IT- und Medienrecht

Zurückgewiesene Berufung im Streit um Erhebung von Abwassergebühren – Schätzung der Abwassermenge auf Grundlage der geschätzten Frischwassermenge

Aktenzeichen  20 B 15.565

Datum:
14.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 8, Art. 13
AO AO § 162 Abs. 1 S. 2
FGO FGO § 96 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Unabhängig davon, ob der Zutritt zum Wasserzähler bzw. dessen Ablesung nicht ermöglicht wurde oder der Wasserzähler defekt ist, kann die die Abwasserabgabe erhebende Behörde die Grundlagen der Gebührenerhebung nicht ermitteln oder berechnen und hat daher die Gebührenerhebungsgrundlagen nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) aa) KAG i. V. m. § 162 AO zu schätzen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die die Abwasserabgabe erhebende Behörde hat grundsätzlich eine eigene Schätzungsentscheidung vorzunehmen, auch wenn der Bescheid des Wasserzweckverbandes über die Frischwassermenge bestandskräftig ist, da hinsichtlich der Höhe der geschätzten Frischwassermenge ihr gegenüber keine Bindungswirkung eintritt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 K 14.994 2014-08-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14. August 2014 davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes Schwandorf vom 19. Mai 2014 rechtmäßig ist und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des Bescheids der Beklagten vom 20. Februar 2014 ist Art. 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993 (GVBl S. 264; BayRS 2024-1-I) einschließlich der Änderungsgesetze. Danach können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben, wobei diese nach dem Ausmaß zu bemessen sind, in dem die Gebührenschuldner diese Einrichtung in Anspruch nehmen (Art. 8 Abs. 4 KAG). Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte für die von ihr betriebene Entwässerungsanlage durch den Erlass ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 9. Februar 2012 Gebrauch gemacht. Bei der hier streitigen Schmutzwassergebühr gilt nach § 10 Abs. 2 der BGS-EWS grundsätzlich als Abwassermenge die dem Grundstück aus der Wasserversorgungseinrichtungen und aus der Eigengewinnungsanlage zugeführten Wassermengen abzüglich der nachweislich auf dem Grundstück verbrauchten oder zurückgehaltenen Wassermengen.
Weil hierfür keine exakten Zahlen zur verbrauchten Frischwassermenge vorgelegen hatten, hatte die Beklagte grundsätzlich die Möglichkeit, die Abwassermenge auf der Grundlage des Frischwassermaßstabes zu schätzen. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) aa) KAG i. V. m. § 162 AO hat die die Abgabe erhebende Behörde die Gebührenerhebungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie die Grundlagen der Gebührenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann. Dies ist der Fall, wenn der Gebührenpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag, weitere Auskunft verweigert oder seine gesetzliche Mitwirkungspflicht verletzt. In Konkretisierung dieser formalgesetzlichen Ermächtigung bestimmt § 10 Abs. 2 Satz 3 der BGS-EWS, dass die zugeführten Wassermengen von der Gemeinde zu schätzen sind, wenn ein Wasserzähler nicht vorhanden ist, oder der Zutritt zum Wasserzähler oder dessen Ablesung nicht ermöglicht wird, oder sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Wasserzähler den wirklichen Wasserverbrauch nicht angibt. Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt des Erlasses des Gebührenbescheides und auch noch im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides erfüllt. Dies gilt unabhängig davon, welchem Vortrag der Beteiligten der Senat folgt. Geht man mit der Beklagten davon aus, dass die Klägerin den Zutritt zum Wasserzähler oder dessen Ablesung nicht ermöglicht hat, so liegen die Schätzungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BGS-EWS vor. Unterstellt man dagegen den Vortrag der Klägerin, der Wasserzähler sei defekt gewesen, so ist der Tatbestand des § 10 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 BGS-EWS erfüllt. Demnach war die Schätzung der dem Veranlagungsjahr zugrunde gelegten Frischwassermenge dem Grunde nach zulässig.
Bei der Höhe der Schätzung hat sich die Beklagte an der ebenfalls geschätzten Frischwassermenge im Bescheid des Trägers der Wasserversorgung vom 29. Januar 2014 orientiert. Dies ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Zwar tritt, auch wenn der Bescheid des Wasserzweckverbandes bestandskräftig ist, keine Bindungswirkung der Beklagten hinsichtlich der Höhe der geschätzten Frischwassermenge ein. Denn die Beklagte hat grundsätzlich eine eigene Schätzungsentscheidung vorzunehmen. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) aa) KAG i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Erhebungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel sein (BayVGH, B.v. 21.5.2012 – 20 B 12.251 – juris; BFH-Urteile v. 23.4.2015 – V R 32/14 – BFH/NV 2015, 1106; v. 24.6.2014 – VIII R 54/10 – BFH/NV 2014, 1501 m. w. N.). Ein Abgabepflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, muss es jedoch hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und sich die Behörde an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientiert (BFH, B. v. 13.7.2000 – IV R 55/99 – BFH/NV 2001). Berücksichtigt man diese rechtlichen Vorgaben, so ist die Schätzungsentscheidung der Beklagten auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Nach deren unwidersprochenen Vortrag orientiert sich die Schätzung an dem Durchschnittsverbrauch eines vergleichbaren Grundstücks. Dies ist nachvollziehbar und schlüssig. Soweit während des Berufungszulassungs- und des Berufungsverfahrens Umstände (Vergleich des Zählerstandes am 1. Januar 2008 mit 458 m³ und am 20 August 2014 mit 579 m³) bekannt geworden sind, welche die Möglichkeit eröffnen könnten, eine andere, geringfügigere Frischwassermenge anzunehmen, so sind diese im Anfechtungsrechtsstreit nicht mehr zu berücksichtigen. Den Verwaltungsgerichten steht, anders als den Finanzgerichten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), eine eigenständige Schätzungsbefugnis nicht zu. Nachträgliche Umstände können allenfalls im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrages bei der Beklagten geltend gemacht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 100,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).


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