IT- und Medienrecht

Unterlassungsklage eines Kulturvereins gegen die Zuordnung zur Ülkücü-Bewegung der Grauen Wölfe

Aktenzeichen  M 30 K 17.1230

Datum:
23.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53902
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1004
BGB § 823
BayVSG § 3, § 26

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist weitgehend zulässig (I.), aber unbegründet (II.). Die Beantwortung der Schriftlichen Anfragen vom 2. Juli 2015 am 4. August 2015 und vom 17. November 2016 am 29. Dezember 2016 bezüglich des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger sein Klagebegehren hinreichend verdeutlicht. Er stellte klar, dass er sich gegen Beantwortungen der beiden Schriftlichen Anfragen aus den Jahren 2015 und 2016 wende und insoweit deren weitergehende Verbreitung in den Landtagsdrucksachen sowie auf der Homepage des Bayerischen Landtags verhindern wolle. Zudem solle der Beklagte bei erneuten Anfragen im Landtag, bei Presseanfragen oder eigeninitiativ gehindert werden, sich in gleicher Weise über den Kläger zu äußern. Der Kläger macht daher im Wege zulässiger Klagehäufung sowohl einen Unterlassungsanspruch in Bezug auf die vom Bayerischen Landtag veröffentliche Beantwortung der Schriftlichen Anfragen vom 2. Juli 2015 am 4. August 2015 unter Lt-Drs. 17/7902 und der Schriftlichen Anfrage vom 17. November 2016 am 29. Dezember 2016 unter Lt-Drs. 17/14929 geltend als auch einen Unterlassungsanspruch für etwaige erneute vergleichbare Anfragen, Presseanfragen oder eigeninitiative Äußerungen.
I.
Die Unterlassungsklage ist hinsichtlich der (fortdauernden) druckgelegten Beantwortung der Schriftlichen Anfragen sowie in Bezug auf etwaige erneute parlamentarische Anfragen zulässig, im Übrigen ist sie – als vorbeugende Unterlassungsklage -unzulässig.
Soweit sich die Unterlassungsklage auf eigeninitiative Äußerungen des Beklagten oder Äußerungen aufgrund von Presseanfragen bezieht, ist sie unzulässig. Der Beklagte hat sich bisher nach Aktenlage nicht entsprechend eigeninitiativ oder auf Presseanfrage über den Kläger geäußert. Vielmehr hat er im Verfahren mehrfach ausgeführt, dass auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnislage auch weiterhin nicht beabsichtigt sei, eigeninitiativ über den Kläger und eine verfassungsschutzrelevante Zuordnung zur „Ülkücü-Bewegung“ zu berichten. Insofern droht die vom Kläger diesbezüglich befürchtete Rechtsgutsverletzung derzeit nicht und fehlt es an dem besonderen Rechtsschutzbedürfnis für ein solches vorbeugendes Unterlassungsbegehren.
Entgegen der Ausführungen des Beklagten besteht angesichts bereits erfolgter zweier Schriftlicher Anfragen vom 2. Juli 2015 und 17. November 2016 im Bayerischen Landtag sowie Anfragen auf Bundesebene (Bundestags-Drs. 18/9353 vom 5. August 2016 und Bundestags-Drs. 18/13658 vom 29.9.2017) und in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen (Landtags-Drs. 16/12655 vom 8. August 2016) durchaus eine hinreichende Wiederholungsgefahr für erneute parlamentarische Anfragen. Zwar kann ein ereignisloser Zeitablauf ein Indiz für eine fehlende Wiederholungsgefahr darstellen, wie der Beklagte vorträgt. Der Zeitablauf von Ende 2016 bis dato für weitere Schriftliche Anfragen an den Beklagten reicht jedoch insbesondere vor dem Hintergrund der Anfragen auch auf Bundesebene noch im Jahre 2017 und aktuelleren politischen Diskussionen und Medienberichterstattung über die „Grauen Wölfe“ (noch) nicht aus (vgl. z.B. die im Internet allgemein zugänglichen Artikel von Focus am 17.12.2018, SZ vom 17. Dezember 2018, Die Zeit vom 21. Juli 2018 und 9. Oktober 2018).
Auch im Übrigen folgt das Gericht den Zweifeln des Beklagten an der Zulässigkeit der Klage nicht. Insbesondere hat der Kläger ausgeführt, erst im Jahre 2017 von der Beantwortung der Schriftlichen Anfragen Kenntnis erlangt zu haben, so dass für eine Verwirkung des Klagebegehrens noch kein Raum ist.
II.
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch (ggf. i.V.m. einem Folgenbeseitigungsanspruch) in Bezug auf die erfolgte Beantwortung der Schriftlichen Anfragen vom 2. Juli 2015 am 4. August 2015 und vom 17. November 2016 am 29. Dezember 2016 zu. Dabei kann dahinstehen, ob sich der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch analog aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB ergibt oder unmittelbar aus den betroffenen Grundrechten des Klägers. Ein solcher Unterlassungsanspruch bestünde nach allgemeiner Meinung jedenfalls, wenn durch hoheitliches Handeln des Beklagten in ein subjektives Recht des Klägers eingegriffen, dadurch ein objektiv rechtswidriger Zustand geschaffen wird und die konkrete Gefahr der Wiederholung dieser Rechtsbeeinträchtigung droht (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 21.5.2010 – 5 B 09.3164 – juris Rn. 14).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit einer Beantwortung der Schriftlichen Anfragen ist an sich der Zeitpunkt der Beantwortung, so dass darauf abzustellen wäre, ob die zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte die Beantwortung tragen (vgl. zur Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht BayVGH, U.v. 22.10.2015, BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 23). Allerdings zielt das Klagebegehren vorliegend auch auf eine Unterlassung entsprechender zukünftiger Aussagen des Beklagten über den Kläger ab. Insofern ist – dem allgemeinen Grundsatz der letzten mündlichen Verhandlung als maßgeblichen Zeitpunkt bei Unterlassungsansprüchen nach – auf die Sach- und Erkenntnislage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Im Übrigen ist das Gericht nicht gehindert, spätere (Anknüpfungs-)Tatsachen – zu Lasten wie zu Gunsten des Klägers – in den Blick zu nehmen, solange sie an bereits zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfragen oder früher festgestellte Tatsachen anknüpfen oder Rückschlüsse auf diese ermöglichen (BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 23).
Die Beantwortung der beiden Anfragen ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden und stellt daher keinen rechtswidrigen Eingriff dar. Gleiches gilt für den Fall einer entsprechenden erneuten Beantwortung.
Der Kläger hat zuletzt deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm nicht darum geht, der „Ülkücü-Bewegung“ zugeordnet zu werden, sondern der „Ülkücü-Bewegung“, wie sie der Beklagte in der Beantwortung definiert und die der Beklagte mit den „Grauen Wölfen“ gleichsetzt. Insoweit sei die Beantwortung falsch und die Zuordnung des Klägers zu einer so verstandenen Bewegung nicht zutreffend.
Stehen aber das Verständnis des Beklagten von der „Ülkücü-Bewegung“ und eine Zuordnung des Klägers zu einer solchen im Streit, handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil, gegen das sich der Kläger wehrt. Ob der Kläger einer „Ülkücü-Bewegung“ zuzuordnen ist, die ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts umfasst und deren Symbol ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf ist, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als „Graue Wölfe“ bezeichnet werden (so der streitgegenständliche Inhalt), ist – jedenfalls im Schwerpunkt – ein Aspekt des Meinens und Dafür-Haltens. In der ständigen Rechtsprechung der Zivil-, Straf- und Verfassungsgerichte werden Tatsachen als Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart definiert, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten und einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Entgegen der einem Beweis zugänglichen Frage der (formellen) Mitgliedschaft einer Person in einem Verein ist die Zuordnung zu einer Bewegung von vielen wertenden Aspekten abhängig. Einzelne Zuordnungskriterien mögen dabei (als tatsächlicher Anhaltspunkt) mess- und feststellbar sein, wie finanzielle Unterstützung, tatsächliche Aussagen/Veröffentlichung ideologischen Inhalts oder konkrete Unterstützungshandlungen. Der sich daraus ergebende Schluss auf eine Zuordnung beinhaltet hingegen einen wesentlichen wertenden Umstand. Insoweit hat auch der Klägerbevollmächtigte in seinen Ausführungen zugestanden, ob jemand einer „Ülkücü-Bewegung“ zuzuordnen sei, möge eine Frage der Bewertung sein. Soweit es der Zuordnung zur Bewegung vorgelagert zudem darum geht, was der Beklagte unter der „Ülkücü-Bewegung“ versteht, bedarf es mangels verbindlicher, normativer Definition der „Ülkücü-Bewegung“ einer erheblichen subjektiven Komponente seitens des Beklagten (vgl. zur aus Sicht des Gerichts vergleichbaren Einstufung als „rechtsextremistisch“ BayVGH, B.v. 25.10.2017 – 5 ZB 17.340 – juris Rn. 27).
Bei Äußerungen von öffentlichen Stellen müssen sich Werturteile an allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, vor allem an dem Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, messen lassen. Werturteile und Meinungsäußerungen unterliegen danach insbesondere dem Sachlichkeitsgebot, das verlangt, dass die getätigte Äußerung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreitet (BVerfG, B.v. 15.8.1989 – 1 BvR 881/89 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54/10 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 25.10.2017 – 5 ZB 17.340 – juris Rn. 28). Dieses Erfordernis des Vorliegens sachlicher Anhaltspunkte bedeutet, dass bloße Vermutungen oder ein bloßer Verdacht nicht ausreichen, sondern konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorliegen müssen (BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 25.10.2017 – 5 ZB 17.340 – juris Rn. 29). Amtliche Äußerungen haben sich (zudem) an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in den Ausführungen des Willkürverbotes sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren. (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54/10 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 25.10.2017 – 5 ZB 17.340 – juris Rn. 28).
Die Aussagen des Beklagten über die „Ülkücü-Bewegung“ und sein entsprechend zugrunde liegendes Verständnis von dieser – als eine Bewegung, die ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts umfasse und deren Symbol ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf sei, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als „Graue Wölfe“ bezeichnet würden – beruht auf einem sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern und nicht auf sachfremden Erwägungen (1.). Gleiches gilt in Bezug auf die Zuordnung des Klägers zu der so verstandenen „Ülkücü-Bewegung“ (2.). Die getätigten Aussagen erfolgten mit konkretem Bezug zur Aufgabenerfüllung und sind im Verhältnis der Aufgabenerfüllung zur betroffenen Grundrechtsposition des Klägers verhältnismäßig (3.).
1. Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 1. April 2019 sein Verständnis von der „Ülkücü-Bewegung“ zusammengefasst wie folgt dargestellt:
„Sowohl in der Türkei als auch in der türkischstämmigen Community in Deutschland ist eine generelle Zunahme türkisch-nationalistischer Tendenzen festzustellen, die sich oftmals in sozialen Medien aber auch öffentlichen Kundgebungen Bahn bricht (vgl. Militäroffensive der türkischen Armee im syrischen Afrin im Frühjahr 2018). Im Zentrum steht hierbei die Leitideologie des Ülkücülük – sinngemäß als „Idealismus“ zu übersetzen, der in seiner Definition aber weitaus konkreter und statischer ist, als es der Begriff vermuten lässt. Im Folgenden erfolgt eine historisch abgeleitete und allgemein anerkannte, fest umrissene Begriffsbestimmung des türkischen Ülkücülük durch die klargestellt wird, dass eine beliebige Ausgestaltung des Begriffs durch Dritte nicht möglich ist. Anschließend wird der Graue Wolf (bozkurt) als Symbol der Ülkücü-Bewegung und die A … als MHP-Abspaltung erörtert.
Historische Verortung der Ülkücü-Ideologie
Die Ursprünge des türkischen Nationalismus können auf das 19. Jahrhundert zurückdatiert werden und reihen sich damit in die Zeit des globalen Erstarkens der Nationalismus-Idee ein. Im türkischen Kontext markiert diese Phase auch den (langsamen) Niedergang des Osmanischen Reichs und eine gleichzeitige Übermacht Europas, was die gesellschaftliche und politische Festigung ultranationalistischer Ideale weiter vorantrieb. Ziya Gökalp (1876-1924) gilt als einer der wichtigsten Vordenker des türkischen Nationalismus. Er strebte unter anderem die Einheit aller Turkvölker im Sinne eines Turanismus an, der als Leitidee des türkischen Ultranationalismus bis heute fortbesteht. Das Land Turan bildet im Sinne einer großtürkischen Expansions- und Machtutopie ein (Fantasie) Konstrukt, das sich von Europa bis nach Südostasien ziehen und alle türkischen Stämme (und auch nur diese) vereinen soll. (Fussnote:Vgl. Gökalp (1959): Turkish Nationalism and Western Civilization, S. 78/79.)
In den 1930er-Jahren wurden die türkischen Ultranationalisten, unter anderem Alparslan Türkeş (1917-1997) und Nihal Atsız (1905-1975), von der deutschen NS-Regierung im Strukturaufbau unterstützt, wodurch der türkische Nationalismus deutlich aggressiver und rassistischer wurde. In dieser Zeit gründeten sich erstmals Vereine wie bspw. Bozkurt (Grauer Wolf) oder Millet (Nation). (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 50-54.) Türkeş blieb seiner faschistisch-nationalistischen Weltanschauung auch nach dem Zweiten Weltkrieg treu. Nach einigen politischen Zwischenstationen übernahm er 1965 den Vorsitz der rechtsextremen und antikommunistischen Cumhuriyetçi Köylü Millet Partisi (Republikanische Nationalen Bauernpartei; CKMP) und benannte die Partei 1969 zur Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalistischen Bewegung; MHP) um. Im Zuge der Umbenennung wurde auch die Selbstzuschreibung ‚nationalsozialistisch‘ (milliyetçi toplumcu) aufgrund zu enger Bindung an die deutsche NS-Zeit – und damit aus rein pragmatischen Gründen – zu ‚idealistisch‘ (ülkücü) abgeändert. (Fussnote:Vgl. Dantschke, Mansour (2013): Der ideale Türke. Der Ultranationalismus der Grauen Wölfe in Deutschland, S. 13; Bora, Can (2000): Devlet, Ocak, Dergâh. 12 Eylül’den 1990’lara Ülkücü Hareket, S. 52-56 & 73.) Die MHP besteht in ihrer rechtsextremen Form (inkl. kurzzeitiger Namensänderungen) bis heute fort und verfolgt seit Mitte der 1970er-Jahr zudem das Ziel, europäische Auslandsvertretungen für die Exil-Türkinnen und Exil-Türken zu etablieren. Im Zuge dessen wurde 1978 der Ülkücü-Dachverband Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa; ADÜTDF) gegründet.
Als Gründer der MHP gilt Alparslan Türkeş ebenso als Urheber und Chefideologe der Ülkücü-Weltanschauung. Er griff die Ideen früher türkisch-nationalistischer Theoretiker auf und verschärfte sie in eigenen Büchern und Reden. Seine Vision bestand aus insgesamt ‚9 Strahlen‘ (dokuz ışık), die er im gleichnamigen Buch festhielt: Moralismus (ahlakçılık), Nationalismus (milliyetçilik), Idealismus (ülkücülük), Soziabilität (toplumculuk), Wissenschaftlichkeit (ilimcilik), Liberalismus (hürriyetçilik), Dorfentwicklung (köycülük), Entwicklungsorientierung und Volksnähe (gelişmecilik ve halkçılık), Industrialisierung und Technisierung (endüstricilik ve teknikçilik). (Fussnote:Vgl. Türkeş (1967): Dokuz Işık (gesamtes Buch); Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 83.) Auch wenn Türkeş zu Beginn seines Buchs angibt, dass der Nationalismus (milliyetçilik) in Form des Türkentums (türkçülük) über allen anderen zu stehen hat, (Fussnote:Vgl. Türkeş (1967): Dokuz Işık, S. 4-7.) soll für die vorliegende Fragestellung der Fokus auf den Idealismus (ülkücülük) gelegt werden, der durch Türkeş schriftlich fixiert wurde und für die gesamte organisierte sowie nicht-organisierte Ülkücü-Bewegung bis heute Gültigkeit besitzt – unter anderem daran erkennbar, dass Türkeş bewegungsintern weiterhin als Befehlshaber (başbuğ) bezeichnet wird.
Ülkücülük bedeutet für Türkeş, der türkischen Nation (millet) zu dienen und sie zu erhöhen bzw. über andere Nationen und Völker zu stellen. Ein Ülkücü müsse dafür Sorge tragen, dass dem Boden, auf dem man erzogen wurde, und der Nation, von der man erzogen wurde, Wohlstand, Wohltat und Glückseligkeit zukommt. Wer diese Verbindung zur eigenen Nation nicht kennt, ist im Grunde kein Mensch – so Türkeş. (Fussnote:Vgl. Türkeş (1967): Dokuz Işık, S. 8.) Er führt weiter aus, dass „unser Idealismus” (ülkücülüğümüz) ein Weg ist, an dessen Ende die Großartigkeit und Überlegenheit des türkischen Volks steht. Nichttürkische Bevölkerungsteile sollen dabei ausgeschlossen werden. (Fussnote:Vgl. Türkeş (1967): Dokuz Işık, S. 8-10.) In einem anderen Buch betont Türkeş, dass die Gesamtheit und Untrennbarkeit aller Turkvölker oberste Priorität haben müssen (vgl. expansiver Turanismus). Wie auch im türkischen Befreiungskrieg (1919-1923) müsse die Türkei bzw. das großtürkische Reich zur Not gewaltsam gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden. (Fussnote:Vgl. Türkeş (1980): Bunalımdan Cıkış Yolu, S. 41-45.)
Die Idee des Ülkücülük fußt demnach auf einer grundsätzlichen Überlegenheitsidee durch den Verweis auf die türkische Nation (millet) und Rasse (ırk) bei gleichzeitiger rassistischer Diskriminierung nichttürkischer Menschen (z.B. Armenier, Juden, Kurden). Davon ausgehend beschreiben Bora und Can die Ülkücü-Weltanschauung als Doktrin, die einen ‚rassistisch-chauvinistischen Türkischen Nationalismus‘ (ırkçı-şoven Türk milliyetçiliği) erzeugt und fördert. (Fussnote:Vgl. Bora, Can (2000): Devlet, Ocak, Dergâh. 12 Eylül’den 1990’lara Ülkücü Hareket, S. 79.) Bozay definiert sie als „das nationalsozialistische Modell pantürkischer Prägung“ (Fussnote:Bozay (2016): „Ich bin stolz, Türke zu sein!“ Graue Wölfe und türkischer (Rechts-)Nationalismus in Deutschland, S. 32.). Die auf den Ideen von Türkeş basierende MHP gilt ihm als „rechtsextrem-nationalistische Partei“ (Fussnote:Bozay (2016): „Ich bin stolz, Türke zu sein!“ Graue Wölfe und türkischer (Rechts-)Nationalismus in Deutschland, S. 30.). Oder in anderen Worten: „Wie der deutsche Faschismus als Nationalsozialismus und der spanische Faschismus als Frankoismus benannt werden, ‚verdient‘ es auch die Ülkücü-Bewegung ihren eigenen Namen zugewiesen zu bekommen.“ (Fussnote:Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 52.)
Der kurdischen Bevölkerung muss in dieser Weltanschauung aber nicht zwingend eine nichttürkische und damit feindliche Charakterisierung zukommen. Zum einen erachten viele Ülkücüs die Kurden als ursprüngliches Turkvolk. Wer sich aus Sicht der Ülkücü-Ideologie dieser Überzeugung ein- und unterordnet, vermag es durchaus, sich als Kurdin/Kurde dem türkischen Nationalismus zuzuwenden. Das bedeutet in den meisten Fällen aber auch, sich vom Gebrauch der kurdischen Sprache und zwingend von der Idee eines kurdischen Autonomiegebiets bzw. eines kurdischen Staats (auf türkischem Boden) zu lösen. Wer sich (türkisch) assimiliert, kann folgerichtig auch Teil der Ülkücü-Bewegung sein und in der Folge sogar Menschen abwerten, die sich für eine kurdische Unabhängigkeit engagieren. Wenn zum zweiten – wie bspw. im Falle der A … – der Islam und das Osmanische Reich zentrale Elemente des türkischen Nationalismus bilden, kann sich auch für kurdische Muslime der Zugang zu Ülkücü-Gruppen erleichtern und sogar erklären lassen. Im Osmanischen Reich definierte sich die Gruppenzugehörigkeit bis zum Übergang zur Republik nicht über Rasse oder Ethnie, sondern über die gemeinsame Religion. Einzelne Bevölkerungsgruppen wurden in millet(ler) eingeteilt, was historisch am Treffendsten mit „Glaubensnation(en)“ zu übersetzen ist. Alle Muslime gehörten demnach – ungeachtet dessen, ob sie kurdisch waren oder nicht – der osmanisch-islamischen Glaubensnation zu. Dieses System wurde auch beim Übergang zur türkischen Republik aufrechterhalten: „Wer Muslim war, galt [fortan] als Türke, auch Kurden oder Araber.“ (Fussnote:Hermann (2016): Glücklich, wer ein Türke ist, in: FAZ online (www.faz.net/aktuell/politik/ueber-die-urspruenge-der-tuerkischen-identitaet-14295020-p3.html (zuletzt abgerufen am 06.03.2019)) Eine gemeinsame osmanisch-islamische Vergangenheit kann die ethnischen Differenzen also überlagern. Kommen beide Überzeugungen zusammen – die Idee des kurdischen Turkvolks und der Zusammenschluss über das osmanisch-islamische Erbe – kann die Entstehung eines kurdischen Feindbilds durchaus unterbunden werden.
Aus der Definition des Ülkücülük lässt sich schlussfolgern, dass die Selbstverortung als Ülkücü nicht ohne die türkisch-nationalistische Überlegenheitsdoktrin und die damit verbundene Abwertung nichttürkischer Menschen, Kulturen und Traditionen gedacht bzw. gelebt werden kann. Eine Diversifizierung ist nur bzgl. des Stellenwerts des Islams im türkischen Nationalismus möglich. Liberalität, Weltoffenheit und die Gleichwertigkeit aller Menschen finden in dieser verschlossenen, starren und statischen Ideologie keinen Platz und müssen sogar als Gegenentwürfe zur Ülkücü-Überzeugung bewertet werden. Die Behauptung, „weltoffener Ülkücü“ zu sein oder einer „weltoffenen Ülkücü-Strömung“ anzugehören, führt sich letztlich selbst ad absurdum und erscheint trügerisch.
Der Graue Wolf (bozkurt) – Mythos der türkisch-nationalistischen Weltanschauung
Viele faschistische und nationalistische Bewegungen fußen auf „übernatürlichen“ Mythen, die vermeintlich Jahrhunderte bis Jahrtausende alt sein und die Überlegenheit der eigenen Nation/Rasse belegen sollen (vgl. arischer Mythos). Auch die Ülkücü-Bewegung beruft sich zur Legitimation ihrer Einzigartigkeit und Dominanz auf unterschiedliche (und letztlich unwiderlegbare) Mythen. In der Ülkücü-Gemeinschaft bildet die Legende des Grauen Wolfs (bozkurt) das ideologische Zentrum und ist daher auch maßgeblich für die Selbstbezeichnung der Ülkücüs als Graue Wölfe (Bozkurtlar oder Bozkurtçular). Der Ur-Mythos besagt, dass in weiter Vergangenheit ein grauer Wolf den türkischen Stämmen, die im Ergenekon-Tal festsaßen und hungerten, den Weg nach Kleinasien und damit auch in die heutige Türkei gezeigt hat. (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 59.) In daran anknüpfenden Legenden führte dieser Wolf die Türken ebenso zu zahlreichen Siegen. (Fussnote:Vgl. Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 95.) Der Graue Wolf symbolisiert damit eine historische Stärke, Übermacht und Einigkeit der türkischen Nation und ist bis heute unerlässliches Schlüsselelement der Ülkücü-Ideologie. Überspitzt formuliert: Ohne bozkurt keine türkische Nation und Einheit.
Das Bild des Grauen Wolfs findet sich heutzutage auf Fahnen, Kleidungsstücken, Tattoos etc. und in Form des Wolfsgrußes (Fussnote:Kleiner Finger und Zeigefinger als Ohren, Mittel- und Ringfinger auf Daumen gedrückt als Schnauze.) wieder und erfüllt letztlich die Funktion der Namensgebung und Identitätsstiftung. In der Ülkücü-Bewegung wird diese zugehörigkeitsstiftende Symbolwirkung des Wolfslogos/Wolfsgrußes oftmals auch zur Massenmobilisierung und Massenemotionalisierung instrumentalisiert. Ein Beispiel für dieses Mobilisierungspotenzial sind die paramilitärischen Jugendgruppen, die Alparslan Türkeş ab 1968 in der Türkei ausbilden ließ und deren Ziel es war, gewaltsam und mörderisch gegen vermeintliche innere Feinde (Kommunisten, Kurden, Armenier etc.) vorzugehen. Diese Ülkücü-Jugendlichen wurden Graue Wölfe genannt, weil sie als erste Ülkücü-Gruppe überhaupt den Grauen Wolf im Flaggenlogo nutzten. (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 59/60.)
Die Attribuierung als Grauer Wolf bzw. Graue Wölfe ist insgesamt aber nicht auf den partikularen Ülkücü-Schlägertrupp beschränkt, sondern gilt für alle Ülkücüs, denn sie alle berufen sich auf den gleichen urtürkischen Gründungsmythos. Selbst die ADÜTDF betont in einer Pressemitteilung von 2011, dass der Graue Wolf „ein historisches Symbol aller Turkvölker“ und „vergleichbar mit dem deutschen Bundesadler“ ist (vgl. nationales Wahrzeichen). (Fussnote:https://turkfederasyon.com/de/haberler/pressemitteilung-adütdf (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Auch in der Fachliteratur wird ausgeführt, dass die türkischen Nationalisten die Selbstbezeichnungen Ülkücüs und Graue Wölfe verwenden. (Fussnote:Vgl. Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 52.) Dementsprechend wird in diesen Publikationen auch fortlaufend darauf verwiesen, dass die Bezeichnung Graue Wölfe als Synonym für den türkischen Nationalismus und Rechtsextremismus verwendet wird. (Fussnote:Vgl. Dantschke, Mansour (2013): Der ideale Türke. Der Ultranationalismus der Grauen Wölfe in Deutschland, S. 29.) In logischer Konsequenz ist auch der Wolfsgruß als solidarische Geste aller Ülkücüs zu verstehen.
Die synonyme Gleichsetzung der „Ülkücü-Bewegung“ mit den „Grauen Wölfen“ ist nicht nur im Verfassungsschutzverbund anerkannt. (Fussnote:Vgl. nur https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-auslaenderextremismus-ohne-islamismus/was-ist-auslaenderextremismus/rechtsextremistische-tuerken sowie http://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/Startseite/Arbeitsfelder/Woelfe+und+Halbmonde_+Die+Symbolik+der+_Uelkuecue_Bewegung_)Sie findet sich auch in Arbeitsfeldern außerhalb des Verfassungsschutzes, (Fussnote:Vgl. nur http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/252855/einfuehrung-graue-woelfe-und-tuerkischer-ultranationalismus-in-deutschland sowie https://www.ufuq.de/tuerkischer-nationalismus-in-deutschland-gemeinschaft-und-identitaet-im-migrationskontext/) im allgemeinen Sprachgebrauch (Fussnote:Vgl. nur https://de.wiktionary.org/wiki/Graue_W%C3%B6lfe sowie https://www.wortbedeutung.info/Graue_Wölfe/) und in den Medien (Fussnote:Vgl. nur http://webstory.zdf.de/graue-woelfe/ sowie https://www.welt.de/politik/deutschland/article134977264/CDU-will-tuerkische-Rechtsextremistenausschliessen.html) wieder.
A … als Abspaltung der ultranationalistischen MHP
Musa Serdar Çelebi gab in einem Interview an, im Jahr 1978 (damals war er MHP-Bezirksvorstand in Şişli/Istanbul (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 242.)) von Alparslan Türkeş, dem Gründer und Chefideologen der MHP, nach Europa bzw. Deutschland geschickt worden zu sein, um den europäischen Strukturaufbau der Ülkücü-Szene zu organisieren. Im Februar 1979 hat er dann den Vorstandsposten des neu gegründeten Dachverbands Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa; ADÜTDF) übernommen. (Fussnote:Vgl. www.haber7.com/siyaset/haber/709469-celebi-mhp-turkesin-mirasini-inkar-etti (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Bevor Çelebi nach Deutschland kam, soll er in der Türkei – gemäß den Schilderungen des Publizisten und Historikers Ruşen Çakır – Teil des „Ausbilder-Teams“ oder „Erzieher-Teams“ (eğitimciler) der MHP gewesen sein und im Rahmen dieser Tätigkeit den Auftrag zum Organisationsaufbau in Europa bekommen haben. (Fussnote:Vgl. http://rusencakir.com/nereye-gitti-bu-ulkuculer-13-musa-serdar-celebi-umidimiz-mhpnin-ehil-ellere-gecmesi/32 (zuletzt abgerufen am 06.03.2019). Siehe auch: Bora, Can (2000): Devlet, Ocak, Dergâh. 12 Eylül’den 1990’lara Ülkücü Hareket, S. 71.)
In der Türkei erfolgte Ende der 1970er-Jahre eine Re-Fokussierung auf die Einheit aus Türkentum (Nationalismus) und Islam als identitätsstiftendes Ideal (vgl. Osmanisches Reich). Diese Türkisch-Islamische Synthese (TİS) sollte nach dem Putsch 1980 die Einigkeit der türkischen Nation fördern und damit einem weiteren Putsch vorbeugen. Zwar wurde die TİS nicht in die neue türkische Verfassung aufgenommen, dennoch äußerte sie sich in den Parteiprogrammen und der Zivilgesellschaft und sorgte demnach auch für eine zunehmende „Islamisierung“ der MHP in der Türkei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die neu entdeckte Religiosität auch nach Deutschland schwappte und die ADÜTDF erreichte. Die Folge waren gespaltene Fraktionen innerhalb der Ülkücü-Community in Deutschland: Auf der einen Seite die stark laizistischen/säkularen Kräfte, auf der anderen Seite das stark religiöse/islamische Personenpotenzial, dem Musa Serdar Çelebi angehörte. Die Situation erschwerte sich durch Çelebis Verbindungen zum Ülkücü-Terroristen Mehmet Ali Ağca, der unter anderem versucht hatte, den Papst zu töten (wofür auch Çelebi beinahe vier Jahre in Untersuchungshaft saß). (Fussnote:Vgl. Dantschke, Mansour (2013): Der ideale Türke. Der Ultranationalismus der Grauen Wölfe in Deutschland, S. 15.) Türkeş verlangte den Rücktritt Çelebis, woraus ein Streit zwischen den beiden entbrach. Weil im Gesamten die persönlichen Differenzen nicht beigelegt werden konnten, spaltete sich die nationalistisch-islamische Gruppe um den ehemaligen ADÜTDF-Vorsitzenden Çelebi ab und gründete 1987 die … … … … … (Union der … …; … ), die 1993 in A … … … … (Union der … … … … A ) umbenannt wurde. (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 286; Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 132/133.) Musa Serdar Çelebi war von 1987 bis 2000 Vorstandsvorsitzender der A …; das ehemalige ADÜTDF-Vorstandsmitglied İ … Ö … war A …-Vorstandsvorsitzender von 2012 bis 2018. (Fussnote:Vgl. www.atib.org/ueber-uns (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Nach seiner Vorstandstätigkeit zog Çelebi zurück in die Türkei und war dort zeitweise als Vizepräsident der nationalistisch-islamistischen Büyük Birlik Partisi (Partei der Großen Einheit; BBP) tätig. (Fussnote:Vgl. Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 135.) Die BBP wurde von Muhsin Yacızıoğlu gegründet, der ehemals MHP-Mitglied und Vorstand einer MHP-Jugendorganisation war. (Fussnote:Vgl. Dantschke, Mansour (2013): Der ideale Türke. Der Ultranationalismus der Grauen Wölfe in Deutschland, S. 15.)
Wichtig erscheint darauf hinzuweisen, dass die Gründung der A … in der Fachliteratur immer als Abspaltung von der ADÜTDF bezeichnet wird. (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 244; Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 134; Küçükhüseyin (2002): Türkische politische Organisationen in Deutschland, S. 34; Klöckner (2015): Freiwillige Arbeit in gemeinnützigen Vereinen. Eine vergleichende Studie von Wohlfahrts- und Migrantenorganisationen, S. 101.) Ebenso wird die A … bis heute als Organisation der Grauen Wölfe verstanden – was erneut als Indiz für die synonyme Verwendung der Begriffe Ülkücülük und Graue Wölfe gelten kann. (Fussnote:Vgl. Küpeli (2015): Türkischer Nationalismus in Deutschland: Gemeinschaft und Identität im Migrationskontext, S. 3.) Im Jahr 2003 sprach selbst der A …-Generalsekretär M … A … von „diese[r] Abspaltung“. (Fussnote:Vgl. Arslan (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland, S. 133.) Dass die A … keine Neugründung mit ideologischer Neuausrichtung war und ist, wird auch daraus ersichtlich, dass ungefähr ein Drittel aller ADÜTDF-Mitgliedsvereine direkt zur A … überwechselte. (Fussnote:Vgl. Aslan, Bozay (2012): Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 244) Auch Çelebi gab in einem Interview von 2012 an, dass die Gründer der A … zu 90% aus der Ülkücü-Bewegung kamen. (Fussnote:Vgl. www.facebook.com/MusaSerdarCelebi/posts/…51 (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Auf der deutschsprachigen A …-Homepage wird ausdrücklich festgehalten: „Die meisten Moschee- und Kulturvereine [der A …] waren zuvor Mitglieder der […] Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine.“ (Fussnote:www.atib.org/haber-1 (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Eine ideologische Distanzierung vom türkischen Ultranationalismus derart vieler Vereine und Personen ist sehr unwahrscheinlich und wurde bei der Abspaltung auch nicht mitgeteilt. Vielmehr kann lediglich gesagt werden, dass die A … „für einen stärker islamisch und islamistisch orientierten Teil im Spektrum der Grauen Wölfe” (Fussnote:Küpeli (2015): Türkischer Nationalismus in Deutschland: Gemeinschaft und Identität im Migrationskontext, S. 3.) steht. Der Gründer Çelebi bezeichnet sich bis heute als Ülkücü. (Fussnote:Vgl. www.haber7.com/siyaset/haber/709469-celebi-mhp-turkesin-mirasini-inkar-etti (zuletzt abgerufen am 06.03.2019). Siehe auch: www.haberturk.com/video/haber/izle/ulkuculer-icin-kurt-meselesi-yok-mudur/62832 (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).) Im oben genannten Interview, das er auf seinem öffentlichen Facebook-Profil veröffentlicht hat, wird er sogar als einer der Anführer (lider) der Ülkücü-Bewegung vorgestellt. (Fussnote:Vgl. www.facebook.com/MusaSerdarCelebi/posts/…51 (zuletzt abgerufen am 06.03.2019).)
Das vom Beklagten dargestellte Verständnis von der „Ülkücü-Bewegung“ findet sich auch in der Antwort der Bundesregierung vom 27. September 2017 auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen (Bundestags-Drs. 18/13658 – 29.9.2017) wieder. Danach handle es sich „bei der Ülkücü-Bewegung […] nicht um eine festgefügte homogene Organisation mit eigenen Strukturen, sondern um eine heterogene Bewegung von Gruppen und Einzelorganisationen, denen eine Überhöhung der türkischen Nation, Kultur, Geschichte, mitunter auch der „Rasse“ bei gleichzeitiger Herabwürdigung anderer Nationen, Gruppen, Religionen und Ethnien gemeinsam ist“ (Seite 6 e Bundestags-Drs. 18/13658). In Folge kommt die Bundesregierung jedoch zum dem Schluss, dass „in Ermangelung von übergeordneten Ülkücü-Strukturen nicht von einer institutionellen Beziehung“ des Klägers gesprochen werden könne, „auch wenn einzelne Äußerungen und Bekundungen von Personen […] in dieses Spektrum fallen“ (a.a.O.).
Auf eine Kleine Anfrage im Landtag Nordrhein-Westfalens vom 30. Juni 2016 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens am 8. August 2016 ausgeführt, der Kläger vertrete „die Ziele der Ülkücü-Bewegung („Graue Wölfe“)“ (Landtags-Drs. 16/12655 unter 2.). Ohne nähere Ausführungen wird die „Ülkücü-Bewegung“ mit den „Grauen Wölfen“ gleichgesetzt.
Die Verfassungsschutzberichte des Bundes, u.a. aus den Jahren 2017 und 2018, stellen ebenso u.a. fest, dass der „Graue Wolf“ („Bozkurt“) und der daraus abgeleitete Wolfsgruß das Symbol und bekannteste Erkennungszeichen der „Ülkücü-Bewegung“ sei und Anhänger der Bewegung daher umgangssprachlich oft als „Graue Wölfe“ („Bozkurtlar“) bezeichnet würden (VSB 2017 S. 244; VSB 2018, S. 260).
Selbst die Prozessbevollmächtigten des Klägers vermochten in den klagebegründenden Schriftsätzen bis zur ersten mündlichen Verhandlung weitgehend nicht herauszuarbeiten, dass sich der Kläger zwar der „Ülkücü-Bewegung“ zugeordnet sieht, aber nicht den „Grauen Wölfen“. So führte er aus, die Ideologie des Klägers widerspreche diametral der Ideologie der „Grauen Wölfe“ und somit der „Ülkücü-Bewegung“. Der Kläger wehre sich schon seit längerer Zeit erfolgreich, der „Ülkücü-Bewegung“ zugeordnet zu werden. Er vertrete nicht die Ziele der „Ülkücü-Bewegung“ und wolle mit dem dort verbreiteten ultranationalistischen und rassistischen Gedankengut nichts zu tun haben. Angesichts der Ideologie der „Grauen Wölfe“ sei die unwahre Behauptung, der Kläger sei der „Ülkücü-Bewegung“ zuzurechnen, geeignet, den Kläger in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Diesen Aussagen liegt in Übereinstimmung mit dem Verständnis des Beklagten die Verknüpfung von „Ülkücü-Bewegung“ und „Grauen Wölfen“ zugrunde. Erst ab der ersten mündlichen Verhandlung argumentierte der Kläger, er vertrete ein „europäisches“ Verständnis von „Ülkücü“.
Soweit der Kläger vorträgt, dass bereits „in den Entstehungsjahren mehrere Strömungen der „Ülkücü-Bewegung“ hätten beobachtet werden können, vermochte er dies nicht näher darzulegen und belässt es bei dieser Behauptung. Der Zeuge Ö …, seinen Angaben nach Regionalvorsitzender Baden-Württembergs, verneinte in der Einvernahme in der mündlichen Verhandlung vielmehr ausdrücklich verschiedene Strömungen der „Ülkücü-Bewegung“; die „Grauen Wölfe“ seien aber nicht identisch mit „Ülkücü“, ob diese sich der „Ülkücü-Bewegung“ zuordnen würden, wisse er nicht. Soweit die Zeugen A … und D … von unterschiedlichen oder verschiedenen Strömungen sprachen und ihr Verständnis von „Ülkücü“ darstellten, überzeugte dies ebensowenig. Den Zeugen gelang es allesamt nicht, sich von der historischen Herkunft der „Ülkücü-Bewegung“ mit ihrem verfassungsschutzrelevanten Gedankengut und ihrem Gründer sowie ihrer Ideologie in nachvollziehbarer und nicht nur formelhafter Weise zu distanzieren. Ihre pauschalen Aussagen in Abgrenzung zu den „Grauen Wölfen“, zur MHP, zur Herkunft der Bewegung und ihrem Gründer Türkes etc. wirkten wenig überzeugend. Wer einem „europäischen freiheitlichen“ Verständnis von „Ülkücü“ als Idealist folgen will und die „Ülkücü-Bewegung“ sogar ausdrücklich als die „Politik“ des Klägers bezeichnet (so der Zeuge A … ), muss aber imstande sein, zum ursprünglichen Verständnis hinreichend Stellung zu nehmen und sich davon zu distanzieren, um glaubhaft diesem neuen, anderen Verständnis anzugehören.
Das Verständnis, das der Beklagte von der „Ülkücü-Bewegung“ zugrunde legt, ist daher nicht nachweislich unzutreffend oder zu wenig differenziert. Es beruht vielmehr angesichts der umfangreichen Herleitung des Beklagten (s.o.) auf einem hinreichenden Tatsachenkern und durchaus sachlichen Erwägungen.
2. Den Kläger einer solchen „Ülkücü-Bewegung“ zuzuordnen, beruht ebenfalls auf sachlichen Erwägungen und einem sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern.
Die Zuordnung zu einer Organisation, Gruppierung oder Bewegung kann in vielfacher Weise erfolgen, insbesondere durch eine historische, ideologische, personelle, organisatorische oder finanzielle Verbundenheit oder Unterstützung. Der Beklagte hat hinreichend belegt, inwieweit er den Kläger mit der „Ülkücü-Bewegung“ in historischer, ideologischer und personeller Hinsicht verbunden sieht. Er hat anhand einer Vielzahl von – meist unbestrittenen – Erkenntnismitteln aufgezeigt, dass der Kläger seine historischen Wurzeln ideologisch und personell in der „Ülkücü-Bewegung“ ausgehend von Alparslan Türkes hat (siehe oben, sowie nachfolgend a.)), nachwievor keine ideologische Distanzierung vornimmt, sondern vielmehr tatsächlich noch – aufgrund verdichteter Aussagen nicht nur einzelner Jugendlicher – ideologisch in dieser Bewegung verwurzelt ist (b.).
a. Der Kläger hat seine historischen Wurzeln in der „Ülkücü-Bewegung“. Dies hat der Beklagte hinreichend und vom Kläger nicht substantiiert bestritten dargelegt.
Nach dem Beklagtenvortrag hat sich der Kläger im Jahre 1987 von der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa (ADÜTDF) unter Musa Serdar Celebi abgespalten. Dieser sei von Alparslan Türkes, dem Gründer und Chefideologen der MHP im Jahre 1978 nach Europa bzw. Deutschland geschickt worden, um den europäischen Strukturaufbau der „Ülkücü“-Szene zu organisieren. Im Februar 1979 habe er den Vorstandsposten des neu gegründeten Dachverbands ADÜTDF übernommen. 1987 habe er sodann die Union der … …, die 1993 in die Union der … … … …, den Kläger, umbenannt wurde, gegründet. Von 1987 bis 2000 sei Celebi Vorstandsvorsitzender des Klägers gewesen. Eine ideologische Distanzierung des Klägers in Bezug auf die MHP oder ADÜTDF sei anscheinend bis heute nicht erfolgt. Vielmehr zeuge eine Rede vom 19.01.2014 von I … Ö …, dem Vorstandsvorsitzenden des Klägers von 2012 bis 2018 und zuvor auch Vorstandsmitglied bei der ADÜTDF davon, dass die Abspaltung des Klägers mit keiner ideologischen Neuausrichtung verbunden gewesen sei. In dieser Rede werde ausgeführt, dass die Gründer des Klägers, die seit vielen Jahren den Dienst an der „Ülkücü-Mission“ leisten würden, eine schwere Entscheidung getroffen hätten, indem sie den Kampf außerhalb einer politischen Partei durchführten, angepasst an die hiesigen bzw. europäischen Entwicklungen und an die Lebensrealität der westeuropäischen Türken, im Dienst für den Menschen, entsprechend den Anforderungen dieser gegenwärtigen Zeit. Anhaltspunkte dafür, dass die zitierte „Ülkücü-Mission“ eine andere sei, als die von Alparslan Türkes ins Leben gerufene (s.o.) und durch die ADÜTDF in Deutschland zu verbreitende, seien gerade nicht enthalten.
Der Kläger ist im Verfahren der Aussage des Beklagten, Celebi habe in einem Interview im Jahre 2012 angegeben (S. 12 der Erkenntniszusammenstellung zum Schriftsatz vom 20. Februar 2019 sowie weitere Anlage), dass die Gründer des Klägers zu 90% aus der „Ülkücü-Bewegung“ gekommen sein, nicht entgegengetreten. Neben Celebi, der sich nach den vorgelegten Erkenntnissen des Beklagten auch heute noch als „Ülkücü“ bezeichnet und als „europäischer Führer der Ülkücü-Bewegung“ gilt (vgl. Ortsverband Wuppertal am 13. Februar 2014), besteht mit I … Ö … als Vorstandsvorsitzenden des Klägers der Jahre 2012 bis 2018 eine bedeutende personelle Verknüpfung zur ADÜTDF, nachdem dieser bereits zuvor Vorstandsmitglied bei der ADÜTDF gewesen sei. Auch im Übrigen ist der Kläger den Ausführungen des Beklagten zur Abspaltung von der ADÜTDF ohne ideologische Distanzierung bzw. ideologische Neuausrichtung des Klägers mit Ausnahme der Aussage, man habe mit der parteipolitischen Ausrichtung bzw. der türkischen Innenpolitik nichts zu tun haben wollen, nicht substantiiert entgegengetreten.
In einer Erklärung im Jahre 2016 verlautbart der Kläger zwar, dass es „keine organisatorische oder ideelle Verbindung zu den Grauen Wölfen“ gebe, es werde „jede verfassungsfeindliche und nationalistische Ideologie verurteilt“ (u.a. S. 12 der Erkenntniszusammenstellung zum Schriftsatz vom 20. Februar 2019). Ausführungen zu einem geänderten Verständnis der „Ülkücü-Mission“, Hinweise auf eine ideologische Neuausrichtung o.ä. finden sich jedoch nicht. Zwar verneint der Kläger auch im vorliegenden Verfahren eine Verbindung zu den „Grauen Wölfen“. Es gelang ihm jedoch nicht überzeugend darzulegen, dass der Kläger in deutlicher Distanzierung und Differenzierung zur „Ülkücü-Bewegung“ zurückgehend auf Alparslan Türkes ein stattdessen „europäisch freiheitliches“ Verständnis der „Ülkücü-Bewegung“ verfolgt.
b. Der Beklagte hat mit einer Vielzahl von vorgelegten Erkenntnismitteln im Verfahren dargelegt, weshalb der Kläger zum Zeitpunkt der Beantwortung der Schriftlichen Anfragen und auch noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit der Ideologie der „Ülkücü-Bewegung“ im Verständnis von Türkes etc. verbunden ist.
(1) Unbestritten sehen sich nicht nur der Gründer des Klägers, Musa Cerdar Celebi, sondern auch Vorstandsmitglieder, Funktionäre und Mitglieder als „Ülkücü“, ohne sich dabei von der angeblich anderen Strömung der „Ülkücü-Bewegung“ zu distanzieren oder ihr Verständnis von „Ülkücü“ deutlich darzustellen. Vielmehr sind in den vom Beklagten vorgelegten Erkenntnismitteln immer wieder Bezüge zur vom Beklagten dargestellten „Ülkücü-Bewegung“ ausgehend von Alparslan Türkes zu entnehmen.
(2) Wenngleich sich der Kläger im Verfahren vom sog. „Ülkücü Eid“ („Ülkücü yemini“), der vom Beklagten nachvollziehbar als verfassungsfeindlich eingestuft wird (Beantwortung der Schriftlichen Anfrage vom 2. Juli 2015 am 4. August 2015 unter 2. a)), zu distanzieren versuchte, wurde dieser Schwur nicht nur von Jugendlichen des Ortsverbands Plochingen am 10. Juni 2010, sondern auch am 21. Januar 2012 auf der Facebook-Homepage der Dortmunder Ortsverbands veröffentlicht und verbreitet sowie von dem nach Beklagtenangabe beim Ortsverband Kassel aktiven M … G … am 27. Februar 2011 unter dem Titel „Über die A …-Jugendverbände“ bzw. von D … K … (s.u.) in einem Video auf youtube.
(3) Der Beklagte hat umfangreiches Erkenntnismaterial vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass beim Kläger mit seinen Ortsverbänden an den Vordenker der „Ülkücü-Bewegung“ Ziya Gökalp (z.B. Ortsverband Köln am 19. März 2013) oder Nihal Atsiz (Ortsverband Plochingen am 1. Januar 2015, Ortsverband Frankfurt-Höchst am 3. Februar 2010, „Aktüel Dergi“ am 6. Dezember 2016,), dem Begründer der Bewegung und „Anführer („basbug“) Alparslan Türkes (z.B. Ortsverband Plochingen am 4. April 2014 und 4. April 2015, Ortsverband Köln am 4. April 2014, Ortsverband Bremen am 1. November 2014, „Aktüel Dergi“ am 5. April 2017), Märtyrern wie Muhsin Yazicioglu (z.B. Ortsverband Köln am 25. März 2013 und 25. März 2014, Ortsverband Remscheid am 25. März 2015, Jugend Osnabrück am 26. Juli 2017, Ortsverband Göppingen im März 2011 mit einer Rede D … T …, dass der Verlust Muhsin Yacizioglu in der „Ülkücü“-Nationalisten-Gemeinschaft große Trauer ausgelöst habe), Ahmet Kerse (z.B. Ortsverband Köln am 31. Januar 2014), Firat Cakiroglu (z.B. Ortsverband Plochingen am 20. Februar 2015) oder Mustafa Pehlivanoglu (z.B. Ortsverband Köln am 8. Oktober 2013; „Aktüel Dergi“ am 12. September 2018) gedacht wird bzw. einschlägige ideologisch mit der „Ülkücü-Bewegung“ verbundene Schriftsteller wie Ahmet Arvasi zitiert werden (z.B. Ortsverband Wuppertal am 3. Dezember 2013; Ortsverband Plochingen am 1. Januar 2015).
(4) Der vom Beklagten als Symbol der „Ülkücü-Bewegung“ bzw. Anhängerschaft beschriebene Wolf findet durchaus in Kreisen des Klägers Verwendung, auch in Form des sog. Wolfsgrußes. Eine deutliche Distanzierung von diesem Symbol ist jedenfalls nicht erkennbar.
aa) Einerseits führte der Zeuge A … in der mündlichen Verhandlung aus, in Wuppertal könne man Autos mit „Grauen Wolf“-Aufkleber sehen. Auch bei manchen Feiern werde entsprechendes Liedgut gesungen und auch der Wolf gezeigt, der ein Erkennungszeichen für sie, gemeint sind die „Grauen Wölfe“, sei. Wenn er mitbekomme, dass jemand bei ihnen den Wolfsgruß zeige, würde er sofort einschreiten und den Vorstandsvorsitzenden informieren. Der Zeuge D … gab an, der „Graue Wolf“ sei das Symbol der MHP. Er werde aber auch von Nicht-MHPlern benutzt. Wenn er den Wolfsgruß sehe, gehe er davon aus, dass es MHP-Anhänger oder -sympathisanten sei oder junge Leute aus Protest. Er halte das für falsch. Was damit gesagt werden solle, wisse er nicht. Das Vorstandsmitglied des Klägers C … gab in der mündlichen Verhandlung hingegen an, die Verwendung des Wolfs als Symbol als „völlig unproblematisch“ zu sehen. Eine deutlich distanzierende Haltung gegenüber dem Wolf als einschlägigem Symbol der vom Beklagten beschriebenen „Ülkücü-Bewegung“ bzw. vom Zeugen A … den „Grauen Wölfen“ zugeordnet stellt diese Aussage eines Vorstandsmitglieds des Klägers gerade nicht dar.
bb) D … T …, der Herausgeber der Online-Zeitschrift „Aktüel Dergi“ und ehemaliges Vorstandsmitglied des klägerischen Ortsverbands Göppingen veröffentlichte beispielsweise am 6. Oktober 2018 auf seiner Facebook-Seite ein Bild, das ihn mit einer Person mit Wolfsgruß zeigt, und am 9. Oktober 2016 ein Bild mit einer Frau mit Wolfsgruß. Auf seinem Profilbild war, jedenfalls am 31.8.2017, ein Wolfskopf unterlegt und das Wort „Turan“ in Runen zu erkennen.
cc) D … K …, der den Vorstandsvorsitzenden des Klägers bei seiner Facebook-Seite unterstützt, beschreibt sich selbst in Facebook als „Bozkurt“ und somit als „Grauen Wolf“. Am 20. September 2018 postete er ein Bild von sich mit Wolfskopf und dem Wort „Turan“ in Runen.
dd) Auch die vom Ortsverband Wuppertal am 25. Juni 2012 veröffentlichte Karikatur (Erkenntnismittel Nr. 50 im Schriftsatz vom 1. April 2019) verwendet den heulenden Wolf in deutlicher Symbolik gegen vor Angst zitternde Amerikaner, Juden, Kommunisten und Christen. Auf die weiteren vorgelegten Erkenntnismittel aus Kreisen des Klägers mit seinen Ortsverbänden, die sich dem Wolf als Symbol bedienen, wird nur ergänzend Bezug genommen.
(5) Dabei handelt es sich bei den vorgelegten Erkenntnissen entgegen der klägerischen Ansicht nicht nur um „wirre Äußerungen irgendwelcher Minderjährigen, die ihre pubertären Fantasien ins Internet stellen“. Vielmehr tauchen dieses Gedankengut und diese ideologischen Bezüge nach den vorgelegten Erkenntnismitteln in allen Ebenen des Klägers auf.
aa) Die Darstellungen des Klägers und auch der Zeugen in der mündlichen Verhandlung ließen überwiegend (mit Ausnahme bezüglich Wuppertal) kein deutliches, konsequentes Einwirken bzw. Vorgehen gegen die mutmaßlichen Jugendlichen, die die Facebook-Post eingestellt haben sollen, erkennen. Jedenfalls haben der Kläger bzw. seine Ortsverbände zugelassen, dass Jugendliche, die sogar gar keine Mitglieder des Klägers gewesen sein sollen, Facebook-Seiten im Namen der Ortsverbände des Klägers betreiben und nicht abgestimmte Inhalte hochladen. Ein konsequentes Eingreifen gab es, teilweise bis heute, nicht. Dass der Beklagte bei seiner Bewertung (auch) auf solche Facebook-Posts abstellt, ist daher nicht zu beanstanden.
bb) Auch die Inhalte von „Aktüel Dergi“ bzw. Äußerungen des Herausgebers D … T … dieser Online-Zeitschrift können nach Darstellung des Beklagten durchaus in Bezug auf den Kläger als Erkenntnismittel herangezogen werden.
D … T … war den am 15. April 2019 vorgelegten Erkenntnissen nach zumindest im Jahr 2013 und 2014 im Vorstand des Ortsverbands bzw. Kulturzentrums Göppingen. Im Jahre 2015 habe er den Vorstandposten abgegeben. Dies bestätigt auch der Zeuge Ö … Der Kläger wusste durchaus von den Aktivitäten T … Schließlich wurde T … bei einer Veranstaltung im Februar 2015 als Vorstand des Ortsverbands Göppingen in Anwesenheit des Generalsekretärs des Klägers vorgestellt (Erkenntnismittel auf S. 18 des Schriftsatzes vom 15.4.2019). Auch der Zeuge Ö … führte aus, sie hätten T … gesagt, es sei nicht in Ordnung, dass er ihren Namen verwende. Es habe sogar ein Disziplinarverfahren gegeben, das aber noch nicht abgeschlossen sei.
Im Übrigen hat der Beklagte dargelegt, dass die Wartung bzw. das „Development“ der Internetseite von „Aktüel Dergi“ von T … Ö … betrieben wird, der dem Ortsverband Plochingen angehöre und laut swr.de Mitglied im Rundfunkrat des Südwestrundfunk – durch den Kläger entsandt – sei (Seite 4 des Aktenvermerks zu „Aktüel Dergi“ des BayLfV vom 8. März 2019).
Auch bei den weiteren Autoren von „Aktüel Dergi“ hat der Beklagte bezugnehmend auf die Homepage von „Aktüel Dergi“ personelle Verflechtungen benannt: Y … T … sei nach Angaben des Zentralrats der Muslime als zweiter Vorstand des Klägers benannt. M … A … sei Generalsekretär des Klägers und stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. H … K … sei nach Angaben des Beklagten auf der Homepage des Klägers als Autor/Kolumnist zu finden. S … S … schließlich sei der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Klägers aus den Jahren 2008 bis 2012)
dd) Letzterer veröffentlichte am 23. Oktober 2015 in „Aktüel Dergi“ einen Beitrag mit deutlichem Bekenntnis zur „Ülkücü-Bewegung“: „Wir haben uns [zu Beginn] als Ülkücüs auf den Weg gemacht und sind zu Männern der Sache geworden“ (Erkenntnismittel Nr. 58 im Schriftsatz vom 1. April 2019). Eine Distanzierung zur „Ülkücü-Bewegung“ von Türkes oder eine differenzierte Darstellung erfolgen nicht. Sein mit Schriftsatz des Beklagten vom 22. Mai 2019 vorgelegtes Gedicht, auf seiner Facebook-Seite am 16. Mai 2018 veröffentlicht, belegt vielmehr eine deutliche israelfeindliche Grundhaltung mit nahezu kämpferischen Aufruf („Mein Gott, richte Du diese Tyrannen und ihre Verbündeten zugrunde.“ / „Terroristen, von früher bis heute alle Zionisten“ / „Das Opfer des Lebens für den Mujahid, so ist der Idealist“) im Gleichklang des „Ülkücü“-Verständnisses, das der Beklagte darstellte.
ee) Der derzeitige Vorstandsvorsitzende des Klägers veröffentliche am 14. Februar 2019 eine Beileidsmitteilung zum Tode von Ozan Arif auf der Homepage des Klägers. Darin wird Ozan Arif als bekannter und einer der führenden Dichter der „Ülkücü-Bewegung“/“Ülkücü-Gemeinde“ bezeichnet (Erkenntnismittel Nr. 85, S. 15 im Schriftsatz vom 1. April 2019). Nach Angaben des Beklagten gelte Ozan Arif in der gesamten „Ülkücü-Bewegung“ als Nationalheld, seine Lieder seien des Öfteren verboten worden und inhaltlich umstritten und Alparslan Türkes für ihn eine Leitfigur gewesen. Eine differenzierte inhaltliche Distanzierung von seiner ideologischen Grundhaltung und seinen Texten erfolgte seitens des Vorstandsvorsitzenden des Klägers aber nicht, nur ein Hinweis auf Personen, „die wegen der Weltanschauung gegen ihn waren“. An der Beerdigung von Arif hat ausweislich eines Facebook-Post des Klägers neben dem Vorstandsvorsitzenden des Klägers im Übrigen auch Musa Serdar Celebi teilgenommen. Arif wird im Nachruf des Vorstandsvorsitzenden des Klägers als „einer der führenden Dichter der Ülkücü-Bewegung“ bezeichnet, in Zukunft werde man sich durch seine Werke an ihn erinnern. Dass die „Ülkücü-Bewegung“ des Dichters Arif eine andere sei als die, die der Kläger angehören will, lässt sich dem gerade nicht entnehmen.
Auch die informatorische Anhörung des Vorstandsvorsitzenden des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2019 ließ eine deutliche Distanzierung von der „Ülkücü-Bewegung“ im Sinne des Verständnisses des Beklagten vermissen. Weder in Bezug auf Alparslan Türkes oder das Gedicht des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden S … fand er deutlich distanzierende Worte. Dass die Texte von Arif „in letzter Zeit zu politisch und hasserfüllt gewesen“ seien oder das Gedicht die private Meinung von S … sei, reicht insoweit nicht aus, glaubhaft ein anderes „Ülkücü-Verständnis“ darzustellen.
ff) Ebensowenig überzeugend distanzierte sich der Vorstandsvorsitzende des Klägers von D … K …
Die informatorische Befragung des Vorstandsvorsitzenden des Klägers hat ergeben, dass dieser dem Vorstandsvorsitzenden bekannt ist, ihm sogar in technischen Dingen bei seinem Facebook-Auftritt hilft und im Ortsverband Dortmund für Jugendarbeit zuständig gewesen ist. Er wurde in der mündlichen Verhandlung als „impulsiv, aufbrausend, leicht beeinflussbar“ beschrieben, der damals den Kläger „nicht richtig verstanden“ habe, sei jetzt aber „etwas reifer“. Das Vorstandsmitglied des Klägers C … bezeichnete die Verwendung des Wolf-Symbols des Klägers und der Runenschrift als „romantische Ausprägung eines geschichtsbewussten Menschen, die zwar nicht dem wesentlichen Verständnis von Ülkücü entspreche, aber jedenfalls für einen kulturell interessierten Menschen seine Berechtigung habe“ (S. 6 der Sitzungsniederschrift). Erst auf Vorhalt der Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 15. April 2019 bezüglich eines Videos mit dem Titel „ÜLKÜCÜ REIS A …“ (übersetzt: A …: Oberhaupt der „Ülkücü-Bewegung“), das K … bei youtube eingestellt habe und in dem dieser den „Ülkücü-Schwur“ laut vortrage, vereinzelt Waffen gezeigt würden und zum Ende ein älteres Foto zu sehen sei, auf dem er mit Musa Serdar Celebi und dessen Sohn M … A … C … abgebildet sei (Seite 25 des Schriftsatzes vom 15. April 2019), fand das Vorstandsmitglied C … im Ansatz deutlichere Worte. Dies sei nicht tolerabel und mit einer Jugendarbeit nicht zu vereinbaren; er habe sich schon öfters über ihn beschwert und dafür gesorgt, dass er keine Jugendarbeit mehr mache. Den Rückschluss auf die „Grauen Wölfe“ durch ein solches Video sieht er dennoch nicht als zwingend. Die Verknüpfung des Klägers und seines Gründers sowie dessen Sohnes mit den Worten „Oberhaupt der Ülkücü-Bewegung“ mit dem „Ülkücü-Eid“ unter Darstellung von Waffen und die Verwendung des Wolfssymbols lassen jedoch keine andere Interpretation als das Verständnis der „Ülkücü-Bewegung“ der „Grauen Wölfe“ i.S.d. Darstellung des Beklagten zu.
gg) Auf die vom Beklagten darüber hinaus angeführten Aspekte der Verbreitung des Turan-Gedankens, Veröffentlichungen mit israelfeindlichen Inhalten o.ä. bzw. Nähe zu oder Verflechtungen mit der A , MHP oder BBP kommt es somit nicht mehr an. Ebenso bedarf es keiner näheren Auseinandersetzung mit den vorgelegten Erkenntnismitteln bezüglich des Gründers des Klägers C … und seinen Auftritten, beispielsweise bei „T … O …“ (S. 21 im Schriftsatz vom 15.4.).
Die vom Beklagten erfolgte Zuordnung des Klägers zur „Ülkücü-Bewegung“ zum Zeitpunkt der Beantwortung der Schriftlichen Anfragen erfolgte auf der Grundlage einer tatsachengestützten und sachlich bewerteten Einschätzung und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland insoweit im Jahre 2017 in der Beantwortung einer Anfrage zurückhaltendere Worte fand (Bundestags-Drs. 18/13658 v. 29.9.2017), steht der Einschätzung und Wertung durch den Beklagten nicht entgegen. Vielmehr wird auf das vorgelegte „Behördenzeugnis“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 15. Februar 2019 verwiesen, wonach der Kläger dem Beobachtungsobjekt „Ülkücü-Bewegung“ zuzuordnen sei und ihm Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung nachzuweisen seien.
3. Die streitgegenständlichen Aussagen des Beklagten erfolgten im Übrigen mit konkretem Bezug zur Aufgabenerfüllung des Beklagten. Die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage als nicht-eigenintiative Äußerung fand und findet in Art. 26 BayVSG i.V.m. Art. 3 BayVSG, § 3 BVerfSchG ihre Rechtgrundlage.
Nachdem der Kläger jedenfalls einen Ortsverband im Zuständigkeitsbereich des Beklagten unterhält, die Anfrage sich aber ausdrücklich nicht nur auf die bayerischen Ortsverbände bezog, sondern allgemein formuliert war, war es dem Beklagten nicht genommen, sondern geboten sich zur Zuordnung des Klägers als bundesweiten Dachverband zur „Ülkücü-Bewegung“ im Verständnis des Beklagten und Verfassungsschutzverbundes zu äußern.
Vor dem Hintergrund sind die Aussagen des Beklagten über den Kläger auch als erforderlich, geeignet und angemessen, somit verhältnismäßig einzustufen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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