IT- und Medienrecht

Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Zwangsgeldfestsetzung aus Vergleich

Aktenzeichen  25 O 3400/19

Datum:
11.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40453
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 891 S. 2, § 794 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Das Gericht kann im Verfahren auf Festsetzung eines Zwangsgelds den Inhalt eines unklaren vollstreckbaren Vergleichs auslegen.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vergleich, mit dem sich eine Partei verpflichtet,  sämtliche Darstellungen mit namentlicher Erwähnung der anderen Partei zu löschen, wenn die andere Partei Gegenstand der Veröffentlichung ist, bzw. soweit die andere Partei nicht Gegenstand der Veröffentlichung ist, sondern nur namentlich genannt ist, die Passagen, in denen die namentliche Nennung erfolgt, zu löschen, ist vollstreckbar.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem Antrag auf Zwangsgeldfestsetzung fehlt es nicht deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Vollstreckungsgläubiger zuvor mitgeteilt hat, er habe kein Interesse daran, ein Zwangsgeld bei Gericht durchzusetzen. Es handelt sich dabei erkennbar um einen Versuch, vor einem Vollstreckungsantrag noch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen die Schuldnerin […] wird zur Erzwingung der ihr in dem rechtswirksamen Vergleich des LG München I vom 27.05.2019 auferlegten Handlung, nämlich sämtliche Darstellungen mit namentlicher Erwähnung der jeweils anderen Partei in den von ihnen verantworteten Veröffentlichungen entweder vollständig oder einzelne Passagen zu löschen. Die Parteien verpflichten sich, die Inhalte der gelöschten Artikel nicht erneut zu veröffentlichen, weder wörtlich, noch umformuliert.
a) Eine vollständige Löschung soll erfolgen, wenn Gegenstand der Veröffentlichung die jeweils andere Partei ist. Die Verfügungsklägerin verpflichtet sich daher, z.B. die Artikel … undvollständig zu löschen.
b) Passagen in Artikel sollen gelöscht werden, wenn Gegenstand der Veröffentlichung nicht die jeweils andere Partei ist.
c) Die von der wechselseitigen Löschungsverpflichtung erfassten Artikel werden die Parteien wechselseitig unverzüglich konkret benennen, die Artikel austauschen und die vollständig zu löschenden Artikel bzw. die zu löschenden Passagen abstimmen. Die Verpflichtung schließt eigene Artikel in Medien ein, die von der jeweils anderen Partei nicht verantwortet werden, wie zum Beispiel den Absatz über den Verfügungsbeklagten in dem Artikel der Verfügungsklägerin in „Y. online“ vom 20.4.2015 („…“).
ein Zwangsgeld von insgesamt 8.000,00 € verhängt, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 200,00 € ein Tag Zwangshaft.
Die Vollstreckung des Zwangsmittels entfällt, sobald die Schuldnerin Dipl.-Psych. S. der oben genannten Verpflichtung nachkommt.
2. Die Schuldnerin … hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag ist weit überwiegend begründet,
I.
Vor Erlass des Beschlusses wurde die Schuldnerpartei gemäß § 891 S. 2 ZPO gehört. Die Voraussetzungen für die Festsetzung von Zwangsgeld nach § 888 ZPO liegen vor. Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung sind gegeben. Insbesondere hat der Vergleich einen vollstreckungsfähigen Inhalt.
Der Prozessvergleich ist Vollstreckungstitel, soweit er einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. (…) Ausgelegt werden kann der Vergleich als Vollstreckungstitel bei nicht zweifelsfreiem Inhalt nach den für Urteilsauslegung geltenden Grundsätzen (Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 794 ZPO, Rn. 14, 14a).
Den vollstreckbaren Anspruch (Art und Umfang der Handlung [Unterlassung]) muss das Urteil inhaltlich bestimmt ausweisen. Das ist der Fall, wenn der Titel aus sich heraus verständlich ist und auch für jeden Dritten erkennen lässt, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann (Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 704 ZPO, Rn. 4). Durch Auslegung muss der wahre Sinn der Urteilsformel festgestellt werden, wenn ihre Fassung zu Zweifeln Anlass gibt. Feststellung des Inhalts eines nicht klaren Vollstreckungstitels durch Auslegung hat durch das Vollstreckungsorgan zu erfolgen (Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 704 ZPO, Rn. 5).
Diesen Anforderungen genügt Ziff. 1 des streitgegenständlichen Vergleichs. Im ersten Satz wird klargestellt, dass von dem Vergleich sämtliche Darstellungen mit namentlicher Erwähnung der jeweils anderen Partei erfasst werden. Nur diese sind vollständig oder teilweise zu löschen. Soweit dann in der Folge für die Frage, ob eine vollständige oder nur teilweise Löschung zu erfolgen hat, darauf abgestellt wird, ob Gegenstand der Veröffentlichung die jeweils andere Partei ist oder nicht ist, ist dies aus sich heraus verständlich und hinreichend konkret. Soweit es sich die Darstellung/der Artikel mit der anderen Partei befaßt, unterliegt sie/er der vollständige Löschung, beschäftigt sich die Darstellung/der Artikel mit etwas anderem, so bezieht sich die Verpflichtung zur Löschung nur auf die Passagen, in denen die andere Partei genannt wird.
II.
Bei der Verpflichtung zur Löschung von Artikeln/Beiträgen im Internet handelt es sich um die Vornahme einer Handlung, die nicht durch einen Dritten vorgenommen werden kann, so dass die vorzunehmende Handlung ausschließlich vom Willen der Schuldnerin Dipl.-Psych. S. abhängig ist. Die Schuldnerin hat diese Handlung nicht ausgeführt. Verschulden ist dabei keine Voraussetzung.
1. Hinsichtlich des Artikels … (Anlage AG 20) ist die Voraussetzung gemäß Ziffer I. 1. des Vergleichs erfüllt. Wie sich bereits aus der Überschrift ergibt, beschäftigt sich dieser Artikel mit dem Vollstreckungsgläubiger und nicht mit einer Pressemitteilung der X. School, die nur am Rande in dem Artikel erwähnt wird. Damit ist der Artikel nach der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung zu löschen. Ob der Vollstreckungsgläubiger in einem Rechtsstreit eine Verurteilung der Vollstreckungsschuldnerin hätte herbeiführen können, spielt dabei keine Rolle, maßgeblich ist insoweit alleine, dass sie sich in einem zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichsvertrag zur Löschung verpflichtet hat.
2. Gleiches gilt für den Artikel … Auch dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Verhalten des Vollstreckungsgläubigers, diesmal in Bezug auf einen Rechtsstreit mit der Vollstreckungsschuldnerin. Wesentlicher Inhalt des Artikels ist das Verhalten des Vollstreckungsgläubigers. Der ist damit Gegenstand der Veröffentlichung und nicht nur anlässlich eines Artikels zu einem anderen Gegenstand erwähnt. Würde man in diesem Artikel sämtliche Absätze, in denen der Vollstreckungsgläubiger genannt ist, löschen, bliebe kein sinnvoller Inhalt zurück. Auch hier gilt, dass es keine Rolle spielt, ob der Vollstreckungsgläubiger in einem Rechtsstreit die Löschung hätte durchsetzen können.
3. Hinsichtlich des Artikels … (Anlage AG 22) gilt Entsprechendes. Dabei kann dahinstehen, ob in dem Artikel direkt auf einen Artikel auf S. 55 der Zeitschrift Y. oder nur auf die Ausgabe, in der auf S. 55 ein weiterer Artikel enthalten ist, verlinkt wird.
4. Auch der unter der URL … veröffentlichte Artikel (Anlage AG 23) hat den Vollstreckungsgläubiger zum Gegenstand und beschäftigt sich ausschließlich mit dem Vollstreckungsgläubiger und seinem Verhalten. Er erfüllt somit die Voraussetzungen, die in dem Vergleich der Parteien für die vollständige Löschung vereinbart wurden.
5. Der Artikel … (Anlage AG 26a) hat ausschließlich den Vollstreckungsgläubiger und sein Verhalten zum Gegenstand, so dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf vollständige Löschung gemäß Ziff. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs gegeben sind.
6. Der unter veröffentlichte Artikel (Anlage AG 26b) hat den Vollstreckungsgläubiger jedenfalls nicht zum ausschließlichen Gegenstand hat, er wird jedoch mehrfach namentlich erwähnt. Die von dem Vollstreckungsgläubiger markierten Passagen hätten daher von der Vollstreckungsschuldnerin auf Monierung gelöscht werden müssen, mit Ausnahme der Sätze: „…“ Hier fehlt in dem ganzen Absatz die erforderliche Erwähnung des Vollstreckungsgläubigers.
7. In dem unter … veröffentlichten Artikel, der wiederum den Vollstreckungsgläubiger nicht zum Gegenstand hat, hätte die Vollstreckungsschuldnerin auf Monierung des Vollstreckungsgläubigers den Satz: „Zudem hat er Klage gegen den Professor der X. School, …, wegen ‚Irreführung über seine Befähigung‘ erstattet“ löschen müssen, da der Vollstreckungsgläubiger in dieser Passage namentlich erwähnt wird. Ob es sich bei den zu löschenden Teilen um persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen handelt, spielt dabei, wie bereits ausgeführt, keine Rolle.
8. Gleiches gilt für die unter … und … veröffentlichten Artikel.
III.
Soweit die Vollstreckungsschuldnerin einwendet, der Vollstreckungsgläubiger verkenne den Geist des Vergleichs, so ist maßgeblich, ob die beanstandeten Passagen die Voraussetzungen von Ziffer I. 1 des Vergleichs erfüllen. Zwar ist in Ziffer I. 3 des Vergleichs ein Verfahren vorgesehen, die zu löschenden Artikel und Passagen miteinander abzustimmen, soweit eine solche Abstimmung jedoch scheitert, steht dies einer Vollstreckung aus dem Vergleich nicht entgegen.
Dem Vollstreckungsbegehren fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Vollstreckungsgläubiger in einer E-Mail vom 16.9.2019 mitteilt, er habe kein Interesse daran, ein Zwangsgeld bei Gericht durchzusetzen. Es handelt sich dabei erkennbar um einen Versuch, vor einem Vollstreckungsantrag noch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Ein Verzicht auf eine nachfolgende Zwangsvollstreckung ist dem nicht zu entnehmen.
IV.
Die Wahl zwischen Zwangsgeld und Zwangshaft steht dem Gericht zu. Die Zwangsmittel können dabei auch wiederholt angeordnet werden.
Angesichts der Tatsache, dass streitgegenständlich vorliegend 5 vollständige Artikel und 4 Artikel, in denen Teile zu löschen wären sind, erscheint hinsichtlich der vollständig zu löschenden Artikel (Ziffern 1-5) auch ein Zwangsgeld von jeweils € 1.200,-, hinsichtlich des Artikels Ziffer 6. ein Zwangsgeld von € 800,- und im Übrigen jeweils € 400,- für angemessen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891 S. 3, 92 II ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO.


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