IT- und Medienrecht

Keine Löschung personenbezogener Daten im Kriminalaktennachweis wegen weiterbestehendem Restverdacht

Aktenzeichen  AN 15 K 18.00982

Datum:
10.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34337
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 6 Abs. 2
PAG Art. 40 Abs. 1 Nr. 1, Art. 54 Abs. 2 S. 2, Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Löschung von personenbezogenen Daten aus einem Kriminalaktennachweis besteht nicht, wenn von der aktenführenden Stelle noch ein Restverdacht ausreichend begründet dargelegt wurde und die Kenntnis der gespeicherten Daten zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben weiterhin erforderlich ist. (Rn. 13 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die weitere Speicherung und Verwendung von in Strafermittlungsverfahren gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten steht der Unschuldsvermutung grundsätzlich nicht entgegen und stellt daher keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK dar, sofern Verdachtsmomente gegen den Betroffenen trotz rechtskräftigen Freispruchs nicht ausgeräumt werden konnten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung kann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen, da die Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung der personenbezogenen Daten aus dem Kriminalaktennachweis hinsichtlich des Vorgangs „Vergewaltigung / sexuelle Nötigung durch Gruppen“ (KA-Nr. … des KFD 3 …*), § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid des Beklagten vom 23. April 2018 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die einzig in Frage kommende Anspruchsgrundlage für die Löschung von personenbezogenen Daten aus dem Kriminalaktennachweis ergibt sich, da im Rahmen der vorliegenden Verpflichtungsklage auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. im hier vorliegenden Fall auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen ist, aus Art. 54 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990, zuletzt geändert durch § 1 Abs. 28 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98). Gegenüber der Vorgängervorschrift des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG in der vor dem 25. Mai 2018 geltenden Fassung, die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde lag, haben sich keine für den vorliegenden Fall bedeutsamen Änderungen ergeben.
Hiernach sind die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten unverzüglich zu löschen, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tatverdacht restlos entfallen ist (BayVGH, B.v. 24.02.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Da im hier vorliegenden Fall von der aktenführenden Stelle noch ein Restverdacht ausreichend begründet dargelegt wurde, besteht für den Kläger kein Anspruch auf Löschung.
Bei fortbestehendem Tatverdacht ist die Kenntnis der gespeicherten personenbezogenen Daten zur Erfüllung der der speichernden Stelle obliegenden Aufgaben grundsätzlich weiterhin erforderlich. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (BayVGH, B.v. 17.06.2019 – 10 C 17.1793 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze liegen die Löschungsvoraussetzungen nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG für die streitgegenständlichen Daten nicht vor. Der polizeiliche Resttatverdacht gegen den Kläger besteht nach zutreffender Auffassung des Beklagten für diese Daten fort. Der betreffende Vorgang darf weiterhin im Kriminalaktennachweis gespeichert bleiben, da die Kenntnis der gespeicherten Daten zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben weiterhin erforderlich ist. Der Resttatverdacht besteht trotz der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens fort. Die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO wegen Vergewaltigung wurde ausweislich der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft …, Az. … … vom 21. Februar 2013 damit begründet, dass der Tatnachweis nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Gewissheit zu führen sei. Der anderweitig verfolgte „Mittäter“ sei zwischenzeitlich durch rechtskräftiges Urteil der Landgerichts … vom 23. Januar 2013 freigesprochen worden, da aufgrund von widersprüchlichen Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen der Tatablauf nicht ausreichend habe aufgeklärt werden können. Eine Verurteilung des Klägers in einem gesonderten Verfahren erscheine daher nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Gewissheit wahrscheinlich (Bl. 12 der Behördenakte). Eine Einstellung wegen erwiesener Unschuld liegt damit gerade nicht vor.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Kriminalaktennachweis dem präventiv-polizeilichen Aufgabenbereich der Gefahrenabwehr einschließlich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zuzurechnen ist (Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG). Die gespeicherten Daten über die Verdachtslage beinhalten gerade keine Aussage, ob der Betroffene die Tat tatsächlich begangen hat oder über die Verwerflichkeit des Tuns; die Speicherung stellt vielmehr rein auf den objektiven Geschehensablauf und auf Verdachtsgründe und Indizien ab.
Damit liegt auch nicht – wie vom Kläger gerügt – ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK vor, da die weitere Speicherung und Verwendung in Strafermittlungsverfahren gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten der Unschuldsvermutung grundsätzlich auch dann nicht entgegensteht, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen worden ist, sofern die Verdachtsmomente dadurch nicht ausgeräumt sind. Nach einem Freispruch bedarf es für die Annahme eines fortbestehenden Tatverdachts aber besonderer, von der speichernden Polizeibehörde darzulegender Anhaltspunkte, die sich insbesondere aus den Gründen des freisprechenden strafgerichtlichen Urteils selbst ergeben können (BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – NJW 2002, 3231). Dies gilt ebenso für – wie hier vorliegend – Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO.
Diese Anhaltspunkte wurden von dem Beklagten sowohl bereits im streitgegenständlichen Bescheid aufgeführt als auch nochmals im Schriftsatz vom 2. Dezember 2019 ausführlich dargestellt.
Die Regelspeicherfrist von zehn Jahren des Art. 54 Abs. 2 Satz 3 PAG ist für das streitgegenständliche Vorkommnis auch noch nicht abgelaufen. Es liegt auch kein Fall von geringerer Bedeutung im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Satz 4 PAG, in dem eine kürzere Frist festzusetzen wäre, vor. Vielmehr liegt hier allenfalls gem. Art. 54 Abs. 3 Satz 1, 40 Abs. 1 PAG und auf dessen Grundlage Nr. 38.6 der Vollzugsbekanntmachung zum PAG eine Verlängerung der Aussonderungsprüffrist auf regelmäßig 20 Jahre vor, da es sich bei dem Kläger um den Beschuldigten oder Tatverdächtigen einer Sexualstraftat (13. Abschnitt des Strafgesetzbuches) handelt.
Umstände, die die weitere Speicherung der Daten als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 4 PAG erscheinen lassen, sind weder erkennbar noch wurden solche konkret vorgetragen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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