IT- und Medienrecht

Verfassungsschutzrelevanter Geschichtsrevisionismus

Aktenzeichen  M 30 K 19.5902

Datum:
17.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36397
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVSG Art. 3,Art. 4 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1, Abs.2, Art. 26 Abs. 1
BVerfSchG  § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c
BGB § 1004
GG Art. 5 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Dem Beklagten wird untersagt, den Kläger als rechtsextremistische Organisation in seinen Verfassungsschutzberichten aufzuführen.
II. Der Beklagte hat die Kosten zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch, welcher in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wurzelt und allgemein anerkannt ist, zu. Der Beklagte war daher zu verurteilen, den Kläger auf der Grundlage der zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnisse über den Kläger nicht mehr als rechtsextremistische Organisation in seinen Verfassungsschutzberichten aufzuführen.
Die Nennung und Darstellung des Klägers im Verfassungsschutzbericht 2019 greift in das Grundrecht der Meinungs-, Wissenschafts- und Vereinigungsfreiheit ein. Es besteht auch die Gefahr alsbaldiger, weiterer nicht zu duldender Störungen durch die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts 2019.
Die Geltendmachung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs setzt voraus, dass ein rechtwidriger (schlicht-)hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen droht. Die Grundrechte schützen den Grundrechtsträger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, sodass er, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweils Grundrecht Unterlassung verlangen kann (BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris, Rn. 13).
Der Kläger ist vorliegend als Verein, der sich zeitgeschichtlicher Forschung und einem Bildungsauftrag gewidmet hat, in seiner grundgesetzlich geschützten Rechtsposition aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie in der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG betroffen. Ebenso ist er betroffen in seiner Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 GG, da die Einstufung als „rechtsextremistisch“ zur Folge hat, dass ihm seitens der Stadt I. keine Räumlichkeiten für die Durchführung von Tagungen mehr zur Verfügung gestellt werden, seine Hausbank das Girokonto gekündigt hat und ihm die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Auf diese Weise wird ihm die Durchführung des Vereinszwecks erschwert bzw. gehindert. Als juristische Person kann er sich gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie auf die Vereinigungsfreiheit berufen. Diese Grundrechte gehören nicht zu denjenigen Grundrechten, die ihrem Wesen nach nur natürlichen Personen zustehen können.
Die Berichterstattung über den Kläger stellt sich auch als rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff dar. Der Schutz der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit von inhaltsbezogenen Einwirkungen sowie der Vereinigungsfreiheit betrifft nicht allein Eingriffe im traditionellen Sinn, sondern kann auch bei mittelbaren Einwirkungen ausgelöst werden, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen (BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris, Rn. 52). Das ist vorliegend der Fall.
Der Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Zeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Er zielt auf die Abwehr besonderer Gefahren ab und stammt von einer dauerhaft spezialisierten und mit besonderen Befugnissen arbeitenden Stelle. Insofern geht eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht über die bloße Teilnahme staatlicher Funktionsträger an der öffentlichen Meinungsbildung hinaus (BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13/07 – juris, Rn. 15). Die Ausführungen im Verfassungsschutzbericht haben den Charakter einer Warnung vor dem Kläger und durch von ihm herausgegebenen Publikationen. Der Kläger wird durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zwar nicht daran gehindert, seine Vereinstätigkeit und seinen Internetauftritt weiter zu betreiben. Seine Wirkungsmöglichkeiten werden jedoch durch den Verfassungsschutzbericht nachteilig beeinflusst, insbesondere wurde dem Kläger die Gemeinnützigkeit aberkannt. Diese Beeinträchtigungen sind in ihren Wirkungen einem Eingriff vergleichbar.
Voraussetzung für die Begründetheit einer Klage, mit der ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, ist weiter, dass eine künftige Beeinträchtigung des in Frage stehenden Rechts droht. Dies erfordert eine auf Tatsachen gestützte, objektive ernsthafte Gefahr alsbaldiger weiterer, nicht zu duldender Störungen. Eine solche Wiederholungsgefahr ist hier gegeben, da nach dem Beginn der Beobachtung im Jahr 2019 der Kläger mittlerweile im Verfassungsschutzbericht 2019 erwähnt wird und derzeit nichts darauf hindeutet, dass eine Erwähnung des Klägers in künftigen Verfassungsschutzberichten seitens des Beklagten nicht mehr für erforderlich angesehen wird. Hinsichtlich der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts 2019 kommt es nicht mehr auf eine Wiederholungsgefahr an, weil hier der Eingriff bereits erfolgt ist. Auch ist der Verfassungsschutzbericht 2019 weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich. Dass der Bericht mittlerweile hinsichtlich des Klägers in der elektronischen Fassung geschwärzt worden ist, ist unbeachtlich, da diese Schwärzung erst im Nachgang der Entscheidungen des Gerichts vom 17. Juli 2020 (M 30 K 19.5902 und M 30 E 19.5904) erfolgte und damit nach der letzten mündlichen Verhandlung und Niederlegung des Urteils.
Entgegen der Auffassung des Beklagten liegen allerdings keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen des Klägers nach Art. 3 BayVSG vor, mit der Folge, dass eine Berichterstattung über den Kläger nicht zulässig ist.
Gemäß Art. 26 Abs. 1 und 2 BayVSG unterrichten das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration und das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 BayVSG. Diese Berichtspflicht bezieht sich u.a. (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG) auf Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.
Der Begriff „Bestrebungen“ selbst ist dabei im BayVSG nicht definiert. Wegen Art. 4 Abs. 1 BayVSG ist auf die Legaldefinition in § 4 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG zurückzugreifen. Danach sind darunter politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG) zu verstehen. Bestrebungen in diesem Sinne erfordern damit ein aktives, jedoch nicht notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen. Diese Aktivitäten bzw. Handlungen müssen auch eine gewisse Zielstrebigkeit aufweisen, also auf die Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet sein. Schließlich müssen die betreffenden Bestrebungen politisch bestimmt und damit objektiv geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkungen zu entfalten. Erfasst sind damit (nur) Verhaltensweisen, die über rein politische Meinungen hinausgehen und auf die Durchsetzung eines solchen Ziels gerichtet sind. Die bloße Kritik an Verfassungswerten ist nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen, wohl aber darüberhinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung (BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 70). Die Aktivitäten müssen auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein (BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 59 f.).
Verfassungsschutzrelevante Bestrebungen gehen somit über bloße politische Meinungen hinaus. Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ist ebenso erlaubt wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörden insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpfen, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Kritik an einem Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung muss danach nur als bloße Kritik unberücksichtigt bleiben, nicht jedoch, wenn sie verbunden ist mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten. Weiteres qualifizierendes Merkmal der Bestrebung ist das Hinzutreten finalen Handelns (Agitation, vorbereitende Handlungen, Gewalttaten). Bestrebungen gehen über politische Meinungen hinaus, da allein die Gesinnung des politisch Andersdenken den Verfassungsschutz nicht zu interessieren hat. Dabei reicht die Durchsetzung eines politisch begrenzten Ziels aus. Neben der Durchsetzung des politischen Hauptziels müssen die Aktivitäten auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen – ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die bloße Inkaufnahme einer entsprechenden Gefährdung ist nicht ausreichend. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgüterbeeinträchtigung hinarbeiten; es muss ihnen darauf ankommen, diesen Erfolg herbeizuführen. Demgegenüber reicht die bloße Übereinstimmung oder Sympathie jemandes mit Zielen und Maßnahmen einer verfassungsfeindlichen Organisation nicht aus (Droske, Handbuch des Verfassungsschutzrechts 2007, S. 167 ff.).
Nach diesen Maßgaben ist davon auszugehen, dass trotz der beklagtenseits zutreffenden Einschätzung von verfassungsschutzrechtlich relevantem Geschichtsrevisionismus im Bereich des Rechtsextremismus einerseits und In-Erscheinung-Treten des Klägers in diesem Bereich andererseits dennoch bezüglich des Klägers keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Bestrebungen im Sinne von Art. 3 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG verfolgt, die eine Berichterstattung als rechtmäßig erscheinen lassen würden.
In der Gesamtschau steht zwar zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im verfassungsschutzrelevanten Bereich des Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus undifferenziert… und vielmehr bewusst in Erscheinung getreten ist. Funktionsträger des Klägers traten bei von den Verfassungsschutzbehörden beobachteten Organisationen ((Aktivitas der) Burschenschaft D., Gesellschaft … … …, G. e.V.) auf. Sie trugen dadurch zur Vernetzung in diesem Phänomenbereich bei und wert…eten deren Aktivitäten augenscheinlich auf. Der Kläger ließ – unkommentiert… – Redner wie Dr. K., welcher bereits in der Vergangenheit bei einem Ortsverein der NPD aufgetreten ist, und Dr. B. zu Wort kommen und veröffentlichte ihre – zumindest tendenziös verfassungsschutzrechtlich relevanten geschichtsrevisionistischen – Reden wiederum unkommentiert auf seiner Internetplattform. Zutreffend hat der Beklagte in den zitierten Reden Elemente wie das Relativieren der deutschen Kriegsschuld und „Herunterspielen“ des Holocaust herausgestellt. Dies führt in der Gesamtschau dazu, dass die Einschätzung des Beklagten und dessen Einordnung des Klägers in den Bereich verfassungsschutzrelevanten Geschichtsrevisionismus nicht per se zu beanstanden ist. Dass der Kläger diese Kontakte mittlerweile selbst als problematisch ansieht, hat er erst durch Distanzierungen in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht.
Dennoch liegen nicht ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne von Art. 3 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG verfolgt, um über den Kläger im Verfassungsschutzbericht zu berichten
Dies gilt zunächst in Bezug auf die Teilnahme des Ersten Vorsitzenden G. F. bei einer Veranstaltung der M. Burschenschaft D. im Mai 2013 sowie des Zweiten Vorsitzenden K. Hammel, ebenfalls bei der D. im Februar 2014 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Herrschaftsfreier Dialog“. Die Aktivitas der Burschenschaft D. – welche dem von den Verfassungsschutzbehörden dem rechtsextremistischem Spektrum zugeordnet wird – ist regelmäßig Gegenstand der Berichterstattung des Beklagten in seinen Verfassungsschutzberichten. An dieser Stelle kann jedoch offenbleiben, ob diese Berichterstattung rechtlich von den Regelungen im BayVSG getragen wird, denn jedenfalls sind in der Teilnahme an einer Veranstaltung der Altherrenschaft mit den Inhalten „G. F. – Ein deutsches Journalistenleben“ sowie „Kriegsgeschichte und Desinformation“ noch keine ziel- und zweckgerichteten Aktivitäten zur Beeinträchtigung tragender Verfassungsgrundsätze zu erkennen. Seitens des Beklagten wurde auch nicht vorgetragen, dass es bei diesen Podiumsdiskussionen zu verfassungsfeindlichen Äußerungen gekommen sei. Hiervon unabhängig ist auch die Tatsache maßgeblich, dass beide Veranstaltungen schon mehr als sechs Jahre bzw. sieben Jahre zurückliegen und es sich um einmalige Kontakte gehandelt hat. Auch kann in diesen beiden Veranstaltungsteilnahmen keine hinreichend nachdrückliche Unterstützungshandlung für etwaige verfassungsfeindliche Bestrebungen der Aktivitäten der Bruderschaft D. erblickt werden.
Auch die beiden Kontakte des Zweiten Vorstands K. H. mit dem Verein „G. e.V.“ in G., welcher ebenfalls von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistische Vereinigung eingestuft wird, bei dessen Eröffnungsfeier er als Gast zugegen war und ein weiteres Mal einen Redebeitrag geleistet hat, können die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers nicht untermauern. Verfassungsfeindlich bedenkliche Inhalte sind, auch unter Einbeziehung des von Herrn K. H. in der Zeitschrift „…“ in der Ausgabe 63/Dezember 2014 veröffentlichten Kurzbeitrags über die G. G., nicht bekannt geworden (Bl. 109 ff. d. Behördenakte – BA). Bei der Rede, die K. H. im Dezember 2015 bei der G. G. hielt, handelt es sich um eine historische Würdigung der Entwicklung während und nach dem Zweiten Weltkrieg (Titel: 100 Jahre Erster Weltkrieg. Die Wahrnehmung in Deutschland – eine Wende in der Geschichtspolitik). Es handelt sich hierbei um einen historischen Abriss, der naturgemäß subjektive Wertungen enthält und – soweit ersichtlich – unter Angabe zahlreicher Quellen und Autoren die Entwicklung der unterschiedlichen Strömungen in der Bewertung der Ereignisse während und nach dem Ersten Weltkrieg darstellt. Verfassungsfeindliche Inhalte lassen sich dem nicht entnehmen.
Die Rede bei der „Gesellschaft … … …“ im August 2017 von K. H. hat die Frage der Traditionspflege in der Bundeswehr zum Gegenstand. Bei dieser handelt es sich um eine weitere von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistisch eingestufte und beobachtete Vereinigung. Auch hier sind verfassungswidrige Inhalte aber nicht vorgetragen worden. Im Übrigen ist hier auch nicht erkennbar, dass der Zweite Vorsitzende K. H. in seiner Eigenschaft als Ver…reter des klagenden Vereins aufgetreten ist. Die Rede im August 2017 bei der … … … … hielt er – ausweislich des Programms – auf Bl. 106 BA in seiner Eigenschaft als Oberst a.D., somit als Kenner der Traditionspflege in der Bundeswehr. Gleiches gilt in Bezug auf den von der Beklagtenseite erwähnten Aufsatz im Mitteilungsblatt dieser Gesellschaft Nr. 3, 57. Jahresband aus 2017, in dem es ebenfalls um die Traditionspflege bei der Bundeswehr gegangen ist. Eine verfassungsfeindliche Bestrebung des Klägers kann hierin nicht erblickt werden.
Die Veröffentlichung einer Rede von Herrn Dr. A. J… auf der Internetseite des Klägers mit dem Titel „Deutschland – Afghanistan. Bleibt die 100-jährige Freundschaft bestehen?“, die dieser im Rahmen der klägerischen Herbsttagung 2017 gehalten hat, stellt keinen Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Bestrebung dar. Das Gericht wies bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass die Rede von Herrn J… noch nicht als geschichtsrevisionistisch zu beanstanden sei. Die im Schriftsatz des Beklagten vom 20. Dezember 2019 auf S. 9 ff. wiedergegebenen Redebeiträge haben keine verfassungsfeindlichen oder geschichtsrevisionistischen Inhalte erkennen lassen. Wenn dem Redner vorgeworfen wird, er habe gesagt, den Deutschen mangele es infolge der Umerziehung nach 1945 an Nationalstolz und dem Verfolgen deutscher außenpolitischen Interessen, ist allein hierin keine verfassungsfeindliche Bestrebung zu erkennen. Dies mag möglicherweise, wenn überhaupt, überzogenes Nationaldenken belegen, kann aber den Willen zur Beeinträchtigung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht hinreichend manifestieren (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WB 42/00, 43/00, S. 18 auf Beck-Online). Wenn der Redner die Verwendung des Begriffs „Umerziehung der Deutschen“ bzw. Kritik an deren Folgen aufgreift, ist nicht zu erkennen, dass hiermit die Zielsetzung der Maßnahmen angegriffen wird, mit denen die Alliierten nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus versucht hatten, in Deutschland die Grundlagen für die Entwicklung zu demokratischen Einstellungen und Verhaltensweisen zu schaffen. An keiner Stelle der Rede von Herrn Dr. J… finden sich Hinweise auf eine Verächtlichmachung des demokratischen Rechtstaates. Die Rede gibt einen Abriss der Entwicklung des deutsch-afghanischen Verhältnisses seit Beginn des 20. Jahrhunderts wieder und ist insgesamt von einem Verständnis von Land und Leuten im Sinne der Völkerverständigung geprägt. Ob die Aussage des Redners, „die deutsch-afghanische Freundschaft werde aber durch unsere politische Passivität, durch die grenzenlose Aufnahme viel zu vieler Afghanen, auch Krimineller, in keiner Weise gefördert, sondern schrittweise immer schwerer beschädigt, weil die Afghanen keinen Respekt mehr vor der passiven, handlungsunfähigen deutschen Regierung und damit unserer Nation haben und andererseits auch die Freundschaft von uns Deutschen zu den Afghanen höchstgefährdet ist“, zutrifft, vermag das Gericht nicht zu beurteilen und enthält sich auch einer Bewertung. Diese Aussage erschöpft sich jedenfalls ersichtlich in einer Kritik an der gegenwärtigen Einwanderungspolitik sowie einer – nach Meinung des Redners und in seinem Sinne auch der Afghanen – unzureichenden Ausprägung des Einstehens für eigene nationale Interessen. Es ist nicht zu erkennen, dass sich der Redner an dieser Stelle gegen die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung ausspricht. Soweit der Redner die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Umerziehung“ im Sinne einer Kritik an Phänomenen eines allgemeinen Werteverfalls im Zuge einer in seinen Augen zu weitgehenden Toleranz bzw. im Sinne einer Liberalismuskritik verwendet, liegt auch hierin kein hinreichender Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung (BVerwG, a.a.O.). Der Redner hat auch nicht, wie der Beklagte auf S. 10 des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2019 meint, die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg bedauert. Nach der Meinung des Redners habe diese lediglich zur Umerziehung der Deutschen und damit zur Abkehr vom Nationalstolz geführt. Eine solche Ansicht mag man teilen oder nicht, eine verfassungsfeindliche Bestrebung kann hierin nicht erblickt werden. Auch mit seinen Ausführungen zur Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich etwa zum Kaiserreich diffamiert er nicht die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland und verunglimpft auch nicht die Legitimität des Grundgesetzes und damit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (so aber Schriftsatz des Beklagten v. 20.12.2019, S. 15). Wenn er einen US-General mit an eine Glorifizierung heranreichenden Aussagen über die Waffen-SS zitiert, mag dies als abstoßend und geschmacklos empfunden werden, eine Glorifizierung der Zeit des Nationalsozialismus oder gar ein Hinarbeiten oder ein Herbeiwünschen damaliger Zustände kann auch hierin nicht erblickt werden.
Problematischer als das bislang Vorgetragene erscheint dem Gericht die Rede von Herrn Dr. K. im Report des Klägers, Dokumentation zur Frühjahrstagung am 10. Juni 2017. Inwieweit in der Verwendung von Begriffen wie „Hochfinanz“ oder „F. Schule“ bereits auf codiert…e antisemitische Verschwörungstheorien in rechtsextremistischen Kreisen abgestellt wird, kann an dieser Stelle offenbleiben. Gleichwohl fällt in dem Redebeitrag von Herrn Dr. K. auf, dass sich Hinweise auf die jüdische Herkunft bestimmter Akteure häufen, ohne dass dies für das nähere Textverständnis erforderlich wäre. Man mag diese Rede inhaltlich ablehnen und hinsichtlich ihrer äußeren Form abstoßend empfinden; verfassungsfeindliche Inhalte lassen sich ihr jedoch noch nicht entnehmen. Es stellt auch nicht ohne weiteres eine verfassungsfeindliche Bestrebung des Klägers dar, einer Person eine Plattform zu bieten, die, wie etwa der Auftritt Dr. K.s bei der NPD O. 2016 zeigt, keine Berührungsängste mit rechtsextremistischen Organisationen zeigt. Anders mag sich der Sachverhalt darstellen für den Fall etwa, dass es sich bei dem Redner selbst um einen Funktionsträger einer verfassungsfeindlichen Partei handelt. Dies wurde aber in Bezug auf Dr. K. weder vorgetragen noch ist dies ersichtlich. Dass er eine Rede mit einer detaillierten Beschreibung der historischen Reconquista in anderem Zusammenhang gehalten hat, findet seinen Widerhall in der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit Art. 5 GG. Allein der Umstand, dass sich das Motiv der Reconquista in rechtextremistischen Kreisen einer gewissen Beliebtheit erfreut, wie etwa bei der Identitären Bewegung, genügt für sich allein nicht. Es handelt sich hier zunächst nur um einen Gegenstand der Geschichtsschreibung. Gleiches gilt für die historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Zielen und gesellschaftlichen Fernwirkungen der F. Schule.
Demgegenüber stechen die Äußerungen von Herrn Dr. D. B., insbesondere hinsichtlich seiner Ausführungen zum Holocaust, die zwar nicht die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten mögen, aber eine bewusste gezielte Provokation darstellen, in ihrer antisemitischen Tendenz deutlich über die Äußerungen von Herrn Dr. K. hinaus. Zeilen wie „[…] warum Hitler zwar am 1. September 1939 Polen angriff, warum aber Roosevelt für dieses Ereignis trotzdem der Hauptverantwortliche ist […]“, „dadurch verliert… nicht nur die Legende von der deutschen Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg an Überzeugungskraft. Vielmehr kommt dadurch auch die ganze Legitimationsbasis der BRD ins Rutschen, die letztlich eine USamerikanische Erfindung unter Beihilfe von Engländern und Franzosen gewesen ist.“ und „Zwar werde ich hier nicht den Holocaust mit seinen sechs Millionen Toten in Zweifel ziehen – keine Angst. Leider Gottes hat dieses schreckliche Ereignis sicher in der ein oder anderen Form stattgefunden und wohl auch schätzungsweise so viele Opfer gefordert… Anstatt daran lange herum zu deuteln und darüber vielleicht auch noch eine Anklage wegen Volksverhetzung zu riskieren, kommt es mir auf den Nexus von Holocaust, Hitler und Zweiter Weltkrieg an, der aus dem roosevelteischen Zeitalter stammt und sich in den letzten siebzig, achtzig Jahren wie ein Fluch über uns Deutsche gelegt hat.“ kommentieren sich selbst. Im Ergebnis wird hier – seitens des Äußernden – der Versuch unternommen, zentrale Ereignisse der nationalsozialisten Gewaltherrschaft zu relativieren und die Schuld hierfür dem damaligen amerikanischen Präsidenten zuzuschieben. Es bleibt unverständlich, weshalb der Kläger diesen Redebeitrag nicht von seiner Homepage genommen hat. Die Distanzierungen unter Hinweis auf den Disclaimer überzeugen in diesem Zusammenhang nicht.
Bei dem Kläger liegen damit aber noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vor, weil nicht festgestellt werden konnte, dass es dem Kläger um die Beseitigung oder auch nur Beeinträchtigung eines der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Bestandteile der freiheitlich demokratischen Grundordnung gelegen ist. Derartige ziel- und zweckgerichtete Aktivitäten des zur Beseitigung bzw. Beeinträchtigung der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten tragenden Säulen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kann das Gericht bei dem klagenden Verein nicht ausmachen. Der Kläger mag keine Berührungsängste im Kontakt mit Personen zeigen, die sich ihrerseits im rechtsradikalen bis rechtsextremistischen Milieu bewegen (wie etwa Dr. K.*) oder sich selbst nicht hinreichend von antisemitischen Positionen distanzieren oder sogar bewusst damit spielen (Dr. K., B.*). Dass der Kläger selbst explizit verfassungsfeindliche Positionen vert…ritt und verfolgt, ist hingegen nicht nachgewiesen; das dem Gericht vorliegende Material liefert… hierfür auch keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Dies folgt auch aus einer Gesamtschau in Bezug auf sämtliche vom Kläger veröffentlichten Redebeiträge, bei denen weitaus die Mehrheit auch von den Verfassungsschutzbehörden des Beklagten für unproblematisch erachtet werden. Dass sich der Kläger darum bemüht, einigen von dem gegenwärtigen Mainstream der Zeitgeschichtsschreibung abweichenden Positionen eine Plattform zu bieten und dabei gelegentlich eine hinreichende Distanzierung von dem Spektrum des Rechtsextremismus bzw. des Antisemitismus zuzurechnender Positionen und Organisationen vermissen lässt, mag die Verfassungsschutzbehörden auf den Plan rufen, er gibt aber ohne weiteres noch keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein aktives Agitieren gegen die Grundsätze der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung im Sinne der obigen Ausführungen. Wenn jemand ein einseitig positives deutsches Geschichtsbild propagiert und den Nationalsozialismus aus dem deutschen Selbstverständnis ausblendet (was der Kläger – soweit ersichtlich – nicht getan hat), so richtet sich dies nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung – und war auch dann nicht, wenn man die Erinnerung an die NS-Verbrechen mit zu den ideellen Grundlagen der konkreten Verfasstheit zur Bundesrepublik Deutschland rechnet (Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, Duncker & Humblot 2020, S. 182). Das Bundesverfassungsgericht hat zum Ausdruck gebracht, dass die ideellen Grundlagen der Verfassung als solche nicht dem verfassungsschutzbehördlichen Verfassungsschutz unterliegen. Der freiheitliche Staat verteidigt seine ideellen Grundlagen mit geistigen Mitteln – durch Argumente und positive Selbstdarstellung (Murswiek, a.a.O., S. 183). Erst wenn die Kritik in Tätigkeiten mündet, die auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung eines Elements der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind, ist das ein Fall für den Verfassungsschutz (Murswiek, a.a.O., mit Hinweis auf BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 = BVerfGE 113, 63 (81 f.)). Solche Tätigkeiten liegen beim Kläger nicht vor.
Somit liegen zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt keine hinreichend tatsächlich gestützten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebung verfolgt oder nachdrücklich unterstützt. Die entsprechende Berichterstattung über den Kläger ist daher rechtswidrig und der Unterlassungsklage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben