Aktenzeichen M 7 K 16.1634
Leitsatz
Der Auszug eines Mitglieds des Gemeinderats aus der konstituierenden Gemeinderatssitzung stellt einen unentschuldbaren Verstoß gegen die Verpflichtung zur Sitzungsteilnahme und Abstimmung aus Art. 48 Abs. 1 GO dar. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es übereinstimmend für erledigt erklärt und soweit die Klage zurückgenommen wurde.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 6/7, die Beklagte 1/7.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Soweit der Bescheid in Höhe von 25,– EUR aufgehoben wurde, haben die Parteien übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache erklärt. Das Verfahren war diesbezüglich in entsprechender Anwendung des § 92 Absatz 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Ferner war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit eine teilweise Klagerücknahme dahingehend erklärt wurde, den ursprünglichen Antrag auf Nichtigerklärung bzw. hilfsweise Vollaufhebung des Bescheids nicht weiter zu verfolgen. Zu entscheiden war daher nur noch über den zuletzt gestellten Antrag der Klägerin, den Bescheid insoweit aufzuheben, als darin ein höheres Ordnungsgeld als 75,– Euro festgesetzt wird. Zur Begründung der Teilaufhebung stützt sich die Klägerin darauf, dass die Gemeinde gegen zwei andere Gemeinderäte, die zusammen mit ihr die Sitzung verlassen hätten, zunächst nur ein Ordnungsgeld von 75,– Euro verhängt habe und aus ihrer Sicht die Verhängung eines darüber hinausgehenden Ordnungsgeldes gegen sie ermessensfehlerhaft sei.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2016 ist in dem Umfang, in dem über ihn zu entscheiden war, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der zu Recht von der Geschäftsleiterin unterschriebene Bescheid (vgl. Art. 39 Abs. 2 HS 1 GO) stützt sich auf Art. 48 Abs. 2 GO, wonach der Gemeinderat gegen Mitglieder, die sich den Verpflichtungen zur Teilnahme an den Sitzungen und Abstimmungen ohne genügende Entschuldigung entziehen, Ordnungsgeld bis zu zweihundertfünfzig Euro im Einzelfall verhängen kann. Dabei steht sowohl die Frage, ob ein Ordnungsgeld verhängt wird als auch die Höhe im Ermessen der Gemeinde (VG Würzburg, U.v. 22.9.2004 – W 2 K 03.864 – juris Rn. 30, 35; Hölzl/Hien/Huber, GO, 54. Aktualisierung, März 2015, Art. 48, Erl. 3.4). Bei Ermessensentscheidungen überprüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Aus der Begründung des Bescheids muss sich ergeben, dass die Gemeinde ihr Ermessen ausgeübt und dabei die Interessen des Betroffenen berücksichtigt und abgewogen hat, ferner von welchen Tatsachen sie ausgegangen ist und welche rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe sie angewandt hat (VG München, U.v. 17.3.1999 – M 7 K 97.4937 – juris Rn. 21). Der streitgegenständliche Bescheid wird diesen Anforderungen gerecht. Aus seiner Begründung ergeben sich sowohl der Sachverhalt als auch die Erwägungen der Gemeinde für die Verhängung des Ordnungsgeldes in der konkreten Höhe. Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler enthält der Bescheid nicht.
Der Auszug der Klägerin zusammen mit ihrer Fraktion aus der konstituierenden Gemeinderatssitzung erfüllt die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach Art. 48 Abs. 2 GO, da dieses Verhalten einen unentschuldigten Verstoß gegen die Verpflichtung zur Sitzungsteilnahme und Abstimmung aus Art. 48 Abs. 1 GO darstellt. Die Fraktion war ausgezogen, um ihr Missfallen über die Wahl des Bürgermeisterstellvertreters zu äußern. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen es aber rechtliche oder politische Auseinandersetzungen nicht, „aus Protest“ den Sitzungen des Gemeinderats fernzubleiben. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gemeinderats darf in derartigen Fällen ein Ordnungsgeld verhängt werden (BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 4 ZB 14.1494 – juris Rn. 7 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 25.7.1979 – 6 V 77 – BayVBl 1979, 685 ff.). Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte stattdessen nicht lediglich eine Rüge erteilt hat. Sie hat dazu nachvollziehbar ausgeführt, dass dieses Mittel in Erwägung gezogen, jedoch angesichts des Gewichts des vorsätzlichen Verstoßes als nicht ausreichend angesehen worden sei.
Die Beklagte hat auch das ihr in Bezug auf die Höhe des Ordnungsgeldes zustehende Ermessen ordnungsgemäß und zweckentsprechend ausgeübt (Art. 40 BayVwVfG). Das Ordnungsgeld verfolgt den Zweck, den Gemeinderat zukünftig zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verpflichtungen aus Art. 48 Abs. 1 GO anzuhalten (vgl. VG Würzburg, U.v. 22.9.2004 – W 2 K 03.864 – juris Rn. 38). Es ist weder eine kriminelle Strafe noch eine Buße im Sinne des OWiG, sondern eine disziplinäre Maßnahme mit Beugecharakter (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.1975 – BayVBl 1976, 498 ff.; BayVGH, B.v. 6.5.1999 – 4 C 99.1124 – juris Rn. 11; Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 28. EL Dezember 2015, Art. 48 Rn. 14). Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses war die Klägerin im Amt und der Zweck des Ordnungsmittels somit erreichbar. Die Erwägungen des Gemeinderats bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes – nämlich das durch die Fraktion im Vorfeld abgesprochene Verlassen der Sitzung und das damit einhergehende vorsätzliche Handeln sowie die Tatsache, dass es sich um eine konstituierende Sitzung mit einer grundlegenden Bedeutung für die weitere Amtszeit gehandelt hat, ferner die zeitliche Komponente des Auszugs kurz nach der Vereidigung der neuen Gemeinderatsmitglieder unter Hinweis auf die Amtspflichten und schließlich das Fehlen einer Entschuldigung (vgl. dazu Widtmann/Grasser/Glaser, a.a.O., Art. 48 Rn. 14) – weisen keine Ermessensfehler auf. Die Beklagte hat bei der Ausübung des Ermessens auch den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) beachtet, der es gebietet, die bisherige Entscheidungspraxis in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen in den Blick zu nehmen (vgl. Hölzl/Hien/Huber, a.a.O., Art. 48, Erl. 3.4.1.). Dementsprechend hat die Beklagte im Bescheid ausgeführt, dass in der Vergangenheit Ordnungsgelder gegen Gemeinderatsmitglieder wegen der Bekanntgabe von Inhalten aus einer nicht-öffentlichen Sitzung in Höhe von 120,– EUR und wegen Stimmenthaltung in Höhe von 100,– DM verhängt worden waren.
Das verhängte Ordnungsgeld in Höhe von 150,– EUR hält sich in einem mittleren Bereich innerhalb des aus Art. 48 Abs. 2 GO ersichtlichen Rahmens bis 250,– EUR und ist angesichts der konkreten Umstände des Pflichtenverstoßes insgesamt verhältnismäßig. Die Beklagte musste sich nicht darauf beschränken, gegen die Klägerin ein Ordnungsgeld von lediglich 75,– EUR zu verhängen, wie sie es zunächst gegen die erstmalig in den Gemeinderat gewählten Gemeinderäte getan hatte. Die Bevollmächtigte der Beklagten hat diesbezüglich erklärt, dass bei Erlass des ersten Bescheids im Jahr 2014 zwischen den Gemeinderäten mit und ohne kommunaler Erfahrung differenziert worden sei. Für die unerfahrenen Mitglieder sei ein Ordnungsgeld von 75,– EUR, für die erfahrenen Mitglieder eines in Höhe von 150,– EUR festgesetzt worden. Bei der erneuten Abstimmung über das Ordnungsgelds habe man sich im Gemeinderat darauf geeinigt, einen grundsätzlich einheitlichen Betrag von 150,– EUR festzusetzen. Grund dafür sei gewesen, dass man zunehmend den Eindruck eines einheitlichen und abgesprochenen Vorgehens der SPD-Fraktion beim Verlassen der Gemeinderatssitzung gewonnen habe und damit ein Grund für eine unterschiedliche Höhe des Ordnungsgelds nicht mehr vorhanden gewesen sei. Soweit zunächst ein Betrag von 175,– EUR gegen die Klägerin wegen der fehlenden Versicherung, keine Wiederholungsabsicht zu haben, festgesetzt worden war, wurde der Bescheid in Höhe dieses Zuschlags (25,– EUR) aufgehoben; der hier noch streitgegenständliche Betrag von 150,– EUR ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Gesichtspunkte, die das festgesetzte Ordnungsgeld der Klägerin gegenüber unbillig erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.
Die Klage war daher abzuweisen.
Das Gericht trifft eine einheitliche Kostenentscheidung. Über die Kosten war, soweit der Rechtsstreit in Höhe von 25,– EUR übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO); dabei ist der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Billigem Ermessen entspricht es, die Kosten für den erledigt erklärten Teil der Beklagten aufzuerlegen, da die Beklagte in dieser Höhe aufgrund unzutreffender Ermessenserwägungen voraussichtlich unterlegen wäre. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, folgt die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 2 VwGO, für die verbleibende Klage ergibt sie sich aus § 154 VwGO. Eine Gewichtung der Anteile des Gewinnens und Unterliegens ergibt eine Kostentragungspflicht der Klägerin von 6/7 und der Beklagten von 1/7.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.