IT- und Medienrecht

Unwirksamkeit von Bedingungen einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung – Vitality Status

Aktenzeichen  12 O 8721/20

Datum:
28.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1391
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UKlaG § 1, § 3 Abs. 1
BGB § 307 Abs. 1 S. 2
VVG § 172

 

Leitsatz

1. Die Klausel einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung, nach der eine fehlende Übermittlung von Daten über gesundheitsbewusstes Verhalten Einfluss auf die Verrechnung von Überschussanteilen hat, ist unwirksam. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klausel , nach der ohne Angabe weiterer Kriterien – der vitality status – das gesundheitsbewusste Verhalten – des Versicherungsnehmers beitragsrelevant ist, ist intransparent. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Der Beklagten wird untersagt, gegenüber Verbrauchern gemäß § 13 BGB die nachfolgenden oder inhaltsgleiche Klauseln im Zusammenhang mit Verträgen über selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen mit der Tarifbezeichnung SBU-professional Vitality und dem Bedingungswerk zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen:
1. Sofern wir keine termingerechte Information über das sonstige gesundheitsbewusste Verhalten erhalten, weil z.B. das Vitality Programm gekündigt wurde oder der Übermittlung des Vitality Status widersprochen wurde, wird Ihr Vertrag hin sichtlich dieser Überschüsse so behandelt, als hätte die versicherte Person sich nicht sonstig gesundheitsbewusst verhalten.
2. Die Überschussanteile Ihrer Versicherung können steigen, wenn die versicherte Person durch sonstiges gesundheitsbewusstes Verhalten einen entsprechenden Generali Vitality Status erreicht, wodurch der Nettobeitrag sinken kann. Umgekehrt können die Überschussanteile Ihrer Versicherung aber auch sinken, wenn die versicherte Person sich weniger sonstig gesundheitsbewusst verhält und einen diesem Verhalten entsprechenden Vitality Status erhält, wodurch der Nettobeitrag steigen kann. Der Nettobeitrag ergibt sich aus dem um die Überschussanteile reduzierten Beitrag. Einzelheiten hierzu, insbesondere zu den von dem Vitality Status abhängigen jährlichen Zu- oder Abnahmen Ihres Nettobeitrages, sowie zu den in jedem Versicherungsjahr geltenden Grenzwerten und Bezugsgrößen finden Sie in unserem jährlichen Geschäftsbericht; diese Werte werden jährlich im Rahmen der Überschussdeklaration neu festgesetzt.“
II. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 € (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.08.2018 zu bezahlen.
IV. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtungen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € vorläufig vollstreckbar. Im Übrigen ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
VI. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist der Kläger gemäß §§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 UKlaG klagebefugt. Das Landgericht München I ist gemäß §§ 1, 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 UKlaG i.V.m. § 6 Nr. 1 GZVJu sachlich und örtlich ausschließlich zuständig.
II.
Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 1 UKlaG verlangen, dass diese es unterlässt, die gegenständlichen Klauseln ihres Bedingungswerks gegenüber Verbrauchern zu verwenden und sich darauf zu berufen.
1. Bei den angegriffenen Klauseln handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass die genannten Klauseln auch von der Beklagten gegenüber Verbrauchern verwendet werden.
2. Die vom Kläger angegriffenen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten halten einer Inhaltskontrolle insgesamt nicht stand und sind daher gemäß § 307 ff. BGB unwirksam.
a) Die beanstandete Klausel hinsichtlich der nicht termingerechten Übermittlung (§ 20 Abs. 4 UAbs. 6 der Allgemeinen Bedingungen für die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung) benachteiligt die Vertragspartner der Beklagten unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
aa) Gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2009, Az.: III ZR 207/08, Rn. 18 m.w.N. – zitiert nach juris).
Im Verfahren nach § 1 UKlaG ist dabei von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen. Dabei ist jedoch nicht jede für den Kunden ungünstige Verständnismöglichkeit zu berücksichtigen. Vielmehr hat sich die Auslegung an den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden zu orientieren, wobei der Wortlaut der Klausel unter Berücksichtigung des Verständnisses von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise an Geschäften der betroffenen Art beteiligten Kreise zu interpretieren ist. Auszuscheiden haben daher Auslegungsmöglichkeiten, die allenfalls theoretisch denkbar sind, praktisch aber fern liegen und nicht ernstlich in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 03.05.2011 -XI ZR 373/08 -NJW-RR 2011, 1350, juris Tz. 23; BGH, Urteil vom 08.02.2011 -XI ZR 168/08 -NJW-RR 2011, 1188, juris Tz. 22). Kommen nach diesen Grundsätzen mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht, ist im Verfahren nach § 1 UKlaG auf die dem Kunden nachteiligste abzustellen.
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Klausel als unangemessen benachteiligend anzusehen. Erhält die Beklagte keine termingerechte Information über das sonstige gesundheitsbewusste Verhalten des Versicherungsnehmers wird dieser behandelt, als hätte er sich nicht gesundheitsbewusst verhalten. Bei kundenfeindlichster Auslegung der Klausel trägt der Versicherungsnehmer damit generell das Übermittlungsrisiko, auch dann, wenn die Beklagte eine Nichtübermittlung selbst zu vertreten hat. Das Risiko der Nichtinformation kann der Versicherer nicht einseitig auf den Kunden abwälzen. Ein solches Auslegungsergebnis kommt vorliegend ernsthaft in Betracht und stellt sich auch nicht als fernliegend dar. Daran ändert auch der eingeschobene Nebensatz nichts. Aufgrund der beispielhaften Formulierung ist weder ersichtlich, dass es sich hierbei um die Hauptanwendungsfälle handeln soll noch lässt sich damit erkennen, dass grundsätzlich nur Risiken aus der Sphäre des Versicherungsnehmers erfasst sein sollen. Etwaige Motivationen der Beklagten bei Formulierung der Klausel spielen nach obigen Grundsätzen im Rahmen der Auslegung keine Rolle.
b) Die weiterhin beanstandete Klausel hinsichtlich der Berücksichtigung „sonstigen gesundheitsbewussten Verhaltens“ im Rahmen der Überschussbeteiligung (§ 20 Abs. 4 UAbs. 7 der Allgemeinen Bedingungen für die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung) verstößt gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot.
aa) Das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, dass die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt sind und die Klauseln darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann, wobei es auf die Verständnis- und Erkenntnismöglichkeiten eines typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden ankommt (vgl. BGH Urteil vom 05.10.2017, Az.: III ZR 56/17, Rn. 27 m.w.N.; BGH, Urteil vom 13.1.2016, Az.: IV ZR 38/14, Rn. 24 m.w.N. – jew. zitiert nach juris).
bb) Daran gemessen ist die Klausel intransparent. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, nach denen er ansatzweise nachvollziehen kann, wie sich sein sonstiges gesundheitsbewusstes Verhaltens bei Programmteilnahme auswirkt und wie dieses auf einer „zweiten Stufe“ (vgl. § 20 Abs. 1 UAbs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung) die Überschussanteile weiter modifiziert.
Im Kern geht es nicht darum, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht erkennen könnte, welches Verhalten ihm welche Punkte und damit welchen Status im Rahmen des Vitality-Programms der GmbH brächte. Auch mag es noch ersichtlich sein, dass der jeweils erreichte Status für die Bewertung des sonstigen gesundheitsbewussten Verhaltens des Versicherungsnehmers im Rahmen der Überschussbeteiligung grundsätzlich maßgeblich ist.
Indes kann sich die Beklagte auf Basis ihres Tarifdesigns vorliegend nicht gänzlich auf die Komplexität der Überschussbeteiligung zurückziehen und damit dem Versicherungsnehmer jegliche Anhaltspunkte und Kriterien zur Auswirkung seines gesundheitsbewussten Verhaltens vorenthalten.
Im Hinblick auf die weitere Modifikation der Überschussanteile im Tarif „SBUprofessional Vitality“ sind einerseits zumindest abstrakte quantitative Differenzierungskriterien anzugeben, um dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer hinreichend klar und verständlich zu machen, welchen Anteil das „gesundheitsbewusste Verhalten“ für die Modifikation der Überschussanteile ausmacht. Nur so können Versicherungsnehmer abschätzen, ob es sich bezüglich der Überschussbeteiligung lohnen kann, an dem Vita lity Programm teilzunehmen. Auch können Versicherungsnehmer, die bereits in dem Tarif „SBUprofessional Vitality“ versichert sind, welche jedoch beispielsweise der Übermittlung des Status widersprochen haben (vgl. § 20 Abs. 4 UAbs. 6 der Allgemeinen Bedingungen für die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung) und somit auf der „ersten Stufe“ stehen bleiben, so erkennen, welche Nachteile sich für sie ergeben. Dabei geht es nicht um die Deklaration des Überschusses als solche oder eine diesbezügliche abstrakte Erläuterung derselben, sondern um eine verständliche Darlegung des wirtschaftlichen Gehalts der Klausel für die Versicherungsnehmer. Auch führt diese nicht dazu, dass die Beklagte ihre gesamten internen Kalkulationsgrundlagen offenbaren müsste, zumal – selbst wenn man davon ausginge – nur anhand einer solchen Information die Bewertung der angebotenen Leistung der Beklagten und der insoweit selbst zu erbringenden Leistung der Versicherungsnehmer im Rahmen des Vitality Programms ansatzwei se möglich ist, mithin ein berechtigtes Offenbarungsinteresse für Versicherungsnehmer bestünde (vgl. OLG Stuttgart, VersR 2012, 606, 607).
Andererseits ist innerhalb der Teilnehmer des Programms anhand nachvollziehbarer Kriterien anzugeben, welche Anteile grundsätzlich auf die einzelnen Statusstufen entfallen können und welche Abgrenzungen vorgenommen werden. Auch insoweit müssen die Versicherungsnehmer in die Lage versetzt werden, grundlegend bemessen zu können, wie sich ein Wechsel einer Statusstufe, zum Beispiel von Gold nach Platin, auf die Überschussbeteiligung auswirkt und wie die Beklagte hinsichtlich der einzelnen Statusstufen als maßgebliche Bezugsgröße im Hinblick auf die Überschussbeteiligung differenziert. Auch wenn der Beklagten keine exakten individuellen Angaben zu Vertragsbeginn abverlangt werden können, bedarf es jedoch nachvollziehbarer, gewichteter Kriterien.
3. Es besteht vorliegend eine Wiederholungsgefahr. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich die erkennende Kammer anschließt, sind an die Beseitigung der Wiederholungsgefahr strenge Anforderungen zu stellen. Regelmäßig reichen weder die Änderung der beanstandeten Klausel noch die bloße Absichtserklärung des Verwenders, sie nicht weiter zu verwenden, aus, um eine Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Für deren Fortbestehen spricht demgegenüber – wie vorliegend – insbesondere, wenn der Verwender noch im Rechtsstreit die Zulässigkeit der von ihm benutzten Allgemeinen Geschäftsbedingungen verteidigt und nicht bereit ist, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2012, Az.: III ZR 173/12 m.w.N.).
4. Die Entscheidung über die Anordnung des Ordnungsgeldes und der Ordnungshaft beruht auf § 890 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.
III.
Der Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Abmahnkosten folgt aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG a.F.
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit liegt § 709 Satz 1 bzw. Satz 2 ZPO zugrunde. Hinsichtlich der Sicherheitsleistung hält das Gericht für die Unterlassensverpflichtung eine Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € für angemessen.
V.
Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO auf € 2.500,00 pro angegriffener Klausel festzusetzen, insgesamt damit auf € 5.000,00. Der Streitwert im Verfahren nach dem UKlaG ist allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der gesetzwidrigen Bestimmung, nicht hingegen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.07.2015, Az.: IV ZR 45/15).


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