IT- und Medienrecht

Keine Schadensersatzansprüche bei Ende November 2015 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem VW-Fahrzeug (hier: VW Golf 1.6 TDI Kombi)

Aktenzeichen  27 U 3017/19

Datum:
16.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40404
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263

 

Leitsatz

1. Der Herstellerin kann ein verwerfliches Verhalten nicht mehr angelastet werden, nachdem sie durch ihre Adhoc-Mitteilung vom 22. September 2015 auf „Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren“ aufmerksam gemacht und Aufklärung sowie Beseitigung der „auffälligen Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb“ in Abstimmung mit dem KBA angekündigt hatte. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Offenlegung der Dieselproblematik im Rahmen der Adhoc-Mitteilung kann ein (fortbestehender) Schädigungsvorsatz der Herstellerin nicht mehr angenommen werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein der pauschale Vortrag, es seien Steuernachteile durch die Verwendung des Fahrzeugs aufgrund des tatsächlichen Kohlendioxidausstoßes zu erwarten, stellt keinen substantiierten Sachvortrag dar, dass ein (weiterer) auf der behaupteten Verletzungshandlung beruhender Schadenseintritt wahrscheinlich ist, und begründet damit kein Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vgl. auch zu Erwerb nach Ad-hoc-Mitteilung OLG Koblenz BeckRS 2019, 36722; BeckRS 2019, 32689. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

032 O 1707/18 2019-04-29 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29.04.2019, Az. 032 O 1707/18, wird zurückgewiesen.
II. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.191,02 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs wegen einer behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung im Motor.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Augsburg vom 29.04.2019 verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung führt das Landgericht im Wesentlichen aus, dass ein Schädigungsvorsatz der Beklagten wie auch eine Täuschung der Klägerin aufgrund der Offenlegung der Dieselabgasproblematik im Herbst 2015 zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrags am 28.11.2015 nicht mehr angenommen werden könne. Die Behauptung der Klägerin, sie habe erst Anfang 2018 von Kenntnis von der Manipulation der Software erlangt, sei angesichts der umfangreichen Berichterstattung zu dem Thema nicht glaubhaft.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 05.06.2019.
Sie beantragt im Berufungsverfahren:
1. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Augsburg wird aufgehoben.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.12.2016 sowie 5 Prozentpunkte seit dem 27.03.2018 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf 1.6 TDI Kombi, Fahrgestell-Nr.: …15.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des in Ziffer I. genannten Fahrzeugs in Verzug befindet
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Golf 1.6 TDI Kombi, Fahrgestell-Nr. …15 resultieren.
5. Die Beklagte zu 1) wird zu verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 729,23 € freizustellen.
Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klägerin unter anderem aus, dass entgegen der Annahme des Landgerichts eine sittenwidrige Täuschung durch die Beklagten vorliege. Diese Täuschung sei auch ursächlich für die Kaufentscheidung der Klägerin gewesen. Sie hätte zum Kaufzeitpunkt keine Ahnung davon gehabt, dass das von ihr gekaufte Fahrzeug über eine illegale Abschalteinrichtung verfüge. Das aufgespielte Software Update führe zu neuen Schäden und stelle eine erneute sittenwidrige Täuschungshandlung dar.
Im Berufungsverfahren wird von der Beklagten zu 1) beantragt:
die Berufung wird zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 02.07.2019 sowie die weitere Stellungnahme vom 05.08.2019 Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29.04.2019, Az. 032 O 170/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 16.07.2019 Bezug genommen, an dem auch nach erneuter Überprüfung im Hinblick auf die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 05.08.2019 festgehalten wird.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Klägerin steht bei der hier vorliegenden Fallkonstellation einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten nicht zu.
1. In Bezug auf den Klageantrag zu 4) ist die Klage bereits mangels Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, dass ein (weiterer) auf der behaupteten Verletzungshandlung beruhender Schadenseintritt wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2006, – XI ZR 384/03 -, Rn. 29 m.w.N., juris). Allein der pauschale Vortrag, es seien Steuernachteile durch die Verwendung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs aufgrund des tatsächlichen Kohlendioxidausstoßes zu erwarten (Schriftsatz vom 16.01.2019, Bl 210/211 d.A.) ist hierfür nicht ausreichend.
2. Bezüglich der Beklagten zu 2) fehlt es weiterhin an einem substantiierten Vortrag der Klägerin, inwieweit ein deliktischer Anspruch, der eine Täuschungshandlung der Beklagten zu 2) gegenüber der Klägerin voraussetzt, vorliegen soll. Allein die Darstellung, die Beklagte zu 2) habe ursprünglich die Abschalteinrichtung mitentwickelt, genügt diesen Anforderungen nicht. Im Übrigen wird auf den Hinweis des Senats vom 16.07.2019 Bezug genommen.
3. Bezüglich der von Klägerseite gegen die Beklagte zu 1) geltend gemachten deliktischen Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und 826 BGB wurden die erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht nachgewiesen.
a) Bezüglich § 826 BGB fehlt es neben dem Nachweis eines Schädigungsvorsatzes bereits an einem kausalen sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zu 1) zum maßgeblichen Zeitpunkt des geltend gemachtes Schadenseintrittes, d.h. des Kaufvertragsabschlusses (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2013, 1448; OLG Celle, Beschluss vom 01.07.2019 – 7 U 33/19 -, Rn. 20, juris; BeckOK BGB/Förster, 51. Ed. 1.8.2019, BGB § 826 Rn. 23 m.w.N.).
Objektiv sittenwidrig ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzukommen, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, Rn. 16 m.w.N, juris).
Durch ihre Adhoc-Mitteilung vom 22. September 2015 hat die Beklagte zu 1) auf „Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren“ aufmerksam gemacht, Aufklärung sowie Beseitigung der „auffälligen Abweichung zwischen „Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb“ in Abstimmung mit dem Deutschen Kraftfahrtsbundesamt angekündigt.
Angesichts dieser Information an die Öffentlichkeit, mit der ein Fehler bei der Abgasrückführung der betreffenden Motoren offengelegt wird, kann ein verwerfliches Verhalten der Beklagten zu 1) jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht mehr angelastet werden.
Die Gründe, die ihr Verhalten bis Herbst 2015 ggf. als sittenwidrig erscheinen ließen (Täuschung potenzieller Kunden über eine möglicherweise gefährdete Nutzbarkeit ihrer Fahrzeuge im Straßenverkehr mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung) sind damit jedenfalls weggefallen.
Vielmehr hat es die Beklagte zu 1) durch ihre Ad-Hoc-Mitteilung dem Verantwortungs- und Entscheidungsbereich des potenziellen Gebrauchtwagenkäufers überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er ungeachtet des „Dieselskandals“ Vertrauen in ihre Dieselfahrzeuge hat oder ob er wegen möglicherweise offen gebliebener Fragen Abstand von dem Kauf eines ihrer Fahrzeuge nimmt.
Dass es die Klägerin unterlassen hat, sich anlässlich des Kaufs des Dieselfahrzeugs mit der Thematik zu befassen, geht damit jedenfalls nicht auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu 1) zurück.
Soweit die Klägerin einwendet, erst Anfang 2018 Kenntnis von der Fahrzeugmanipulation erlangt zu haben, teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2019 insgesamt nicht glaubhaft waren. Insbesondere waren die Angaben der Klägerin im Laufe des Verfahrens im erheblichen Maße widersprüchlich. Hatte sie ursprünglich noch behauptet, die Kenntnis läge seit letztem Jahr (2018) bzw. seit einem Brief von VW aus dem März bzw. Januar 2018 vor, gab sie zum Schluss der mündlichen Verhandlung an, das Software-Update sei bereits Ende 2017 aufgespielt worden. Den damit einhergehenden Widerspruch löste die Klägerin nicht auf.
Es fehlt insoweit auch an einem schlüssigen und substantiierten Vortrag, warum die Klägerin von der in großem Umfang medial aufbereiteten Thematik (Zeitungen, Internet, Fernsehen, Radio) keine Kenntnis erhalten hat. Auf den Hinweis des Senats vom 16.07.2019 wird Bezug genommen.
Daneben scheitert eine Erfüllung des Tatbestandes auch entsprechend dem vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 16.07.2019 durch die Offenlegung der Dieselproblematik im Rahmen der Adhoc-Mitteilung an dem Nachweis eines erforderlichen Schädigungsvorsatzes der Beklagten zu 1).
Ergänzend ist hierzu noch anzuführen, dass die Beklagte zu 1) neben ihrer Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015, in der sie alle maßgeblichen Aspekte der Thematik dargestellt hat, im Oktober 2015 eine Internetseite eingerichtet hat, auf der sich Kunden über die Betroffenheit ihres Kraftfahrzeugs informieren konnten.
Bei dieser Sachlage kann im Hinblick auf den streitgegenständlichen Kaufvertrag vom 28.11.2015 nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zu 1) bzw. deren handelnder verfassungmäßig berufener Vertreter eine Schädigung der Anspruchstellerin in seinen Willen auf-, für möglich oder billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, Rn. 25, juris).
Soweit die Berufungsführerin geltend macht, im Aufspielen des Software-Updates liege eine weitere sittenwidrige Täuschung einhergehend mit einem Schaden am Motor kann dem nicht gefolgt werden.
Die Funktionsweise und die Folgen des Updates wurde im Einzelnen von der Beklagten zu 1) im Schriftsatz vom 03.09.2018 substantiiert dargestellt und vom Kraftfahrzeugbundesamt nach Überprüfung mit Schreiben vom 14.12.2016 als „geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge“ – darunter auch das streitgegenständliche – freigegeben (Anlage B 5).
Ein dieser Wertung entgegenstehender substantiierter Vortrag der Klägerin im Hinblick auf eine etwaige Täuschung durch die Beklagte zu 1) einschließlich dem entsprechenden subjektiven Tatbestand liegt nicht vor.
So ist beispielsweise unklar, worauf sich die Behauptung der Klägerin stützt, das erworbene Kraftfahrzeug sei trotz des aufgespielten Updates nicht gesetzeskonform. Die Beklagte zu 1) hat diesbezüglich mit Schriftsatz vom 03.09.2018 substantiiert vorgetragen, dass die Durchführung der technischen Maßnahme zu keinen negativen Auswirkungen auf die technischen Daten des Kraftfahrzeugs führt. Eine Gefahr für den Entzug der Typengenehmigung bestehe nicht. Die pauschalen Vorwürfe der Klägerin zur Widerlegung des Inhalts der vorgelegten Bestätigung durch das Kraftfahrzeugbundesamt vom 14. Dezember 2016 vermögen jedenfalls den erforderlichen Tatsachenvortrag insbesondere im Hinblick auf den notwendigen Schädigungsvorsatz nicht zu ersetzen.
b) Bezüglich eines Anspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es entsprechend den Ausführungen unter II. 3. a) angesichts der Adhoc-Mitteilung im September 2015 an einer zum Zeitpunkt des Kaufs des Kraftfahrzeuges (28.11.2015) fortwirkenden Täuschungshandlung der Beklagen zu 1) (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 01. Juli 2019, – 7 U 33/19 -; juris) wie auch am diesbezüglich erforderlichen subjektiven Tatbestand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.
Augsburg, 16.09.2019


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