IT- und Medienrecht

Rundfunkbeitragspflicht für private Wohnung, Erledigung, Rechtsschutzbedürfnis, Vollautomatisierter Erlass von Festsetzungsbescheiden

Aktenzeichen  M 26b K 20.4194

Datum:
18.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37337
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RBStV
VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

1. Über die Klage konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung). Auf ein Einverständnis der Beteiligten kommt es nicht an (Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 84 Rn. 10).
2. Der Klageantrag des nicht anwaltlich vertretenen Klägers ist in dessen wohlverstandenem Interesse gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung des Festsetzungsbescheides vom 2. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2020 begehrt, mit welchem Rundfunkbeiträge für den Zeitraum April 2018 bis Juni 2020 festgesetzt wurden. Für frühere Zeiträume geltend gemachte Rundfunkbeiträge waren bereits Gegenstand eines anderen anhängigen Klageverfahrens (Az. M 26 K 18.1689) bzw. wurden nach der vorliegenden Behördenakte innerhalb der Rechtsmittelfristen nicht mit Rechtsmitteln angegriffen und dürften damit bestandskräftig sein. Auf diese Auslegung seines Klageantrags wurde der Kläger mit Schreiben des Gerichts vom 18. August 2021 auch hingewiesen.
3. Die so verstandene Klage hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
3.1 Soweit sich die Klage noch gegen die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen für den Zeitraum März 2019 bis Juni 2020 richtet, ist sie gemäß § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist insoweit entfallen, weil der streitgegenständliche Bescheid vom Beklagten für den Zeitraum März 2019 bis Juni 2020 nach Klageerhebung aufgehoben wurde und der Kläger daher nunmehr für diesen Zeitraum keine Rechtsverletzung mehr geltend machen kann. Trotz Hinweis des Gerichts hat der Kläger keine prozessbeendende Erledigungserklärung abgegeben und damit am ursprünglichen Klageantrag festgehalten. Dieser war insoweit abzuweisen.
3.2 Im Übrigen, d. h. für die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen für den Zeitraum April 2018 bis Februar 2019, ist die Klage als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (§ 74 VwGO), aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.2.1 Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkbeiträgen ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – vom 7. Juni 2011 (GVBl S. 258) sowie § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages – RFinStV – vom 27. Juli 2001 (GVBl S. 566) in der jeweils gültigen Fassung. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag ist nach Zustimmung der Landesparlamente und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten (siehe Art. 7 Abs. 2 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages; siehe BayVerfGH, Entscheidung vom 14. Mai 2014 – Vf.8-VII-12, Vf. 24-VII12 – juris Rn. 57). Mit dem Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags vom 17. Mai 2011 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juni 2011 (GVBl S. 258) und späteren Zustimmungsbeschlüssen kommt ihm die Wirkung eines bayerischen Landesgesetzes zu.
Die Verfassungsmäßigkeit des seit 1. Januar 2013 geltenden Beitragsmodels ist höchstrichterlich durch Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – juris), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 18. März 2016 – 6 C 6/15 – juris) sowie des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH, Entscheidung vom 15. Mai 2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 – juris) geklärt.
3.2.2 Der Festsetzungsbescheid vom 2. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2020 ist für den Zeitraum April 2018 bis Februar 2019 formell rechtmäßig.
Ob ein vollautomatisierter Erlass des streitgegenständlichen Festsetzungsbescheides vom 2. Juli 2020 rechtmäßig war, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Die vom Kläger behauptete Unzulässigkeit des vollautomatisierten Bescheiderlasses ist bereits deshalb unbeachtlich, weil der Festsetzungsbescheid vom 2. Juli 2020 im Widerspruchsverfahren durch einen Mitarbeiter des Beklagten überprüft und im Anschluss am 4. August 2020 ein unterschriebener Widerspruchsbescheid erlassen wurde (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 13. November 2020 – 2 S 2134/20 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.2011 – 9 C 2.11 – BVerwGE 140, 245 Rn. 20 m.w.N.). Das in §§ 68 ff. VwGO normierte Widerspruchsverfahren ist unbeschadet seiner Eigenschaft als Sachurteilsvoraussetzung für die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage (§ 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO) Verwaltungsverfahren im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts. Das Ausgangsverfahren bildet dabei mit dem Widerspruchsverfahren eine Einheit und wird erst mit einem etwaigen Widerspruchsbescheid abgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 10.5.2017 – 2 B 44.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Einheit setzt sich im gerichtlichen Verfahren fort. Der Widerspruchsbehörde kommt im Überprüfungsverfahren eine umfassende Kontrollbefugnis zu. Sie besitzt grundsätzlich gemäß § 68 Abs. 1 VwGO die gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Erstbehörde und ist mithin zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheids einschließlich seiner Begründung und Ermessenserwägungen befugt (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.2011 – 9 C 2.11 – BVerwGE 140, 245 Rn. 20 m.w.N.).
Vorliegend hat der Kläger nach § 68 Abs. 1 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Nr. 4 AGVwGO statt der unmittelbaren Klageerhebung Widerspruch gegen den streitgegenständlichen Festsetzungsbescheid eingelegt. Mit der umfassenden Überprüfung des Festsetzungsbescheids im Widerspruchsverfahren und dem anschließenden Erlass des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2020 ist eine Einzelfallentscheidung über die streitgegenständlichen Beitragsfestsetzungen durch einen Mitarbeiter des Beklagten getroffen worden. Der streitgegenständliche Festsetzungsbescheid ist damit bereits begrifflich nicht in einem vollständig automatisierten Verfahren erlassen worden. Jedenfalls ist der vom Kläger behauptete Mangel mit Erlass des Widerspruchsbescheids „geheilt“ worden.
Dem steht nicht die Ansicht des Klägers entgegen, der automatisiert erlassene Festsetzungsbescheid sei nichtig. Auch diese Fehlerfolge – unterstellt sie läge vor – wäre mit Erlass des Widerspruchsbescheids geheilt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine Gestaltänderung im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch dann vor, wenn ursprünglich kein Verwaltungsakt existierte und der Widerspruchsbescheid aus einer (schlichten) Willenserklärung einen Verwaltungsakt macht (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.2011 – 9 C 2.11 – BVerwGE 140, 245 Rn. 20 m.w.N.). Zudem ist es möglich, einen bloß formal der Behörde zurechenbaren Verwaltungsakt durch Nachholen einer materiellen, behördlich verantworteten Regelung zu gestalten (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.2011 – 9 C 2.11 – BVerwGE 140, 245 Rn. 20). Nichts Anderes gilt, wenn von der Nichtigkeit des angegriffenen Festsetzungsbescheides auszugehen wäre. Auch in diesem Fall hat der Beklagte spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheids eine wirksame materielle und behördlich verantwortete Regelung durch einen seiner Mitarbeiter getroffen (zum Ganzen: BayVGH B.v. 26.1.2021 – 7 ZB 20.2029, juris Rn. 11 ff., m.w.N.).
3.2.3 Der Festsetzungsbescheid vom 2. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2020 ist für den Zeitraum April 2018 bis Februar 2019 auch materiell rechtmäßig.
3.2.3.1 Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Heranziehung zur Beitragspflicht gemäß §§ 2 und 3 RBStV sind im Falle des Klägers gegeben.
Gemäß § 2 Abs. 1 RBSV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Als Inhaber wird jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist (§ 2 Abs. 2 RBStV). Der Begriff der Wohnung ist in § 3 RBStV definiert.
Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, im streitgegenständlichen Zeitraum April 2018 bis Februar 2019 Inhaber einer Wohnung im Sinne von § 3 Abs. 1 RBStV gewesen zu sein, und war demnach als Wohnungsinhaber Beitragsschuldner und für den festgesetzten Zeitraum verpflichtet, einen monatlichen Rundfunkbeitrag zu zahlen.
Befreiungsgründe wurden vom Kläger nicht geltend gemacht.
3.2.3.2 Die Rundfunkbeiträge durften ebenso wie der Säumniszuschlag in der gewählten Höhe festgesetzt werden. Die Rundfunkbeiträge für den Zeitraum April 2018 bis Februar 2019 waren zum 20. Juli 2020 rückständig und auch länger als 4 Wochen nach Fälligkeit nicht in voller Höhe entrichtet.
Der Rundfunkbeitrag beträgt seit dem 1. April 2015 17,50 Euro pro Monat (siehe § 8 RFinStV). Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet und in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils 3 Monate zu leisten, § 7 Abs. 3 RBStV. Der Rundfunkbeitrag ist somit kraft Gesetzes fällig; eines Festsetzungsbescheids zur Begründung der Fälligkeit bedarf es folglich nicht. Rückständige Rundfunkbeiträge werden festgesetzt, § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV. Wird der Rundfunkbeitrag nicht innerhalb von 4 Wochen nach Fälligkeit in voller Höhe entrichtet, ist ein Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent der rückständigen Beitragsschuldner, mindestens aber ein Betrag von 8 EUR fällig. Der Säumniszuschlag wird zusammen mit der Rundfunkbeitragsschuld durch Bescheid nach § 10 Abs. 5 RBStV festgesetzt, § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Satzung des Bayerischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge (Rundfunkbeitragssatzung) vom 5. Dezember 2016 (Staatsanzeiger Nr. 51-52/2016).
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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