgenden Anmerkungen veranlasst:
I.
Ein Anspruch des Klägers aus der Vorschrift des § 826 BGB ist nicht gegeben. Im Streitfall scheitert eine deliktische Einstandspflicht der Beklagten wegen sittenwidriger Täuschung der Klägerseite von vornherein daran, dass der Kauf des Fahrzeugs erst am 16.12.2016 und damit mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden des sog. „Dieselskandals“ am 22.09.2015 erfolgt ist und es daher schon am notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen einem etwaigen Sittenverstoß und dem Schadenseintritt fehlt.
1. Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang und damit eine Zurechenbarkeit des Schadens besteht nur dann, wenn der Schaden sich innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm verwirklicht; es muss ein innerer Zusammenhang mit der durch den Schädiger hervorgerufenen Gefahrenlage bestehen (BGH NJW-RR 1972, 36, 37).
a) Der der Beklagten angelastete Sachverhalt erschöpft sich nämlich nicht darin, dass sie Fahrzeuge mit einer gesetzwidrigen Motorsteuerung hergestellt und in den Verkehr gebracht hatte; vielmehr liegt der haftungsbegründende Schwerpunkt darin, dass sie damit gegenüber den Kaufinteressenten zugleich den Eindruck erweckt hatte, das Fahrzeug entspreche den Zulassungsbestimmungen (in diesem Sinne schon OLG Oldenburg MDR 20, 286, Rn.13); die Käuferseite wurde so zum Abschluss eines Vertrags veranlasst, den sie bei Kenntnis der manipulierten Software nicht eingegangen wäre. Der Tatvorwurf geht also in der Sache dahin, dass der Käufer in Bezug auf einen aufklärungspflichtigen (und aufklärungsbedürftigen) Sachmangel des Fahrzeugs in sittenwidriger Weise zu einer schädlichen Vermögensdisposition bestimmt worden war.
b) In einem solchen Fall genügt es jedoch nicht, dass der Täter die Möglichkeit einer schadensträchtigen Entwicklung erkannt und gebilligt hatte. Vielmehr trifft ihn der haftungsbegründende Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die schadenauslösende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu in sittenwidriger Weise veranlasst worden war. Anderenfalls hat sich das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit bei der Schädigung nicht verwirklicht (BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 – VI ZR 189/78, dort Rn. 18, bestätigt durch Urteil vom 7. Mai 2019 – VI ZR 512/17, dort Rn. 8 OLG Stuttgart NJW-RR 20, 210, dort Rn. 42 m.w.N.).
Denn für die abschließende sittliche Beurteilung eines Täterverhaltens hat es auf den maßgebenden „Tatzeitpunkt“ anzukommen, zumal bis dahin auch der Täuschungs- und Schädigungsvorsatz der Täterseite fortbestehen muss (so jetzt auch OLG Stuttgart, Urteil vom 23.01.20 – 13 U 244/18 -, dort Rn. 75, 76 und 82). Das aber ist derjenige Moment, in dem das Tatgeschehen aus der Vorbereitungs- bzw. Versuchsphase unmittelbar in die volle Verwirklichung des im konkreten Schadensfall haftungsbegründenden Deliktstatbestandes einmündet; bei einer Konstellation wie hier geht es somit um denjenigen Zeitpunkt, in dem sich der jeweilige Endabnehmer des Fahrzeugs infolge der bis zuletzt ausgebliebenen Aufklärung über den gegenständlichen Softwaremangel zum Abschluss des Kaufvertrages hatte bestimmen lassen.
Infolgedessen muss in den Fällen des Erwerbs eines Dieselfahrzeugs mit einer manipulierten Software eine sittenwidrige „Veranlassung“ der Beklagten auch noch bei Abschluss des konkreten Kaufvertrags vorgelegen haben; d.h. gerade der schadensträchtige Erwerb durch die betroffene Klägerseite muss auf ein Gesamtverhalten der Beklagten zurückzuführen sein, welches das Unwerturteil der Verwerflichkeit rechtfertigt (OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Oldenburg a.a.O., Rn. 13ff. und Urteil des OLG Frankfurt vom 13.11.19 – 13 U 274/18 -, dort Rn. 51, jeweils m.w.N.).
c) Da der Schwerpunkt des Tatvorwurfs auf einer sittenwidrigen Täuschung und der dadurch bedingten Schädigung der Käuferseite liegt, folgt daraus notwendig, dass sich der entscheidende Wertungsgesichtspunkt auf die Frage zuspitzt, ob und in welchem Umfang die Beklagte im Zeitpunkt des jeweiligen Kaufvertrags bereits geeignete Schritte zur Aufklärung potentieller Kaufinteressenten im Bereich ihres Absatzmarktes unternommen hatte. Hierbei macht es von vornherein keinen Unterschied, ob es um den Kauf eines Gebrauchtwagens wie hier (und in den jeweils von OLG Stuttgart, OLG Oldenburg und OLG Frankfurt a.a.O. beurteilten Fallgestaltungen) oder um den Erwerb eines Neuwagens geht. Im Gegenteil: Im Fall eines Ersterwerbs gibt es bereits keinen von der Phase des „Inverkehrbringens“ verschiedenen „Tatzeitpunkt“.
2. Nach diesen Einordungskriterien kann jedenfalls ab Mitte Oktober 2015 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Kaufverträge über Dieselfahrzeuge mit dem Motor EA 189 wie zuvor von der Beklagten in sittenwidriger Weise „veranlasst“ worden waren.
Demnach war auch zum Zeitpunkt des gegenständlichen Kaufvertrags der notwendige Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht mehr gegeben, weil er bereits mit dem Bekanntwerden des Abgasskandals nachträglich entfallen war.
Das ergibt sich aus der Aufdeckung der manipulativen Abschalteinrichtung bei dem gegenständlichen Motor EA 189 und den von der Beklagten aus diesem Anlass unternommenen Schritten zur Unterrichtung der „breiten“ Öffentlichkeit.
2.1 Bei diesen Maßnahmen der Beklagten handelt es sich vor allem um folgende senats- bzw. allgemeinkundige Vorgänge (§ 291 ZPO), die sich im Übrigen auch aus der unbestritten gebliebenen bzw. nach § 138 IV ZPO nicht zulässig bestrittenen Darstellung der Beklagtenseite ergeben (vgl. ergänzend auch OLG Stuttgart NJW-RR a.a.O., Rn. 45ff.):
a) Ob bereits die Pressemitteilung der Beklagten vom 18. September 2015 und die sog. AdhocMitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 zum Wegfall des Verdikts der Sittenwidrigkeit geführt haben, kann dahinstehen.
Jedenfalls hatte die Beklagte am 22. September 2015 auch eine Pressemitteilung herausgeben, in der mitgeteilt wurde, dass „Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen auffällig“ seien. Bei diesem Motortyp sei „eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb festgestellt“ worden. Diese Verlautbarung hatte sofort eine intensive Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen, Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland ausgelöst.
Anfang Oktober 2015 hatte die Beklagte sodann eine Website freigeschaltet, auf der durch Eingabe der FIN überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der manipulierten Abschalteinrichtung versehen, also von dem sog. Dieselskandal betroffen ist. Dies wurde ebenfalls in einer Pressemitteilung bekannt gegeben und war Gegenstand einer umfangreichen Presseberichterstattung. Darüber hinaus informierte die Beklagte ihre Vertragshändler und Servicepartner über die Problematik.
Am 15. Oktober 2015 gab das KBA in einer Pressemitteilung bekannt, dass es gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen X.-Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angeordnet habe. Der Beklagten werde – so die Pressemitteilung weiter – auferlegt, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Dies sei durch entsprechende Nachweise zu belegen. Betroffen seien Fahrzeuge mit EURO 5 Dieselmotoren der Größe 2 l, 1,6 l und 1,2 l Hubraum. Die betroffenen Halterinnen und Halter würden durch den Hersteller zeitlich gestaffelt angeschrieben und aufgefordert, ihr Fahrzeug in der Werkstatt vorzuführen. Über diese Rückrufanordnung des KBA informierte die Beklagte ebenfalls in einer Pressemitteilung.
b) Die dargelegten Maßnahmen der Beklagten waren nach Inhalt und Umfang ohne weiteres ausreichend, um die Öffentlichkeit sowie die Besitzer betroffener Dieselfahrzeuge über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu informieren. Im Hinblick auf die absehbare Unterrichtung der Öffentlichkeit durch die nachfolgende Berichterstattung in der Presse waren die Verlautbarungen der Beklagten daher jedenfalls ab Mitte Oktober 2015 geeignet, das Fortwirken des Sittenwidrigkeitsverdikts zu verhindern.
Allerdings können die Presseberichterstattung sowie die Öffentlichkeitsinformationen durch das KBA der Beklagten nicht zugerechnet werden. Diese sich aus den amtlichen Informationsquellen ergebende Aufklärung der breiten Öffentlichkeit ist aber bei der Beurteilung der Frage, welche Anstrengungen von der Beklagte zu unternehmen waren, um den an Vertrieb der mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Fahrzeuge anknüpfenden Sittenwidrigkeitsvorwurf zu beseitigen, ebenfalls mit zu berücksichtigen, zumal die Beklagte auch darüber informiert hatte.
2.2 Die gegenteilige Auffassung des OLG Hamm (NJW-RR 2019, 1428, dort Rn. 59ff.) kann gleich aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
a) Sie beruht schon nicht auf einer tragfähigen Beurteilungsgrundlage, weil der beurteilungserhebliche Sachverhalt erkennbar nur in Ausschnitten festgestellt und verwertet wurde: So ist bereits unter den Tisch gefallen, dass die Beklagte am 22.09.2015 zugleich eine für die breite Öffentlichkeit bestimmte Pressemitteilung herausgegeben hatte. Des Weiteren wird auch das durch die Verlautbarungen der Beklagten im Herbst 2015 jedes Mal ausgelöste – überwältigende – Medienecho und die jeweils damit (absehbar) einhergehende pressemäßige „Nachbearbeitung“ der Mitteilungen von X. ausgeblendet. Schließlich bleiben auch noch die Informationsarbeit des KBA und die wiederum hieran anknüpfende Aufklärung der Beklagten unberücksichtigt.
b) Sodann und vor allem sind die Darlegungen des OLG Hamm zum Inhalt der ausschnittsweise berücksichtigten Verlautbarungen der Beklagten auch nicht am objektiven Verständnishorizont eines durchschnittlichen Kunden einschließlich der sich hierbei aufdrängenden Regeln der Lebenserfahrung ausgerichtet, sondern erkennbar ergebnisorientiert. Das gilt insbesondere (aber nicht nur) für das den Bedeutungsgehalt der zentralen Hinweise auf „Auffälligkeiten“ oder eine „augenfällige Abweichung zwischen Prüfstandsverhalten und realem Fahrbetrieb“ einengende Verständnis der maßgebenden Verlautbarungen (OLG Hamm a.a.O. Rn. 59 bzw. 65). Denn selbstverständlich sind sich auch geschäftsunerfahrene Durchschnittsleser der Tragweite von wiederholten Verlautbarungen bewusst, mit denen ein Fahrzeug-Hersteller wie der X.-Konzern die gesamte Öffentlichkeit mit dem Eingeständnis konfrontiert, dass eine gesamte Produktpalette bereits seit Jahren mit einem signifikanten Fehler behaftet ist. Ohne Frage weiß nämlich auch das fachunkundige Publikum, dass sich ein Unternehmen wie die Beklagte zu einem solchen „schmerzhaften“ Schritt ausschließlich deshalb entschließt, weil hinter den vorsichtig formulierten Hinweisen auf „Auffälligkeiten“ usw. hochbrisante Vorgänge stehen, die auf geradezu alarmierende Schwachstellen in dem – konzernweit – betroffenen Produktionszweig der Dieselfahrzeuge hindeuten. Demzufolge hatte bereits die erste Pressemitteilung vom 22.09.2015 zugleich das bestimmungsgemäße Potential, die Öffentlichkeit auf die nun einsetzende „Nachbearbeitung“ samt den sich nun auf „Skandalstatus“ ausweitenden Recherchen in allen medialen Bereichen zu verweisen.
c) Schließlich stellt die Einordnung des OLG Hamm a.a.O. auch weit überzogene (sich tendenziell sogar einem wettbewerbsrechtlichen Lauterbarkeitsmaßstab annähernde) Anforderungen an den Inhalt und die Aussagequalität von Verlautbarungen, die unter den damaligen Umständen zur Aufklärung der breiten Öffentlichkeit notwendig, aber auch ausreichend waren.
Denn hierfür bedurfte es weder eines ausdrücklichen Eingeständnisses hinsichtlich des im Raum stehenden Manipulationsverdachts noch einer näheren Erläuterung der möglichen Auswirkungen des Produktmangels auf die Zulassungsfrage. Vielmehr war jedenfalls bis Mitte Oktober 2015 ein Aufklärungsniveau erreicht, das jeden potentiellen Kunden bzw. betroffenen Fahrzeugbesitzer in die Lage versetzte, die Situation bei Dieselfahrzeugen der – in den Hinweisen der Beklagten ausdrücklich konzernweit angesprochenen – Produktpalette als hochsuspekt zu erkennen und den alarmierenden Hinweisen selbstständig weiter nachzugehen. Da schon in den ersten Mitteilungen der Beklagten explizit auf eine konzernweite Dimension des Produktfehlers hingewiesen worden war, bedurfte es auch keiner näheren Angaben zu den im einzelnen betroffenen Marken, Modellen bzw. sonstigen Produktreihen (vgl. dazu im übrigen OLG Stuttgart, Urteil vom 23.01.20 – 13 U 244/18 -, dort Rn. 87, 88 sowie OLG Frankfurt a.a.O., Rn. 56).
Nach alledem kann bei der gebotenen Gesamtbetrachtung spätestens ab Mitte Oktober 2015 nicht mehr von einer weiterhin als sittenwidrig anzusehenden Schädigung von Käufern durch die Herstellung und das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden.
3. Auf dieser Grundlage ist auch kein Raum mehr für die Feststellung, dass im maßgebenden Zeitpunkt des gegenständlichen Kaufvertrages auf Beklagtenseite (immer noch) der für eine deliktische Haftung notwendige (und von der Klägerseite nachzuweisende) Täuschungs- und damit verbundene Schädigungsvorsatz vorgelegen hat (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 23.01.20 – 13 U 244/18 -, dort Rn. 76 und 82 und OLG Schleswig NJW-RR 2020, 213, Rn. 39).
4. Hiernach kommt es schon nicht mehr auf die Frage an, ob und in welchem Umfang die Klägerseite bei Vertragsschluss Kenntnis von dem sog. Dieselskandal und dessen möglichen Auswirkungen auf Fahrzeuge des hier erworbenen Modells gehabt hatte. Vielmehr sind aus den dargelegten Gründen für das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit nur das Verhalten und die Einstellung der Beklagten maßgebend.
Es bedarf daher auch keiner Vertiefung der Frage, welche Mindestkenntnisse im beurteilungserheblichen Zeitraum bei einem durchschnittlichen Käufer in der Lage der Klagepartei in Bezug auf den sog. Dieselskandal bzw. von der konkreten Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs vorausgesetzt werden können. Somit kann auch dahinstehen, ob eine die Haftung der Beklagten ausschließende Kenntnis der Käuferseite auch die interne Motorenbezeichnung des Herstellers (hier: EA 189) zu umfassen hätte (was der Senat im Übrigen verneint).
5. Schließlich ist die Klage zugleich deshalb abweisungsreif, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der behaupteten Täuschung und dem Kaufentschluss der Klagepartei nicht dargetan ist.
Die Klägerseite ist schon eine plausible Erklärung dafür schuldig geblieben, weshalb sie trotz der umfangreichen und seit Ende September 2015 wochenlang anhaltenden Berichterstattung in den Medien auch bei Vertragsschluss keine Kenntnis davon gehabt haben soll. Dies erscheint nicht nur lebensfremd, sondern ist auch mit dem Vortrag der Klägerseite nicht in Einklang zu bringen, dass sie beim Kauf ausdrücklich nachgefragt habe, ob das Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen sei, was der Verkäufer verneint haben soll. Allerdings kann die Klägerseite hieraus nichts für sich herleiten. Die Beklagte hat -wie erwähnt eine Internetplattform eingerichtet, auf der jedermann feststellen konnte, ob sein Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software ausgerüstet war. Sie hat damit auch für gewerbliche Verkäufer eine Möglichkeit geschaffen, den Interessenten an einem Gebrauchtwagen zutreffend zu unterrichten. Im Übrigen durfte sie sich darauf verlassen, dass Autohändler jedenfalls auf Nachfrage wahrheitsgemäß mitteilen würden, ob und dass ein Fahrzeug von der Thematik betroffen war. Sollte eine solche Aufklärung der Klagepartei im Rahmen des Verkaufsgesprächs nicht erfolgt sein, ist dies der Beklagten nicht zuzurechnen. Die Verkäuferin als selbständige Unternehmerin ist nicht Verrichtungsgehilfin der Beklagten (OLG Bamberg DAR 2016, 208).
Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass jedenfalls bei der vorliegenden Konstellation eines Gebrauchtwagenkaufs ein plausibler Sachvortrag in der Kausalitätsfrage zugleich nachvollziehbare Darlegungen dazu erfordert, dass und weshalb die Käuferseite in ihrer konkreten Situation bei Kenntnis der verheimlichten Umstände auch nicht bereit gewesen wäre, das Fahrzeug zu einem um den „Minderwert“ reduzierten Kaufpreis zu erwerben. Denn die Verständigung auf eine angemessene Minderung des Kaufpreises wegen eines im Rahmen der Kaufverhandlungen aufgedeckten Sachmangels ist nun einmal gerade im Gebrauchtwagenhandel für die Käuferseite im Regelfall das Mittel der Wahl, welches – schon im Hinblick auf die bereits vorliegenden Verlautbarungen des KBA und der sich daraus ergebenden Perspektive einer effizienten Nachbesserung – auch der Klagepartei als eine sowohl realistische wie naheliegende Option offen gestanden hätte.
II.
Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht als Schutzgesetz einzuordnen ist, fehlt es aus den vorgenannten Gründen jedenfalls auch insoweit an einem Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung eines Schutzgesetzes und dem geltend gemachten Schaden sowie an dem Nachweis der Kausalität zu dem Kaufentschluss der Klagepartei.
C.
I.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Obergerichte ab. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist geprägt durch die ihr innewohnenden Besonderheiten eines Einzelfalles. Eine Zulassung der Revision wäre im Falle einer Entscheidung durch Urteil nicht geboten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der schon im tatsächlichen Ausgangspunkt abweichenden Einordnung des OLG Hamm a.a.O. in Bezug auf den Inhalt, die Entwicklung sowie die Auswirkungen der zur Unterrichtung der Öffentlichkeit bestimmten Verlautbarungen der Beklagten seit Mitte 2015. Denn die Würdigung dieses komplexen Geschehens sowie die darauf aufbauende Einordnung durch das OLG Hamm a.a.O. beruhen auf einer erkennbar verkürzten Beurteilungsgrundlage, die aus den dargelegten Gründen in gleich mehreren tragenden Aspekten auch hinter dem vom Senat festgestellten Ausgangssachverhalt zurückbleibt.
Darüber hinaus kommt in der Kausalitätsfrage ein weiterer und eigenständiger Abweisungsgrund hinzu, der ausschließlich auf den individuellen Gegebenheiten des Streitfalls beruht.
II.
Auch eine mündliche Verhandlung ist in der vorliegenden Sache nicht veranlasst (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
III.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens und für die erste Instanz (§ 63 III 1 Nr. 2 GKG) wegen des auch hier vorzunehmenden Abzugs einer angemessenen Nutzungsentschädigung (vgl. dazu Beschluss des OLG Bamberg vom 03.07.2019 – 4 W 46/19 -), die entsprechend der bekannten Laufleistung mit gerundet 7.110,00 € zu bewerten ist (33.990,00 x 60.337 / 288.500) auf 26.880,00 € festzusetzen.
IV.
Abschließend und pflichtgemäß weist der Senat auf die im Falle einer Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV GKG Nr. 1220, 1222) hin.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben