IT- und Medienrecht

Persönlichkeitsrechtsschutz einer Kindergartenleiterin bzw. eines Kindergartenträgers

Aktenzeichen  11 O 3479/19

Datum:
25.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZUM-RD – 2020, 37
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
StGB § 186

 

Leitsatz

1. Die Äußerung einer Pflegemutter, die Leiterin eines Kindergartens, bei der sie ihr  körperlich behindertes Kind habe anmelden wollen, habe erklärt, dass der Kindergarten keine Kinder nehme, die nicht laufen und sprechen könnten sowie sie solle ihr Kind in eine Sondereinrichtung geben, weil es da vom Boden lecken könne, ist ehrverletzend und diskriminierend, weil der Eindruck vermittelt wird , dass die Kindergartenleiterin ihren Beruf insbesondere gegenüber behinderten Kindern unsachgemäß und sogar herabwürdigend und diskriminierend ausübt und die Trägerin ein solches Verhalten ihrer Leitung toleriert bzw. sogar befürwortet. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beweislast für die Wahrheit der Tatsachenbehauptung trägt nach der Beweisregel des § 186 StGB der auf Unterlassung in Anspruch genommene, da Streitgegenstand eine üble Nachrede im Sinne der Strafvorschrift ist.  (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Beklagten wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten verboten folgende Behauptungen – wörtlich oder sinngemäß – aufzustellen bzw. zu äußern:
1.1 „Als ich sie bei der Kindergartenleitung vorgestellt habe, hieß es wir nehmen keine Kinder die nicht laufen und sprechen können. Es hieß auch sie solle in eine Sondereinrichtung da könne sie am Boden lecken” und/oder
1.2 „Es hieß sie nehmen keine Kinder die nicht laufen und sprechen können. Dann meinte die Leitung ich solle sie in einer Sondereinrichtung anmelden dort könne sie den Boden ablecken.“
und/oder
1.3 „Haha inklusives Spielfest vom kirchlichen Träger und ansonsten sollens in Sondereinrichtungen wo sie den Boden ablecken können O-Ton und/oder
1.4 „Passt doch gut zum hier am Ort … O-Ton behindertes Kind soll dahin wo es den Boden ablecken kann” und/oder
1.5 „Ist das in Ordnung dass man ein behindertes Kind im Kindergarten vor Ort anmelden will und dann kommt: Sie soll dahin wo sei den Boden ablecken kann?” 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für die Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.500 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Hauptsache Erfolg, nicht jedoch bezüglich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten.
A.
Das angerufene Gericht ist sachlich und örtlich zuständig (§§ 23, 71 Abs. 1 GVG; §§ 12, 13, ZPO).
Die Klageänderung hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.
B.
Die Klage ist hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens vollumfänglich begründet. Hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten ist die Klage jedoch unbegründet.
1. Die Klageseite hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der im Tenor genannten Äußerungen gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB, Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, § 186 StGB.
a) Der Schutzbereich des § 1004 BGB umfasst neben sämtlichen absoluten Rechten auch die in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter, so auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Daher ist aus §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. Arft. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch eine Gesamtanalogie zu bilden (Herrler in Palandt, § 1004 Rn. 4).
b) Vorliegend hat die Beklagte durch ihre Äußerungen gegenüber Dritten sowohl das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) (Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) als auch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin zu 2) (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urt. v. 01.03.2016-VI ZR 34/15).
Betroffen sind vorliegend die persönliche Ehre und die Berufsehre der Klägerin zu 1) und die Geschäftsehre der Klägerin zu 2) sowie deren jeweilige soziale Anerkennung. Diese klägerischen Interessen sind mit dem Interesse der Beklagten auf Kommunikations- und Meinungsfreiheit abzuwägen.
Ausgehend von den sie schützenden grundrechtlichen Positionen ist zu berücksichtigen, in welche Sphäre auf Seiten der Kläger eingegriffen worden ist. Hinsichtlich der Klägerin zu 1) ist lediglich die Sozialsphäre (Individualsphäre) betroffen, nicht jedoch die Privatsphäre oder gar die Intimsphäre. Auch im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist vorliegend, die Schwere des Eingriffs. Aufgrund gerade auch der Facebook-Einträge auf ‘ ist von einer gewissen Prangerwirkung auszugehen.
Bezüglich der Intensität des Schutzes ist zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen bzw. Meinungsäußerungen zu differenzieren. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit geprägt und einem Beweis zugänglich. Meinungsäußerungen hingegen beinhalten eine subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage. Entscheidend für die Einordnung ist der Aussagegehalt. Unerheblich ist sowohl die subjektive Sicht des sich Äußernden als auch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen. Entscheiden ist allein, ob die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten dem Beweis zugänglich ist. Dies ist vorliegend der Fall. Es handelt sich um eine Tatsachenbehauptung, da grundsätzlich überprüfbar ist, ob die Klägerin zu 1) die beiden Aussagen „Der Kindergarten nimmt keine Kinder, die nicht laufen und sprechen können.“ und „Das Kind sollte in einer Sondereinrichtung angemeldet werden. Da kann es vom Boden lecken“ gegenüber der Beklagten getroffen hat oder nicht.
Im Rahmen der Abwägung ist bei Tatsachenbehauptungen zu berücksichtigen, dass wahre Tatsachenbehauptungen in der Regel hingenommen werden müssen – auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind. Unwahre Tatsachenbehauptungen hingegen muss der Betroffene nicht hinnehmen (BGH, Urt. v. 13.01.2015 – VI ZR 386/13).
Grundsätzlich muss die Klageseite beweisen, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt und somit auch, dass die streitgegenständlichen Aussagen der Beklagten gegenüber Dritten unwahr sind. Allerdings ist vorliegend Streitgegenstand eine üble Nachrede i.S.d. § 186 StGB. Die Beweisregel des § 186 StGB wird in das Deliktsrecht transformiert. Demnach trägt der auf Unterlassung in Anspruch genommene Äußernde die Beweislast für die Wahrheit der Tatsachenbehauptung (BGH, Urt. v. 11. 12. 2012-VI ZR 314/10).
Die Behauptung, die Klägerin zu 1) habe der Beklagten gegenüber gesagt, dass der Kindergarten keine Kinder nehme, die nicht laufen und sprechen können sowie die Beklagte solle ihr Kind in eine Sondereinrichtung geben, weil es da vom Boden lecken könne, sind ehrverletzend und diskriminierend. Nach dem objektiven Empfängerhorizont sind die Aussagen der Beklagten geeignet, die Klageseite verächtlich zu machen und herabzuwürdigen. Sie sind geeignet, den Ruf und die Ehre der Klägerseite zu schädigen. Es wird der Eindruck vermittelt, dass die Klägerin zu 1) ihren Beruf insbesondere gegenüber behinderten Kindern unsachgemäß und sogar herabwürdigend und diskriminierend ausübt und die Klägerin zu 2) ein solches Verhalten ihrer Leitung toleriert bzw. sogar befürwortet. Insgesamt erscheinen beide Klägerinnen durch die Aussagen der Beklagten in einem sehr ungünstigen Licht.
Die Beklagtenseite konnte nicht beweisen, dass die Klägerin zu 1) tatsächlich die entsprechenden Aussagen ihr gegenüber getroffen hat. Sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Beklagte gaben im Rahmen ihrer Parteieinvernahme an, wie das Gespräch zwischen den beiden verlief. Sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Beklagte schildern den Gesprächsablauf detailliert, widerspruchsfrei und jeweils nachvollziehbar. Die Beklagte behauptet jedoch, dass die Klägerin zu 1) die streitgegenständlichen Äußerungen getätigt hat und die Klägerin zu 1) behauptet, dass sie dies nicht getan hat. Aus Sicht des Gerichts ist keiner der beiden Aussagen vorzugswürdiger oder glaubhafter als die jeweils andere Aussage.
Aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Klägerin zu 1) und der Beklagten lässt sich nicht feststellen, was tatsächlich zwischen diesen besprochen worden ist. Es steht letztlich Aussage gegen Aussage, ohne dass einer der Aussagen von vornherein ein erhöhter Beweiswert zukommt und ohne dass unbeteiligte Zeugen zur Verfügung stehen, die mit ihren Angaben ausreichenden Aufschluss über das tatsächliche Geschehen geben könnten. Im Rahmen des Vorstellungs-/Aufnahmegesprächs war kein Dritter, insbesondere nicht der Geschäftsführer der Klägerin zu 2) oder … zugegen.
Es handelt sich um eine „non liquef’-Situation. Zumindest prozessual ist daher die Aussage der Beklagten als unwahr anzusehen. Bei einer unwahren Tatsachenbehauptung überwiegen jedoch die Interessen des Betroffenen gegenüber den Interessen des Äußernden mit der Folge, dass von einer rechtswidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzung auszugehen ist.
c) Die Beklagte ist als Urheberin bzw. Verfasserin der streitgegenständlichen Aussagen auch Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.
d) Zudem sind weitere Beeinträchtigungen i.S.d. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu erwarten (Wiederholungsgefahr). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bestand objektiv die ernstliche Besorgnis weiterer Äußerungen der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Aussagen. Trotz vorheriger Abmahnung äußerte die Beklagte erneut dem Generalvikar gegenüber und auch dem Landratsamt … sowie politischen Institutionen die streitgegenständlichen Aussagen. Zudem wird bei einem einmal erfolgten rechtswidrigen Eingriff die Wiederholungsgefahr vermutet. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die diese Vermutung widerlegen könnten.
2. Die Klageseite hat jedoch keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten.
Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB scheitert am Verschulden der Beklagten. Die Klageseite hat ein solches Verschulden als anspruchsbegründende Voraussetzung darzulegen und zu beweisen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Aussagen der Klägerin zu 1) von dieser tatsächlich wie von der Beklagten behauptet getroffen worden sind. Trotz durchgeführter Beweisaufnahme ließ sich dies nicht klären. Insbesondere konnte die Klägerseite nicht beweisen, dass die Beklagte die Äußerungen bewusst wahrheitswidrig verbreitet.
Ein verschuldensunabhängiger Anspruch gemäß §§ 670, 677, 683 Satz 1 BGB scheidet ebenfalls aus. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beauftragung des klägerischen Rechtsanwalts dem Interesse und dem Willen der Beklagten entspricht. Bei Verstößen im gewerblichen Rechtsschutz ist die berechtigte Abmahnung zwar als Geschäft auch im Interesse des Störers anerkannt, für den Fall dass dadurch eine drohende gerichtliche Auseinandersetzung kostengünstig vermieden werden kann. Vorliegend handelt es sich aber nicht um einen Verstoß im gewerblichen Rechtsschutz, sondern um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Außerhalb des gewerblichen Rechtsschutzes gibt es keinen allgemeinen Grundsatz dahingehend, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Anspruchssteller eines Unterlassungsanspruchs im Interesse des Anspruchsgegners liegt (Sprau in Palandt, § 683 Rn. 6).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO.
D.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 43 Abs. 1, 48 Absatz 2 GKG.


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