IT- und Medienrecht

Kein Zurückbehaltungsrecht des Kaufpreises durch Verkaufsplattform

Aktenzeichen  31 O 17559/19

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41367
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 305c Abs. 2, § 307

 

Leitsatz

Einer Onlineplattform für den Verkauf von Software steht ein Zurückbehaltungsrecht des von dem Verkäufer eingenommenen Kaufpreises selbst dann nicht zu, wenn der Verdacht des Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen (illegaler Verkauf) besteht. (Rn. 28 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.947,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.12.2019 auszubezahlen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 2) trägt ihre Kosten selbst. Von den Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 2) die Hälfte. Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte zu 2) je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind die Deutschen Gerichte zur Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig. Die Beklagte hat nicht bestritten, dass sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Druck des Kartellamts dahingehend abgeändert hat, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte in Luxemburg gestrichen wurde.
II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte zu 2) ist verpflichtet, an die Klägerin deren Guthaben in Höhe von 21.947,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.12.2019 an die Klägerin zu bezahlen.
1. Die Parteien haben vertraglich vereinbart, dass die Beklagte mit dem auf dem Kundenkonto befindlichen Guthaben im Grundsatz – vorbehaltlich spezieller Bedingungen der Nutzungsvereinbarung – entsprechend den Zahlungsanweisungen des Kunden verfährt (Ziffer 1.3 der Nutzungsvereinbarung).
Die Nutzungsbedingungen der Beklagten zu 2) wurden durch Zustimmung der Klägerin zu diesen Nutzungsbedingungen in den Vertrag der Parteien einbezogen. Die Nutzungsbedingungen der Beklagten sehen die Anwendung des Rechts des Großherzogtums Luxemburg unter Ausschluss aller Kollisionsnormen auf den Vertrag vor. Vertragsrecht ist in Luxemburg im Code Civil, Titre VI ff. geregelt, Sonderregeln für Kaufleute finden sich im Code de Commerce. Eine § 307 BGB vergleichbare Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ist im Luxemburger Recht nicht vorgesehen. Entsprechend § 305 c Abs. 2 BGB gilt aber auch nach Luxemburger Recht, dass Zweifel bei Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen.
2. Die streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen enthalten keine Regeln, die im streitgegenständlichen Fall eine Zurückbehaltung des Guthabens durch die Beklagte rechtfertigen.
2.1. Insbesondere ergibt sich aus Ziffer 2.7 der Nutzungsbedingungen (Anlage B 2) kein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich in den mit nachgelassenem Schriftsatz vom 01.09.2020 konkret dargelegten Fällen gefälschte Ware verkauft hat und dadurch Nutzungsbedingungen der Beklagten verletzt hat.
2.1.1 Gesetzliche Vorschriften, Gerichtsbeschlüsse oder sonstige Anordnungen staatlicher Behörden, das Guthaben nicht auszuzahlen, existieren nicht. Die Beschränkung von Transaktionen vom Händlerkonto wäre daher nach Ziffer 2.7 nur möglich, wenn die Beklagte
(a) einem finanziellen Risiko (insbesondere ausstehenden Rückbuchungen) ausgesetzt ist,
(b) der Händler die Bedingungen der Nutzungsvereinbarung verletzt hat
(c) die Beklagte die Identität des Händlers nicht überprüfen kann,
(d) eine Streitigkeit in Verbindung mit dem Händlerkonto oder einer damit in Verbindung stehenden Transaktion besteht, oder
(e) dies zur Gewährleistung der Sicherheit der Systeme der Beklagten notwendig ist. Die Beschränkung ist auch unter diesen Voraussetzungen nur in einer Höhe und für einen Zeitraum zulässig, in dem es aus Sicht eines objektiven Betrachters für die Beklagte bei vernünftiger Betrachtungsweise zu ihrem Schutz oder dem Schutz anderer Nutzer notwendig erscheint.
2.1.2. Die Verletzung der Nutzungsbedingungen alleine rechtfertigt eine Zurückhaltung des Geldes nicht. Ein Zurückbehaltungsrecht kann nur bestehen, solange ein billigenswerter Bedarf der Beklagten einer Zurückbehaltung besteht. Denn das Geld steht dem Händler zu, nicht der Beklagten. Zweck und Gesamtschau der Regelung ergeben sich für den redlichen Rechtsverkehr – wie vom Gericht mit den Parteivertretern im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert -, dass das Zurückbehaltungsrecht nach billigem Ermessen ausgeübt werden muss und davon abhängt, dass die Zurückbehaltung aus Sicht der Beklagten bei vernünftiger Betrachtungsweise zu ihrem Schutz oder dem Schutz anderer Nutzer erforderlich erscheint, insbesondere weil sie einem finanziellen Risiko ausgesetzt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
Finanzielle Risiken wegen der beklagtenseits behaupteten Lizenzverletzungen gegenüber Microsoft muss die Beklagte nicht fürchten. Die Beklagte ist gegenüber Microsoft nicht für die behaupteten Lizenzverletzungen verantwortlich.
Die Beklagte hat auch weder substantiiert dargelegt noch Beweis dafür angetreten, dass sie in noch nicht abgeschlossenen Fällen von anderen Nutzern auf Rückzahlung eines an die Klägerin gezahlten Kaufpreises in Anspruch genommen wird.
Über die Identität der Klägerin besteht kein Streit.
Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass eine Zurückbehaltung zur Gewährleistung der Sicherheit der Systeme der Beklagten notwendig ist.
Bei vernünftiger Betrachtung ist die Zurückbehaltung des Guthabens auch nicht zum Schutz anderer Nutzer geboten. Das Händlerkonto wurde bereits im März 2019 endgültig gesperrt. Die Beklagte 2) hat zwar mit nachgelassenem Schriftsatz vom 01.09.2020 ein Schreiben der Microsoft Corporation, USA vorgelegt, in dem Microsoft den Verkauf gefälschter Ware durch die Klägerin behauptet. Dargelegt ist insoweit aber lediglich, dass Microsoft den Händler beanstandet hat. Noch zu klärende Kundenbeschwerden liegen nicht vor. Die Vorwürfe liegen teilweise bereits Jahre zurück. Aus Sicht der Beklagten zu 2) ist geklärt, dass insoweit Urheberrechtsverletzungen vorliegen. Die Beklagte selbst ist an keinem Streit beteiligt. Eine Zurückbehaltung des Geldes ist bei vernünftiger Betrachtungsweise aus Sicht der Beklagten gerade nicht geboten.
Streitigkeiten in Verbindung mit dem Händlerkonto oder einer damit in Verbindung stehenden Transaktion, an denen die Beklagte nicht beteiligt ist und wegen derer sie keinem finanziellen Risiko ausgesetzt ist, rechtfertigen eine Zurückbehaltung aus vernünftiger Sicht der Beklagten nicht.
2. Ein Zurückbehaltungsrecht ergibt sich auch nicht aus Ziffer 3.5 der Nutzungsbedingungen (Anlage B 2). Die Klägerin hat ihre Kooperation im Kundenschutzprogramm nicht verweigert.
Ziffer 3.5.1 der Nutzungsbedingungen sieht vor, dass die Beklagte zu 2) einen Betrag zurückhalten kann, bis eine Beschwerde geklärt ist, wenn ein Käufer eine Beschwerde im Abis Z-Kundenprogramm einreicht. Soweit die Beklagte substantiiert zu Kundenbeschwerden Stellung genommen hat, sind die Beschwerden geklärt.
Die Beklagte hat zwar mit nachgelassenem Schriftsatz vom 01.09.2020 ein Schreiben der Microsoft Corporation, USA vorgelegt, in dem Microsoft den Verkauf gefälschter Ware durch die Klägerin behauptet.
Eine noch ungeklärte Beschwerde eines Käufers der Klägerin hat die Beklagte zu 2) hingegen nicht dargelegt. Die Microsoft Corporation ist kein Käufer der Klägerin. Aus Sicht der Beklagten zu 2) sind die in der Beschwerde der Microsoft Corporation genannten Fälle zudem geklärt.
Ein Zurückbehaltungsrecht kam auch vor einer Klärung – unterstellt, die Testkäufer hätten am Beschwerdeprogramm teilgenommen – nur betreffend des insoweit streitigen Kaufpreises in Betracht. Der Kaufpreis sämtlicher konkret geschilderter Fälle, in denen angeblich nicht lizenzierte Ware geliefert wurde, beläuft sich insgesamt lediglich auf 120,04 €.
3. Die Forderung der Klägerin ist wie beantragt zu verzinsen. Das Luxemburger Recht sieht bei Geschäften zwischen Unternehmern im streitgegenständlichen Zeitraum einen Verzugszinssatz von 8 % vor. Entsprechend dem Luxemburgischen Gesetz vom 18.04.2004 über Zahlungsfristen, mit dem insbesondere Art. 3 der Europäischen Richtlinie 2000/35/C1 richtlinienkonform umgesetzt wurde, sind Unternehmer bei Geschäften unter Unternehmern verpflichtet, Forderungen ab dem Tag nach Fälligkeitseintritt zu verzinsen.
II. Die Kostenentscheidung entspricht §§ 91, 92, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO (Baumbach’sche Formel). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entspricht § 709 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt § 48 GKG.


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