IT- und Medienrecht

Vorleistungen auf den Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  6 BV 18.445

Datum:
16.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 811
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Art. 19 Abs. 2
BauGB § 133 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Bei der Frist, die das Kommunalabgabengesetz den Gemeinden für die Erhebung von Beiträgen nach Eintritt der Vorteilslage in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG setzt, handelt es sich nicht um eine Verjährungshöchst-, sondern um eine Ausschlussfrist im Sinn einer absoluten zeitlichen Obergrenze. (Rn. 28)
2. Bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen beträgt die Ausschlussfrist nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG auch dann 30 Jahre, wenn die Gemeinde vor dem 1. April 2014 zwar nicht den endgültigen Beitrag, aber Vorausleistungen darauf festgesetzt hat. (Rn. 30)
3. Nach dem Ablauf der Ausschlussfrist ist das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten zwingend ausgeschlossen. Sind innerhalb der Frist keine Beitragspflichten mehr entstanden, können vor Fristablauf erlassene Vorausleistungsbescheide keinen Rechtgrund für das Behaltendürfen der vereinnahmten Leistungen mehr darstellen und müssen aufgehoben werden. (Rn. 32)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.1823, Au 2 K 16.1861, Au 2 K 16.1862, Au 2 K 16.1863, Au 2 K 16.1864 2017-12-07 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Dezember 2017 – Au 2 K 16.1823, 1861-1864 – abgeändert.
Die Vorausleistungsbescheide der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Augsburg vom 23. November 2016 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für die Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Die Vorausleistungsbescheide der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie sind deshalb unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die streitigen Bescheide waren zwar im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung rechtmäßig (1.). Die Voraussetzungen für die Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die klägerischen Grundstücke lagen vor (a). Die Bescheide haben auch die gesetzliche Ausschlussfrist gewahrt (b). Sie sind jedoch nachträglich rechtswidrig geworden (2.). Denn die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten sind bis zum Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist nicht mehr entstanden und können danach nicht mehr entstehen (a); die Vorausleistungsbescheide können deshalb keinen Rechtsgrund mehr für das Behaltendürfen der vereinnahmten Vorausleistungen bilden und sind aufzuheben (b).
1. Die Vorausleistungsbescheide vom 27. März 2014 waren im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2016, rechtmäßig (vgl. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt BayVGH, U.v. 2.7.2015 – 6 B 13.1386 – juris Rn. 19; U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – KommJur 2017, 230 ff.).
a) Die Voraussetzungen des Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 133 Abs. 3 BauGB und der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten vom 17. April 2013 für die Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der „S.straße Süd“ lagen vor.
Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist. Diese Anforderungen waren, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bei Erlass des Widerspruchsbescheids erfüllt.
Bei der „S.straße (Süd)“ handelt es sich um eine zum Anbau bestimmte Straße (früher § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB; nunmehr Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG), die in ihrem Umfang von der Beklagten zutreffend bestimmt wurde. Diese Erschließungsanlage war zwar bereits seit 1986 bautechnisch fertiggestellt und benutzbar. Gleichwohl waren die endgültigen sachlichen Beitragspflichten bis zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 23. November 2016 noch nicht entstanden. Denn § 8 Abs. 6 EBS sieht als Merkmal der endgültigen Herstellung im Sinn von § 132 Nr. 4 BauGB neben dem technischen Ausbau auch den vollständigen Abschluss des Eigentumserwerbs der gesamten Grundfläche der Erschließungsanlage vor (zu einer solchen Satzungsregelung etwa BayVGH, U.v. 4.3.2013 – 6 B 12.2097 – juris Rn. 13; B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 7). An diesem Herstellungsmerkmal fehlte es im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch, weil die Beklagte das Eigentum an einer 3 m2 großen Straßenfläche noch nicht erworben hatte; das kann nicht als geringfügig oder unerheblich außer Acht gelassen werden (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 8 m.w.N.). Aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen war allerdings im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt mit dem vollständigen Abschluss des Erwerbs dieser Restfläche innerhalb von vier Jahren zu rechnen (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Diese Prognose wird durch den tatsächlichen Vollzug des vollständigen Eigentumserwerbs Anfang 2018 nachträglich bestätigt. Die veranlagten (Anlieger- und Hinterlieger-)Grundstücke der Klägerin werden schließlich durch die A1.straße erschlossen im Sinn von § 131 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 BauGB und gehören damit zum Kreis der beitragspflichtigen, mithin auch vorausleistungspflichtigen Grundstücke.
b) Die streitigen Vorausleistungsbescheide vom 27. März 2014 haben die gesetzliche Ausschlussfrist gewahrt, die zur Umsetzung des Regelungsauftrags im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – (BVerfGE 133, 143 ff.) in das Kommunalabgabengesetz aufgenommen worden ist.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG in der ab dem 1. April 2014 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 11. März 2014 (GVBl S. 70) ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig; liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG gilt diese Regelung für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, mit der Maßgabe, dass die Frist einheitlich 30 Jahre beträgt. Die Bemessung der Ausschlussfrist mit 20 bzw. 25 Jahren begegnet ebenso wenig verfassungsrechtlichen Bedenken wie die für Übergangsfälle einheitlich auf 30 Jahre festgelegte Zeitspanne (vgl. BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – BayVBl 2017, 522 Rn. 29; U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – BayVBl 2014, 241 Rn. 22; U.v. 12.3.2015 – 20 B 14.1441 – juris Rn. 25).
Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die fristauslösende Vorteilslage mit der technischen Fertigstellung der Anlage „S.straße Süd“ bereits im Jahr 1986 eingetreten ist. Denn der Begriff „Eintritt der Vorteilslage“ knüpft an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld, wie insbesondere den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung, außen vor (BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – BayVBl 2017, 522 Rn. 30). Die Vorteilslage tritt bei einer A1.straße, wie der Senat wiederholt entschieden hat, dann (und erst dann) ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – BayVBl 2014, 241 Rn. 22; B.v. 30.3.2016 – 6 ZB 15.2426 – juris Rn. 9; B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 15). Das war bei der Erschließungsanlage „S.straße Süd“ – unstreitig – bereits 1986 der Fall.
Die Vorausleistungsbescheide vom 27. März 2014 haben die gesetzliche Ausschlussfrist – noch – gewahrt. Anwendung findet entgegen der Sichtweise der Klägerin nämlich nicht die 20-jährige Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG. Maßgeblich ist vielmehr, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, die 30-jährige Ausschlussfrist nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG, die erst mit Ablauf des Jahres 2016 abgelaufen ist.
Zwar spricht der Wortlaut dieser Bestimmung von „Beiträgen“, die vor dem Stichtag 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind. Das beschränkt sich indes nach Sinn und Zweck der Regelung nicht auf endgültige Beiträge, sondern umfasst jedenfalls für das Erschließungs- und Straßenausbaubeitragsrecht auch Vorausleistungen nach § 133 Abs. 3 BauGB (und Vorauszahlungen nach Art. 5 Abs. 5 KAG). Denn durch die Übergangsvorschrift soll für alle bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 1. April 2014 bereits „anhängigen Fälle“, in denen der Festsetzungsbescheid den Bereich der Gemeinde bereits verlassen hat, die alte Rechtslage mit der Ausschlussfrist von 30 Jahren (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – BayVBl 2014, 241 Rn. 22) fortgelten, um diesen Gelegenheit zu geben, sich auf die neue Rechtslage mit deutlich kürzeren Ausschlussfristen einzustellen (vgl. LT-Drs. 17/370 S. 17 ff.). Diese Erwägung, es für „alte“ Bescheide im Interesse der Rechtsbeständigkeit bei der „alten“ Ausschlussfrist von 30 Jahren zu belassen, gilt für die Festsetzung von endgültigen Beiträgen und Vorausleistungen in gleicher Weise. Denn bei letzteren handelt es sich nach der gesetzlichen Ausgestaltung um eine wegen § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB auf die endgültige Beitragspflicht ausgerichtete, zeitlich vorgezogene „Beitragsleistung“, die – wie der endgültige Beitrag selbst – auf Geld gerichtet ist, die als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 134 Abs. 2 BauGB) und auf die auch im Übrigen die allgemeinen Vorschriften über den Erschließungsbeitrag gelten (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.1998 – 8 C 20.97 – NVwZ 1999, 543 f.; BayVGH, B.v. 29.4.2016 – 6 CS 16.58 – juris Rn. 7).
2. Die Vorausleistungsbescheide sind jedoch nachträglich rechtswidrig geworden und aufzuheben, weil die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten innerhalb der Ausschlussfrist nicht mehr entstanden sind und danach kraft Gesetzes nicht mehr entstehen können.
a) Die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten sind bis zum Ende der Ausschlussfrist mit Ablauf des Jahres 2016 nicht mehr entstanden; denn die Beklagte konnte den vollständigen Grunderwerb, der zur Erfüllung der satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale erforderlich ist, erst 2018 abschließen. Nach dem Ablauf der Ausschlussfrist ist das Entstehen der Beitragspflichten entgegen der Sichtweise des Verwaltungsgerichts kraft Gesetzes zwingend ausgeschlossen.
Welche Rechtsfolgen der Fristablauf auslöst, regelt Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG unter Rückgriff auf die Vorschrift des § 169 AO über die Festsetzungs(verjährungs) frist: Er ordnet die Geltung dieser Vorschrift mit der Maßgabe dass, dass über deren Abs. 1 Satz 1 hinaus nach Fristablauf „die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld … nicht mehr zulässig ist“. Die inhaltliche wie sprachliche Anknüpfung an § 169 AO bedeutet indes nicht, dass es sich um eine Verjährungshöchstfrist handelt, bei deren Ablauf Festsetzungsverjährung unter anderem mit der Folge eintritt, dass Ansprüche aus dem Abgabeschuldverhältnis erlöschen (§ 47 AO); denn Verjährung setzt begriffsnotwendig voraus, dass der in Rede stehende Anspruch aus dem Abgabeschuldverhältnis zuvor entstanden war (vgl. § 170 Abs. 1 AO). Es handelt sich vielmehr nach der gesetzlichen Ausgestaltung um eine Ausschlussfrist, die allein mit Eintritt der Vorteilslage „ohne Rücksicht auf“, also unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zu laufen beginnt und nach deren Ablauf eine Abgabenerhebung schlechthin ausgeschlossen ist (vgl. LT-Drs. 17/370 S. 12, s. auch Driehaus in ders. , Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 223d). Wenn Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG nach Fristablauf die „Festsetzung eines Beitrags“ verbietet, so meint er damit erst recht – als zwingendes Rechtmäßigkeitserfordernis für eine Beitragsfestsetzung – das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten.
Ein anderes Verständnis liefe den verfassungsrechtlichen Vorgaben zuwider, deren Umsetzung die Ausschlussfrist dient. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit verlangt, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, gesetzliche Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich – wie der Erschließungsbeitrag – nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann. Verfassungsrechtlich geboten ist eine „abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können“ (BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Eine solche zeitliche Obergrenze würde aber fehlen, wenn Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG so zu verstehen wäre, dass auch nach Fristablauf noch Beitragspflichten entstehen könnten. Denn das hätte zur Folge, dass etwa ein innerhalb der Frist erlassener, aber rechtswidriger („verfrühter“) Beitragsbescheid in einem anschließenden Rechtsbehelfsverfahren auch noch nach Fristablauf geheilt werden könnte oder dass ein Vorausleistungsbescheid, wie hier, die Ausschlussfrist auf unabsehbare Dauer „öffnen“ würde. Ein solches Verständnis würde dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Ziel zuwiderlaufen, eine „absolute“ Frist einzuführen, die im Gegensatz zur Festsetzungsverjährung nicht einer Hemmung zugänglich und nicht verlängerbar ist (LT-Drs. 17/370 S. 16). Bei einer Ausschlussfrist im Sinn einer absoluten zeitlichen Obergrenze bleiben die Interessen der beitragserhebenden Gemeinde ausreichend gewahrt. Zum einen besteht bei der in Rede stehenden Zeitspanne (von 20 oder 30 Jahren) nach Eintritt der Vorteilslage, also nach technischer Fertigstellung der Anlage, im Regelfall genügend Zeit, um die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten herbeizuführen. Zum anderen hält das Erschließungsbeitragsrecht Institute bereit, um bei längeren Verzögerungen, wie etwa Schwierigkeiten beim Grunderwerb, zumindest eine teilweise Beitragserhebung vor Ablauf der Ausschlussfrist zu realisieren, etwa im Wege der Kostenspaltung (Art. 5a Abs. 5 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 6 KAG) oder durch Satzungsänderung zur Modifikation der Herstellungsmerkmale.
b) Scheidet mithin das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten nach Ablauf der Ausschlussfrist aus, können die streitigen Vorausleistungsbescheide nach Fristablauf keinen Rechtsgrund mehr für das Behaltendürfen der vereinnahmten Leistungen bilden und sind aufzuheben.
Die Vorausleistung ist nach Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 133 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB mit der endgültigen Beitragsschuld zu verrechnen, das heißt sie ist dazu bestimmt, die spätere endgültige Beitragsforderung in Höhe des gezahlten Betrags zu tilgen. Die Tilgungswirkung tritt von selbst („ipso facto“), ohne dass es hierzu eines Verwaltungsakts bedarf, in dem Zeitpunkt ein, in dem die endgültige sachliche Beitragspflicht für das betreffende Grundstück entsteht (ständige Rechtsprechung, etwa BVerwG, U.v. 5.9.1975 – IV CB 75.73 – juris Rn. 20 f.; U.v. 9.3.2009 – 9 C 10.08 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 19.7.2013 – 6 ZB 12.1183 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Mit Blick auf diese gesetzliche Zweckbestimmung einer Vorausleistung entfällt ihr Rechtfertigungsgrund, wenn eine Beitragspflicht endgültig nicht mehr entstehen kann (BVerwG, U.v. 4.4.1975 – IV C 1.73 – BVerwGE 48, 117/121). Denn die Abhängigkeit der Vorausleistung von der späteren Beitragspflicht bewirkt, dass für den Erlass des Vorausleistungsbescheids zwar die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 BauGB gegeben sein müssen, dass die Vorausleistung aber im Übrigen das rechtliche Schicksal des endgültigen Erschließungsbeitrags insofern teilt, als auch ihre Rechtsgrundlage entfällt, sobald feststeht, dass eine Beitragspflicht endgültig nicht entstehen kann (BVerwG, U.v. 5.9.1975 – IV CB 75.73 – DÖV, 1976, 96; vgl. auch BayVGH, U.v. 23.3.2006 – 6 B 02.1975 – juris Rn. 40). Das war mit Ablauf der Ausschlussfrist der Fall. In diesem Zeitpunkt (mit Ablauf des Jahres 2016) sind die Vorausleistungsbescheide rechtswidrig geworden und haben ihre Eigenschaft als Rechtsgrundlage für das weitere Behaltendürfen der von der Klägerin erbrachten Leistungen verloren. Sie sind deshalb aufzuheben.
Wären die sachlichen Beitragspflichten noch vor Ablauf der Ausschlussfrist entstanden, das sei zur Klarstellung hervorgehoben, dann wären die Beitragsschulden im Zeitpunkt ihres Entstehens in Höhe der gezahlten Vorausleistungen kraft Gesetzes getilgt worden. Das hätte zugunsten der Gemeinde einen ausreichenden Rechtsgrund für das Behaltendürfen der vereinnahmten und nun auch materiellrechtlich endgültig gedeckten Vorausleistungen dargestellt, auch wenn der endgültige Erschließungsbeitrag nach Ablauf der Ausschlussfrist nicht mehr hätte festgesetzt werden dürfen. Die noch nicht bestandskräftigen Vorausleistungsbescheide hätten dann die Rechtsnatur der endgültigen Beitragsbescheide angenommen und wären als solche Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung geworden (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018 § 18 Rn. 45).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.


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