IT- und Medienrecht

Löschung personenbezogener Daten

Aktenzeichen  M 7 K 19.1311

Datum:
7.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26154
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 62 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit kann im Wege des Gerichtsbescheids entschieden werden, da die Sache keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist, die Beteiligten hierzu angehört wurden und sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt haben (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Klageantrag ist gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO zu Gunsten des Klägers dahingehend auszulegen bzw. umzudeuten, dass dieser die Löschung der streitgegenständlichen Eintragungen sowohl aus dem bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) als auch aus dem IGVP begehrt (vgl. zur Zulässigkeit der Umdeutung einer Anfechtungsklage in eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes BVerwG, U.v. 2.11.1973 – IV V 55.70 – juris Rn. 17).
Zwar darf das Gericht nach § 88 VwGO über das Klagebegehren nicht hinausgehen. Es ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern hat vielmehr das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.1980 – 2 C 30/78- juris Rn. 21). Eine Grenze für die Auslegung bzw. Umdeutung besteht aber insoweit, als dass § 88 VwGO das Gericht nicht dazu ermächtigt, den Wesensgehalt der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was die Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie nach Meinung des Gerichts zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (vgl. BVerwG, B.v. 29.8.1989 – 8 B 9/89 – juris Rn. 2). Ratio der in §§ 82, 86 Abs. 3, 88 VwGO enthaltenen Regelung ist, dass es dem nicht juristisch Geschulten vielfach Mühe bereitet, im Verwaltungsrecht den sachdienlichen Antrag richtig zu formulieren; hieraus sollen dem Kläger keine Nachteile erwachsen. Daraus ergibt sich zwar zugleich, dass der anwaltlich Vertretene sich eher an seinen Anträgen festhalten lassen muss (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 88 Rn. 9 m.w.N.); ausgeschlossen im Sinne eines zwingenden Verbots ist aber eine Auslegung bzw. Umdeutung insoweit, sprich auch bei anwaltlicher Vertretung, nicht, sofern dadurch das (deutlich) zum Ausdruck gebrachte Rechtsschutzziel effektiv (Art. 19 Abs. 4 GG) erreicht wird. Vorliegend beantragt der Klägerbevollmächtigte zwar die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 12. Februar 2019. Mit diesem wurde der Antrag des Klägers auf Löschung der gespeicherten personenbezogenen Daten hinsichtlich der Eintragung „Anzeige wegen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes vom 27. Mai 2017“ abgelehnt. In diesem Kontext ist somit davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls auch die Löschung der streitgegenständlichen Eintragung begehrt.
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung der Einträge aus dem bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) sowie auf Löschung aus dem IGVP (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Speicherung von personenbezogenen Daten im KAN, welche die Polizei wie hier im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, richtet sich nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG i.V.m. § 484 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO. Nach Art. 54 Abs. 1 PAG kann die Polizei zudem – beispielsweise im IGVP – solche Daten in Akten oder Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist.
Ein Anspruch auf unverzügliche Löschung der im KAN gespeicherten personenbezogenen Daten besteht, wenn der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht gegen den Betroffenen entfallen ist (Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG; bisher Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F.).
Es besteht kein Löschungsanspruch gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG.
Denn nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG sind – der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur insoweit nahezu inhaltsgleichen Regelung des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 a.F. folgend – die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (zu repressiven Zwecken) gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten erst dann zu löschen, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tatverdacht (restlos) entfallen ist (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 35, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 17 m.w.N.). Der für die weitere Aufbewahrung von Polizeiunterlagen erforderliche Tatverdacht im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F. entfällt dabei nicht schon mit der Einstellung der Ermittlungen, sondern erst, wenn der Verdacht einer Straftat oder Tatbeteiligung des Betroffenen restlos ausgeräumt ist. Daher kann die Aufbewahrung der polizeilichen Unterlagen selbst im Falle eines rechtskräftigen Freispruchs zulässig bleiben, wenn ein Restverdacht fortbesteht (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2008 – 10 C 08.2087 – juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 10 ff.), etwa, wenn der Freispruch aus Mangel an Beweisen erfolgt ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 18). Im Falle eines Freispruchs oder wie vorliegend einer Verfahrenseinstellung bedarf es daher der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung der im Verfahren gewonnenen Daten zur polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 19). Von einem fortbestehenden (Rest-)Tatverdacht kann insbesondere dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht festgestellt wurde, dass der Verdacht danach vollständig entfallen ist (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 4).
Vorliegend sind im KAN jedoch keine Einträge zum Kläger vorhanden. Soweit der Kläger die Vernichtung der ihn betreffenden Einträge und die Löschung der entsprechenden Nachweisdaten im IGVP verlangt, kann ein solcher Löschungsanspruch nicht auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG gestützt werden, da es sich bei den im IGVP gespeicherten Daten nicht um Daten nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG handelt (vgl. noch zu Art. 38 Abs. 2 Satz 1 PAG a.F. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 24). Die Vorgangsverwaltung ist ein Teil des EDV-Systems der bayerischen Polizei und muss von den übrigen Dateien organisatorisch getrennt werden. Sie dient der internen Dokumentation eines Sachverhalts und ist Voraussetzung für eine funktionierende polizeiliche Tätigkeit. Mit Hilfe der Vorgangsübersicht kann festgestellt und rekonstruiert werden, welche Anzeigen, Sachverhalte und sonstigen Geschehnisse bearbeitet worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2006 – 24 ZB 05.3074 – juris Rn. 21). Die Vorgangsverwaltung dient zudem dem Auffinden von Vorgängen in der bayerischen Polizei, der Qualitätssicherung der polizeilichen Arbeit und der Dienstaufsicht. Eine Verknüpfung mit den Dateien nach Art. 54 Abs. 2 PAG ist unzulässig. Für solche Daten ergibt sich ein etwaiger Löschungsanspruch aus Art. 62 Abs. 2 PAG (vgl. noch zu Art. 45 Abs. 2 PAG a.F. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 24).
Der Kläger hat jedoch auch keinen Anspruch auf Löschung der im IGVP gespeicherten Daten gemäß Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG. Danach sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen und die zu dem Betroffenen geführten Akten zu vernichten, wenn ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war (Nr. 1), sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen (Nr. 2) oder bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist (Nr. 3).
Der Kläger wird – nach der im Bescheid vom 12. Februar 2019 mitgeteilten Änderung – im IGVP lediglich als Zeuge geführt. Der Übersicht im IGVP kann somit nur entnommen werden, dass der Kläger mit dem dargestellten Sachverhalt in irgendeiner Weise in Verbindung steht. Es handelt sich um bloße Informationen über Sachverhalte, wie sie sich aus der Sicht der Polizeidienststelle ereignet haben. Diese Informationen gewährleisten einen geordneten Dienstbetrieb und ermöglichen das spätere Wiederauffinden von Vermerken, Anfragen, Anzeigen usw. Die Daten stehen alleine der sie führenden Dienststelle zur Verfügung. Sollte gegen diese Vorgaben verstoßen werden, wäre die Weitergabe gegebenenfalls rechtswidrig – nicht aber die Speicherung der Daten (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2006 – 24 ZB 05.3074 – juris Rn. 36). Mit der Aufbewahrung derartiger Informationen ist somit keine nennenswerte Beeinträchtigung des Klägers verbunden (vgl. BayVGH, 21.1.2009 – 10 B 07. 1382 – juris Rn. 23, 35 f.). Der Kläger wird durch die weitere Vorhaltung von Daten, mit denen er in Verbindung gebracht werden kann, zudem nur in geringem Umfang belastet (vgl. OVG Lüneburg, U.v 30.1.2013 – 11 LC 470/10 – juris Rn. 47). Ein Rückschluss darauf, dass er Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren war, ist auf Grund der vorgenommenen Änderungen nicht mehr möglich. Auf Grund dessen erscheint die Speicherung auch nicht unverhältnismäßig.
Die Aufbewahrung solch rechtmäßig gespeicherter Vorgangsdaten für einen Zeitraum von fünf Jahren ist grundsätzlich gerechtfertigt (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 36). Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass ein Löschungsanspruch ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Speicherfrist besteht, wenn aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass die Kenntnis der Daten für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist, da es nicht nur der Wortlaut des Gesetzes, sondern auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den mit der Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung sofort und nicht erst nach Ablauf einer bestimmten Frist zu löschen, wenn Daten für die polizeiliche Aufgabenerfüllung aller Voraussicht nach nicht mehr benötigt werden (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 36). Die im IGVP gespeicherten Daten sind für Polizeibeamte nicht allgemein verfügbar. Vielmehr bedarf es hierzu einer konkreten Berechtigung im Einzelfall. Ein Sachbearbeiter auf unterer Ebene hat nur Zugriff auf die Daten seiner Polizeiinspektion. Soweit Kriminalpolizisten leitende Aufgaben wahrnehmen, haben sie eine größere Berechtigung, die sich aber auch nur auf ihren räumlichen Aufgabenbereich bezieht. Angesichts dessen ist der mit der Speicherung von Daten im IGVP verbundene Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als so gering anzusehen, dass ein Anspruch auf Löschung dieser Daten vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist in der Regel nicht besteht (vgl. VG München, U.v. 10.12.2014 – M 7 K 12.1563 – juris Rn. 48).
Schließlich folgt auch aus dem Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) kein weitergehender Löschungsanspruch (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 22 m.w.N.). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das vor der unbegrenzten Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten schützt, ist nicht schrankenlos gewährleistet und findet in den Regelungen der jeweiligen Landespolizeigesetze für den Bereich der Polizeidaten und Kriminaldaten in Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG und Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG eine verfassungsmäßige Grenze (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2012 – 10 ZB 11.2438 – juris Rn. 7). Aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergäbe sich ein Anspruch auf Löschung der über den Betroffenen gespeicherten polizeilichen Daten daher nur, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht durch diese gesetzlichen Grundlagen gerechtfertigt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 22). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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