IT- und Medienrecht

naturschutzrechtliche Anordnung, offene Erfolgsaussichten, Gewährleistung der Verkehrssicherheit öffentlicher Verkehrswege

Aktenzeichen  W 4 S 22.359

Datum:
8.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11127
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BNatSchG § 15
BNatSchG § 17
BayNatSchG Art. 16

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids der Stadt A. vom 2. Februar 2022 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine naturschutzrechtliche Verfügung der Antragsgegnerin, mit der die Antragstellerin verpflichtet wurde, für das erfolgte Auf-den-Stock-Setzen von Hecken inkl. der dazugehörigen Bäume Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchzuführen und diese mit der Unteren Naturschutzbehörde abzustimmen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Hafens in A.. Ihr Eigentum umfasst eine Hafenfläche von 157 ha, sie verfügt über rund 24 km Gleislänge.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 1. Juli 2021 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück Fl.Nr. …11 mehrere Bäume mit Totholz im Starkastbereich stünden. Es bestehe akute Gefahr, dass Äste auf den direkt darunter befindlichen Weg fallen würden. Es werde daher um umgehende Überprüfung der Standfestigkeit der Bäume gebeten, Einleitung der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und Beseitigung von Totholz.
Nach Einholung einer naturschutzfachlichen Stellungnahme der Firma „B. & P.“ vom 18. November 2021 ließ die Antragstellerin daraufhin die Bäume auf dem Bahndamm auf beiden Seiten des Gleises fällen bzw. die übrigen Gehölze auf den Stock setzen.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 beanstandete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin die Maßnahmendurchführung, da die Fläche als Stadtbiotop 1156, Teilfläche 002, kartiert gewesen sei. Demnach handelt es sich hierbei um eine Hecke i.S.d. Art. 16 BayNatSchG.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2022 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin, für das erfolgte Auf-den-Stock-Setzen von Hecken inkl. der dazugehörigen Bäume im Bereich ab 6 m beidseits der Gleisachse im Bereich oberhalb des Gleisniveaus – außerhalb des „U-Profils“ – auf dem Bahndamm, Grundstück Fl.Nr. …11, Gemarkung O., Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchzuführen. Die Ausführungsmodalitäten seien mit der Antragsgegnerin – Untere Naturschutzbehörde – abzustimmen. Die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen seien vorrangig auf dem Grundstück Fl.Nr. …11, Gemarkung O. durchzuführen (Ziffer 1. des Bescheids der Stadt A.). Unter Ziffer 3 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet.
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG verstoßen habe, wonach es verboten sei, in der freien Natur Hecken, lebende Zäune, Feldgehölze oder -gebüsche einschließlich Ufergehölze oder -gebüsche zu roden, abzuschneiden, zu fällen oder auf sonstige Weise erheblich zu beeinträchtigen. Zwar gelte das Verbot nicht für Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit öffentlicher Verkehrswege erforderlich seien, nach Auffassung der Unteren Naturschutzbehörde sei allerdings das Auf-den-Stock-Setzen der Hecken außerhalb des Bereichs von 6 m beidseits der Gleisachse oberhalb des Gleisniveaus aus Verkehrssicherheitsgründen nicht erforderlich.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2022 ließ die Antragstellerin daraufhin Klage erheben, die beim Verwaltungsgericht Würzburg unter dem Az. W 4 K 22.357 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist.
Mit Schriftsatz vom gleichen Tag ließ sie im vorliegenden Verfahren zudem beantragen,
hinsichtlich Ziffer 1 des erlassenen Bescheids der Stadt A. vom 2. Februar 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin wiederherzustellen.
Zur Begründung wies die Antragstellerin darauf hin, dass es sich bei der streitgegenständlichen Gleisanlage um eine eingleisige, nicht elektrifizierte Nebenbahn handele, die ab Kilometer 2,700 als Serviceeinrichtung (Hafenbahn) einzustufen sei. Der Bahndamm, den die Antragstellerin von den hier vorfindlichen Gehölzen befreit habe, weise einen sehr engen Gleisbogen mit einem Minimalradius von gerade einmal 195 m auf. Die Dammböschung sei ursprünglich völlig gehölzfrei gewesen. In den vergangenen Jahrzehnten sei sie indes durch einen Spontananflug von Gehölzsamen dicht bewachsen. Darunter seien im Gleisinnenbogen eine ca. 50-jährige Eiche, einige Kirschbäume mittleren Alters sowie Zitterpappel und Weißdorn vorzufinden gewesen. Die Böschung im Außenbogen sei von stark vergreisten Obstbäumen, teils vergreisten Robinien und Zitterpapeln, diversen Ahornbäumen und einzelnen Eichen bewachsen gewesen. Im Strauchbereich seien neben Schlehdornen auch Brombeeren gewachsen. Durch die vorhandene Vegetation sei die Sicht auf das Hauptsignal N812 bei Kilometer 3,010 für aus A.-Süd herannahende Züge mit Fahrtrichtung Hafen erheblich eingeschränkt gewesen. Die Wiederherstellung der Sollsichtweite habe daher umfangreiche Maßnahmen erfordert. Der Gleisaußenbogen habe sich aus Bäumen mit Vergreisungserscheinungen zusammengesetzt. Dies habe die Notwendigkeit der Entnahme der Bäume erforderlich gemacht. Gegen Art. 16 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG werde daher nicht verstoßen.
Mit Schreiben vom 31. März 2022 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin habe vorliegend gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG verstoßen. Ein Fall von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BayNatSchG liege nicht vor, da die Untere Naturschutzbehörde den 6 m breiten Schutzstreifen auf der betroffenen Bahnanlage als ausreichend erachte, um die Voraussetzungen an die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig und begründet.
1. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89 ff.). Sind die Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hingegen vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
2. Es bestehen von Seiten der Kammer zunächst keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss mit einer auf den konkreten Fall abstellenden und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes versehen werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 84). Aus der besonderen Begründung für den Sofortvollzug muss hinreichend deutlich hervorgehen, dass und warum die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2010 – 6 CS 10.2697 – juris). In diesem Sinn ist eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht ausreichend. Allerdings kann die Begründung durchaus knapp gehalten sein (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 247). Sie soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl 1999, 465).
Unter Zugrundlegung der vorgenannten Maßstäbe ist die Begründung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Sie hat ausgeführt, dass ein besonderes öffentliches Interesse bestünde, möglichst zeitnah wieder zum vorherigen Zustand der Vegetation am Bahndamm zu gelangen. Da es bei der Durchführung der Ersatzpflanzungen dauere, bis daraus ein gleichwertiger Ersatz für die entfernten Gehölze angewachsen sei, könne ein zusätzlicher Zeitverlust durch Abwarten nicht hingenommen werden. Das öffentliche Interesse an einer zeitnahen Wiederbegrünung des Bahndamms zur Minderung der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und Wiederherstellung der Biotopverbundfunktion sowie von Strukturen für Vögel, Fledermäuse und Insekten überwiege.
Ob diese Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag oder ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht ersichtlich ist, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
3. Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens ist nach Auffassung der Kammer der Ausgang der Klage allerdings als offen anzusehen, weil in dem nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ermöglichenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die Anordnung der Antragsgegnerin in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 2. Februar 2022, wonach die Antragstellerin verpflichtet wird, für das erfolgte Auf-den-Stock-Setzen von Hecken inkl. der dazugehörigen Bäume Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchzuführen, rechtmäßig oder rechtswidrig ist und die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt ist oder nicht.
4. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung sind die von der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid genannten Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 BayNatSchG i.V.m. § 17 Abs. 8 BNatSchG und § 15 Abs. 2 BNatSchG. Nach Art. 16 Abs. 1 BayNatSchG ist es verboten, in der freien Natur Hecken, lebende Zäune, Feldgehölze oder -gebüsche zu roden, abzuschneiden, zu fällen oder auf sonstige Weise erheblich zu beeinträchtigen. Art. 16 Abs. 2 BayNatSchG verweist bezüglich der möglichen Folgen eines Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 1 BayNatSchG ins Bundesnaturschutzgesetz, insbesondere auf die Bestimmungen zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in § 17 Abs. 8 BNatSchG. Danach soll, wenn ein Eingriff nicht auf andere Weise auszugleichen ist, dieser aber gleichwohl durchgeführt wird, nach § 15 BNatSchG vorgegangen werden. § 15 Abs. 2 BNatSchG wiederum regelt, dass Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen und zu ersetzen sind. Ebenso kann die Wiederherstellung des früheren Zustands angeordnet werden.
Allerdings gilt das in Art. 16 Abs. 1 BayNatSchG normierte Verbot, Hecken zu roden, abzuschneiden und Feldgehölze zu fällen, nicht für Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit öffentlicher Verkehrswege (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BayNatSchG), zu denen unzweifelhaft auch Eisenbahnstrecken zählen.
5. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen durfte die Antragstellerin demnach, ohne gegen Art. 16 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG zu verstoßen, solche Maßnahmen ergreifen, die zur Gefahrenbeseitigung objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind (Fischer/Hüftle/Egner/Messerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Stand Oktober 2021, Art. 16 Rn. 52). Dies bestreitet offensichtlich auch die Antragsgegnerin nicht. Sie ist allerdings der Auffassung, unter Hinweis auf den Leitfaden der deutschen Bahn „Vegetationsmanagement an Bahntrassen der D. B. AG in N., ein Leitfaden für die Zusammenarbeit zwischen Naturschutz-, Waldbehörden und DB“, die Sicherheits- und damit die Rückschnittzone umfasse lediglich 6 m von der Gleismitte beidseits der Gleisachse. Nur in diesem Bereich seien Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit i.S.v. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BayNatSchG objektiv erforderlich und zumutbar gewesen. Das Auf-den-Stock-Setzen der Hecken bzw. das Fällen der Bäume außerhalb dieses Bereichs stelle einen Eingriff i.S.d. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG dar.
6. Dieser Argumentation kann die Kammer allerdings nicht folgen. Die Untere Naturschutzbehörde hat sicherlich nicht das Fachwissen und die Fachkompetenz, allein darüber zu entscheiden, welche konkreten Maßnahmen vorliegend zur Gefahrenbeseitigung objektiv erforderlich waren. Im Übrigen heißt es in dem von der Antragsgegnerin auch zitierten Leitfaden ausdrücklich, dass der sicherheitsrelevante Bereich „Am Gleis“ eine variable Ausdehnung aufweist. Er werde in einer Rückschnitts- und eine Stabilisierungszone eingeteilt. Insbesondere die Ausdehnung der Rückschnittzone sei variabel und umfasse „mindestens“ 6 m von der Gleismitte des außenliegenden Gleises. In Abhängigkeit von Morphologie, Bewuchs und Erfordernissen aus dem Betrieb könne diese Ausdehnung der Rückschnittzone allerdings auch eine Ausdehnung von über 10 m erreichen.
7. Es wäre daher, da der Unteren Naturschutzbehörde vorliegend offensichtlich das entsprechende Fachwissen fehlt, vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids u.a. notwendig gewesen, zunächst die Ausdehnung des sicherheitsrechtlichen Bereichs am Gleis aufzuklären. Das wurde von der Antragsgegnerin versäumt. Ebenso wäre es notwendig gewesen, zu ermitteln, wie weit der Bereich „im Gleis“ sich ausdehnt. Die dem Gericht vorgelegten Bilder sind insoweit jedenfalls nicht eindeutig. Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens wird daher seitens der Kammer aufzuklären sein, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, welche Maßnahmen vorliegend konkret zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit erforderlich und notwendig waren.
8. Wegen dieses offensichtlichen Ermittlungsdefizits sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage derzeit als offen zu beurteilen, zumal von Seiten der Antragsgegnerin auch noch nicht geklärt wurde, inwieweit das Auf-den-Stock-Setzen geeignet ist, einen verstärkten Neuaustrieb der Pflanzen anzuregen bzw. eine Pflanzenverjüngung herbeizuführen. Denn das Auf-den-Stock-Setzen kann – je nach Ausführung – sowohl Pflege, als auch bestandserhaltende Nutzung darstellen, was die Antragsgegnerin wiederum im Rahmen ihres Bescheids zu berücksichtigen hätte.
Gemäß dem oben Angeführten hat das Gericht daher eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen vorzunehmen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Gunsten der Antragstellerin aus, da diese im Falle des Sofortvollzugs nicht unerhebliche wirtschaftliche Nachteile zu befürchten hätte. Die Nachteile, die durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung entstehen, wiegen demgegenüber weniger schwer. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Vollziehbarkeitsanordnung gerade bei naturschutzrechtlichen Maßnahmen eine starke Vorprägung durch das materielle Recht erfährt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, 41. EL Juli 2021, § 80 Rn. 214). Insoweit ist Eilbedürftigkeit gegeben, wenn es darum geht, natürliche Verhältnisse baldmöglichst wiederherzustellen und die Herbeiführung einer irreparablen Zerstörung der zu schützenden Natur und Landschaft zu verhindern (vgl. Nds. OVG, B.v. 20.9.2006 – 8 ME 115/06 -, juris Rn. 22). Ein besonderes Vollzugsinteresse liege vor, wenn bei rechtswidrigen Eingriffen in ein geschütztes Biotop der Eintritt von nicht oder nur schwer rückgängig zu machenden Auswirkungen auf den Naturaushalt verhindert werden solle (Nds. OVG, B.v. 20.9.2006 – 8 ME 115/06 – a.a.O., Rn. 23). Insbesondere bei illegalen Eingriffen in die Natur durch Beseitigung von Bäumen rechtfertige sich ein behördliches Eingreifen durch Anordnung einer sofortigen Ersatzpflanzung daraus, dass bei einer grundsätzlich gebotenen Ersatzmaßnahme, die sich oft erst nach langer Zeit zu einem gleichwertigen Ausgleich auswachse, nicht noch durch Abwarten der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung ein zusätzlicher Zeitverlust eintrete (vgl. Hess. VGH, B.v. 6.12.1988 – 3 TH 4358/88 -juris Rn. 21). Zudem könne die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer naturschutzrechtlichen Maßnahme generalpräventiv auf die Gefahr einer unerwünschten Nachahmwirkung gestützt werden (vgl. Hess. VGH, a.a.O.).
Vorliegend gilt es allerdings zu beachten, dass in all den eben zitierten obergerichtlichen Entscheidungen unproblematisch ein rechtswidriger Eingriff in die Natur stattgefunden bzw. von Seiten der Gerichte bejaht wurde. Vorliegend ist jedoch gerade dieser von der Antragsgegnerin behauptete rechtswidrige Eingriff strittig und bedarf einer weiteren Aufklärung. Im Übrigen ist auch nicht zu befürchten, dass die Antragsgegnerin den von ihr geltend gemachten Anspruch auch in Zukunft nicht realisieren kann, so dass ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung des streitgegenständlichen Bescheids derzeit nicht festgestellt werden kann.
9. Nach alldem kommt die Kammer im Rahmen der von ihr durchzuführenden reinen Abwägung zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehbarkeit der getroffenen Anordnung zurückzutreten hat hinter das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
Der Antrag war demzufolge erfolgreich.
10. Die Antragsgegnerin hat als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO.
11. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, wobei das Gericht sich an der Höhe des Zwangsgelds, welches unter Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnet wurde, orientiert.


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