IT- und Medienrecht

unschlüssige Klage auf Schadensersatz wegen illegaler Abschalteinrichtung

Aktenzeichen  26 O 8167/18

Datum:
21.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19593
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

Der bloße Verdacht, der Hersteller eines Fahrzeugs habe wie andere am sog. Dieselskandal beteiligte Hersteller die Abgasreinigung manipuliert, genügt dem Vortrag für eine schlüssige Klage wegen Schadensersatz gegen den Hersteller nicht; den Gegner trifft dann keine sekundäre Darlegungslast und Beweisangeboten ist wegen einer Ausforschung nicht nachzukommen. (Rn. 21 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 44.342,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, 2 Nr. 3 BGB wegen Rücktritts vom Kaufvertrag sowie gemäß §§ 812 Abs. 1, 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB, 31 BGB wegen Anfechtung des Kaufvertrags bestehen bereits deswegen nicht, weil die … und nicht die Beklagte Verkäuferin des Fahrzeugs war, so dass vorliegend Rücktritt und Anfechtung gegenüber dem falschen Adressaten erklärt wurden.
Im Hinblick auf deliktische Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie aus §§ 826, 31 BGB ist die Klagepartei bereits ihrer Darlegungs- und Beweislast, welche ihr nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln obliegt, nicht nachgekommen. Unabhängig vom dogmatischen Anknüpfungspunkt setzt eine deliktische Haftung nach den vorgenannten Vorschriften voraus, dass die Klagepartei zum Überschreiten der gesetzlichen Abgasgrenzwerte schlüssig und substantiiert vortragen muss, was das Gericht nicht feststellen kann.
Soweit sich die Klägervertreter auf die sog. sekundäre Darlegungslast der Beklagten berufen und die Meinung vertreten, mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten gelte ihr Vortrag als zugestanden, verkennen die Klägervertreter das Wesen der sog. sekundären Darlegungslast. Die Klage ist im Hinblick auf das objektive Vorliegen einer deliktischen Handlung der Beklagten weder schlüssig noch substantiiert. Die Figur einer sekundären Darlegungslast dient nicht dazu, einen Kläger ganz allgemein und voraussetzungslos bei der Durchsetzung streitiger Ansprüche zu unterstützen und ihm erst die Grundlage für einen schlüssigen und substantiierten Tatsachenvortrag zu verschaffen.
Die Klage beruht letztlich auf dem bloßen Verdacht, die Beklagte habe ebenso wie andere am „Dieselskandal“ beteiligte deutsche Hersteller die Abgasreinigung „manipuliert“. Dass ein derartiger, letztlich pauschaler und einer General- und Vorverurteilung gleichkommender Vortrag den Anforderungen der ZPO an einen substantiierten Klagevortrag nicht gerecht werden kann, liegt auf der Hand. Dass nicht nur nach den verschiedenen Herstellern von Diesel-Pkw, sondern auch innerhalb der Produktpalette eines Herstellers nach verschiedenen Modellen zu differenzieren ist, ergibt sich bereits aus den im Tatbestand erwähnten und zwischen den Parteien unstrittigen Pressemitteilungen des Kraftfahrtbundesamts, wonach dieses bei dem Modell BMW 320d Euro 6 im Gegensatz zu den Modellen BMW 750 und BMW M550 (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6 keinen Gesetzesverstoß erkannte.
Die Klagepartei hat auch sonst weder substantiiert vorgetragen noch taugliche Beweismittel vorgelegt bzw. Beweismittel angeboten, denen nachzugehen war.
Die Klage bezieht sich bei ihren Ausführungen zu angeblichen „illegalen Abschaltvorrichtungen“ auf Presseartikel und Veröffentlichungen (Anlage K 4, K 5, K 9, K 10, K 13), von denen überdies auch nur zwei (Anlagen K 5 und K 13) schwerpunktmäßig die Beklagte betreffen. Derartige pauschale Bezugnahmen auf Presseberichte können in einem Zivilprozess konkrete, auf den jeweiligen Fall bezogene Tatsachenbehauptungen nicht ersetzen.
Gleiches gilt für den als Anlage K 8 vorgelegten Wikipedia-Eintrag zu „BMW N47“. Bei Wikipedia handelt es sich eigenen Internet-Angaben zufolge um eine private Enzyklopädie, welche von freiwilligen und ehrenamtlichen Autoren verfasst wird, wobei ausdrücklich jedermann dazu berufen ist, an dem Verfassen der Texte mitzuwirken. Es ist dem Gericht daher nicht erkennbar, welchen Beweiswert die Klägervertreter einem Wikipedia-Eintrag zumessen.
Der als Anlage K 6 vorgelegte Untersuchungsbericht des … ist bereits seinem Titel nach völlig ungeeignet, die klägerseits behauptete „Manipulation“ zu substantiieren oder zu beweisen. So wurde dort ein BMW 320, Euro 6, getestet. Bei dem streitgegenständlichen Pkw handelt es sich aber um einen BMW Typ 420d Euro 6. Überdies hatte das getestete Fahrzeug 120 kW (Anlage K 6, Seite 6), während das streitgegenständliche Fahrzeug über 140 kW verfügt. Folglich enthält die Anlage K 6 Messwerte eines anderen Fahrzeugs, nicht jedoch des streitgegenständlichen. Auch erfolgte bereits ausweislich des Titels des Untersuchungsberichts ein Test im realen Fahrbetrieb. Streitgegenständlich geht es aber um die Frage, ob nach dem für die Norm Euro 6 anzuwendenden sog. „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) die Messwerte eingehalten sind. Hierfür gibt die Anlage K 6 nichts her.
Gleichermaßen unbehelflich ist die Anlage K 7. Insoweit verweist die Klagepartei auf die Testung des Fahrzeugs der Modellreihe X3 xDrive 20 D, zugelassen im Jahr 2014 und behauptet, dass Baujahr, Hubraum und maximale Leistung identisch seien mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug (S. 6 der Klageschrift). Die Werte dieses Fahrzeugs lägen deutlich über denen der gesetzlichen Verordnung von 80 mg/km. Das Baujahr des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist jedoch unstreitig 2016 und nicht 2014. Zum anderen können die Werte dieses X3 xDrive 20 D nicht herangezogen werden, da bereits die Messwerte im gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ deutlich überschritten wurden. Eine Manipulation für den Prüfstandmodus kann demnach nicht vorgelegen haben, eher ein technischer Defekt. Der vom Kraftfahrbundesamt angeordnete Rückruf für BMW 750 und BMW M550 (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6 betrifft wiederum andere Fahrzeuge. Es ist unklar, zu welcher Schädigung des Klägers die behauptete zu geringe Größe des AdBlue-Tanks geführt hat.
Dem Beweisangebot der Klagepartei, zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung ein Sachverständigengutachten einzuholen, war nicht nachzugehen, da es sich um einen reinen Ausforschungsbeweis handeln würde. Konkrete Anzeichen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, liegen nicht vor.
Im Hinblick auf die Zurechnung des von der Klagepartei behaupteten schädigenden Verhaltens von Mitarbeitern der Beklagten ist der Vortrag der Klagepartei ebenfalls unsubstantliert. Es ist nicht vorgetragen, welcher verfassungsgemäß berufener Vertreter der Beklagten wann von Manipulationen hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfahren haben soll.
Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung von der Klagepartei eingereichte Schriftsatz vom 07.02.2019 gibt keine Veranlassung, das Verfahren wieder zu eröffnen. Nunmehr trägt die Klagepartei vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über ein sogenanntes „Thermofenster“ verfüge, das bei niedrigeren Temperaturen die Abgasreinigung herunterfahre bzw. ganz abschalte. Insoweit verweist die Klagepartei auf den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ Anlage K 15, S. 119 und die Ausführungen in einem Urteil des Landgerichts Stuttgart (Anlage K 24), das einen Pkw Daimler betrifft. Es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Der Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ verweist aber gerade darauf, dass durch die jeweils zuständigen Genehmigungsbehörden zu klären sei, ob die stark erhöhten Nox-Werte leicht außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ bei einigen Fahrzeugen auf unzulässige Abschalteinrichtungen hinweisen. Dass diese Klärung bereits erfolgt ist, hat die Klagepartei nicht vorgetragen. Das Landgericht Stuttgart hat kein Sachverständigengutachten eingeholt. Ein substantiierter Vortrag zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegt nicht vor.
Da die Hauptforderung nicht zugesprochen werden kann, kann auch die Nebenforderung nicht zugesprochen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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