IT- und Medienrecht

Nutzungsuntersagung einer nicht genehmigten Nutzungsänderung von einem Laden zu einem Wettbüro

Aktenzeichen  AN 9 K 19.01414

Datum:
10.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16143
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1, Art. 60 S. 1, Art. 62, Art. 76 S. 2
LStVG BY Art. 9 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Nutzung von Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Betrieb zur Vermittlung von (Sport-)Wetten ist als Wettbüro und damit als Vergnügungsstätte einzustufen, wenn – in Abgrenzung zu einer bloßen Wettannahmestelle vergleichbar einer Lotto-Toto-Annahmestelle als Laden – in den Räumlichkeiten nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen besteht, sondern diese auch zur kommerziellen Unterhaltung dienen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als Handlungsstörer ist bezogen auf eine Nutzungsuntersagung derjenige anzusehen, der für die formell und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

A.
Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2019, mit dem der Klägerin die Nutzung der Einheit im Erdgeschoss des Anwesens … … … als Wettbüro untersagt wurde.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
B.
Die Nutzungsuntersagung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Nutzungsuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 76 Satz 2 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann die Nutzung untersagt werden, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Eine Nutzung von Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH B.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris; VG Ansbach U.v. 16.8.2018 – AN 9 K 17.02668 – juris).
Die Nutzung der streitgegenständlichen Räume als Wettbüro stellt eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften dar, da es sich um eine nicht genehmigte, aber genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt (siehe 1.). Die Anordnung der Nutzungsuntersagung erging auch ermessensfehlerfrei (siehe 2.), sie ist insbesondere verhältnismäßig, da die streitgegenständliche Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist (siehe 2.1). Auch die Störerauswahl ist nicht zu beanstanden (siehe 2.2).
1. Die Nutzung der als Laden genehmigten Räume als Wettbüro stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar, die nicht genehmigt wurde (siehe 1.1) und die auch nicht als verfahrensfrei einzustufen ist (siehe 1.2).
1.1 Der Wechsel von der ursprünglich genehmigten Nutzung „Laden“ in die vorliegende Nutzung „Wettbüro“ stellt eine gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Eine Nutzungsänderung im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO ist dann anzunehmen, wenn die einer jeden Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung eine andere Qualität zukommt als der bisherigen Nutzung (vgl. Decker in Simon/Busse BayBO, Stand Dezember 2019, Art. 55 Rn. 28).
Ein Betrieb zur Vermittlung von (Sport-)Wetten ist nach ständiger Rechtsprechung als Wettbüro und damit als Vergnügungsstätte einzustufen, wenn – in Abgrenzung zu einer bloßen Wettannahmestelle vergleichbar einer Lotto-Toto-Annahmestelle als Laden – in den Räumlichkeiten nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen besteht, sondern diese auch zur kommerziellen Unterhaltung dienen. Dabei reicht es insoweit für die Annahme einer Vergnügungsstätte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits aus, wenn im Wettbüro Livewetten vermittelt werden und die Möglichkeit besteht, sich in den Räumlichkeiten aufzuhalten, um die aktuellen Quotenergebnisse live zu verfolgen. Bereits daraus resultieren der Verweilcharakter und die Annahme einer kommerziellen Unterhaltung, wie sie eine Vergnügungsstätte bietet. Gerade Livewetten bilden nämlich eine rasche Aufeinanderfolge ständig aktualisierter Wettmöglichkeiten und sprechen damit den Spieltrieb besonders nachhaltig an und sind ähnlich wie Geld- oder Glücksspielautomaten auf Unterhaltung an Ort und Stelle angelegt. Die Ausstattung der Räumlichkeiten mit Sitzgruppen oder TV-Bildschirmen, das Bereitstellen von Getränken und Speisen oder das Vorhalten von Unterhaltungsspielen sind keine unabdingbaren Voraussetzungen für das Vorliegen eines als Vergnügungsstätte zu qualifizierenden Wettbüros, aber weitere Indizien hierfür; selbiges gilt hinsichtlich der Größe des Betriebs. Diese ist insbesondere relevantes Kriterium zur Unterscheidung von kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten (vgl. zum Ganzen BayVGH B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – juris Rn. 15; B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 8; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 24).
Die streitgegenständliche Nutzung stellt mit ihrem Erscheinungsbild, wie es den in der Behördenakte enthaltenen Lichtbildern zu entnehmen ist, zweifelsohne ein Wettbüro und somit eine Vergnügungsstätte dar. Dies ergibt sich unter anderem aus der Ausstattung mit Sitzgelegenheiten, mit verschiedenen Terminals und Geldspielautomaten sowie aus dem Vorhandensein der zahlreichen Bildschirme.
Einem als eine Vergnügungsstätte zu qualifizierendem Wettbüro kommt eine andere Qualität zu als einer bloßen Ladennutzung, die gerade nicht der kommerziellen Unterhaltung dient. Dies zeigt sich beispielsweise hinsichtlich der üblichen Verweildauer der Kunden, die beim Besuch einer Vergnügungsstätte und dem Aufenthalt in dieser in der Regel deutlich länger ausfällt als beim bloßen Besuch eines Ladengeschäftes, hinsichtlich der üblicherweise im Vergleich zu den Öffnungszeiten einer bloßen Ladennutzung umfangreicheren Öffnungszeiten sowie hinsichtlich des größeren Stellplatzbedarfs des als Vergnügungsstätte zu qualifizierenden Wettbüros. Dies wird auch bestätigt durch die unterschiedlichen Kategorien „Läden“ und „Vergnügungsstätten“ in der BauNVO und die daran anknüpfende unterschiedliche Zulässigkeit in den einzelnen Baugebieten. Durch die derzeitige Nutzung wird somit auch die Variationsbreite der genehmigten Nutzung als Laden verlassen (vgl. hierzu BayVGH U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris; B.v. 28.6.2016 – 15 CS 15.44 – juris).
1.2 Es besteht auch keine Verfahrensfreiheit gem. Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO, wonach eine Nutzungsänderung verfahrensfrei ist, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-recht-lichen Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 und Art. 62 BayBO in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung. Hier kommen – wie bereits erörtert – für die Nutzung als Wettbüro gerade andere öffentlich rechtliche Anforderungen in Betracht, da es sich – anders als bei einer Ladennutzung – bei einem Wettbüro um eine Vergnügungsstätte handelt.
2. Die Nutzungsuntersagung ist ermessensfehlerfrei ergangen.
2.1 Die Nutzung als Wettbüro erweist sich nicht als offensichtlich genehmigungsfähig.
Der durch Art. 76 Satz 2 BayBO der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum bezieht sich zum einen darauf, ob die Behörde überhaupt einschreitet (sog. Handlungs- oder Entschließungsermessen) und zum anderen darauf, welches Mittel sie zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands einsetzt und welchen Störer sie in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Gem. § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Lediglich bei einer offensichtlich genehmigungsfähigen Nutzung erweist sich eine dennoch verfügte Nutzungsuntersagung als ermessensfehlerhaft (siehe hierzu etwa BayVGH B.v. 4.8.2004 – 15 CS 04.1648 – juris; VG Ansbach B.v. 12.2.2020 – AN 3 S 19.02602). Die Bauaufsichtsbehörde muss im Rahmen einer Nutzungsuntersagung gerade keine Prüfung nach den Maßstäben eines Baugenehmigungsverfahrens vornehmen. Art. 76 Satz 2 BayBO soll gewährleisten, dass ein genehmigungspflichtiges Vorhaben nicht ohne die Durchführung des nötigen Genehmigungsverfahrens bestehen kann (siehe hierzu Decker in Simon/Busse, BayBO Stand Dezember 2019, Art. 76 Rn. 302).
Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Dies gilt schon im Hinblick auf den nicht abschließend geklärten Gebietscharakter, die nach Angaben der Beklagten bislang nicht hinreichend nachgewiesenen Stellplätze sowie die nach Angaben der Beklagten fehlende denkmalrechtliche Zustimmung.
2.2 Die Störerauswahl der Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Bauaufsichtsrechtliche Anordnungen richten sich an diejenige Person, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist für die Störerauswahl auf die allgemeinen Grundsätze des Sicherheitsrechts zurückzugreifen, d.h. insbesondere ist Art. 9 LStVG heranzuziehen. Nach dieser Regelung kann die Anordnung sowohl gegenüber dem sogenannten Handlungsstörer, dem Zustandsstörer oder dem Nichtstörer ergehen. Handlungsstörer ist derjenige, dessen Verhalten die Gefahr oder die Störung verursacht hat, Zustandsstörer ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder der Eigentümer einer Sache oder einer Immobilie, deren Zustand Grund für die Gefahr oder die Störung ist (siehe hierzu VG Ansbach U.v. 3.7.2019 – AN 9 K 18.00317 – juris).
Als Handlungsstörer ist bezogen auf die Nutzungsuntersagung derjenige anzusehen, der für die formell und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist. Diese unmittelbare Verantwortlichkeit ist bei der Klägerin als Betreiberin des streitgegenständlichen Wettbüros gegeben. Die von der Beklagten eingeholten Gewerberegisterauszüge, deren Richtigkeit die Klägerin auch nicht entgegengetreten ist, weisen die Klägerin eindeutig als Betreiberin aus (siehe hierzu VG Ansbach U.v. 3.7.2019 – AN 9 K 18.00318 – juris)
Berücksichtigt man die Tatsache, dass der Handlungsstörer durch seine Tätigkeit mehr zur Störung der Rechtsordnung beiträgt als beispielsweise der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer, erscheint es regelmäßig sachgerecht, den Handlungsstörer vorrangig in Anspruch zu nehmen (vgl. BayVGH B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664 – juris). Die Heranziehung der Klägerin, die durch den Betrieb der illegalen Nutzung unmittelbar stört, entspricht daher dem Gebot der effektiven Gefahrenabwehr (hierzu BayVGH B.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris).
C.
Auch das angedrohte Zwangsgeld begegnet keinen Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit. Es findet seine Rechtsgrundlage in den Art. 29 Abs. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1, Abs. 2, 36 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG und erweist sich sowohl der Höhe als auch dem Grunde nach als rechtmäßig.
D.
Nach alledem war die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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