Aktenzeichen 18 W 370/17
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
1 Die Bildunterschrift “G. J. Erwischt! Nachts in P. …“ betreffend ein Foto auf der Titelseite einer Zeitschrift, welches den Antragsteller und eine Frau zeigt, wird von einem unvoreingenommenen und verständigen Publikum nicht als eine mehrdeutige Äußerung mit beliebig vielen Deutungsvarianten wahrgenommen. (Rn. 10 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit Blick auf die Belange der Pressefreiheit ist beim Abdruck einer Gegendarstellung sicherzustellen, dass diese insgesamt nur geringfügig größer ausfällt als die beanstandete Erstmitteilung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
9 O 2680/17 2017-02-23 Bes LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 23.02.2017, Az. 9 O 2680/17, abgeändert und folgende einstweilige Verfügung erlassen:
Einstweilige Verfügung
Der Antragsgegnerin wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „d. a.“, in dem die Meldung „G. J. Erwischt! Nachts in P. …“ erschienen ist (Titelseite), unter Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftart und -größe wie „G. J.“ in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltungen und Weglassungen die folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen, wobei der Fließtext die gleiche Schriftgröße und -art aufzuweisen hat wie das Wort „Januar“ (oben auf der Titelseite):
Gegendarstellung
Auf der Titelseite von „d. a.“ vom 28. Januar 2017 wird ein Foto von mir mit einer Frau veröffentlicht mit der Bildunterschrift:
„G. J.
Erwischt!
Nachts in P. …“
Hierzu stelle ich fest:
Das Foto zeigt mich beim Verlassen einer Museumseröffnung zwischen 18 Uhr und 19 Uhr neben einer Ehefrau eines Politikers, der mit uns die Veranstaltung verließ, aber nicht abgebildet wurde.
P., den … 2017
G. J.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfügungsverfahrens tragen die Antragstellerin 1/4 und die Antragsgegnerin 3/4.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 30.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung eine Gegendarstellung.
Die Antragsgegnerin veröffentlichte auf der Titelseite der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „d. a.“ Nr. 5 vom 28.1.2017 ein Foto des Antragstellers und einer nicht namentlich bezeichneten Frau mit der Bildunterschrift: “G. J. Erwischt! Nachts in P. …“. Wegen des genauen Inhalts dieser Titelseite wird auf die Anlage AST1 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13.2.2017, der Beklagten zugegangen per Fax am selben Tag und mit Briefpost am 14.2.2017, forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, zu erklären, dass sie die mit übersandte, vom Antragsteller unterzeichnete Gegendarstellung mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt abdrucken werde (Anlagenkonvolut AST2). Mit Schriftsatz vom 20.2.2017, eingegangen am selben Tag, beantragte der Antragsteller, die Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung zur Veröffentlichung dieser Gegendarstellung zu verpflichten. Wegen des genauen Inhalts und der Begründung des Verfügungsantrags wird auf Blatt 1/4 der Akten Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 23.2.2017 (Bl. 6/10 d.A.), dem Antragsteller zugestellt am 28.2.2017, wies das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück mit der Begründung, die angegriffene Darstellung lasse eine Vielzahl von Deutungsvarianten zu. Sie lege den vom Antragsteller bekämpften Eindruck dem Leser nicht als unabweisliche Schlussfolgerung nahe. Entsprechend sei die beantragte Gegendarstellung nicht kongruent zur Ausgangsbehauptung, auch in der vom Antragsteller dargestellten Deutungsvariante; sie erschöpfe sich vielmehr in der Aufzählung von Tatsachen, die dieser Auslegung entgegenstünden.
Mit Schriftsatz vom 27.2.2017, eingegangen am selben Tag, legte der Antragsteller gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein. Er bringt im Wesentlichen vor, die streitgegenständliche Äußerung lasse keine andere Deutung zu, als dass der Antragsteller mit „einer anderen Frau“ erwischt worden sei. Wahr sei jedoch der mit der Gegendarstellung behauptete Sachverhalt.
Mit Beschluss vom 2.3.2017 hat das Erstgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die nach § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und zum Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung.
Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin den Abdruck der streitgegenständlichen Gegendarstellung verlangen.
1. Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 BayPrG kann eine von einer Presseberichterstattung betroffene Person den darin mitgeteilten Tatsachen im Weg der Gegendarstellung ihre eigenen tatsächlichen Angaben entgegensetzen (vgl. Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl., 5.136). Hierbei dürfen die für Unterlassungsansprüche geltenden Grundsätze für den Umgang mit mehrdeutigen Äußerungen nicht angewandt werden. Ein Anspruch auf Gegendarstellung besteht daher nicht schon dann, wenn eine nicht fernliegende Deutung bei der Ermittlung einer verdeckten Aussage einen gegendarstellungsfähigen Inhalt ergibt (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 967/05 – NJW 2008, 1654). Insoweit gelten vielmehr die Grundsätze, die vom Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung eines Strafurteils oder von zivilrechtlichen Verurteilungen zu Schadensersatz, Entschädigung oder Berichtigung angewandt werden. Danach wird die Meinungsfreiheit verletzt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zu einer Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher mit nachvollziehbaren Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Verurteilung nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfGE 85, 1 86, 1; 93, 266; 94, 1).
2. Maßgeblich für die Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts der streitgegenständlichen Äußerung ist der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.
a) Bei der Interpretation ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der ihren Sinn aber nicht abschließend festlegt. Dieser wird vielmehr auch von dem Kontext bestimmt, in dem die umstrittene Äußerung steht, und von den Begleitumständen, unter denen sie fällt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, NJW 1995, 3303/3305). Die begleitende Bildberichterstattung ist zur Interpretation der Wortberichterstattung mit heranzuziehen. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteile vom 22.9.2009 – VI ZR 19/08; vom 3.2.2009 – VI ZR 36 /07; vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03; vom 30.1.1996 – VI ZR 386, 94; vom 28.6.1994 – VI ZR 252/93). Fernliegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt, oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 Rnr. 31; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.5.1987 – VI ZR 195/86).
Wenn die Titelseite – wie hier – eine eigenständige Tatsachenaussage enthält, die aus sich heraus, das heißt ohne den im Heftinneren stehenden Artikel, verständlich ist, kann diese auch ohne Rücksicht auf den Inhalt des Artikels angegriffen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.1998 – 1 BvR 1861/3, NJW 1998, 1381; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage Rnr. 4.36). Bei der Interpretation ist daher der – hier nicht mitgeteilte – Inhalt des angekündigten Berichts auf Seite 20 der Zeitschrift in den Kontext nicht einzubeziehen.
b) Nach diesen Maßstäben hat die angegriffene Pressemitteilung folgenden Aussagegehalt: Die Mitteilung befindet sich in der rechten oberen Ecke des Titelblattes auf leuchtend blauem Grund. Darüber ist ein etwa 4 x 6 cm großes Foto abgedruckt, das den Antragsteller neben einer blonden Frau zeigt, bei der es sich nicht um die – aus zahlreichen illustrierten Presseberichten dem Aussehen nach bekannte – Ehefrau des Antragstellers handelt. Der Antragsteller trägt ein dunkles Sakko, eine dunkle Hose und eine gemusterte Krawatte zu weißem Hemd und hat ein weiteres, dunkles Kleidungsstück über den linken Arm gelegt. Die Frau ist in einem kurzen weißen Mantel zu sehen, den sie mit der linken Hand über der Brust zusammenhält, und trägt in der rechten Hand eine helle Tragetasche. Die beiden abgebildeten Personen stehen nebeneinander vor einem undefinierten hellen Hintergrund und blicken mit unverkennbar erschrockenem Gesichtsausdruck ungefähr in Richtung des Fotografen. Darunter befindet sich folgender Text:
G. J.
Erwischt!
Nachts in P. …
Seite 20
Die Worte „G. J.“ und „Erwischt!“ sind in gelber Schrift abgefasst, das Wort „Erwischt!“ etwa doppelt so groß wie der Name. Der übrige Text ist in weißer Schrift in mittlerer Größe abgedruckt. Der Text entspricht in Farbe, Größe und graphischer Gestaltung der darunter befindlichen, ebenfalls mit einem kleinen Foto illustrierten Meldung „Königin S. Krebs-Schock! M. ist bei ihr“.
Die Aussagen „Erwischt! Nachts in P. …“ werden vom maßgeblichen Leserpublikum, dem Titelseiten- und Kioskleser, unter Berücksichtigung der zugehörigen Bildberichterstattung naheliegend nur so verstanden, dass der Antragsteller in einer Nacht, d.h. jedenfalls deutlich nach 20 Uhr, allein mit der abgebildeten Frau zusammen war und dieses Zusammentreffen geheim halten wollte, dabei jedoch von dem Fotografen, der das beigefügte Bild aufgenommen hat, ertappt wurde. Zwar wird nicht ausgesprochen, wobei genau der Antragsteller und die Frau „erwischt“ wurden. Jedoch versteht der maßgebliche Leser das optisch deutlich hervorgehobene Wort „Erwischt!“ so, dass es sich bei dem auf dem Foto abgebildeten Zusammentreffen um ein solches handelte, das der Antragsteller nicht nur zur Wahrung seiner Privatsphäre geheim halten wollte, sondern auch weil es als moralisch anstößig gelten und bei Bekanntwerden sein Ansehen in der Öffentlichkeit, seine Ehe und/oder sein Familienleben beeinträchtigen könnte. Dies drängt sich dem maßgeblichen verständigen Leser schon deshalb als unabweisbare Schlussfolgerung auf, weil das Verbum „erwischen“ in erster Linie verwendet wird in der Bedeutung „nach einem Vergehen oder Ähnlichem fassen, bei einem Vergehen oder Ähnlichem ertappen“ (www.d…de), und wird verstärkt durch die Aussage, dass das Ereignis nachts stattgefunden habe. Dagegen, dass hier lediglich mitgeteilt werden soll, man habe den Antragsteller gerade noch angetroffen oder unverhofft zu fassen bekommen (weitere Wortbedeutung, vgl. www.d…de), spricht sowohl der auf dem beigefügten Foto erkennbare Gesichtsausdruck des Antragstellers und seiner Begleiterin, der sich nicht allein mit der Tatsache erklären lässt, dass die beiden Personen unerwartet fotografiert wurden, als auch die hervorgehobene Stellung der Nachricht, die eine sensationelle Meldung in dem angekündigten Artikel auf „Seite 20“ erwarten lässt.
Fernliegend, und damit bei der weiteren Prüfung außer Betracht zu lassen, ist deshalb die mit der Gegendarstellung übereinstimmende Interpretationsvariante, dass der Antragsteller bei einem gesellschaftlichen Ereignis in P. fotografiert wurde, das er mit mehreren anderen Personen besuchte. Die auf dem Foto erkennbare Kleidung des Antragstellers und seiner Begleiterin ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht so festlich oder „formal“, dass sie für das private Treffen eines Paares zu zweit ungeeignet erscheint, sondern gehobene Straßenkleidung. Auch wäre der triumphierende Ausruf „Erwischt!“ unverständlich, wenn der Antragsteller in großer Gesellschaft, erst recht in öffentlichem Rahmen, angetroffen worden wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als in dieser Weise mehrdeutig wahrnimmt oder erhebliche Teile des Publikums den Inhalt in dieser Weise verstehen. Das Landgericht hat selbst nicht ausgeführt, welche „beliebig viele“ weitere Deutungsvarianten es für möglich hält.
3. Anders als das Landgericht meint, hat der Antragsteller der in der Gegendarstellung wiedergegebenen Ausgangsmitteilung richtigerweise die Behauptungen entgegengesetzt, das Foto zeige ihn, als er
– zusammen mit einem Politiker und dessen Frau
– eine Museumseröffnung verlassen habe,
– und zwar zwischen 18 und 19 Uhr.
Damit hat der Antragsteller ausreichend, aber ohne geschwätzig zu sein, den in der Ausgangsmitteilung enthaltenen Behauptungen widersprochen, er sei fotografiert worden, als er
– allein mit einer Frau
– heimlich zusammen gewesen sei,
– und zwar nachts.
4. Allerdings konnte dem Abdruckverlangen des Antragstellers nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang entsprochen werden, denn eine Verpflichtung zum Abdruck der Überschrift und des Textes der Gegendarstellung in derselben Schriftgröße wie das Wort „Erwischt!“ würde Art. 10 Abs. 2 S. 3 BayPrG widersprechen und die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit der Antragsgegnerin verletzen. In der Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen in einer näher bestimmten Aufmachung auf dem Titelblatt von Zeitschriften liegt regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Pressefreiheit. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt zwar nicht, Titelblätter von Gegendarstellungen freizuhalten. Den Belangen der Pressefreiheit muss aber u.a. dadurch Rechnung getragen werden, dass die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der Gegendarstellung nicht ihre Funktion verliert, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen (BVerfG, Beschluss vom 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93 –, BVerfGE 97, 125-156). Dies ist durch die vorliegend ausgesprochene Abdruckanordnung gewährleistet, die gleichzeitig sicherstellt, dass die Gegendarstellung insgesamt nur geringfügig größer ausfällt als die beanstandete Erstmitteilung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Senat veranschlagt das Unterliegen des Antragstellers hinsichtlich der Schriftgröße von Überschrift und Text der Gegendarstellung mit einem Viertel.
Die Festsetzung des Streitwerts des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1, § 47 GKG, § 3 ZPO.