IT- und Medienrecht

Unzulässige Werbung für Haarwuchsmittel

Aktenzeichen  1 HK O 14730/19

Datum:
30.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2020, 1102
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HWG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 3, § 11 Abs. 1 Nr. 5
VO (EG) Nr. 1223/2009 Art. 20 Abs. 1

 

Leitsatz

Werbeaussagen über ein Haarwuchsmittel, das äußerlich angebracht werden, nach den beanstandeten Werbeaussagen jedoch auch unmittelbar auf die Produktion der Haare und auch die Dicke der Haare einwirken soll, sind, soweit sie lediglich die Pflege und Optik bewerben, an den Vorschriften der VO (EG) Nr. 1223/2009 zu messen. Soweit sie aber eine Einwirkung auf den Körper und das Haarwachstum beschreiben, unterliegen sie den Vorschriften des HWG. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für das Haarwuchsmittel „Laduti“ zu werben:
1. „Das Procapil in dem Haarwuchsmittel hilft dabei, das Haar dicker zu machen und den Haarwuchs anzuregen, auch der Haarausfall wird dadurch radikal reduziert“,
2. „Vitamine B1, B2, B3, B5, B12 Vitamin D, Vitamin E: Hilft dem Haar zu wachsen und zu stärken“,
3. „Vitamin B6; Es ist notwendig für gesundes Haar und Kopfhaut. Es hilft bei der Aufnahme von Mineralien und Zink für eine gesunde Kopfhaut“,
4. Jede Menge Mineralien im Haarwuchsmittel (Kupfer, Zink, Folsäure, Mangan, Chrom); Hilft Haarfollikeln, indem sie Haarfollikel füttert“,
5. „Biotin, Propolis, Ingwer, Keratin. Es ist wirksam gegen Haarausfall“,
6. „Extrakte aus Menthol, Lionpech, Sawpalmetto, Guarana und Rosskastanien fördern … die Blutzirkulation und das Haarwachstum, indem sie die Kapillaren vergrößern“,
7. „Mit Teeöl und Propolis werden Schuppen, Pilze und Haarausfall vorgebeugt“,
8. „Biotin hilft dem Haar, sich gesund zu entwickeln“,
9. „Schwarzer Knoblauch, Rosmarinöl, Lavendelöl, Zedernöl, Oreganoöl, Kiefernöl, Wacholderöl, Ingweröl, Schwarzes Öl in Schwarzkümmelöl helfen Ihnen dabei, gesünderes Haar zu erhalten“,
10. mit Vorher-Nachher-Abbildungen wie folgt zu werben:
jeweils wenn dies geschieht, wie aus Anlage K 1 ersichtlich.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 € hinsichtlich Ziffer I, im übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags.

Gründe

Die Klage war in vollem Umfang begründet. Der Kläger hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 3, § 11 Abs. 1 Nr. 5 HWG bzw. Artikel 20 Abs. 1 der Kosmetik-VO (VO EG Nr. 1223/2009).
I. Aktivlegitimation
Der Kläger ist aktivlegitimiert gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, da ihm als rechtsfähigen Verein eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Zum sachlich relevanten Markt gehören nicht nur die Unternehmen, die selbst nur Haarwuchsmittel vertreiben. Der Begriff „gleicher oder verwandter Art“ ist weit auszulegen. Die angebotenen Waren der Mitgliedsunternehmen des Klägers einerseits und des Beklagten andererseits müssen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmens durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen Unternehmens beeinträchtigt werden kann (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Auflage, § 8 Rdnr. 3.38). Damit gehören zur selben oder verwandten Branche nicht nur Unternehmen, die Haarwuchsmittel anbieten, sondern alle Unternehmen, die sich mit Haarpflege und dünner werdenden Haaren beschäftigen. Damit gehören auch Apotheken, Ärzte, die Hersteller von Haarkosmetik zu den relevanten Mitgliedsunternehmen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, da alle diese genannten Unternehmen bzw. Unternehmer im weiteren Sinn entweder Haarpflegemittel zur optischen Verbesserung der Haardichte oder aber Anwendungen und Verfahren anbieten, die möglicherweise Haarausfall medizinisch entgegenwirken können.
II. Keine ausreichende Unterlassungserklärung
Die Unterlassungserklärung des Beklagten vom 11.10.2019 (K 3) ist nicht ausreichend, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Die Unterlassungserklärung steht unter einem für den Kläger nicht kalkulierbaren Vorbehalt und ist damit nicht geeignet, Rechtsklarheit zu schaffen. Denn der Vorbehalt „solange keine nachweisbaren Studien oder kein sonstiger objektiv geeigneter Nachweis vorgelegt werden kann oder entweder gesetzlich oder gerichtlicherseits die Richtigkeit und damit Rechtmäßigkeit einer solchen Aussage bestätigt wurde“ lässt völlig offen, wann ein solcher objektiver Nachweis vorliegt bzw. welche Art gerichtlicher Entscheidung ergehen müsste. Was ein solcher „objektiv geeigneter Nachweis“ sein könnte, wird in das Belieben des Schuldners gestellt und müsste daher nicht den gesetzlichen Vorgaben einer Wirksamkeitsbehauptung im Sinne des HWG bzw. der Kosmetikverordnung entsprechen. Auch würde eine „gerichtliche“ Bestätigung bereits dann vorliegen, wenn irgendein erstinstanzliches Gericht hierzu eine Entscheidung gefällt hätte, ohne dass diese obergerichtlich überprüft worden wäre. Gerade solche unklaren Grenzen sind für den Kläger als Gläubiger unzumutbar und erschweren ihm die Verfolgung seines Anspruchs. Von der Rechtsprechung ist eine Einschränkung einer Unterlassungserklärung nur insoweit für unschädlich angesehen worden, als sie von der endgültigen Klärung der Rechtslage oder einer Änderung der Rechtslage abhängig gemacht worden wäre (Köhler a.a.O., § 12 Rdnr. 1.190). Auch lässt die Einschränkung, dass bereits irgendein objektiver Nachweis ausreichen sollte, um die Wirkungen der Unterlassungserklärung zu beseitigen, Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Unterlassungsversprechens erkennen. Insgesamt ist daher die Unterlassungserklärung des Beklagten nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen.
III. Unterlassungsansprüche
Die Werbeaussagen auf der Webseite des Beklagten www.laduti.com unter der Überschrift „Was bewirken die Inhaltsstoffe?“ sind, soweit sie lediglich die Pflege und Optik bewerben, an den Vorschriften der Kosmetik-VO zu messen. Soweit sie aber eine Einwirkung auf den Körper und das Haarwachstum beschreiben, unterliegen sie den Vorschriften des HWG.
Auch wenn das Haarwuchsmittel zunächst als Kosmetikum in den Verkehr gebracht wird, finden die Vorschriften des HWG gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 2, Abs. 2 HWG auch auf kosmetische Mittel, die unter die Definition des Art. 2 Abs. 1 a der Kosmetikverordnung fallen, Anwendung, „soweit sich die Werbeaussage auf die „Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden … bezieht“. Nach der Definition in Artikel 2 Abs. 1 a Kosmetik-VO sind kosmetische Mittel „Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit Teilen des menschlichen Körpers in Berührung zu kommen und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen“.
Das Haarwuchsmittel Ladutil wird zwar äußerlich angebracht, indem es in Tropfenform in die Kopfhaut einmassiert werden soll. Nach den beanstandeten Werbeaussagen soll es jedoch nicht nur äußerlich durch die Verleihung von Glanz auf ein gesundes Haarwachstum hinweisen oder durch ein Aufbauschen der vorhandenen Haare dem Haar eine gewisse Fülligkeit verleihen, sondern unmittelbar auf die Produktion der Haare und auch die Dicke der Haare einwirken. Gleichzeitig soll es auch für gesundes Haar- und Kopfhaut wirken und vor allem vorbeugend gegen „Schuppen, Pilze und Haarausfall“. Da Haarausfall nicht nur genetisch bedingt bei Männern vorkommt (sogenannter androgener Haarausfall), sondern auch durch Krankheiten oder Medikamente oder bei hormonellen Problemen entstehen kann, und zwar bei Männern und Frauen, wird mit der streitgegenständlichen Werbung nicht nur die äußerliche „Aufhübschung“ von Haaren beworben, sondern eben auch eine Wirkung bei krankhaftem Haarausfall bzw. behandlungsbedürftigem Haarausfall. Die Bewerbung, dass bestimmte Inhaltsstoffe die Bildung von neuen Haarfollikeln unterstützen und auch den Haarwuchs anzuregen vermögen, beschreibt nicht nur eine äußerliche Wirkung eines Kosmetikums, sondern eine Beeinflussung des Stoffwechsels des menschlichen Körpers.
Die gerügten Werbeaussagen zu 1, 2, 4, 5, 6, 7 fallen unter die Vorschriften des HWG.
Die Werbeaussagen zu 3, 8 und 9 beschreiben nur die äußere Anwendung und unterliegen daher den Vorschriften der Kosmetik-VO.
Die Vorher-/Nachher Abbildungen gemäß Ziffer 10 des Tenors werden in Zusammenhang mit der allgemeinen Wirksamkeitsaussage gegen Haarausfall ohne Unterscheidung zwischen androgenem und krankhaftem Haarausfall gemacht und fallen daher unter das Verbot des HWG gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 2, § 11 Abs. 1 Ziffer 5 HWG.
Gemäß § 3 HWG sind irreführende Werbeaussagen unzulässig. Eine Irreführung liegt gemäß § 3 Ziffer 1 HWG dann vor, wenn „anderen Mitteln“ (im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziffer 2 Abs. 2 HWG auch kosmetische Mittel) eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Maßstab für die Richtigkeit einer Werbebehauptung ist der Stand gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Darlegungs- und Beweislast trifft den, der solche Wirkungsaussagen gemacht hat, hier den Beklagten als Anbieter des Mittels. Hierzu hat der Beklagte nichts vorgetragen, sondern lediglich die Ansicht geäußert, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen einer Wirksamkeit treffe.
Soweit nur die KosmetikVO als Maßstab anwendbar wäre, würde zwar nach Art. 20 Abs. 1 KosmetikVO grundsätzlich derjenige die Darlegungs- und Beweislast tragen, der das Fehlen von bestimmten Merkmalen oder Funktionen behauptet, hier der Kläger. Etwas Abweichendes gilt aber dann, wenn der mit der Werbung angesprochene Durchschnittsverbraucher die Werbung dahingehend versteht, dass die Wirksamkeit des Mittels wissenschaftlich abgesichert sei (BGH, Urteil vom 28.01.2016 – I ZR 36/14, feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir). In den streitgegenständlichen Werbeaussagen werden ganz gezielt einzelne Bestandteile genannt, die bestimmte Auswirkungen auf den Körper haben. Gleichzeitig wird das auch als „streng patentiert“ beworben. Damit wird ein gewisser wissenschaftlicher Anschein gegenüber dem Durchschnittsverbraucher erweckt.
Nach Artikel 1 der VO (EU) Nr. 655/2013 und dem Anhang, dort Ziffer 3.1 müssen „Werbeaussagen über kosmetische Mittel – ob explizit oder implizit – durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden, unabhängig von der Art der für die Bestätigung der Aussagen herangezogenen Nachweise“. Der Beklagte trägt damit die Darlegungs- und Beweislast für die Belegbarkeit der von dem Kläger beanstandeten Werbeaussage (BGH, a.a.O., Rdnr. 17).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte für die behaupteten Werbeaussagen, soweit sie nur dem Maßstab des Art. 20 der KosmetikVO in Verbindung mit der VO 655/2013 unterliegen, keine solchen Belege dargelegt. Der Beklagte legt hier lediglich 9 Erfahrungsberichte mit vorgegebenen Fragen und der Möglichkeit der Antwort mit „ja“ oder „nein“ vor. Diese einzelnen Erfahrungsberichte von Männern und Frauen unterschiedlichen Alters sind keine „hinreichenden“ Nachweise im Sinne des Anhangs Ziffer 3.1 zur VO Nr. 655/2013, da es sich nur um Einzelfälle handelt und keinerlei Ausführungen dazu vorliegen, warum diese Personen möglicherweise unter Haarausfall gelitten haben, ob z.B. andere Ursachen als anlagebedingter Haarausfall vorgelegen hätte. Auch ist bei einigen Vorher-/Nachher Bildern dieser Erfahrungsberichte schwer nachvollziehbar, warum diese Person glaubt, dass sich ihr Haarausfall verbessert hätte oder gestoppt worden wäre. Da weder die Anzahl dieser Erfahrungsberichte ausreicht noch die subjektiv vorgetragenen Aussagen dieser Kunden ein „radikales Reduzieren“ des Haarausfalls oder sogar verbessertes „Haarwachstum“ belegen, geschweige denn die Einwirkung bestimmter Inhaltsstoffe auf die Kopfhaut oder die Haarfollikel oder als Wirkung gegen Schuppen und Pilze, sind sie keine geeigneten Belege, für die der Beklagte darlegungsverpflichtet gewesen wäre.
IV. Kosten: § 91 ZPO
V. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 1 und 2 ZPO


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