IT- und Medienrecht

Tragen von Mundschutz

Aktenzeichen  M 26 E 20.1248

Datum:
26.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22619
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 4,§ 28 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung anlässlich der Corona-Pandemie verschiedene Regelungen vom Antragsgegner.
Mit Schriftsatz vom 19. März 2020 begehrt der Antragsteller vom Antragsgegner:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, per Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung nach IfSG, Infektionsschutzgesetz oder anderen möglichen Rechtsgrundlagen festzulegen, dass jede Person in Bayern in der Öffentlichkeit, zumindest an Orten mit erhöhtem Personenverkehr wie im ÖPNV, verpflichtet ist, MundNasenschutz oder Vergleichbares zum Schutz vor Übertragung von Infektionserregern zu tragen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorrangig den Erlass einer Verpflichtung zum Tragen eines Mundschutzes wie beantragt zu prüfen, bevor er eine allgemeine unterschiedslose bayernweite Ausgangssperre für Jedermann aufgrund der Corona-Epidemie anordnet.
Hilfsweise wird der Antragsgegner verpflichtet, die Pflicht zum Tragen eines Mundschutzes für in der Öffentlichkeit exponierte Personen, wie Polizisten, Beschäftigte des ÖPNV und vergleichbare Personen, welche aufgrund der Berufsausübung mit einer Vielzahl von Personen Kontakt haben, festzulegen.
Hilfsweise wird der Antragsgegner beim Erlass einer allgemeinen Ausgangssperre wegen der Corona-Epidemie verpflichtet, laufend zu überprüfen, inwieweit diese durch die beantragte Verpflichtung, einen Mundschutz zu tragen, ersetzt werden kann, und danach erforderliche Maßnahmen anzupassen.
Hilfsweise in 3. Abstufung eine solche Verpflichtung zum Tragen eines Mundschutzes nach IfSG oder anderen Rechtsgrundlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu prüfen. Ebenso soll der Antragsgegner verpflichtet werden, im Fall des Erlass einer allgemeinen Ausgangssperre unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über diese neu zu verbescheiden.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsgegner es bisher unterlassen habe, geeignete und notwendige Maßnahmen, wie die Pflicht zum Tragen eines Mundschutzes, zu ergreifen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, und stattdessen eine nur bedingt wirksame, nicht durchsetzbare, unverhältnismäßige und auf Dauer kontraproduktive Ausgangssperre verhängen wolle. Das Virus könne sich im ÖPNV zwischen den Menschen auf dem Weg zur Arbeit nahezu ungestört weiterverbreiten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Anträge auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO haben keinen Erfolg. Sie sind teilweise bereits unzulässig, soweit sie zulässig sind, sind sie unbegründet.
1. Für die Entscheidung über die vorliegenden Anträge ist das Verwaltungsgericht München nach § 52 Nummer 5 VwGO örtlich zuständig. Hiernach ist in allen von § 52 Nummer 1 bis 4 VwGO nicht erfassten Fällen das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat. § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO ist vorliegend nicht einschlägig, da der Antragsteller mit seinen Hauptanträgen bei sachgerechter Auslegung nicht die Verpflichtung des Antragsgegners zum Erlass eines Verwaltungsakts, sondern zum Erlass einer Rechtsverordnung (Antrag zu 1.) bzw. allgemein zur „Prüfung“ (Antrag zu 2.) begehrt, mithin in der Hauptsache für den Antrag auf Normerlass nach herrschender Meinung die Feststellungsklage und für den Antrag auf „Prüfung“ die Leistungsklage statthaft ist. Damit ist der allgemeine subsidiäre Gerichtsstand nach § 52 Nummer 5 VwGO einschlägig, sodass wegen des Hauptsitzes des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege als hier entscheidungszuständiger Behörde in München das Verwaltungsgericht München örtlich zuständig ist. Die Hilfsanträge sind zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nicht maßgeblich (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 83 Rn. 10).
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Fall der sogenannten Sicherungsanordnung). Zur Regelung eines vorläufigen Zustands kann es eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Fall der sogenannten Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
a) Der Antrag zu 2., den Antragsgegner zu verpflichten, vorrangig den Erlass einer Verpflichtung zum Tragen eines Mundschutzes zu prüfen, bevor er eine allgemeine unterschiedslose bayernweite Ausgangssperre für Jedermann aufgrund der Corona-Epidemie anordnet, ist bereits mit Erlass der Ausgangsbeschränkung in der Allgemeinverfügung vom 20. März 2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-98, unzulässig geworden.
b) Der Antrag zu 1., den Antragsgegner zu verpflichten, per Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung nach Infektionsschutzgesetz oder anderen möglichen Rechtsgrundlagen festzulegen, dass jede Person in Bayern in der Öffentlichkeit, zumindest an Orten mit erhöhtem Personenverkehr wie im ÖPNV, verpflichtet ist, MundNasenschutz oder Vergleichbares zum Schutz vor Übertragung von Infektionserregern zu tragen, ist jedenfalls unbegründet.
Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch des beantragten Inhalts gegen den Antragsgegner. Ein solcher Anspruch kann sich nur aus § 28 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 32 Satz 1) des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) ergeben.
Hiernach trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Es handelt sich um eine Generalklausel, die die zuständige Behörde zum Handeln verpflichtet. Ermessen ist der Behörde aber hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, also hinsichtlich des „Wie“ der Maßnahmen, eingeräumt.
Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller von vornherein nur einen Anspruch auf irgendein Tätigwerden der zuständigen Behörde, nicht aber auf ein Tätigwerden bestimmten Inhalts haben kann. Dass angesichts der besonderen Umstände des Falles nur eine bestimmte Entscheidung, und zwar die vom Antragsteller begehrte, eine Mundschutzpflicht einzuführen, ermessensgerecht wäre, mithin eine Ermessensreduktion auf Null gegeben ist, ist nicht ersichtlich.
c) Aus diesem Grund ist auch der erste Hilfsantrag, den Antragsgegner zu verpflichten, die Pflicht zum Tragen eines Mundschutzes für in der Öffentlichkeit exponierte Personen festzulegen, unbegründet.
d) Der zweite Hilfsantrag, den Antragsgegner bei Erlass einer allgemeinen Ausgangssperre wegen der Corona-Epidemie zu verpflichten, laufend zu überprüfen, inwieweit diese Ausgangssperre durch die beantragte Verpflichtung, einen Mundschutz zu tragen, ersetzt werden kann, und danach erforderliche Maßnahmen anzupassen, ist ebenfalls bereits unzulässig, da dieser Antrag weder auf die Sicherung eines bestehenden oder die Regelung eines vorläufigen Zustandes abzielt und er damit unstatthaft ist.
e) Auch der dritte Hilfsantrag, den Antragsgegner zu verpflichten, eine Verpflichtung zum Tragen eines Mundschutzes nach IfSG oder anderen Rechtsgrundlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu prüfen und im Fall des Erlasses einer allgemeinen Ausgangssperre unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über diese neu zu entscheiden, bleibt ohne Erfolg.
Wie bereits ausgeführt kann ein „gerichtlicher Prüfauftrag“ schon nicht Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein; im Übrigen ergibt sich die Verpflichtung eines Hoheitsträgers, die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einschneidender und massiv grundrechtsbeeinträchtigender Maßnahmen laufend zu überprüfen, bereits aus dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dass der Antragsgegner diese gebotene fortlaufende Überprüfung der erlassenen Maßnahmen vornehmen wird, hat er nicht zuletzt durch die Befristung der erlassenen Rechtsverordnung bis zum 3. April 2020 dokumentiert. Es besteht daher insoweit auch kein Bedürfnis für eine gerichtliche Anordnung, so dass es dem Antragsteller hierfür am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls aber an einem Anordnungsanspruch fehlt.
Soweit der Antragsteller eine nochmalige ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Anordnung des Tragens von Mundschutz als milderes Mittel zur angeordneten Ausgangsbeschränkung geltend macht, wendet er sich in der Sache gegen die Rechtmäßigkeit der nunmehr im Wege einer Rechtsverordnung erlassenen Ausgangsbeschränkungen, indem er diese für unverhältnismäßig hält. Zur Erreichung dieses Rechtsschutzziels, i.e. der Außervollzugsetzung der Ausgangsbeschränkungen, wäre aber der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen des Normenkontrollverfahrens vorrangig und speziell (Sodan/Ziekow, § 123 VwGO Rn. 40 f; Beck OK VwGO, § 123 Rn. 16; Fehling/Kastner/Störmer, § 123 Rn. 22).
Ein Anspruch auf nochmalige ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Anordnung des Tragens von Mundschutz als milderes Mittel zur angeordneten Ausgangsbeschränkung durch den Antragsgegner besteht bei jetzigem Sachstand im Übrigen nicht. Dem Antragsgegner, insbesondere insoweit er im öffentlichen Interesse normsetzend tätig wird, muss bei der Auswahl der zu treffenden Maßnahmen ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden, zumal die Wirksamkeit der derzeit erwogenen und in Rede stehenden Maßnahmen nicht abschließend wissenschaftlich untersucht und belegt ist (vgl. VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222). Der Antragsgegner ist angesichts der Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI), das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine besondere Expertise aufweist (§ 4 IfSG), mit guten, für das Gericht nachvollziehbaren und auch von führenden Epidemiologen geteilten Gründen im Rahmen seines Auswahlermessens zu der Einschätzung gelangt, dass jedenfalls die alleinige Anordnung einer Schutzmaßnahme wie die Anordnung des Tragens eines Mundschutzes bei der derzeitigen Lage nicht als gleich wirksames Mittel zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Betracht kommt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zurzeit ein eklatanter Mangel an Mundschutzmasken herrscht und diese Masken deshalb vorrangig für medizinisches und Pflegepersonal in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Altenheimen etc. benötigt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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