IT- und Medienrecht

Kein Vertrauensschutz bei unterlassenen Streichungen von Gebührungsordnungspositionen für Leistungen im Krankheitsfall

Aktenzeichen  S 38 KA 133/18

Datum:
15.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 11029
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BMV-Ä § 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Aus dem Umstand, dass vor den beiden letzten Quartalen eines Jahres keine Streichungen von Gebührenordnungspositionen stattfanden, erwächst kein Vertrauenstatbestand. Das gilt insbesondere, wenn auf eine bevorstehende Überprüfung durch den Bewertungsausschuss hingewiesen und eine Streichung deshalb ausgesetzt wird. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es gibt vier Fallkonstellationen, die das BSG herausgearbeitet hat, bei denen nach seiner Ansicht die Befugnis zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten bereits “verbraucht” sei (Anschluss an BSG BeckRS 2006, 41903). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Diese vier Fallkonstellationen sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen und nicht beliebig zu erweitern. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Im EBM sind die strittigen Leistungen wie folgt beschrieben:
– EBM 11511: gezielter Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten oder krankheitsauslösenden konstitutionellen genomischen Punktmutation, Deletion, Duplikation oder Inversion in kodierenden oder regulatorischen Sequenzen, je Zielsequenz; Abrechnungsausschlüsse – im Krankheitsfall – Leistungen 01793
– EBM 11512: gezielter Nachweis oder Ausschluss von krankheitsrelevanten oder krankheitsauslösenden großen Deletionen und/oder Duplikationen, je Gen; Abrechnungsausschlüsse – im Krankheitsfall – Leistungen 01793
– EBM 11513: postnatale Mutationssuche zum Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten oder krankheitsauslösenden konstitutionellen genomischen Mutation in bis zu 25 Kilo Basen kodierender Sequenz einschließlich zugehöriger regulatorischen Sequenzen, je vollendete 250 kodierende Basen; Abrechnungsausschlüsse – im Krankheitsfall Leistungen – 01793, 11514
– EBM 01793: pränatale zytogenetische Untersuchung (EBM) im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge, je Fötus, einmal im Krankheitsfall; Abrechnungsausschlüsseim Behandlungsfall – Leistungen 01600, 01601, 08576 im Krankheitsfall 11501, 11502, 11503, 11506, 11508, 11511, 11512, 11513, 11514, 11516, 11517 Somit ist der einheitliche Bewertungsmaßstab zutreffend von der Beklagten umgesetzt worden, was auch zwischen den Beteiligten unstrittig ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob aus Gründen des Vertrauensschutzes die Beklagte daran gehindert ist, im Quartal 3/2017 eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Klägerin aufgrund des Verhaltens der Beklagten davon ausgehen konnte, diese werde keine Streichungen der strittigen Gebührenordnungspositionen vornehmen.
Der Beklagte hat in der Vergangenheit trotz der eindeutigen Abrechnungsausschlüsse im EBM von Streichungen dieser Gebührenordnungspositionen Abstand genommen. Hintergrund war offensichtlich, dass diese Bestimmungen des EBM, konkret die Abrechnungsausschlüsse im Hinblick auf die medizinischen Erfordernisse nicht nur seitens der Leistungserbringer kritisch hinterfragt wurden. Dies hat dazu geführt, dass auch wenige Quartale vor dem strittigen Quartal 3/17, nämlich in den Quartalen 3/16 und 4/16 die Abrechnungsausschlüsse im EBM von der Beklagten nicht berücksichtigt wurden, was auch offiziell in der E-Mail der Beklagten vom 25. August 2016, gerichtet an die Klägerin so kommuniziert wurde. Dort wurde unter Hinweis auf die Protokollnotiz des Bewertungsausschusses zu seinem Beschluss in der 376. Sitzung am 22. Juni 2016, wonach eine Überprüfung des Ausschlusses der Gebührenordnungspositionen der Abschnitte 11.4.3 und 11.4.4 neben der zytogenetischen Leistung des Abschnitts 1.7.4 EBM vorgenommen werden soll. Ausdrücklich hat die Beklagte in ihrer E-Mail betont, die Aussetzung finde bis zu diesem Zeitpunkt (Anm. bis zur Entscheidung des Bewertungsausschusses) statt. Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, der EBM mit seinem derzeitigen Wortlaut bzw. seinen derzeitigen Abrechnungsausschlüssen habe Gültigkeit, so dass Korrekturanträge von Seiten der Krankenkassen nicht auszuschließen seien. Der Bewertungsausschuss hat sich mit der Angelegenheit erst in seiner Sitzung am 12.12.2016 befasst, dort aber nur klargestellt, es bestehe kein Abrechnungsausschluss der GOP 11518 neben der GOP 01793. Bezüglich der anderen, hier strittigen Gebührenordnungspositionen erfolgte keine Klarstellung, was auch im Internet am 15.12.2016, aber auch im Deutschen Ärzteblatt am 20.01.2017 kommuniziert wurde.
Im Nachgang hat eine Mitarbeiterin der Beklagten, Frau W. E. in der E-Mail vom 12.01.2017, gerichtet an die Klägerin mitgeteilt, sie habe soeben die Information erhalten, dass die Streichung weiterhin von der KVB ausgesetzt ist. In dem Nachsatz wurde wiederum betont, es sei zu beachten, dass der EBM mit seinen derzeitigen Abrechnungsausschüssen dadurch nicht seine Gültigkeit verliere. Korrekturanträge von Seiten der Krankenkassen könnten nicht ausgeschlossen werden.
Dem schloss sich ein weiterer E-Mail-Verkehr an. Die Klägerin fragte in ihrer E-Mail vom 23.01.2017 nochmals bei der Beklagten nach und bat darum, ihr umgehend ein verbindliches Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, unterzeichnet vom Vorstand Herrn Dr. W.K., welches diesen Sachverhalt bestätigt und auch bei Widerspruchsverfahren oder dem Sozialgericht verbindliche Gültigkeit besitzt, zuzusenden. Dem wurde mit der E-Mail der Beklagten vom 24.01.2017 nicht entsprochen und betont, es gebe keine „Bayerische Regelung“. Es sei lediglich die Streichung der Leistungen durch das Regelwerk aktuell nicht aktiviert. Zusätzlich wurde auf die Protokollnotiz zum Beschluss des Bewertungsausschusses vom 12.12.2016 hingewiesen, wonach ein Abrechnungsausschluss der GOP 11518 neben der GOP 01793 nicht bestehe. Nach Auffassung des Gerichts erwächst aus dem Umstand, dass vor den Quartalen 3/16 und 4/16 keinerlei Streichungen von Gebührenordnungspositionen diesbezüglich stattfanden, kein Vertrauenstatbestand. Denn die Beklagte hat sich mit ihrer E-Mail vom 25. August 2016 ausdrücklich auf eine bevorstehende Überprüfung durch den Bewertungsausschuss bezogen und vor diesem Hintergrund die Streichungen für die Quartale 3/16 und 4/16 ausgesetzt. Insofern ist ein Vertrauensschutz, sollte er in den Vorquartalen entstanden sein, entfallen. Ein Vertrauensschutz durch die E-Mail der Beklagten vom 25. August 2016 ist allerdings auch nicht entstanden, weil dort ausdrücklich die Streichungen bis zu dem Zeitpunkt der Entscheidung durch den Bewertungsausschuss ausgesetzt wurden. Eine Aussage bezüglich der weiteren Handhabung fand in dieser E-Mail nicht statt; anders aber die E-Mail der Beklagten vom 12.01.2017. Dort hat die Beklagte zum Ausdruck gebracht, die Streichungen würden weiterhin ausgesetzt. Darin könnte ein Vertrauensschutz begründet werden. Im Hinblick auf den Hinweis der Beklagten, wonach der EBM seine Gültigkeit nicht verliere und Korrekturanträge seitens der Krankenkassen nicht auszuschließen seien, ist, sollte ein Vertrauensschutz begründet worden sein, dieser wiederum relativiert. Für diese Sichtweise spricht auch, dass die Klägerin durch ihre E-Mail vom 23.01.2017 bei der Beklagten nachfragte und eine verbindliche Bestätigung durch den Vorstand der Beklagten erbat. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich auch die Klägerin nicht sicher war und die Richtigkeit des Inhalts der E-Mail vom 12.01.2017 anzweifelte. Hinzu kommt, dass die Beklagte zwar umgehend reagierte, der Bitte um verbindliche Bestätigung jedoch nicht nachkam und außerdem auf die Protokollnotiz bezüglich der GOP 11518 verwies.
Auch wenn der Inhalt der E-Mail vom 12.01.2017 zunächst auf einen Vertrauensschutz hindeutet, dann aber durch die nachfolgenden Ausführungen relativiert wurde und die nachfolgende E-Mail der Beklagten vom 24.01.2017 es offenlässt, ob der Abrechnungsausschluss im EBM durch die Beklagte Beachtung findet – ein Mehr an Klarheit durch die Beklagte wäre zumindest wünschenswert gewesen – kommt das Gericht aufgrund der Gesamtumstände zu dem Ergebnis, dass ein Vertrauensschutz, der die Beklagte bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen einschränkt, nicht vorliegt.
Das Gericht befindet sich damit auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dieses hat in mehreren Entscheidungen (vgl. insb. BSG, Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 17/05 R) bestimmte Fallkonstellationen herausgearbeitet, bei denen nach seiner Ansicht die Befugnis zu einer sachlich-rechnerische Richtigstellung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten bereits „verbraucht“ ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Frist von vier Jahren seit Erlass des Quartalshonorarbescheides bereits überschritten ist (1. Fallkonstellation). Dann ist eine Rücknahme des Honorarbescheides nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X möglich. Eine weitere Fallkonstellation, wo ein Vertrauensschutz angenommen wird, betrifft den Fall, in dem die Honoraranforderungen des Vertrags-(zahn) arztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüft und vorbehaltlos bestätigt wurden, indem die Kassenärztliche Vereinigung zum Beispiel auf den Rechtsbehelf des Vertrags-(zahn) arztes hin die ursprüngliche Richtigstellung eines bestimmten Gebührenansatzes ohne jede Einschränkung wieder rückgängig machte (2. Fallkonstellation). Ferner geht die höchstrichterliche Rechtsprechung von einem Vertrauensschutz dann aus, wenn die Kassenärztliche Vereinigung die Vertrags-(zahn)ärzte auf ihr bekannte Ungewissheiten hätte hinweisen müssen, dies aber unterlassen und dadurch bei den Mitgliedern ein schützenswertes Vertrauen entstanden ist (3. Fallkonstellation). Schließlich ist Vertrauensschutz dann zu berücksichtigen, wenn die Kassen- (zahn)ärztliche Vereinigung eine bestimmte Leistungserbringung in Kenntnis aller Umstände geduldet hat, sie aber später als fachfremd beurteilt hat (4. Fallkonstellation). Auf den vorliegenden Fall ist keine der vom Bundessozialgericht entwickelten Fallkonstellationen anwendbar. Zu erwägen wäre allerdings, ob der hier vorliegende Sachverhalt den Fallkonstellationen 2, 3 oder 4 gleichzusetzen ist. Die Bildung von Fallkonstellationen durch die Rechtsprechung zeigt aber zum einen, dass eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten stattfinden muss, zum anderen aber, dass eine solche Berücksichtigung nur in engen Grenzen und nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen ist. Auch wenn der Sachverhalt insbesondere den Vertrauenstatbeständen unter der 3. und 4. Fallkonstellation nahekommt, erreicht er nicht den Grad an Vertrauen, der notwendig ist, um einen Verbrauch der Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung anzunehmen. Vielmehr waren der Klägerin der Wortlaut des EBM und damit die Abrechnungsausschlüsse bekannt, auch, dass sich die Beklagte mit dem Aussetzen der Streichungen nicht EBMkonform verhielt. Sie konnte deshalb und vor allem auch im Hinblick auf die letzte E-Mail der Beklagten vom 24.01.2017 nicht davon ausgehen, es werde in den Quartalen ab 4/2016 ein Nebeneinanderansatz von ausgeschlossenen Leistungen weiterhin geduldet.
Erst recht kann sich die Klägerin nicht auf eine Verwirkung berufen. Die Anforderungen an eine Verwirkung sind noch wesentlich höher als an die Annahme eines Vertrauensschutzes. Eine Verwirkung ist nur dann anzunehmen, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, „der eine spätere Weiterverfolgung eines längere Zeit nicht betriebenen Verfahrens als treuwidrig erscheinen lässt“ (vgl. BSG, SozR 5548 § 3 Nr. 2). Eine Verwirkung erscheint jedoch vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist ausgeschlossen (vgl. BayLSG, Urteil vom 27.10.1999, Az. L 12 KA 78/98).
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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