IT- und Medienrecht

Kein Eingriff in Wissenschaftsfreiheit durch städtisches Museum als öffentliche Einrichtung

Aktenzeichen  M 10 K 17.238

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17142
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 1, Art. 2, Art. 28
VwGO § 40

 

Leitsatz

1 Der Verwaltungsrechtsweg ist bei Rechtsschutzbegehren auf Unterlassung oder Widerruf behördlicher Äußerungen eröffent, wenn die angegriffene Äußerung von einem Träger öffentlicher Gewalt bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse, abgegeben wird, also in einem funktionalen Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabenerfüllung steht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt in der Gewährleistungsvariante des Schutzes der Selbstdarstellung insbesondere als Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der soziale Geltungsanspruch des Einzelnen ist nach dem Grundgesetz unter dem Aspekt der sozialen Identität gegen unwahre Behauptungen geschützt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG) umfasst das Recht, ein städtisches Museum als öffentliche Einrichtung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. In dieser Funktion nimmt der Staat an einem Markt im weitesten Sinne teil, so dass er zwar nicht von der Grundrechtsbindung ausgenommen, aber nur in Gewissem Umfang zur Neutralität verpflichtet ist. (Rn. 36 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5 Über die Aufgabenzuweisung hinausgehend darf der Staat die Grenzen der Neutralität nicht verlassen, insbesondere Anhänger alternativer Meinungen persönlich beleidigen oder sogenannte Schmähkritik üben. Er kann inhaltliche Kritik üben. Für auf die Person zielende Kritik erwächst dem Hoheitsträger aus seiner Aufgabe keinerlei Rechtfertigung. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
a. Für das Begehren des Klägers ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Absatz 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet.
Rechtsschutzbegehren auf Unterlassung bzw. Widerruf behördlicher Äußerungen sind öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinn dieser Bestimmung, wenn die angegriffene Äußerung von einem Träger öffentlicher Gewalt bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse, abgegeben wird, also in einem funktionalen Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabenerfüllung steht (vgl. BGH, B.v. 28.2.1978 – VI ZR 246/76 – juris Rn. 12 ff.; HessVGH, B.v. 14. Juni 2012 – 8 E 1101/12 juris Rn. 16). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die streitgegenständlichen Äußerungen wurden in der offiziellen Funktion als Vertreter der Trägerin des NS-Dokumentationszentrums getätigt. Sie waren damit ersichtlich nicht Ausdruck einer persönlichen Meinung, sondern Gegenstand staatlichen Informationshandelns mit Bezug zu der hoheitlichen Tätigkeit des Oberbürgermeisters. Er handelte mithin als öffentlicher Amtsträger im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.
b. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere ist dem Kläger auf Grund seines Rehabilitationsinteresses möglich, gegen ein in der Vergangenheit liegendes Handeln der Verwaltung vorzugehen.
c. Auch der Widerrufsantrag ist zulässig. Insbesondere hat sich das Rechtschutzbegehren des Klägers diesbezüglich nicht bereits erledigt. Denn die Beklagte hat mit keinem ihrer Schreiben gegenüber dem Adressaten des Schreibens vom 13. September 2016 ihre Aussagen widerrufen. Zwar enthalten das Schreiben des Oberbürgermeisters vom 9. November 2016 und der Schriftsatz vom 7. Februar 2018 relativierende Aussagen, sie widerrufen jedoch inhaltlich die vom Kläger gerügten Aussagen nicht, insbesondere nicht gegenüber Herrn Dr. …
d. Der Klage fehlt auch nicht das Rechtschutzbedürfnis, weil der Kläger sich nicht bereits gegen das im Jahr 2007 veröffentlichte Interview gewandt hat, dem die zitierten Passagen des Herrn Prof. … entnommen sind. Der Kläger gibt an, er habe nichts von dem Interview gewusst. Zudem stellt es für ihn eine andere und gesondert angreifbare Beeinträchtigung dar, wenn ein Hoheitsträger die von der Meinungsfreiheit gedeckten Aussagen eines Privaten wiederholt.
2. Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Aussagen der Beklagten greifen nicht ungerechtfertigt in Grundrechte des Klägers ein. Somit hat der Kläger weder einen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung des Gerichts noch auf einen Widerruf durch die Beklagte.
Zwar handelt es sich nicht um bloße Tatsachenbehauptungen und der Beklagten sind die zitierten Passagen zuzurechnen (dazu unter a.). Selbst soweit das Persönlichkeitsrecht des Klägers betroffen ist (dazu unter b.), hat die Beklagte verhältnismäßig gehandelt und eine Beeinträchtigung ist somit gerechtfertigt (dazu unter c.). Ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit hat ebenfalls nicht stattgefunden (dazu unter d.).
Dies gilt unabhängig davon, ob die vom Kläger vertretenen Thesen und seine Arbeitsweise wissenschaftlichen Standards genügen und wie sie inhaltlich zu bewerten sind. Auch ist zu betonen, dass Gegenstand des Verfahrens nur das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist und eine etwaige Beeinträchtigung durch das Schreiben vom 13. September 2016, nicht dagegen Beeinträchtigungen, die der Kläger durch die Missachtung seiner Publikationen und deren Ergebnisse durch die Ausstellungen im NS-Dokumentationszentrum verspüren mag.
a. Der Kläger hat die Aussagen nicht bereits deshalb hinzunehmen, weil es sich um bloße Tatsachenbehauptungen handelte.
Die Frage, wann mit einer hoheitlichen Äußerung ein rechtswidriger Eingriff verbunden ist, beantwortet sich entscheidend danach, ob es sich bei der Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt. Entscheidend für die Annahme einer Tatsachenäußerung ist dabei, dass die konkrete Äußerung auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann, mithin dem Beweis zugänglich ist. Demgegenüber liegt eine Meinungsäußerung vor, wenn bei der Äußerung die subjektive Wertung eines Sachverhalts im Vordergrund steht, die einer Überprüfung auf ihre objektive Richtigkeit entzogen ist. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl. BVerfG, B.v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94 -, juris Rn. 26). Dabei ist zu beachten, dass sowohl Tatsachenbehauptungen wertende Elemente, als auch Werturteile tatsächliche Elemente enthalten können. In diesem Fall ist entscheidend, welches dieser Elemente überwiegt und für den Gesamtcharakter der Aussage bestimmend ist. Für die Ermittlung des Aussagegehalts ist dabei darauf abzustellen, wie die Äußerung unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsempfänger verstanden wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2009 – 7 CE 09.2455 – juris Rn. 17).
Zwar gibt das Schreiben der Beklagten bei oberflächlicher Betrachtung eine bloße, zudem wahre Tatsache wieder – dass Herr Prof. … bestimmte Aussagen in einem Interview getätigt habe – doch wohnt diesen zitierten Aussagen eine klare Wertung inne, die das Schreiben sich zu eigen macht. Das Gericht teilt die Auffassung des Klägers, dass der Oberbürgermeister sich die zitierten bzw. wiedergegebenen Thesen von Herrn Prof. … zurechnen lassen muss. Er verweist auf diese nicht als beliebige Stellungnahme, sondern zieht sie als Begründung heran, weshalb die Arbeiten des Klägers in der Ausstellungskonzeption keinen Platz finden sollen. Die Qualifikation als „bester Kenner der Materie“ dient dem Oberbürgermeister als Grund, sich den von Herrn Prof. … vertretenen Thesen anzuschließen. Nachdem – soweit aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich – Herr Prof. … kein am NS-Dokumentationszentrum beteiligter Fachmann ist, wird er nicht exemplarisch für die bereits genannten Fachleute herangezogen, sondern als weitere, außenstehende Autorität. Auf diese beruft sich der Oberbürgermeister, um seine Haltung weitergehend zu begründen. Er macht sich die Thesen damit jedenfalls insoweit zu eigen, als er einerseits Zweifel an der Qualität der klägerischen Arbeiten mitteilen und andererseits durch die Nähe zu Holocaustleugnern die Unmöglichkeit solcher Thesen in einer städtischen Gedenkstätte aufzeigen möchte. Bei einer neutralen Haltung gegenüber den klägerischen Arbeiten hätte der Oberbürgermeister keinen Anlass gehabt, diese Zitate heranzuziehen. Ob er sich darüber hinaus den Thesen im Einzelnen konkret anschließen möchte, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Jedenfalls handelt es sich nicht um dem Beweis zugängliche Tatsachen, sondern um Elemente des wertenden Dafürhaltens („Missbrauch“, „Willkür“), welche nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine Meinung kennzeichnen.
b. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist durch die Aussagen der Beklagten mindestens in seinem Schutzbereich berührt.
Neben den Schutz der Privatsphäre tritt als weitere Garantie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Schutz der Selbstdarstellung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt in dieser Gewährleistungsvariante insbesondere als Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes (Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, 81. EL September 2017, Art. 2 Abs. 1 Rn. 166-168). Der soziale Geltungsanspruch des Einzelnen ist nach dem Grundgesetz unter dem Aspekt der sozialen Identität gegen unwahre Behauptungen geschützt. Unter dem Aspekt der Integrität der personalen Identität gegen herabsetzende Äußerungen und Verhaltensweisen wird das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre gewährleistet (Sachs/Murswiek/Rixen, GG, 81. EL September 2017, Art. 2 Rn. 74-75). Das Persönlichkeitsrecht ist als sozialer Achtungsanspruch stark mit der Wahrnehmung der Person in Form der Selbstwahrnehmung, aber auch der Wahrnehmung durch andere verknüpft. Das Grundgesetz erkennt jedem Menschen das Recht zu, die Deutungshoheit über seine Persönlichkeit unbehelligt von staatlicher Herabwürdigung zu behalten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch den Schutz vor Äußerungen, die – ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken (BVerfG, B.v. 17.8.2010 – 1 BvR 2585/06 – juris m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund berührt die Äußerung des Oberbürgermeisters den Kläger in seinem Achtungsanspruch, da er gerade in seiner sozialen und beruflichen Rolle als Wissenschaftler angegriffen wurde. Die Beklagte deutet durch die Auswahl der Zitate von Herrn Prof. … an, der Kläger nutze einzelne Zitatsplitter, um zu einer Deutung zu gelangen, die bei umfassender Würdigung aller Quellen nicht haltbar wäre. Das verwendete Wort „Missbrauch“ suggeriert, der Kläger überschreite die Grenzen eines wie auch immer gearteten Dürfens. Auch legt das Zitat dem Leser nahe, dass die vom Kläger gefundene These ihm genehm sei und er Zitate benutze, um zu ihr zu gelangen. Dies beinhaltet im Ergebnis mittelbar den Vorwurf methodisch unsauberen, ergebnisorientierten Arbeitens. Dieser Vorwurf ist im Rahmen des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts relevant.
c. Das Handeln der Beklagten ist gerechtfertigt und verhältnismäßig.
Seine Rechtfertigung findet das Handeln der Beklagten in ihrem Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG), das auch das Recht umfasst, ein städtisches Museum als öffentliche Einrichtung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die Beklagte hat die Satzung über die Benutzung des NS-Dokumentationszentrums München (Benutzungssatzung NS-Dokumentationszentrum) vom 9. April 2015 erlassen und das NS-Dokumentationszentrum auf diese Weise zur öffentlichen Einrichtung gewidmet. Das Recht der Beklagten, ihre öffentliche Einrichtung inhaltlich zu gestalten, umfasst auch das Recht, diesen inhaltlichen Entwurf nach außen zu vertreten. Innerhalb dieses Rahmens hat die Beklagte sich gehalten.
Der vorliegende Fall ist besonders gelagert: Das Grundrecht des Klägers ist in seiner Abwehrdimension betroffen, nicht in der Schutzdimension. Der Staat soll nicht vor einem anderen Privaten (z.B. einer Presseinstitution) und deren abwertenden Aussagen schützen, sondern der Kläger wendet sich gegen ein unmittelbares staatliches Handeln. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist mithin nicht in seiner Dimension als Schutzrecht gegen Beeinträchtigungen Dritter, sondern als Abwehrrecht gegen originär staatliche Beeinträchtigungen zu untersuchen. Nicht einmal dient das staatliche Handeln dem Interesse eines Privaten (wie etwa im Fall staatlicher Warnung vor gefährlichen Produkten), sondern die beklagte Hoheitsträgerin handelte im eigenen und damit im öffentlichen Interesse.
Als rechtfertigende Belange können somit keine Rechte Dritter herangezogen werden. Das Handeln der Beklagten ist aber aus ihrem Selbstverwaltungsrecht heraus gerechtfertigt.
Die Beklagte ist selbst Trägerin des NS-Dokumentationszentrums, hat sich für ein inhaltliches und methodisches Konzept entschieden und tritt dem Kläger somit nahezu in einer Konkurrenzsituation der wissenschaftlichen Meinungen gegenüber. Auch in dieser „Spieler“-Position ist die Beklagte als Hoheitsträgerin wie in der sonst üblichen Schiedsrichter-Position an die Grundrechte gebunden und darf sich damit nicht wie ein privater Museumsträger oder Wissenschaftler gegenüber dem Kläger verhalten. Jedoch muss der Kläger im wissenschaftlichen Austausch meinungsstärkere und kritischere Äußerungen hinnehmen als von einem am wissenschaftlichen Diskurs unbeteiligten Hoheitsträger. Die Neutralitätspflicht des Staates findet zwangsläufig eine andere Ausprägung, wo dem Staat ausnahmsweise die Teilnahme an einem Markt im weitesten Sinne gestattet ist; von der Beklagten kann etwa nicht verlangt werden, sich neutral zum Thema München während der NS-Zeit zu verhalten, vielmehr ist die Beklagte ja gerade berechtigt, in ihrem Museum eine inhaltliche Meinung hierzu zu vertreten. Der vorliegende Fall ähnelt somit den seltenen Konstellationen, in denen Hoheitsträger in Form staatlicher Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen. Auch einem materiell staatlichen Unternehmen muss es im Rahmen seiner Aufgabe möglich sein, etwa einen Zulieferer wegen schlechter Produkte zurückzuweisen oder für das eigene Produkt zu werben.
Das NS-Dokumentationszentrum München ist ein Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus. Es gibt einen detaillierten Einblick in die Geschichte Münchens während der Weimarer Republik sowie der NS-Zeit und dem Umgang mit der NS-Zeit nach 1945 (§ 2 Abs. 1 Benutzungssatzung NS-Dokumentationszentrum). Auf Grund dieses Inhalts ist zudem an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu erinnern, die dieser Thematik – im Rahmen der Meinungsfreiheit – eine Sonderstellung einräumt. Danach erlaubt Art. 5 Abs. 1 und 2 GG in Bezug auf das nationalsozialistische Regime in den Jahren zwischen 1933 und 1945 auch Eingriffe durch Vorschriften, die nicht den Anforderungen an ein allgemeines Gesetz entsprechen. Angesichts des einzigartigen Unrechts und des Schreckens, die diese Herrschaft unter deutscher Verantwortung über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der für die Identität der Bundesrepublik Deutschland prägenden Bedeutung dieser Vergangenheit, können Äußerungen, die dies gutheißen, Wirkungen entfalten, denen nicht allein in verallgemeinerbaren Kategorien Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 –, juris). Nach Auffassung des Gerichts lässt sich dieser Gedanke jedenfalls insoweit für den vorliegenden Fall fruchtbar machen, als die Beklagte zu einer klaren Stellungnahme über die Schrecken der NS-Zeit berechtigt ist.
Nach alledem ist der Beklagten gestattet, ihren inhaltlichen Entwurf zu erläutern und zu verteidigen. Über ihre Aufgabenzuweisung hinausgehend darf die Beklagte jedoch die Grenzen der Neutralität nicht verlassen, insbesondere Anhänger alternativer Meinungen persönlich beleidigen oder sogenannte „Schmähkritik“ üben. Der Maßstab ist zweigeteilt hinsichtlich inhaltlicher, auf die Arbeit des Klägers zielende Kritik, die der Kläger weitergehend hinnehmen muss, und auf die Person zielende Kritik, für die dem Hoheitsträger aus seiner Aufgabe keinerlei Rechtfertigung erwächst. In diesen Grenzen hat sich die Beklagte noch gehalten.
Denn die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sie auf ein konkretes Schreiben geantwortet hat, in dem sie auf die Arbeit des Klägers und deren Fehlen in der Ausstellung hingewiesen wurde. Die Beklagte hat nicht von sich aus Kritik am Kläger geübt, sondern ist auf konkrete Vorwürfe zu der Konzeption des Museums eingegangen, in welchen der Name des Klägers von Herrn Dr. *. genannt wurde. Die Beklagte hat sich auf die wissenschaftliche Meinung von Herrn Prof. … berufen und damit keine neuen Vorwürfe gegen den Kläger erhoben, sondern nur bereits bestehende Kritik durch ihre hoheitliche Autorität vertieft. Zudem erfolgte die Mitteilung nur an eine einzelne Person und wurde nicht in rufschädigender Weise der Allgemeinheit bekannt gegeben, etwa um vor dem Kläger zu warnen. Der Kläger ist somit nur in sehr geringem Umfang beeinträchtigt. Vielmehr hat der Kläger selbst die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch seine Klage auf das Schreiben gelenkt. Die Beklagte hat sich vor allem auf die Arbeit des Klägers, nicht auf seine Person bezogen. Zwar macht die Beklagte wie dargestellt sich die Aussagen von Herrn Prof. … zu eigen, jedoch wird durch die Bezugnahme klargestellt, dass Wortwahl und Konnotation nicht von der Beklagten ausgewählt wurden. Soweit die Thesen des Klägers als falsch abgelehnt werden und auf handwerkliche Fehler in seiner Arbeit hingewiesen wird („willkürlich zusammengeklaubt“, „Zitatsplitter“), ist dies gerechtfertigt durch das genannte Recht der Beklagten, ihre methodische und inhaltliche Auswahl an Quellen und ihre Ansprüche an die Ausstellung zu rechtfertigen. Soweit die Beklagte sich die Meinung von Herrn Prof. … zu eigen macht, der Kläger spiele denjenigen in die Hände, „die das deutsche Volk von jedem Wissen und jeder Verantwortung für den Holocaust reinwaschen wollen“ (auch: „um Vorurteile zu generieren“), nutzt die Beklagte das dargelegte Recht, eine deutliche Abwertung der NS-Zeit und ihrer Gräueltaten zum Ausdruck zu bringen und zu unterstreichen, dass in der Ausstellung andere Meinungen als die aufgeführten keinen Raum finden können. Auch bleibt bei der Formulierung „…betreibt die Geschäfte jener…“ offen, ob die Beklagte von einer Absicht des Klägers ausgeht. Schließlich kann das Gericht dem Kläger nicht darin folgen, die Formulierung „jedoch auf wissenschaftlich fundiertem Niveau“, solle dem Kläger dieses Niveau absprechen. Auch wäre möglich, dass die Beklagte damit Herrn Dr. … meint, der kein Wissenschaftler ist.
d. Ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit liegt nicht vor. Das Gericht kann bereits nicht erkennen, inwieweit der Kläger in seinem wissenschaftlichen Arbeiten durch die Aussagen der Beklagten beeinträchtigt sein soll. Zudem wäre ein solcher Eingriff aus denselben Gründen gerechtfertigt.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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