IT- und Medienrecht

Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen Werbeangaben zu einem Haarwuchsserum

Aktenzeichen  3 O 1323/20

Datum:
15.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Erfurt 3. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LGERFUR:2021:0715.3O1323.20.00
Normen:
Art 20 Abs 1 EGV 1223/2009
§ 27 Abs 1 S 1 LFGB
§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 LFGB
§ 3 HeilMWerbG
§ 11 Abs 1 Nr 5 HeilMWerbG
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Spruchkörper:
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Tenor

I.
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft,
oder
einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer,
zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für das kosmetische Produkt „Ree Hair-Serum” mit den folgenden Angaben zu werben:
1.
„Die INNOVATIVE WELTNEUHEIT bei Haarausfall.”,
2.
„Die Ree Hair-Produktlinie ist aus jahrzehntelanger Forschung von Wissenschaftlern entstanden”,
3.
„REE HAIR — DAS HAARWUCHSSERUM für sichtbar dichteres Haar”,
4.
„Das REE HAIR Haarwuchsserum für Männer kann langfristig helfen bei:
– erblich bedingten Haarausfall (Androgenetische Alopezie),
– kreisrunden Haarausfall (Alopecia areata) und
– diffusen Haarausfall (diffuse Alopezie)”,
5.
„LANGFRISTIG WIRKSAM”;
6.
„Ree Hair aktiviert mit seinem a5 — Wirkstoffkomplex die
Haarpapille, um das Haarwachstum zu induzieren.”,
7.
mit den Abbildungen und den dazugehörigen Angaben
zu werben,
sofern dies geschieht, wie aus Anlage K 3 ersichtlich.
II.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 238,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent punkten über dem Basiszinssatz seit 21.11.2020 zu zahlen.
III.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte wettbewerbliche Unterlassungsansprüche geltend.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche Interessen seiner Mitglieder zu wahren. Zu seinen Mitgliedern zählen u.a. Unternehmen, die freiverkäufliche Arzneimittel und Kosmetikprodukte vertreiben.
Die Beklagte bewirbt bzw. bewarb im Internet unter ihrer Domain https:// www.ree-hair.de das Haarwuchsserum „Ree Hair-Serum“ u.a. mit folgenden Aussagen und Abbildungen:
1. „Die INNOVATIVE Weltneuheit bei Haarausfall“
2. „Die Ree-Hair-Produklinie ist aus jahrzehntelanger Forschung von Wissenschaftlern entstanden“.
3. „Ree-Hair -DAS HAARWUCHSSERUM für sichtbar dichteres Haar.“
4. „Das Ree-Hair Haarwachsserum für Männer kann langfristig helfen bei:
– erblich bedingtem Haarausfall (Androgenetische Alopezie)
-kreisrundem Haarausfall (Alopecia areata) und
-diffusem Haarausfall (diffuse Alopezie)
5. „LANGFRISTIG WIRKSAM““
6. „Ree-Hair aktiviert mit seinem a5-Wirkstoffkomplex die Haarpapille, um das Haarwachstum zu induzieren.“
7.

8. „die Zusammensetzung dieser Wirkstoffrezeptur ist patentrechtlich geschützt.“
Der Kläger ist der Ansicht, die Werbung mit den vorgenannten Aussagen sei wettbewerbswidrig. Er mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 14.05.2020 ab (Anlage K 4) und forderte die Beklagte auf, bis zum 26.05.2020 eine rechtsverbindliche Unterlassungserklärung abzugeben, wobei er der Beklagten anbot, sich einer vorformulierten Unterlassungserklärung mit einem Vertragsstrafeversprechen i.H.v. 5.100,00 € zu bedienen.
Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Unterlassen auf §§ 3, 5 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 UWG, 11 Abs. 1, Nr. 1 und 2, 27 Abs. 1. Nr. 1 LFGB (Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch).
Die Beklagte erklärte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 09.06.2020 (Anlage K 6), dass sie die Abmahnung für unberechtigt halte und verweigerte zunächst die Abgabe einer Unterlassungserklärung.
Hierauf stellte der Kläger der Beklagten mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 11.06.2020 (Anlage K 7) anheim, die Untersuchung zur Prüfung der wissenschaftlichen Tragfähigkeit der streitgegenständlichen Werbeaussagen bis zum 25.06.2020 zur Verfügung zu stellen.
Mit Schreiben vom 25.06.2020 (Anlage K 8) gab die Beklagte folgende Teil-Unterlassungserklärung ab:
„ Die … verpflichtet sich gegenüber dem Verband … benannt), ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, aber dennoch rechtsverbindlich, es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden und vom … festzusetzenden Vertragsstrafe, die im Streitfall über die Angemessenheit vom zuständigen Gericht hierauf zu überprüfen ist, zu unterlassen, für die Ree-Hair-Produktlinie mit dem Hinweis auf ein Patent zu werben, wenn und soweit ein dem Ree-Hair-Serum und/oder dessen Wirkstoff bzw. dessen Wirkstoffkomplex zugrunde liegendes, in Deutschland und /oder der Europäischen Union gültiges Patent nicht erteilt worden ist.“
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beanstandeten mit Schreiben vom 26.06.2020 (Anlage K 9), dass in dem abgegebene Teil-Vertragsstrafeversprechen die “Angemessenheit“ und nicht das „billige Ermessen“ i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB zur Überprüfung des Gerichts gestellt wurde. Es sei daher nicht geeignet, eine Wiederholungsgefahr auszuräumen.
Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2021 zu Protokoll klargestellt hatte, dass das abgegeben Teil-Vertragsstrafeversprechen dahin zu verstehen sei, dass sich die dort ausgesprochene gerichtliche Überprüfung nicht auf die „Angemessenheit“, sondern das „billige Ermessen“ beziehe, haben die Parteien den Rechtsstreit in Bezug auf die unter Ziffer 8. aufgeführte Werbeaussage übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger verlangt daneben die Erstattung der für die Abmahnung entstanden Kosten, die er für 2019 nach anteilsmäßiger Berechnung pauschal mit 238,00 € brutto beziffert.
Der Kläger beantragt zuletzt,
I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis 6 Monate, zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das kosmetische Produkt „Ree-Hair-Serum“ mit folgenden Aussagen zu werben:
1. „Die INNOVATIVE Weltneuheit bei Haarausfall“
2. „Die Ree-Hair-Produklinie ist aus jahrzehntelanger Forschung von Wissenschaftlern entstanden“.
3. „Ree-Hair -DAS HAARWUCHSSERUM für sichtbar dichteres Haar.“
4. „Das Ree-Hair Haarwachsserum für Männer kann langfristig helfen bei:
– erblich bedingtem Haarausfall (Androgenetische Alopezie)
-kreisrundem Haarausfall (Alopecia areata) und
-diffusem Haarausfall (diffuse Alopezie)
5. „LANGFRISTIG WIRKSAM““
6. „Ree-Hair aktiviert mit seinem a5-Wirkstoffkomplex die Haarpapille, um das Haarwachstum zu induzieren.“
7.
mit den Abbildungen und den dazugehörigen Angaben

zu werben,
sofern dies geschieht, wie aus Anlage K 3 ersichtlich;
II. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 238,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wendet ein, die streitgegenständlichen Werbeaussagen seien nicht irreführend, sondern hinreichend wissenschaftlich abgesichert. Die Werbung verspreche keinen bestimmten Erfolg, sondern stelle nur die Möglichkeit der Abhilfe bei Haarausfall in Aussicht.
Dass ein solcher Erfolg bei einer Behandlung mit Ree-Hair tatsächlich möglich ist, sei wissenschaftlich abgesichert. Sie nimmt insoweit Bezug auf eine im Zeitraum von 2013 – 2017 durchgeführte Studie der Dr. ….
Wegen des Aufbaus, Inhalts und Ergebnisses der Studie wird auf Anlage B 2 verwiesen.
Dass die meisten Einzelbestandteile des beworbenen Wirkstoffkomplexes eine wachstumsfördernde Wirkung hätten, ergebe sich aus der als Anlage B 3 vorgelegten Offenlegungsschrift und dem als Anlage B 4 vorgelegten Sicherheitsbericht der Dr. Köhler Consulting. Insbesondere sei wissenschaftlich mehrfach nachgewiesen, dass der Wirkstoff Biotin zum Haarwachstum beitrage.
Dies ergebe sich zudem aus dem Anhang zur VO(EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16.05.2012, in der zu „Biotin“ ausgeführt sei: „Biotin trägt zur Erhaltung normaler Haare bei“ und „Biotin trägt zur Erhaltung normaler Haut bei“.
Weiter nimmt sie Bezug auf die Dissertation mit dem Titel „Untersuchungen zur Wirkung von Biotin auf humane Keratinozyten und zur Modulation der Biotinpenetration in humane Haut“ des Dr. pharm. Christoph Huschka, sowie auf Auszüge der am 27.04.2017 veröffentlichten Abhandlung „A Review of the Use of Biotin für Hair Loss“ von Deepa P. Patel, Shane M. Swink und Leslie Castelo-Soccio, auf einen Artikel mit dem Titel „Biotin (Vitamin H) – Wichtig für die Gesundheit von Haaren und Nägeln“ von Claudia Reinke aus dem Jahr 2004 und eine im Internet von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. veröffentlichte Publikation.
Wegen des genauen Inhaltes der zitierten Arbeiten und Publikationen wird auf die Anlagen B 6, B 7, B 8, B 9 und Bl. 52 d.A. verwiesen.
Die Beklagte trägt weiter vor, dass sie mit den streitgegenständlichen Aussagen nicht geltend mache, dass die Wirksamkeit wissenschaftlich abgesichert sei. Damit liege nach der Rechtsprechung des BGH (Urtl. v. 28.01.2016, I ZR 36/14) die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dem kosmetischen Mittel i.S.d. EG-Kosmetik VO Nr. 1223/2009 die Funktion fehle, beim Kläger.
Die Klageschrift vom 28.10.2020 wurde der Beklagten am 20.11.2020 zugestellt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 24.06.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und im zuletzt gestellten Umfang begründet.
Der Kläger ist gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktiv legitimiert, da ihm nach seinem unstreitig gebliebenem Vortrag als rechtsfähiger Verein eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren und Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art, nämlich freiverkäufliche Arzneimittel und Kosmetikprodukte, auf demselben Markt vertreiben.
1.
Im Hinblick auf die mit den Anträgen zu I Ziffer 3, Ziffer 4, 2. und 3. Spiegelstrich und Ziffer 6 und Ziffer 7 angegriffene Werbung mit einer haarwuchsfördernden Wirkung ergibt sich ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. 3 bzw. 11 Abs. 1 Nr. 5 HWG (Heilmittelwerbegesetz), denn es handelt sich insoweit um Werbeaussagen, die nicht lediglich die Pflege und Optik bewerben, sondern eine Einwirkung auf den Körper und das Haarwachstum beschreiben.
Auch wenn das beworbene Haarwuchsmittel als Kosmetikum in den Verkehr gebracht wird, finden gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 2, Abs. 2 HWG insoweit die strengen Regeln das HWG Anwendung, da sich die Werbeaussagen auf die “Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden … bezieht”.
Das Haarwuchsmittel Ree-Hair wird zwar äußerlich angebracht. Nach den beanstandeten Werbeaussagen soll es jedoch nicht nur äußerlich durch die Verleihung von Glanz auf ein gesundes Haarwachstum hinweisen oder durch ein Aufbauschen der vorhandenen Haare dem Haar eine gewisse Fülligkeit verleihen, sondern unmittelbar auf die Produktion der Haare und auch die Dichte der Haare einwirken. Da durch das Serum zudem nicht nur bei genetisch bedingtem Haarausfall (Androgenetische Alozepie), sondern auch bei kreisrundem Haarausfall (Alopecia areata), der durch Krankheiten oder Medikamente oder bei hormonellen Problemen entstehen kann, und diffusem Haarausfall wirken soll, wird mit der streitgegenständlichen Werbung nicht nur die äußerliche “Aufhübschung” von Haaren beworben, sondern eben auch eine Wirkung bei krankhaftem Haarausfall bzw. behandlungsbedürftigem Haarausfall. Die Bewerbung, dass ein bestimmter Wirkstoff die Haarpapille aktiviert und auch den Haarwuchs induziert, beschreibt nicht nur eine äußerliche Wirkung eines Kosmetikums, sondern eine Beeinflussung des Stoffwechsels des menschlichen Körpers.
Das HWG dient dem Schutz der menschlichen Gesundheit und dem Schutz vor wirtschaftlicher Übervorteilung besonders schutzbedürftiger Personen. Da es die Werbung einschränkt, betrifft es dabei stets auch das Marktverhalten, denn es schützt die Freiheit des Verbrauchers bei der Entscheidung über die Anbahnung und den Abschluss von Geschäften. Daher ist das HWG insgesamt als Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG einzuordnen. Verstöße gegen das HWG führen daher im Regelfall auch zu einer Unlauterkeit durch Rechtsbruch, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 3a UWG erfüllt sind (Diekmann in: Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., § 3a UWG, Stand: 15.01.2021).
Gemäß § 3 HWG liegt eine unzulässige irreführende Werbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind – wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung – besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, Urteil vom 06. Februar 2013 – I ZR 62/11 –, juris).
Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (BGH, aaO.). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH, aaO.).
Welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH, aaO.).
Der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, obliegt grundsätzlich dem Kläger als Unterlassungsgläubiger. Da es sich hierbei um eine negative Tatsache handelt, die den Unterlassungsgläubiger vor praktische Beweisschwierigkeiten stellt, billigt ihm die Rechtsprechung Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zu. Der Unterlassungsgläubiger muss daher, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Absicherung ausräumen; es reicht vielmehr aus, die von dem Werbenden substantiiert darzulegenden wissenschaftlichen Nachweise auszuräumen, d. h. zu widerlegen. Gelingt dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht (vgl. BGH, Urteil vom 06. März 2020 – V ZR 2/19 –, juris). Es obliegt dann dem Unterlassungsschuldner, den Gegenbeweis zu führen (BGH, aaO.).
Die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen erfüllen nicht die Anforderungen an eine gesicherte wissenschaftliche Absicherung.
Die als Anlage B2 vorgelegte Studie der Dr. … erfüllt die oben dargestellten Anforderungen an eine den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet Arbeit erkennbar nicht.
Die Studie ist nicht einmal geeignet, die Wirksamkeit des beworbenen Haarwuchsmittels zu belegen, denn die Probanden wurden nicht ausschließlich mit dem beworbene Produkt behandelt, sondern es fand zeitgleich eine Korrektur von Ursachen, wie Eisenmangel, Schilddrüse, Hormonen statt. Zudem wurden Nahrungsergänzungsmittel verabreicht, um die Laborparameter hinsichtlich Selen, Zink, Ferretin, T3, T 4, TSH, Prolaktin, Progesteron, DHEAS, E2 und Testosteron in den „Normbereich“ zu bringen. Dabei konnte bereits bei der oralen Basisausgleichstherapie mit Multivitaminpräparaten u.ä. eine leichte nachlassende Ausfallaktivität (verbesserte Auszupftests, erhöhte Anagenrate, Stabilisierung der digitalen Trichoskopie) festgestellt werden. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass etwaige Veränderungen im Haarwachstum alleine auf die (orale) Therapie von Mangelerscheinungen bzw. Hormonbehandlungen und nicht (auch) auf die äußerliche Behandlung mit dem beworbenen Haarserum zurückzuführen ist.
Die Angaben in der Offenlegungsschrift erfüllen ebenfalls erkennbar nicht die oben dargelegten Anforderungen an ein wissenschaftliches Forschungsergebnis. Auch sie dienen nicht einmal als einfacher Beleg. Es handelt sich insoweit lediglich um reine Behauptungen.
Dasselbe gilt für den als Anlage B 4 vorgelegten Sicherheitsbericht der Dr. Köhler Consulting, der sich ausschließlich mit der Bewertung der Sicherheit der einzelnen Bestandteile i.S.d. KosmetikVO, nicht aber der haarwuchsfördernden Wirkung befasst .
Die weiteren als Anlagen B 6, B 7, B 8, B 9 vorgelegten Abhandlungen und Erörterungen dienen ebenfalls nicht einmal als einfacher Beleg für eine haarwachstumsfördernde Wirkung des beworbenen Produktes, denn sie beschäftigen sich allesamt mit der Wirkung von Biotin als Nahrungsergänzungsmittel, d.h. oraler Einnahme, nicht aber mit der Wirkung von Biotin bei äußerlicher Anwendung.
Aus demselben Grunde dienen auch die Zitate aus dem Anhang zur VO(EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16.05.2012 nicht als (wissenschaftlicher) Beleg für die Wirksamkeit des beworbene Produkts, denn auch hierbei handelt es sich ausschließlich um zulässige gesundheitsbezogene Angaben zu Biotin als Lebensmittel bzw. Nährstoff, nicht aber als nur äußerlich zu verwendendes Serum.
2.
Da der Antrag zu I Ziffer 4, 1. Spiegelstrich nur die äußere Anwendung bei erblich bedingtem Haarausfall betrifft, ergibt sich ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. der VO(EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel (im Weiteren: KosmetikVO), die seit der Ablösung der Richtlinie 76/768/EWG seit 11.07.2013 in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar gilt.
Danach dürfen nach Art. 20 Abs. 1 KosmetikVO bei der Kennzeichnung, der Bereitstellung auf dem Markt und der Werbung für kosmetische Mittel keine Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale oder Funktionen vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen. Diese Bestimmung stellt ebenso eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG aF und § 3a UWG nF dar wie die in § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB ehemals enthaltene Regelung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 – I ZR 36/14 –, juris).
Nach Nr. 3.1 des Anhangs der auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 2 Kosmetik-Verordnung ergangenen Verordnung (EU) Nr. 655/2013 zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln müssen Werbeaussagen über kosmetische Mittel, die nicht unter das HWG fallen, lediglich durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden, wobei neben Sachverständigengutachten auch andere Arten von Nachweisen herangezogen werden können, sofern diese Nachweise den Stand der Technik berücksichtigen (Nrn. 3.2). Werden Studien als Nachweis herangezogen, müssen diese relevant für das Produkt und den behaupteten Nutzen sein, auf einwandfrei entwickelten und angewandten Methoden (gültig, zuverlässig, reproduzierbar) basieren und ethischen Erwägungen Rechnung tragen (Nr. 3.3.).
Da die genannten Kriterien ersichtlich durchweg voraussetzen, dass der Werbende in der Lage sein muss, die Richtigkeit seine Behauptungen zu belegen, liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Belegbarkeit der von der Klägerin beanstandeten Werbeaussagen bei dem Werbenden (BGH, aaO.).
Der Beleg für die beworbene haarwuchsfördernde Wirkung des beworbenen Serums ist der Beklagten – wie bereits oben ausführlich dargestellt – vorliegend nicht gelungen.
Den zusätzlich angebotenen Zeugenbeweisen musste nicht nachgegangen werden.
Denn selbst unterstellt, die benannten Zeugen würden die Aussage der Beklagten bestätigt, dass sie mit dem beworbenen Produkt äußerst zufrieden gewesen sind, könnte hieraus noch nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit auf die praktische Wirksamkeit des Produktes geschlossen werden. Denn es ist weder erkennbar noch dargelegt, woher die benannten Zeugen die behauptete Erkenntnis nehmen sollten, dass ihr Haarwachstum gerade durch die Anwendung des beworbene Produktes beeinflusst worden sein sollte.
3.
Ein Anspruch auf Unterlassung der in I. Ziffer 1, 2 und 5 getroffenen Aussagen ergibt sich aus §§ 8, 3, 5 Abs. 1, S. 2, Nr. 1 UWG.
Danach handelt unlauter i.S.d. § 3 UWG, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte, was insbesondere dann der Fall ist, wenn sie unwahre oder zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale, insbesondere der Zwecktauglichkeit der Ware, enthält.
Die Aussagen, es handele sich um eine innovative Weltneuheit bei Haarausfall, die aus jahrzehntelanger Forschung von Wissenschaftlern entstanden ist, zielen offenkundig darauf ab, bei dem angesprochenem Verbraucherkreis die Annahme zu wecken, dem beworbenen Produkt komme anders als allen übrigen auf dem Markt gehandelten Produkte, eine wissenschaftlich gesicherte haarwuchsfördernde Wirkung zu. Dass sich die Wirksamkeit des streitgegenständlichen Produkts tatsächlich von anderen vergleichbaren Produkten in erheblichem Maße unterscheiden würde, hat die Beklagte jedoch nicht dargelegt, so dass die Kammer dem Kläger darin folgt, dass es sich hierbei um eine zumindest zur Täuschung geeignete Aussage handelt.
Entsprechendes gilt für die Aussage zur langfristigen Wirksamkeit, denn wenn keine Wirksamkeit belegt ist, kann diese auch nicht langfristig sein.
4.
Der Anspruch auf Erstattung der der Höhe nach nicht beanstandeten Abmahnkosten beruht auf §§ 12 Abs. 1, S. 2 UWG.
5.
Die zugesprochenen Zinsen haben ihre Rechtsgrundlage in §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
Der Klage war somit in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91a ZPO.
Dabei waren auch die für den erledigten Teil entstandenen Kosten der Beklagten aufzuerlegen, da sie ohne das erledigende Ereignis voraussichtlich im Rechtsstreit unterlegen wäre.
Dass die Aussage, die Zusammensetzung der Wirkstoffrezeptur sei patentrechtlich geschützt, unwahr ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Im Streit steht insoweit einzig die Frage, ob die mit Schreiben vom 25.06.2020 abgegebene strafbewehrte Teil-Unterlassungserklärung geeignet war, eine Wiederholungsgefahr auszuräumen.
Hierfür spricht zwar grundsätzlich, dass die Beklagte sich für den Fall eines Verstoßes zur Zahlung einer jedenfalls angemessenen Vertragsstrafe verpflichtet hat.
Allerdings ist der Unterlassungsgläubiger nicht verpflichtet, die abgegebene Unterlassungserklärung zu akzeptieren.
In der nachträglichen Festlegung der Höhe der Vertragsstrafe durch den Gläubiger übernimmt der Gläubiger bereits das Risiko, dass er im Falle der gerichtlichen Geltendmachung der Vertragsstrafe einen Teil der Kosten tragen muss, wenn das Gericht die von ihm festgesetzte Vertragsstrafe als nicht angemessen ansieht. Dieses Risiko wird bei der Vertragsstrafenbestimmung nach dem sog. Hamburger Brauch dadurch gemindert, dass bei der Bestimmung der Strafhöhe nicht die Angemessenheit, sondern das billige Ermessen i.S.d. § 315 BGB zur Überprüfung gestellt wird, denn in diesem Falle steht dem Gläubiger – anders als in der vorliegend gewählten Formulierung – ein Ermessensspielraum zu, so dass die Bestimmung erst dann durch das Gericht zu ersetzen ist, wenn die durch § 315 Abs. 3 BGB – mit dem Hinweis auf die Billigkeit – gezogenen Grenzen überschritten sind, nicht dagegen schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 2015 – 4 U 191/14 –, juris mit Verweis auf BGHZ 163, 119 – PRO-Verfahren; BGH NJW-RR 1991, 1248; Münch-Komm/Würdinger, BGB, 7. Aufl. 2016, § 315 Rn. 51). Im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB besteht damit nur ein beschränktes Kontrollrecht und kein Nachbesserungsrecht dahingehend, die Ermessensentscheidung des primär Bestimmungsberechtigten durch eine eigene, für besser und billiger gehaltene zu ersetzen (OLG Karlsruhe, aaO.).
Da kein überwiegendes Interesse der Beklagten an der abgegebenen Formulierung erkannt werden kann, der Kläger der Beklagten zudem vorprozessual Gelegenheit eingeräumt hatte, etwaige Missverständnisse auszuräumen, war der Kläger aus Billigkeitsgründen berechtigt, die Annahme des Unterlassungsversprechens bis zur erfolgten Klarstellung in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2021 zu verweigern.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.


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