IT- und Medienrecht

Schadensersatz wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs (hier: Skoda Yeti)

Aktenzeichen  91 O 2715/18

Datum:
5.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2160
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826

 

Leitsatz

1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG Jena BeckRS 2020, 30910; OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; BeckRS 2020, 38370; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin des Motors ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB auf Zahlung des für den Erwerb des Fahrzeugs aufgewandten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Kraftfahrzeugs zu. (Rn. 7 und 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; Deliktszinsen; vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nach Gebührensatz von 1,3 aus zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung begründetem Anspruch. (Rn. 13, 14 und 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 16 903,52 nebst Zinsen in Höhe von 4% seit dem 7. Oktober 2010 bis 09.11.2018 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.11.18 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Yeti 2.0 TDI 4×4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) – nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der vorgenannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.100,51 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz seit 09.11.18 zu zahlen.
5. Es wird festgestellt, dass sich die Forderung des Antrags unter 1. in der Höhe des vom Gericht festgesetzten Anspruchs der Beklagten auf Nutzungsersatz für die vom Kläger zwischen Rechtshängigkeit der Klage und dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung gezogenen Nutzungen erledigt hat.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 22% und die Beklagte 78%.
8. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 16.903,52 € gem. §§ 826, 31  BGB.
Die Beklagte hat durch den Einbau der „Abschalteinrichtung“ sittenwidrig gehandelt. Ihr Verhalten widersprach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden. Sie hat nicht einfach gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der „Abschalteinrichtung“ ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen.
Die Beklagte handelte vorsätzlich. Es genügt dabei bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen. Vorliegend ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein verfassungsmäßig bestellter Vertreter umfassende Kenntnis von dem Einsatz der streitgegenständlichen Software hatte und in der Vorstellung die Erstellung und das Inverkehrbringen der mangelhaften Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis an Kunden weiterveräußert werden würden. Denn es hätte der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, näher dazu vorzutragen, inwieweit ein nicht als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB tätiger Mitarbeiter für die Installation der Software verantwortlich sein soll. Der Kläger hat bezüglich interner Vorgänge bei der Beklagten keine Kenntnis und keine Möglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung. Es wäre deshalb Sache der Beklagten gewesen, durch konkreten Tatsachenvortrag Umstände darzulegen, aufgrund derer eine Kenntnis des Vorstands oder sonstigen Repräsentanten ausscheidet. Dem ist sie jedoch nicht nachgekommen.
Beim Kläger ist ein Schaden eingetreten. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Der Schaden entfällt nicht durch die – nach Vertragsschluss durchgeführte – Installation des von der Beklagten entwickelten Software-Updates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten.
§ 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an.
Die schädigende Handlung war auch kausal für die Willensentschließung der Klägerin, den streitgegenständlichen Kaufvertrag abzuschließen. Die steht zur Überzeugung des Gerichts fest auf Grund der glaubwürdigen Angaben des Klägers in seiner Anhörung. Der Kläger gab glaubwürdig an, der Wagen sei als verbrauchsgünstig und von den Emissionswerten her top dargestellt worden. Wenn er damals gewusst hätte, dass die Emissionswerte nicht so Top wie dargestellt sind, hätte er den Wagen nicht gekauft.
Nutzungsentschädigung ist in Höhe von 12.796,48 € anzurechnen. Das Gericht schätzt die Laufleistung des Fahrzeugs auf 250 000 km.
Die Beklagte hat gem. § 849 bis zur Rechtshängigkeit Zinsen zu bezahlen, weil der Kläger sich seinerseits Nutzungsentschädigung anrechnen lassen muss.
Vorgerichtliche Anwaltskosten wurden in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr aus einem Gegenstandswert von 16.903,52 € zugesprochen.
Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 92 und 709 ZPO.


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