IT- und Medienrecht

Rechte des Käufers im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal

Aktenzeichen  21 O 774/19

Datum:
27.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5943
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 849

 

Leitsatz

1. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Sachmangel gem. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vor, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beeinflussung der Software einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der VW AG aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.279,32 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.11.2019 und Zinsen in Höhe von vier Prozent jährlich vom 12.11.2014 bis zum 01.11.2019 aus 29.050,00 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw VW Tiguan mit der Fahrgestellnummer
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 02.11.2019 im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 02.11.2019 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
7. Der Streitwert wird auf 29.050,01 € festgesetzt.

Gründe

Das Landgericht Bayreuth ist nach dem Vortrag der Klagepartei örtlich zuständig, weil sie bei Abschluss des Kaufvertrags ihren Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts hatte (Erfolgsort nach § 32 ZPO, vgl. BeckOK ZPO/Toussaint ZPO § 32 Rn. 12, 12.1).
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 Abs. 1, § 25 Abs. 1 zweite Alternative StGB dahingehend zu, dass die Klagepartei so zu stellen ist als hätte sie den Pkw nicht gekauft. Der Kläger überwies am 11.11.2014 26.250,00 € und gab für 2.800,00 € einen VW Passat in Zahlung, so dass er auf den vereinbarten Kaufpreis insgesamt 29.050,00 € entrichtete. Dabei ist ein Nutzungsvorteil in Höhe von 9.770,68 € zu berücksichtigen (1.). Ferner hat die Beklagte die für die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen zu zahlen (2.). Soweit höhere Beträge und Zinsen begehrt worden sind, war die Klage im Übrigen abzuweisen. Der Annahmeverzug folgt aus der vorgerichtlichen Aufforderung nach Fristablauf. Schließlich ist der Anspruch nicht verjährt (3.).
1. Der Verkauf des Fahrzeugs durch den hinsichtlich der vorbezeichneten Abgasproblematik unwissenden Verkäufer stellt einen von der Beklagten als mittelbare Täterin gegenüber der Klagepartei begangenen Betrug dar.
Der streitgegenständliche Pkw wies bereits bei Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe an die Klagepartei einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das ist vorliegend nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (vgl. Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 21 bis 25 nach juris m.w.N.). Insoweit ist auch ein schwerwiegender Mangel gegeben, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Beklagte war nach § 13 StGB als Herstellerin verpflichtet, über dessen Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten. Das ist nicht geschehen. Hierdurch wurde bei der Klagepartei ein Irrtum (über die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der hieraus resultierenden Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs) erregt. Sie hat durch den Erwerb des Fahrzeugs über ihr Vermögen verfügt und aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels einen Schaden erlitten. Die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Täuschung der Klagepartei und der hierauf beruhende Irrtum war für die Vermögensverfügung der Klagepartei und den ihr hierdurch entstandenen Schaden auch ursächlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein redlicher Käufer eines Fahrzeugs, das die gesetzlichen Normen und Vorgaben nicht einhält und dadurch mangelbehaftet ist, nicht erwerben bzw. lediglich zu einem am bloßen Materialwert orientierten Kaufpreis. Im Umfang des bei der Klagepartei eingetretenen Schadens sind unmittelbar und stoffgleich die Beklagte bereichert worden. Sie hat für das an die Klagepartei veräußerte Fahrzeug mehr als den bloßen Materialwert erhalten (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16). Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, um ihre eigenen Einnahmen zu steigern. Die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand zur Herbeiführung unterschiedlicher Einstellungen für Prüfstand und normalen Straßenverkehr stellt eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise dar, die von vornherein auf eine Täuschung der Kunden bzw. Käufer der betroffenen Fahrzeuge gerichtet ist (im Ergebnis ebenso LG München I, Urteil vom 14.04.2016, 23 O 23033/15, Ziffer I. 1. sowie Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, 2 O 72/16, Rn. 37 und 38). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte als juristische Person nach § 31 BGB für Vorstand, Mitglieder des Vorstands und verfassungsmäßig berufene Vertreter einzustehen. Bei Gesamtvertreturg genügt insoweit das Verschulden eines Vertreters. Zudem ist § 31 BGB auf andere Organe, wie die Mitgliederversammlung oder den Aufsichtsrat, entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt, BGB, 79. Aufl., § 31, Rn. 5). Bereits nach den vorliegend unstreitigen Begleitumständen ist davon auszugehen, dass eine Einstandspflicht der Beklagten nach diesen Grundsätzen gegeben ist. Die Beeinflussung einer Motorsoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung einen erheblichen Eingriff in den Produktionsablauf darstellt und die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. Daher ist es insoweit auch nicht ausreichend, wenn beklagtenseits lediglich die von der Klagepartei vorgetragene Kenntnis und Mitwirkung einzelner Personen aus dem Vorstandsbereich der Beklagten bestritten wird. Der Beklagten müssen aufgrund des Zeitablaufs von über zwei Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals einerseits und der intern nachvollziehbaren grundlegenden organisatorischen Eingriffe in den Produktionsablauf in diesem Zusammenhang andererseits detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vorliegen, so dass es ihr möglich und zumutbar ist, diesen vollumfänglich darzulegen. Das hat sie aber nicht getan. Damit liegt insoweit kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor, so dass im Ergebnis vom Vorliegen der subjektiven Betrugsmerkmale bei zur Vertretung der Beklagten berufenen Organen nach § 31 BGB auszugehen ist (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, 9 O 6119/16, Ziffer I. 7.).
Damit ist die Beklagte der Klagepartei gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots ist der Wert des Vorteils, den die Klagepartei durch die Nutzung des Pkw erlangt hat, vom Kaufpreis abzuziehen.
Die Höhe der anzurechnenden Nutzungen errechnet sich in richterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) aus der Formel Kaufpreis × gefahrene km / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger). Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint für gewöhnlich genutzte Diesel-Pkw angemessen, da sie bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km einer Nutzung von zwölfeinhalb Jahren entspricht. Eine längere Nutzungsdauer setzt erfahrungsgemäß über den eingesetzten Kaufpreis hinaus erhebliche Aufwendungen für Verschleißteile und Reparaturen hinaus, so dass bei erhöhter Laufleistung auch mit höheren Aufwendungen als nur dem Kaufpreis gerechnet werden müsste.
Vorliegend beträgt die jährliche Fahrleistung nur ca. 9.600 km (Gesamtfahrleistung bei mündlicher Verhandlung 50.451 km geteilt durch rund 63 Monate seit dem 14.11.2014 mal zwölf Monate für ein Jahr Nutzung), so dass von der allgemein üblichen Gesamtlaufleistung von 150.000 km auszugehen ist. Damit errechnet sich ein Betrag von 9.770,68 € für die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen (= 29.050,00 € × 50.451 km / 150.000 km).
Ferner können für die Zeit ab Zahlung des Kaufpreises gemäß § 849 BGB gesetzliche Zinsen gemäß § 246 BGB in Höhe von vier Prozent jährlich verlangt werden, ab Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Unter Berücksichtigung der im Termin belegten Überweisung am 11.11.2014 geht der Einzelrichter davon aus, dass der Kaufpreis spätestens am 12.11.2014 an den Autohändler bezahlt wurde.
2. Der deliktische Schadensersatzanspruch umfasst auch die zur Schadensabwendung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt, a.a.O., § 249 Rn. 56 und 57). Auf Grundlage des Schadens in Höhe des entrichteten Kaufpreises nach Abzug von Nutzungen (29.050,00 € – 9.770,68 € = 19.279,32 €) bemisst sich der Gegenstandswert aus der Stufe bis 22.000,00 €, was eine 1,0 Gebühr in Höhe von 742,00 € zur Folge hat. In Anbetracht dessen, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, erscheint der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr ausreichend und angemessen. Dies sind 964,60 €. Zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale sind es netto insgesamt 984,60 €. Mit 19 % Umsatzsteuer hieraus (187,07 €) errechnen sich außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.171,67 €.
3. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Für die Frage grob fahrlässiger Unkenntnis von der Person des Schädigers (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) für den Beginn der Verjährungsfrist ist nicht auf den Zeitraum bis Ende 2015 abzustellen. Die Beklagte hatte gerichtsbekannt in VW-Sachen noch 2016 auf interne Ermittlungen der Kanzlei Day & Jones hingewiesen und deshalb eine eigene Haftung wegen Beteiligung des Vorstands bestritten. Vor 2016 bestand daher noch keine Kenntnis von der Person der bei der Beklagten Verantwortlichen bzw. von dem Umstand, dass diese von der Beklagten nicht benannt werden würden, wie sich im Lauf der letzten Jahre gezeigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1, 2, § 711 ZPO.
Der Streitwert folgt der Angabe bei Antragstellung und entspricht dem vereinbarten Kaufpreis.


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