IT- und Medienrecht

Rückabwicklung Kauf Seat wegen Abgasskandal

Aktenzeichen  12 O 109/18

Datum:
17.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13371
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826, § 31

 

Leitsatz

1 Dem Kläger steht der Beklagten gegenüber ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 i.V.m. § 31 BGB zu. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Schädigungshandlung der Beklagten liegt darin, dass sie den Motor mit der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware für das streitgegenständliche Fahrzeug entwickelt, hergestellt und ausgeliefert hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Durch die Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass er in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Seat erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.303,51 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Pkw Seat Exeo mit der Fahrgestellnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.02.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung i.H.v. 15.303,51 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2018 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 41 %, die Beklagte 59 %
6. Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 25.870,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Schweinfurt gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Wohnort des Klägers war bei Erwerb des Fahrzeugs in 97618 Hohenroth.
II.
Die Klage ist zum Teil begründet.
1. Dem Kläger steht der Beklagten gegenüber ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 826 i.V.m. 31 BGB zu.
Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt, diesem Schadensersatz zu leisten. Diese ist vorliegend der Fall:
a) Die Schädigungshandlung der Beklagten liegt darin, dass sie den Motor mit der besagten Software für das streitgegenständlichen Fahrzeug entwickelt, hergestellt und ausgeliefert hat.
b) Durch die Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten.
Dieser besteht darin, dass er in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Seat erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat.
Dass es sich bei diesem Vertrag um einen für den Kläger wirtschaftlich nachteiligen handelt, zeigt schon die Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn er vor dem Kauf darauf hinweisen worden wäre, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrt-Bundesamt rechnen müsse.
Der Kläger hat nicht das erhalten, was ihm aus dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
Dass die streitgegenständliche Programmierung der Motorsteuerungssoftware gesetzeswidrig ist ergibt sich schon aus dem beklagtenseits vorgelegten Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 04.04.2016 (Anlage B7), wonach die besagte Software zu entfernen ist, so dass die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge wieder hergestellt wird.
c) Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen.
Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB setzt voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage verwirklicht hat (vgl. BGH Urteil vom 28.6.2016, Az. VI ZR 536/15, juris Rz. 13). Dabei zählen zu den verfassungsmäßig berufenen Vertretern einer Gesellschaft im Sinne des § 31 BGB nicht nur die satzungs- oder gesetzmäßigen Organe einer juristischen Person, sondern alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Personen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und die die juristische Person insoweit repräsentieren. Der personelle Anwendungsbereich des § 31 BGB deckt sich damit in etwa mit dem Begriff des leitenden Angestellten im arbeitsrechtlichen Sinne (so etwa Ellenberger in Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 31 Rn. 6).
Die Entwicklung eines Motortyps, der in Millionen von Fahrzeugen weltweit eingesetzt werden soll, ist zeit- und kostenaufwendig. Eine Vielzahl hochqualifizierter Mitarbeiter ist hierin eingebunden. Ein Entwicklungsauftrag dieser Größenordnung bedarf einer besonders engmaschigen Projektsteuerung einschließlich festgelegter Berichtspflichten, um in einem betriebswirtschaftlich vertretbaren Zeit- und Kostenrahmen zu bleiben. Es wäre daher lebensfern anzunehmen, sowohl der Vorstand der Beklagten als auch die leitenden Angestellten in der Motorenentwicklung hätten nachgeordneten Mitarbeitern freie Hand gelassen und sich über die Fortschritte oder auch Nicht-Fortschritte des Entwicklungsauftrags nicht regelmäßig unterrichtet. Wie es möglich gewesen sein soll, dass über einen langen Zeitraum eine Vielzahl von Diesel-Pkw mit manipulierter Motorsteuerung gebaut und in mehrere Staaten mit verschiedenen nationalen Abgasanforderungen ausgeliefert wurden, ohne diesen tatsächlich zu genügen, und ohne dass dies von einer verantwortungsvollen Produktausgangskontrolle und mindestens einem Vorstandsmitglied oder leitenden Angestellten bemerkt wurde, ist nicht ersichtlich (so auch OLG Celle vom 8.11.2017 – 9 W 86/17). Die Beklagte trägt dergleichen auch nicht vor, sondern hat zu den Einzelheiten der Durchführung ihres Entwicklungsauftrags keine Angaben gemacht.
d) Die Beklagte hat dem Kläger den Schaden vorsätzlich zugefügt.
In subjektiver Hinsicht ist es im Rahmen des § 826 BGB nicht erforderlich, dass der Schädiger selbst zur Bewertung seines Tuns als sittenwidrig gelangt, es genügt die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände. Eine solche Kenntnis der Beklagten ist zu bejahen. Die Beklagte handelte auch mit Schädigungsvorsatz im Sinne des § 826 BGB. Insoweit muss der Schädiger nicht im Einzelnen wissen, wer der durch sein Verhalten Geschädigte sein wird. Er muss nur die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte, und die Art des möglichen Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004, Az. II ZR 402/02, juris Rz. 47 LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, Az. 6 O 119/16, juris Rz. 48). Für die beteiligten Organe der Beklagten im Sinne des § 31 BGB war aufgrund ihrer Kenntnis von der Implementation der Software offensichtlich, dass die Kunden der Beklagten künftig Fahrzeuge erwerben würden, welche ihren berechtigten Erwartungen an den gesetzeskonformen Erwerb der Typgenehmigung und die technische Mangelfreiheit nicht entsprachen und ihnen deshalb einen Schaden im Sinne des § 826 BGB zufügten (LG Köln vom 3. Mai 2018, 36 O 57/17).
e) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
Unter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltensweise versteht man eine Handlung, die nach dem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Sprau in Palandt, BGB 78. Auflage 2019, § 826 Rn 4). Dies setzt eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann.
Diese Anforderungen erfüllt das Verhalten der Beklagten, die selbst eingeräumt, dass die Motorsteuerungssoftware in dem streitgegenständlichen Fahrzeug so programmiert war, dass sie erkannte, wenn das Fahrzeug sich im Prüfstand befand, um dann ein speziell nur für den Prüfzyklus vorgesehenes Abgasrückführungsverfahren einzuleiten.
aa) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten folgt hier nach Überzeugung des Gerichts aus dem Umstand, dass die Beklagte die Motorsteuerungssoftware des besagten Seat gezielt so programmiert hat, dass der Eindruck entsteht, dass das Fahrzeug geringere Stickstoffemissionen aufweist, als es im regulären Fahrbetrieb tatsächlich der Fall ist. Sie hat also für das Zulassungsverfahren einen Betriebsmodus entwickelt und eingebaut hat, dessen alleiniger Zweck in der Manipulation des Genehmigungsverfahrens bestand.
bb) Die darüber hinaus für § 826 BGB nötige besondere Verwerflichkeit des Verhaltens ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte die Manipulation in einer Vielzahl von Fällen bzw. in einer ganzen Motorserie vorgenommen hat. Folglich wurden eine Vielzahl von Käufern beim Kauf eines PKW – was schon allein wegen des Anschaffungspreises – eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichen Gewicht und oft mit finanziellen Belastungen verbunden ist, durch das unredliche Verhalten der Beklagten zum Kauf der betroffenen Fahrzeuge nachteilig beeinflusst.
cc) Die Ausstattung der Motoren mit der besagten Software diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten ein unredliches Gepräge.
f) Beklagtenseits wurde auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.
g) Der Schaden des Klägers geht bei der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertragsschlusses auf den Ersatz des sog. negativen Interesses. D.h. der Kläger ist so zu stellen, als hätte er bei Erwerb des Fahrzeugs von der besagten Software gewusst. Dann hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Als Rechtsfolge ergibt sich der von Kläger geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs.
Der Kläger muss sich jedoch gezogene Nutzungen in Höhe von 10.566,49 € anrechnen lassen. Die Berechnung des Nutzungsvorteils erfolgt, indem der Bruttokaufpreis in Höhe von 25.870,00 € mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die bei Vertragsschluss zu erwartende Restlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird. Die gefahrenen Kilometer ergeben sich aus der Differenz des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von unstreitig 116.291 km und dem Kilometerstand bei Vertragsschluss von ebenfalls unstreitig 23.970 km. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km. Hieraus ergeben sich gezogene Nutzungen im Wert von 10.566,49 Euro [= (25.870 Euro × 92.321 km) ./. 226.030 km].
2. Prozesszinsen sind – wie zuletzt beantragt – ab dem 23.05.2018 gem. §§ 291, 288 BGB zuzusprechen. Die Klageschrift wurde am 22.05.2018 zugestellt.
Die darüber hinaus geltend gemachten Zinsansprüche aus § 849 BGB greifen nicht durch.
Es besteht kein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung generell vom Zeitpunkt der Entstehung an zu verzinsen seien (so etwa Wagner in Münchner Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 840 Rn. 4). Aus § 849 BGB ergibt sich vielmehr, dass eine solche Verzinsung die Ausnahme ist und auf die dort geregelten Fälle der Entziehung oder Beschädigung einer Sache beschränkt bleiben muss. Die Verzinsungspflicht gilt für die Entziehung von Geld nur, wenn diese beispielsweise in Gestalt einer Unterschlagung (BGHZ 8, 288) oder durch die Nichtauskehrung eines Versteigerungserlöses (OLG Düsseldorf NJW-RR 1989, 1253) oder von verspäteter Auskehrung eingezogener Mandantengelder (OLG Düsseldorf JurBüro 2004, 536) erfolgt ist. Die freiwillige Überlassung von Geld zu Investitionszwecken fällt hingegen nicht mehr unter die Tatbestandsvoraussetzungen der Entziehung oder Beschädigung einer Sache (OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2006 – 1 U 190/05 -, Rz. 46). Die freiwillige Zahlung des Kaufpreises an einen Verkäufer stellt keine Entziehung im Sinne dieser Vorschrift dar (so etwa LG Saarbrücken, Urteil vom 14. Juni 2017 – 12 O 104/16 -, Rz. 116 ff)
3. Darüber hinaus kann der Kläger auch die Feststellung des Annahmeverzuges verlangen, da sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges zumindest in Annahmeverzug befindet. Sie wurde mit Anwaltsschreiben vom 23.1.2017 (Anlage K10) erfolglos zur Rücknahme des Fahrzeugs aufgefordert. Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen bei der Zwangsvollstreckung einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung (§§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO) gegeben.
4. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB.
Der Höhe nach beschränkt sich der Anspruch jedoch auf den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 1.029,35 Euro, da für die Berechnung lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr ausgehend vom Wert der erfolgreichen Klage zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zu Grunde zu legen war.
Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrads nicht um einen überdurchschnittlichen Rechtsstreit. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidungen, so dass standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen verwendet werden können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht aus § 92 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Der Streitwert beträgt 25.870,00 Euro (ursprünglicher Klageantrag 1). Der Antrag Ziff. 3) auf Feststellung des Annahmeverzugs wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (so Noethen in Schneider/Herget, StreitwertKommentar, 14. Auflage 2016 Rn. 2316 ff).

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