IT- und Medienrecht

Zulässige Sperrung eines Nutzerkontos auf sozialem Netzwerk wegen Hassrede

Aktenzeichen  15 O 601/18

Datum:
26.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 53376
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 138, § 241, § 306, § 307, § 311, § 823, § 1004
GG Art. 5 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die streitgegenständliche Äußerung “Müllsack-Ballett?”, mit der eine Video-Sequenz kommentiert wird, in der sich schlagende Burka-Träger zu sehen sind, ist als Hassrede im Sinne der Gemeinschaftsstandards des betroffenen sozialen Netzwerks zu bewerten; die daraufhin erfolgte Sperrung des Nutzerkontos war daher rechtmäßig. (Rn. 13 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Betreiber einer Social-Media-Plattform ist nicht verpflichtet, jede nach Art. 5 Abs. 1 GG zulässige Meinungsäußerung zu tolerieren, solange die grundsätzlichen Wertentscheidungen der deutschen Verfassung beachtet werden.  (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.150,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist überwiegend zulässig, aber vollumfänglich unbegründet.
A.
I. Das Landgericht Coburg ist als Wohnsitzgericht des Klägers international und örtlich zuständig. Maßgeblich ist die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), weil die Beklagte ihren Sitz in … und damit in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat. Dabei kann im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung dahingestellt bleiben, ob es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen um vertragliche Erfüllungsansprüche oder Ansprüche aus unerlaubter Handlung handelt. In beiden Fällen ist das Landgericht Coburg örtlich und damit auch international zuständig. Eine Vertragspflicht der Beklagten im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO auf Bereitstellung von „Diensten“ wäre mangels einer abweichenden Vereinbarung der Vertragsparteien kraft Natur der Sache am Wohnsitz des Klägers zu erfüllen. Falls die Sperrung des Nutzeraccounts des Klägers bzw. die Löschung eines von ihm geposteten Beitrages ein „schädigendes Ereignis“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO darstellen sollte, würde dies primär am Wohnsitz des Klägers eintreten. Denn dort käme es zur Kollision der widerstreitenden Interessen der Parteien des Klägers auf Meinungsfreiheit und der Beklagten auf Wahrung ihrer Gemeinschaftsstandards (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 18 W 858/18 – zitiert nach juris).
II. Die Klage ist zum geltend gemachten Feststellungsanspruch (Ziffer 1) unzulässig. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist nicht gegeben. Nach § 256 ZPO kann eine Feststellungsklage zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung hat. Demgegenüber können Tatsachen oder abstrakte Rechtsfragen ebenso wenig Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wie bloße Vorfragen oder Elemente einer Rechtsbeziehung (vgl. Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 256, Rn. 3). Vor diesem Hintergrund ist die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Sperrung unzulässig. Soweit sich aus der Rechtswidrigkeit der Sperrung Rechtsfolgen in der Gegenwart ergeben, wie beispielsweise der gleichfalls geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung, kann insoweit die vorrangige Leistungsklage erhoben werden, ohne dass es einer isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme bedarf. Soweit der Kläger hingegen mit seinem Antrag Rechtssicherheit im Hinblick auf zukünftig denkbare Verstöße der Beklagten erzielen will, besteht nur die Befürchtung eines künftig entstehenden Rechtsverhältnisses, sodass es an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis fehlt (so auch LG Traunstein, Urteil vom 13.12.2018, Az. 8 O 2622/18 (2)).
B.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Freischaltung des von der Beklagten gelöschten Beitrags aus §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.
1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich der Kläger im sozialen Netzwerk … als Nutzer angemeldet hat. Mit der Anmeldung ist zwischen, den Parteien ein Vertragsverhältnis sui generis zustande gekommen. Das ausführliche Regelwerk der Beklagten (u.a. Gemeinschaftsstandards) lässt erkennen, dass diese ihre Dienste mit Rechtsbindungswillen anbietet.
2. Es fehlt jedoch an einer Pflichtverletzung der Beklagten nach § 241 Abs. 2 BGB.
Der streitgegenständliche Kommentar ist als sogenannte „Hassrede“ zu klassifizieren, sodass ein Verstoß gegen Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards (Anlage K2, gültig ab 19.04.2018) vorliegt und die Beklagte nach Ziffer 1 und 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen (Anlage K1, gültig ab 19.04.2018) zur Löschung des Beitrags und zur vorübergehenden Sperrung des Kontos des Klägers berechtigt war. Die Bedingungen der Beklagten sind auch wirksam.
a) Es kann dahinstehen, ob die Änderungsklausel in Ziffer 13 der bis zum 18.04.2018 gültigen Nutzungsbedingungen (Anlage B13) i.V.m. Ziffer 3 der Sonderbestimmungen für deutsche Nutzer (Anlage B14) wirksam ist. Die im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen einschließlich der in Bezug genommenen Gemeinschaftsstandards sind jedenfalls durch die Zustimmung des Klägers wirksam Vertragsinhalt geworden. Dem Kläger wurden die geänderten Nutzungsbedingungen per E-Mail, „pop-up“ bzw. über App bekannt gegeben. Der Kläger hat am 02.05.2018 der Änderung der Nutzungsbedingungen ausdrücklich zugestimmt.
b) Ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen liegt vor, da der gepostete Beitrag gegen die Gemeinschaftsstandards, die für die Nutzung von … gelten, verstößt. In Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen ist geregelt, dass Inhalte entfernt werden können, die unter Verstoß gegen diese Bestimmungen geteilt wurden, und dass gegebenenfalls Maßnahmen bezüglich des Kontos ergriffen werden können. In Ziffer 1 der Nutzungsbedingungen ist ausgeführt, dass als Maßnahme insbesondere das Deaktivieren des Kontos in Betracht kommt.
(1) Bei dem streitgegenständlichen Post des Klägers handelt es sich um eine „Hassrede“ im Sinne von Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards.
Nach Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards wird „Hassrede“ auf … grundsätzlich nicht zugelassen und wie folgt definiert:
„Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Auch Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. Wir teilen Angriffe in drei Schweregrade ein.

Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu.

Folgende Inhalte sind untersagt:
Inhalte, die Personen verunglimpfend beschreiben oder sie mit Verunglimpfungen angreifen. Verunglimpfungen werden als Ausdrücke bzw. Wörter definiert, die üblicherweise als beleidigende Bezeichnungen für die oben aufgeführten Eigenschaften verwendet werden.“
Bei der Interpretation der Äußerung geltend dabei die nachfolgenden Grundsätze. Es ist der objektive Sinn aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums zu ermitteln, wobei die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden muss, in dem sie gefallen ist (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14., MDR 2016, 648 f.). Fern liegende Deutungen sind auszuschließen und eine etwaige Mehrdeutigkeit der Aussage zu berücksichtigen (OLG München, Beschluss vom 18.07.2018, Az. 18 W 858/18 m.w.N.).
Auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Beitrag des Klägers als „Hassrede“ im Sinne der Gemeinschaftsstandards zu qualifizieren. Die getroffene Aussage „Müllsack-Ballett?“ bezog sich auf die in dem kommentierten Video zu sehenden und sich schlagenden Personen, die eine Burka tragen. Bei einer Burka handelt es sich um ein Kleidungsstück, welches überwiegend von muslimischen Frauen getragen wird. Dabei dient das Tragen einer Burka auch dem Ausdruck der religiösen Zugehörigkeit zum Islam. Der Kläger vergleicht die Videoszenerie mit einem „Müllsack-Ballett“. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dadurch nicht unmittelbar die zu sehenden Personen mit tanzenden Müllsäcken gleichgesetzt werden sollen, sondern allein die getragene Kleidung in Bezug genommen wird, ist in der getätigten Aussage ein direkter Angriff auf Personen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit zu sehen. Es ist nicht möglich die getätigte Äußerung gänzlich losgelöst von der Person, allein auf das getragene Kleidungsstück zu beziehen, zumal es sich um eine typische Bekleidung muslimischer Frauen handelt, durch die auch die religiöse Zugehörigkeit ausgedrückt wird. Indem die getragene Burka mit einem Müllsack gleichgesetzt wird, wird letztlich auch der Träger der Kleidung selbst durch diese Bezeichnung herabgesetzt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werden mit dem Begriff „Müll“ wertlose Gegenstände bezeichnet, Abfälle, die für den Verwender nicht weiter brauchbar, wertlos und zu entsorgen sind. Durch die Gleichsetzung ihrer Kleidung mit Müllsäcken, also Beuteln, die nur der Sammlung von Abfällen dienen, werden die Personen in dem Video direkt in Bezug genommen und angegriffen. Nachdem es sich um eine Bekleidung handelt, die typischerweise von muslimischen Frauen getragen wird, handelt es sich auch um einen Angriff aufgrund der religiösen Zugehörigkeit. Auch der durchschnittliche und unvoreingenommene Leser wird die Kommentierung nicht so verstehen, dass damit lediglich losgelöst vom Kleidungsträger, die Burka als solche ohne Bezug zur Person gemeint ist. Die getroffene Aussage bringt auch eine Minderwertigkeit der betroffenen Menschen zum Ausdruck. Durch den Vergleich der getragenen Kleidung mit „Müllsäcken“ werden die Personen in dem Video als minderwertig dargestellt. Die Kommentierung kann entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht als Witz oder Ironie verstanden werden. Es erschließt sich nicht, worin die Ironie der getroffenen Aussage liegen und woraus der durchschnittliche Leser diese folgern soll. Auch das verwendete Fragezeichen ändert hieran nichts. Der Beitrag ist für ein unvoreingenommenes Publikum nicht als bloßer Witz zu verstehen. Denn im Vordergrund der Aussage steht die Herabsetzung durch den Vergleich mit Müllsäcken. Auch eine Gesellschaftskritik ist dem Beitrag nicht zu entnehmen. Die Kommentierung enthält keinerlei Hinweis darauf, dass damit lediglich das Verhalten der zu sehenden Personen, nämlich das gegenseitige Schlagen, und damit möglicherweise ein gewaltsamer Umgang kritisiert werden soll. Es ist auch nicht ersichtlich, dass auf eine Unterdrückung von Frauen angespielt werden soll.
(2) Die Beklagte war somit nach Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen zur Löschung des streitgegenständlichen Kommentars und der vorübergehenden Sperrung des Nutzerkontos des Klägers berechtigt.
c) Die Nutzungsbedingungen und die Gemeinschaftsstandards der Beklagten (jeweils in der ab April gültigen Fassung) sind bezüglich der streitgegenständlichen Formulierungen hinsichtlich sogenannter „Hassrede“ sowie der hieran anknüpfenden Sanktionen auch nicht nach § 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Es liegt weder einen Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB noch gegen das Verbot einer unangemessenen Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB vor.
(1) Die Klauseln verstoßen nicht gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach dem Transparenzgebot sind die Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dazu gehört, dass allgemeine Geschäftsbedingungen Nachteile und Belastungen für den Vertragspartner des Verwenders so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Der Verwender muss somit die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht. Bei der Bewertung der Transparenz ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Andererseits darf jedoch das Transparenzgebot den Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht überfordern. Die Verpflichtung, den Inhalt der Klauseln klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Entsprechend brauchen die notwendig generalisierenden Regelungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht einen solchen Grad an Konkretisierung anzunehmen, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können (BGH Urteil vom 09.06.2011, Az. III ZR 157/10, Rn. 27 – zitiert nach juris).
Bei Anlegung dieses Maßstabes liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht vor. In Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards ist klar umschrieben, welche Inhalte untersagt sind. Dabei werden die verwendeten Begriffe verständlich definiert und die in drei verschiedene Schweregrade unterteilten Angriffe näher beschrieben und beispielhaft unterlegt. Auch die möglichen Folgen von Verstößen sind in den Nutzungsbedingungen und den Gemeinschaftsstandards klar aufgeführt. Die Nutzungsbedingungen sehen explizit vor, dass Beiträge gelöscht und das Nutzerkonto wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards gesperrt werden kann. Infolgedessen wird für den Nutzer bezogen auf sogenannte „Hassrede“ selbst vor dem Hintergrund der potentiellen Vielgestaltigkeit der möglichen Lebenssachverhalte hinreichend deutlich erkennbar, was noch erlaubt ist und wann der Betreiber Inhalte sanktionieren kann (LG Halle, Urteil vom 18.02.2019, Az. 6 O 250/18).
(2) Die Regelungen zur sog. „Hassrede“ stellen auch keine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders dar.
Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders gemäß § 307 BGB ist gegeben, wenn der Verwender durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH NJW 2005, 1774). Eine solche Benachteiligung liegt hier nicht vor.
(a.) Sie folgt nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks durch die Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, gefährdet wird, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Denn die Beklagte ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, dessen Zweck darin besteht, das von den Eigentümern eingesetzte Kapital zu vermehren. Die Geschäftsidee der Beklagten besteht darin, den Vertragspartnern eine Plattform zur Befriedigung ihres Kommunikations- und insbesondere ihres Gemeinschaftsbedürfnisses zu schaffen und dabei Daten der Nutzer zu erhalten und zu verkaufen und gezielt Werbebotschaften bei den Nutzern zu platzieren. Diese Geschäftsidee ist in den Nutzungsbedingungen der Beklagten unter Ziffer 1 mit hinreichender Klarheit beschrieben. Ebenso klar hat die Beklagte darin und ergänzend in den Gemeinschaftsstandards die unternehmerische Entscheidung dokumentiert, den Geschäftszweck durch eine Regulierung der Kommunikation zu fördern, indem schädliches Verhalten bekämpft und die Gemeinschaft geschützt und unterstützt werden soll. Daher sind nach den Gemeinschaftsstandards strafbare, gewaltbezogene und anstößige Inhalte, insbesondere auch als „Hassrede“ bezeichnete Beiträge, die ein Umfeld der Einschüchterung schaffen, Menschen ausschließen und in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern können, nicht erwünscht. In einer solchen Regulierung der zur Verfügung gestellten Kommunikationsplattform liegt keine unzulässige Einschränkung wesentlicher vertraglicher Rechte und Pflichten (LG Heidelberg, Urteil vom 28.08.2018, Az. 1 O 71/18).
(b.) Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB folgt auch nicht aus einer unzureichenden Berücksichtigung der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung kommt den Grundrechten in Streitigkeiten zwischen Privaten eine mittelbare Drittwirkung zu. Als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen entfalten sie auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Gerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Zivilrechts zur Geltung zu bringen (BVerfGE 73, 261 (269)). Somit ist die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit auch bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der unangemessenen Benachteiligung zu berücksichtigen.
Die Nutzungsbedingungen und die Gemeinschaftsstandards der Beklagten berücksichtigen Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG jedoch in angemessener Weise. Das Gericht verkennt nicht, dass sich das Verbot von „Hassrede“ in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards auf die Meinungsfreiheit der Nutzer auswirkt. Die Beklagte ist jedoch nicht verpflichtet, jede nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG zulässige Meinungsäußerung zu tolerieren, solange die grundsätzlichen Wertentscheidungen der deutschen Verfassung beachtet werden. Die Regelungen zur sogenannten Hassrede richten sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche. Auch die Gefahr einer willkürlichen Festsetzung der Sanktionen, insbesondere der Löschung eines Beitrags oder der Kontosperrung besteht nicht. Die Sperrung und Löschung einzelner Beiträge wird gerade nicht in das Belieben der Beklagten gestellt, sondern an das Vorliegen mehrerer Voraussetzungen geknüpft, die insbesondere berücksichtigen, dass eine Äußerung, die grundsätzlich als Hassrede zu qualifizieren wäre, dennoch zulässig ist, wenn sie eine gesellschaftskritische oder humorvolle Bedeutung enthält. In dieser Regelung kommt der auch in der Rechtsprechung des BVerfG verankerte Grundsatz zum Ausdruck, dass Meinungen, die einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage leisten, in verstärktem Umfang geschützt sind. Die Gemeinschaftsstandards sehen auch vor, dass Sanktionen nur abhängig „von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der jeweiligen Person“ getroffen werden sollen (Einleitung Gemeinschaftsstandards, S. 2). Aufgeführt werden dort die Verwarnung, die Einschränkung der Posting-Rechte bei einem Folgeverstoß und die Deaktivierung des Kontos. Damit wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung getragen. Auch besteht ein berechtigtes Interesse der Beklagte dahingehend, sich nicht der Gefahr einer Inanspruchnahme nach dem NetDG oder als Störer nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB aussetzen. Eine solche Gefahr ist bei den Tatbeständen, die in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards geregelt sind naheliegend (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018, Az. 4 W 577/18 – zitiert nach juris). Zudem gewährt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass demjenigen der eine Meinung kundtun will, Mittel zur Meinungskundgabe zur Verfügung gestellt werden. Ein verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch auf aktive Unterstützung bei der Meinungskundgabe besteht schon nicht gegenüber staatlichen Stellen und umso weniger gegenüber Privaten. Soziale Netzwerke wie die der Beklagten sind auch nicht mit öffentlich zugänglichen Einrichtungen gleich zu stellen, die als Forum öffentlicher Meinungsäußerung jedem zugänglich sein müssen (OLG München, Beschluss vom 30.11.2018, Az. 24 W 1771/18). Somit ist es nicht zu beanstanden, dass das Verbot der Hassrede in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards auch Meinungsäußerungen betrifft, die unterhalb der Schwelle zur Schmähkritik bleiben.
d) Die Regelungen sind auch nicht wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam, § 138 Abs. 1 BGB. Ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (u.a. BGH NJW 2004, 2668 (2670)) liegt nicht vor. Zwar muss die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Zuge der mittelbaren Drittwirkung auch bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Sittenwidrigkeit beachtet werden. Jedoch wurde vorliegend das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinreichend beachtet (s.o.).
e) Auch bezüglich der konkreten Anwendung und Auslegung der Nutzungsbedingungen im vorliegenden Einzelfall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte die Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG verkannt hat. Die vorübergehende Sperrung des Kontos des Klägers für drei Tage ist weder unverhältnismäßig noch willkürlich. Vielmehr hat die Beklagte dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen, indem sie dem klaren Verstoß gegen Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards neben der Löschung des Beitrags lediglich mit einer dreitägigen Sperre für Einzelfunktionen (sog. Read-Only Modus) begegnet ist. Die Beklagte hat auch nicht den Aussagegehalt des Beitrags oder eine etwaige Mehrdeutigkeit verkannt. Die Kommentierung des Klägers war weder als Gesellschaftskritik noch als ironische Äußerung zu verstehen (s.o.).
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Sperre des Nutzerkontos des Klägers wegen des streitgegenständlichen Kommentars bzw. dessen Löschung aus § 1004 BGB (analog) i.V.m. §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Da die Beklagte zur Löschung eines solchen Beitrags und infolgedessen auch zur Sperre des Nutzerkontos berechtigt ist, fehlt es bereits an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung.
III. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß den Ziffern 4 und 5 der Klage zu. Für eine solche Auskunftserteilung fehlt es schon an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Die begehrten Informationen sind jedenfalls für die Durchsetzung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht erforderlich. Es ist für die erhobenen Ansprüche völlig unerheblich, ob die Sperre durch die Beklagte selbst oder in ihrem Auftrag durch einen Dienstleister vorgenommen wurde und ob die Bundesregierung irgendwelche Erklärungen gegenüber der Beklagten hinsichtlich der Löschung von Beiträgen oder der Sperrung von Nutzern abgegeben hat (vgl. auch LG Traunstein, Urteil vom 13.12.2018, Az. 8 O 2622/18 (2)).
IV. Ebenso hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schadenersatzes bzw. einer angemessenen Entschädigung in Höhe von 150,00 €. Die Beklagte war sowohl zur Löschung des Beitrags als auch zu der dreitägigen Sperrung des Nutzerkontos des Klägers berechtigt.
V. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB zu, da schon eine haftungsbegründende Vertragsverletzung der Beklagten aufgrund der rechtmäßigen Löschung und Kontosperrung nicht vorliegt.
C.
Die Bedingung ist eingetreten, sodass über den Hilfsantrag zu entscheiden war.
1. Der Hilfsantrag ist durch Zustellung des Schriftsatzes vom 10.04.2019 gemäß § 261 Abs. 2 Alt. 2 ZPO ordnungsgemäß rechtshängig gemacht worden. Es handelt sich um eine zulässige Klageerweiterung nach §§ 263, 267 ZPO. Die Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung insoweit rügelos eingelassen, § 267 ZPO.
2. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch nach §§ 311, 241 Abs. 2 BGB auf Berichtigung seiner Daten und Zurücksetzung des Zählers bezüglich bereits begangener Verstöße gegen die Beklagte. Denn die erfolgte Löschung der Kommentierung sowie die Kontosperrung waren rechtmäßig.
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.


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