IT- und Medienrecht

Nachlieferungsansprüche aus einem Kaufvertrag über ein Diesel-Fahrzeug

Aktenzeichen  095 O 3153/16

Datum:
11.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155593
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 275, § 433, § 434 Abs. 1, § 437 Nr. 1, § 439

 

Leitsatz

1 Ein Käufer eines Neufahrzeugs kann davon ausgehen, dass die Geringhaltung der Abgaswerte und die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt und die Werte im Prüfstand nicht aufgrund einer Software erzeugt werden, die den Fahrzyklus des Prüfstandes erkennt und in einen Betriebsmodus schaltet, der den Stickoxidausstoß reduziert. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Aufzählung einiger als Sonderausstattung gewünschter Zubehörteile steht der Einschätzung als Gattungsschuld nicht entgegen. Durch die Angabe der Sonderausstattung wird kein “nach Maß” zu produzierendes Fahrzeug bestellt, sondern festgelegt, welche besonderen Eigenschaften der aus einer vorgegebenen Gattung zu leistende Kaufgegenstand aufweisen sollte. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Verkäuferin, die sich darauf berufen will, dass die gewählte Art der Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist, muss zunächst darlegen und beweisen, dass zum einen die von ihr gewünschte Nachbesserungsvariante zu einer erfolgreichen Nacherfüllung führt und zum anderen die Kosten der Nachbesserung deutlich günstiger sind, was zu einer relativen Unverhältnismäßigkeit zu den Kosten der Nachlieferung führen müsste. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

95 O 3153/16 2017-02-17 Versäumnisurteil LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 17.02.2017 wird aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Augsburg ist für die Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich vorliegend Art. 17 I c, 18 EuGVVO. Der Wohnsitz des Klägers liegt im Gebiet des Landgerichts Augsburg.
B.
Der Einspruch ist zulässig. Insbesondere ist er form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Neulieferung eines Pkws Seat Alhambra gem. §§ 433, 437 Nr. 1, 439 BGB zu.
I. Die Parteien schlossen einen Kaufvertrag über das gegenständliche Fahrzeug im Sinne des § 433 BGB. Im Zeitpunkt des Gefahrübergangs war das gegenständliche Fahrzeug mangelhaft.
Die Mangelhaftigkeit ergibt sich aus § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB.
1. Das Gericht ist überzeugt, dass das vom Kläger gekaufte Fahrzeug einen Sachmangel im Sinne der oben genannten Vorschrift aufweist.
Demnach ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
a. Im vorliegenden Fall eignet sich das streitgegenständliche Fahrzeug zwar grundsätzlich für den Fahrbetrieb und somit für die gewöhnliche Verwendung. Jedoch verfügt es nicht über eine Beschaffenheit, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die ein Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein Käufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die Geringhaltung der Abgaswerte und die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt und die Werte im Prüfstand nicht aufgrund einer speziellen, im Fahrzeug verbauten Software erzeugt werden, die den Fahrzyklus des Prüfstandes erkennt und in einen Betriebsmodus schaltet, der den Stickoxidausstoß reduziert.
(1) Wie mittlerweile durch die umfangreiche Berichterstattung im sog. Abgasskandal allgemein bekannt, verfügen die davon betroffenen Fahrzeuge über zwei Motorsteuerungen: Modus 0 und Modus 1. Während des Durchlaufens des Prüfstands (NEFZ – Neuer Europäischer Fahrzyklus) schaltet die Motorsteuerung in den Modus 1 mit höherer Abgasrückführung, während sich der Motor im normalen Straßenbetrieb im Modus 0 befand.
Es ist zwar zutreffend, dass der Prüfstandmodus nicht den normalen Fahrbetrieb wiedergibt. Dennoch fehlt es bei Verwendung der im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Software an einem vergleichbaren Verhältnismäßigkeitsmaßstab der Abgaswerte zwischen Prüfmodus und realem Fahrbetrieb im Vergleich zu nicht manipulierten Fahrzeugen.
Eine Aussage über Abgas- und Verbrauchswerte im realen Fahrbetrieb und ein Vergleich zu anderen Fahrzeugen kann damit auf der Basis der auf dem Prüfstand ermittelten Werte nicht getroffen werden. Da nur die Prüfstandsfahrt Grundlage der EG-Typengenehmigung ist, werden Kunden (und die Genehmigungsbehörde) über die Aussagekraft der Messwerte für die im realen Fahrbetrieb zu erwartenden Emissionswerte falsch informiert (vgl. etwa LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2016 – 2 O 83/16 und LG Bochum, Urteil vom 16.03.2016 – I 2 O 425/15).
(2) Unerheblich ist es dabei, welche technischen Maßnahmen für Modus 0 und Modus 1 gewählt worden sind – also, ob dies durch Manipulation der Abgasrückführung oder Abschaltung bzw. Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems erfolgte.
2. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 verlangte der Kläger, dem grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen Nachlieferung und Nachbesserung zusteht, von der Beklagten die Nachlieferung, § 439 I BGB. Diese Nachlieferung erfolgte nicht; die Beklagte hat das Nachlieferungsbegehren zurückgewiesen.
a. Dass die begehrte Nachlieferung der Beklagten unmöglich ist (§ 2751 BGB), ist nicht ausreichend dargelegt worden.
Nach § 275 BGB ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist, Unmöglichkeit dieser Leistungspflicht kann eintreten, wenn der Verkäufer eine mangelfreie Sache der geschuldeten Art nicht beschaffen kann.
Es handelt sich vorliegend um einen sogenannten Gattungskauf.
(1) Gegenstand des Kaufvertrages der Parteien ist die Lieferung eines Kraftfahrzeuges als Gattungsschuld, nicht aber als Stückschuld. Eine Gattungsschuld ist in der Regel anzunehmen, wenn ein nicht vorrätiges Fahrzeug beim Händler, der Beklagten, bestellt wird. Eine Stückschuld liegt dagegen vor, wenn ein konkretes Fahrzeug ab Lager, ein Ausstellungsfahrzeug oder ein „nach Maß“ zu produzierendes Fahrzeug gekauft wird.
Vorliegend wurde das zu einem festgelegten Zeitpunkt zu liefernde Fahrzeug nicht individuell bestimmt, sondern nach generellen Merkmalen beschrieben. Die im vorliegenden Fall erfolgte Aufzählung einiger als Sonderausstattung gewünschter Zubehörteile steht der Einschätzung als Gattungsschuld nicht entgegen. Durch die Angabe der Sonderausstattung wird keine „nach Maß“ zu produzierendes Fahrzeug bestellt, sondern festgelegt, welche besonderen Eigenschaften der aus einer vorgegebenen Gattung zu leistende Kaufgegenstand aufweisen sollte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.03.1995, 13 U 34/94 und LG Hagen, Urteil vom 07.10.2016, 9 O 58/16).
(2) Dass der Beklagten die Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs, das mit dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug in seinen Merkmalen übereinstimmt, unmöglich im Sinne des § 275 I BGB ist, ist nicht ausreichend dargelegt worden.
(a). Die Darlegungs- und Beweislast liegt dabei bei der Beklagten. Bei ihr handelt es sich um die Schuldnerin eines von Klägerseite behaupteten Anspruchs, hinsichtlich dessen sie sich auf Unmöglichkeit beruft. Damit will sie eine klagevernichtende Tatsache geltend machen bzw. eine Einrede erheben, was ihre Darlegungslast auslöst. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt die Partei die Beweislast für eine Leistungsbefreiung, die eine ihr günstige Rechtsfolge ableiten will (vgl. Münchner Kommentar, 7. Auflage, § 275 BGB, Rn. 165).
(b). Die Beklagte hat zwar pauschal vorgetragen, dass „das Fahrzeug in dieser Form nicht mehr hergestellt wird“. (vgl. Bl. 66 d. Akte). Dieser eine Satz genügt jedoch nicht, um die Voraussetzungen der Unmöglichkeit dem Gericht darzulegen.
Es ist zwar zutreffend, dass bei einem Gattungskauf der Anspruch auf Nachlieferung dann erlischt, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist und nicht mehr hergestellt wird.
Es ist jedoch Allgemeinwissen, dass Pkws der Marke Seat Alhambra Style mit 2,0 Liter-Dieselmotoren nach wie vor produziert werden. Dass die nun hergestellten Pkws Seat Alhambra Style nicht derselben Gattung angehören sollen, wie das streitgegenständliche Fahrzeug ist von Beklagtenseite nicht einmal ansatzweise durch Gegenüberstellung des Klägerfahrzeuges mit der aktuellen Produktion erörtert worden, so dass die Voraussetzungen der Unmöglichkeit nicht dargestellt wurden.
Die angebotene Einvernahme des Zeugen … würde damit auf einen Ausforschungsbeweis hinauslaufen.
Eine Nachlieferung ist dann aber durch die Überlassung eines Fahrzeugs der jetzigen Baureihe des Seat Alhambra Style möglich.
(c) Auf die fehlende diesbezügliche Substantiierung im Einspruchsschriftsatz wurde bereits in der öffentlichen Sitzung vom 12.05.2017 hingewiesen. Der daraufhin eingereichte Schriftsatz vom 20.07.2017 enthielt keine weitere Substantiierung – sondern nur oben zitierten Satz.
b. Die Beklagte kann die Nachlieferung auch nicht nach § 439 III BGB verweigern.
Nach dieser Vorschrift kann ein Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte.
§ 439 III BGB ist als Einrede ausgestaltet, was bedeutet, dass die Beklagte, die sich darauf berufen will, um das Wahlrecht des Klägers zu beschränken, zunächst darlegen und beweisen muss, dass zum einen die von ihr gewünschte Nachbesserungsvariante zu einer erfolgreichen Nacherfüllung führt und zum anderen die Kosten der Nachbesserung deutlich günstiger sind, was zu einer relativen Unverhältnismäßigkeit zu den Kosten der Nachlieferung führen müsste.
Im Ergebnis hat die Beklagte die Voraussetzungen des § 439 III BGB zur relativen Unverhältnismäßigkeit nicht dargelegt.
(1) Vorliegend behauptet die Beklagtenpartei – ohne dies weiter zu substantiieren (worauf ebenfalls in der öffentlichen Sitzung hingewiesen wurde), dass die Nachbesserung nur Kosten von max. 150,00 € auslösen würde und die Kosten der Nachlieferung durch Ersatzbeschaffung dazu in keinem angemessenen Verhältnis stehen würde. Sie trägt dazu noch vor, dass für ein vergleichbares Fahrzeug nach jetzigen Seat-Liefermöglichkeiten ein Mehrpreis von rund 6.000,00 € anfallen würde.
(2) Wie bereits ausgeführt, wäre zur Abklärung der sog. relativen Unverhältnismäßigkeit der gesamte Aufwand an Kosten für die Nachbesserung und der gesamte Aufwand an Kosten für die Nachlieferung gegenüberzustellen.
Dies ist dem Gericht mangels ausreichender Darlegung durch die Beklagtenseite bereits nicht möglich.
(a) Zwar geht das Gericht davon aus, dass das Aufspielen eines Software-Updates, gleich welcher Art, erfahrungsgemäß mit einem überschaubaren Aufwand verbunden ist. Dass sich die Kosten tatsächlich nur auf max. 150,00 € belaufen, hat die Beklagte, die dafür darlegungs- und beweisbedürftig ist, pauschal und unsubstantiiert behauptet. Wie sie sich diesen Betrag errechnet hat bzw. worauf dieser Wert basiert und was dieser Wert alles enthält, verschweigt die Beklagte.
(b) Die Voraussetzungen einer relativen Unverhältnismäßigkeit scheitern zudem, da vorliegend bereits nicht konkret vorgetragen ist, welche Kosten die Beklagtenpartei für ein Ersatzfahrzeug im Wege der Nachlieferung aufwenden müsste.
Die Beklagte spricht zwar von 6.000,00 € an „mehr“ im Vergleich zum streitgegenständlichen Fahrzeug, trägt aber nicht konkret vor, zu welchem Einkaufspreis sie selbst das streitgegenständliche Fahrzeug – wohl aus Ljubljana – erworben hat und welcher Einkaufspreis nun von ihr zu entrichten wäre. Weiter wäre der Wert des an die Beklagte zurückzugebenden Fahrzeugs, mit dem der Kläger nach seinem Vortrag bislang 47.000 km (vgl. Ausführungen in der Klageschrift) gefahren ist, in die Berechnung der Kosten der Nachlieferung miteinzustellen. Auch hierzu erfolgt keinerlei Vortrag.
Ob und inwieweit die Beklagte nach § 478 BGB Regress bei ihrem Lieferanten nehmen könnte, wird gleichfalls nicht erörtert.
(3) Ergänzend kommt hinzu, dass es nach der Regelung des § 439 III BGB nicht allein auf einen Kostenvergleich zwischen den Kosten der Nachbesserung und den Kosten der Nachlieferung ankommt, sondern zudem auch die Bedeutung des Mangels und die Frage, ob auf die andere Art der Nacherfüllung für den Käufer ohne erhebliche Nachteile zurückgegriffen werden könnte, zu berücksichtigen sind. Besteht nämlich – wie hier – ein berechtigtes Interesse des Klägers, an der einen Art der Nacherfüllung – hier Nachlieferung – ist dies dem Verkäufer auch zuzumuten, selbst wenn diese Art der Nacherfüllung mit höheren Kosten verbunden ist. Maßgebend ist eine umfassende Interessenabwägung, die hier zugunsten des Klägers spricht (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2014, V ZR 275/12).
(a) So ist nach Ansicht des Gerichts der Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs für den Kläger von erheblicher Bedeutung. Die Beklagte lässt insoweit außer Acht, dass der Kläger sein Fahrzeug nur derzeit ohne Einschränkungen nutzen kann. Denn es steht dem Kläger nicht grundsätzlich frei, sich an der Rückrufaktion des VW-Konzerns zu beteiligen, da bei Nicht-Teilnahme eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 FZV erfolgen könnte. In einem solchen Fall wäre das Fahrzeug für ihn nicht mehr gebrauchsfähig.
Dass der Mangel des Fahrzeugs gravierend war, ergibt sich auch daraus, dass der Hersteller des Fahrzeugs für das von ihm geplante Software-Update, das den Mangel beseitigen soll, zunächst die Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts einholen musste.
Eine Nachbesserung würde zudem nicht zu einer völligen Beseitigung des Mangels führen. Das Fahrzeug wäre auch nach dem Aufspielen eines Software-Updates mit dem sog. Abgasskandal verbunden. Diese dem Fahrzeug anhaftende Eigenschaft als Abgasskandal-Fahrzeug kann nicht durch das Aufspielen des Software-Updates beseitigt werden; der Makel verbleibt am Fahrzeug (vgl. LG Kempten, Urteil vom 29.03.2017 – 13 O 808/16). Damit geht nach Ansicht des Gerichts ein sog. merkantiler Minderwert einher, der daraus resultiert, dass im Verkehr eine Sache, die einen Mangel aufgewiesen hat oder durch einen Unfall beschädigt wurde und dann repariert worden ist, in ihrer Wertschätzung geringer bewertet wird, als eine von Anfang an mangelfreie Sache. Bei einem möglichen Weiterverkauf würde sich dies in dem vom Kläger zu erzielenden Verkaufserlös niederschlagen (vgl. dazu LG Aachen, Urteil vom 06.12.2016, 10 O 146/16: „… Im Hinblick auf die umfassende Berichterstattung zum sog. Abgasskandal und die sich daraus in der Öffentlichkeit ergebenen kontroversen Diskussionen, auch über einen etwaigen Mehrverbrauch nach durchgeführter Nachbesserung, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich dies auf den im Falle eines Verkaufs zu erzielenden Wiederverkaufspreis negativ auswirkt. Dieser Bewertung stünde auch nicht entgegen, wenn die gegenteilige Behauptung der Beklagten, die Auswirkungen auf den Gebrauchtwagenmarkt vehement verneint, derzeit zuträfe. Insoweit ist allgemein bekannt, dass sich wertnachteilige Umstände auch erst mit zeitlicher Verzögerung auswirken können, zumal vorliegend die Rückrufaktion erst Mitte 2016 angelaufen ist. …“)
(b) Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass – wie bereits oben erwähnt – für die Frage des Vorliegens der Voraussetzung des § 439 III BGB eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls maßgeblich ist. Bei dieser ist insbesondere auch zu berücksichtigen, inwieweit ein Verkäufer den Mangel zu vertreten hat. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen oder sonstigem schweren Verschulden dem Schuldner auch sonst unverhältnismäßige Aufwendungen zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteil vom 4.4.2014 – V ZR 275/12, Randziffer 45).
Weiter ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass einem Käufer die Nachbesserung durch einen Verkäufer in der Regel nicht zumutbar ist, wenn dieser ihn über den Kaufgegenstand arglistig getäuscht hat. Wegen der erwiesenen Unzuverlässigkeit des Verkäufers darf der Käufer von einer weiteren Zusammenarbeit Abstand nehmen, um sich vor eventuellen neuen Täuschungsversuchen zu schützen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 10.3.2010 – VIII ZR 182/08).
Im vorliegenden Fall wird vom Gericht nicht übersehen, dass nicht der Hersteller Verkäufer des streitgegenständlichen Pkws war, sondern die Beklagte. Die Besonderheiten der hier angebotenen Nachbesserung führen allerdings dazu, dass die Wertungen der oben aufgezeigten Rechtsprechungen zu berücksichtigen sind und im Rahmen der Frage, ob ohne erhebliche Nachteile für den Kläger auf die andere Art der Nacherfüllung zurückgegriffen werden kann, eine Rolle spielen.
Denn die vorliegend angebotene Nachbesserung durch ein Software-Update erfolgt letztendlich durch den Hersteller, der zum einen die manipulative Software eingebaut hat und nun auch das Software-Update entwickelt hat. Der Vertrauensverlust gegenüber dem Hersteller hat auch Auswirkungen auf die von der Beklagten angebotenen Nachbesserung, die ihrerseits dazu völlig auf den Hersteller zurückgreift (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2016, 2 O 83/16).
Der Hersteller ist in Bezug auf die angebotene Nachbesserung, zu derer die Beklagte auf das Angebot von Seat Deutschland GmbH verweist, als Erfüllungsgehilfe der Beklagten im Sinne von § 278 BGB zu sehen. Die Beklagte allein kann die Nachbesserung überhaupt nicht ausführen, sondern greift dazu in erster Linie auf die vom Hersteller bzw. dem VW-Konzern entwickelte Software und in zweiter Linie auf die Seat-Vertragshändler zurück. Der Kläger würde bei dieser Nachbesserung gezwungen, auf den Hersteller zu vertrauen, der bereits durch den Einbau der manipulativen Software seine Vertrauensunwürdigkeit gezeigt hat. Auf Grund der engen Verbindung zwischen der Beklagten und dem Hersteller im Rahmen der angebotenen Nachbesserung wäre diese mit erheblichen Nachteilen für den Kläger verbunden, indem er mit dem Hersteller zusammenarbeiten müsste, der sich im Zuge des Abgasskandals mit stets neuen Enthüllungen erheblichen Ausmaßes konfrontiert isieht.
(c) Weiter war zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Mangel im hiesigen Prozess bestreitet (vgl. Einspruchsschriftsatz vom 06.03.2017, dort Bl. 3) und das angekündigte Software-Update als „kostenlose Nachrüstung“ bezeichnet, somit bloße Kulanzmaßnahme hinstellen will.
Dies hätte zur Folge, dass § 212 I Nr. 1 BGB nicht eingreifen würde. Nach dieser Vorschrift beginnt eine Verjährung erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt. Unter den Begriff „in anderer Weise anerkennt“ fällt dabei auch die Nacherfüllung im Sinne des § 439 BGB – dies aber nur, wenn der Verkäufer aus der Sicht des anderen Teils nicht nur aus Kulanz, sondern in dem Bewusstsein handelt zur Nacherfüllung verpflichtet zu sein (vgl. Palandt, 75. Auflage, § 212 Rn. 4).
Bei einer „kostenlosen Nachrüstung“ aus Kulanz wird das Risiko des Scheiterns des Software-Updates auf den Kläger abgewälzt, da er mangels Neubeginns der Verjährung riskiert, dass seinen erst später geltend gemachten Mängelgewährleistungsrechten die Einrede der Verjährung entgegengehalten wird.
c. Der Kläger hat daher Anspruch auf Nachlieferung eines Neufahrzeugs Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, § 439 IV, 348 BGB.
Nutzungsersatz nadh §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB schuldet der Kläger nicht, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag um einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB handelte. Bei dem Kläger handelt es sich unstreitig um einen Verbraucher. Auf solche Verträge ist § 439 Abs. 4 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen weder herauszugeben sind noch deren Wert zu ersetzen ist (§ 474 Abs. 5 S. 1 BGB).
C.
Die Beklagte befindet sich gem. §§ 293 ff BGB im Annahmeverzug. Nach § 295 S. 1 BGB ist ein wörtliches Angebot des Klägers ausreichend, um den Verzug zu begründen. Mit Schreiben vom 24.03.2016 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Nachlieferung auf.
D.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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