Kosten- und Gebührenrecht

Abänderungsantrag und doppelte Rechtshängigkeit

Aktenzeichen  M 12 E 20.410

Datum:
7.2.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1696
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7, § 123 Abs. 1
GVG § 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein Abänderungsantrag (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO) ist mangels Antragsbefugnis unzulässig, wenn bereits keine Änderung der Sach- oder Rechtslage vorgetragen wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Während der Rechtshängigkeit eines Streitgegenstandes kann dieser nicht anderweitig anhängig gemacht werden. Eine doppelte Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit des zeitlich später anhängig gewordenen Verfahrens. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren M 12 E 20.410 und M 12 E 20.412 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge werden abgelehnt.
III. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten der Verfahren gesamtschuldnerisch.
IV. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden in beiden Verfahren abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren die Zuweisung von Wohnungen in München.
Mit am 5. September 2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz stellten die Antragstellerinnen einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, mit dem sie die Zuweisung von Wohnungen in München begehrten. Dem Schriftsatz war ein Schriftsatz an das Sozialgericht München vom 1. September 2019 beigefügt (M 12 E 19.4574). Bereits mit am 1. September 2019 beim Sozialgericht München eingegangenem Schriftsatz haben die Antragstellerinnen dort einen Eilantrag auf Zuweisung von Wohnungen in München gestellt. Das Verfahren wurde insoweit mit Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. September 2019 an das Bayerische Verwaltungsgericht München verwiesen (M 12 E 19.4997).
Antragsbegründend wurde in beiden Verfahren unter anderem vorgetragen, die Antragstellerinnen würden von einem Mitbewohner in der derzeitigen Wohngemeinschaft (bestehend aus überwiegend männlichen ehemaligen Strafgefangenen) im-mens belästigt und gestalkt.
Mit Beschlüssen vom 16. Dezember 2019 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München die Anträge abgelehnt. Auf die Beschlussgründe in beiden Verfahren wird Bezug genommen. Die Beschlüsse wurden den Antragstellerinnen jeweils am 14. Januar 2020 und den Antragsgegnern am 15. Januar 2020 (Antragsgegnerin zu 2) bzw. 16. Januar 2020 (Antragsgegner zu 1) zugestellt.
Mit Schriftsätzen vom … Januar 2020, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, haben die Antragstellerinnen in beiden Verfahren Beschwerde eingelegt. Gleichzeitig haben sie jeweils Anhörungsrüge erhoben (M 12 E9 20.411 und M 12 E9 20.413) und
Eilanträge
gestellt sowie beantragt,
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.
Antragsbegründend führten sie aus, der Eilantrag werde gestellt, da das Bayerische Verwaltungsgericht München den Sachverhalt und die Gefährdungslage durch den Stalker in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2019 vollumfänglich „ignorierte“.
Der Antragsgegner zu 1) hat am 6. Februar 2020 sinngemäß beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Er führte aus, den Antragstellerinnen sei im Juli 2019 ein für ein Jahr gültiger Wohnberechtigungsschein ausgestellt worden, freie Wohnungen seien derzeit nicht gemeldet worden. Eine geänderte Sachlage liege nicht vor.
Die Antragsgegnerin zu 2) hat am 6. Februar 2020 beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Sie führte aus, es sei nach wie vor kein Zuzugserfordernis nach München dargelegt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in hiesigen Verfahren sowie auf die Gerichts- und Behördenakten der Verfahren M 12 E 19.4574 und M 12 E 19.4997 Bezug genommen.
II.
1. Die Verfahren konnten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden, da sie den gleichen Gegenstand betreffen (§ 93 Satz 1 VwGO).
2. Die Anträge sind nach §§ 88, 122 VwGO entsprechend des Rechtsschutzinteresses der Antragstellerinnen und der gesamten Umstände des Einzelfalls auszulegen. Ausgehend davon geht die Kammer davon aus, dass die Antragstellerinnen weiterhin die Zuweisung von Wohnungen in München im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO begehren. Denn die neuerlichen Eilanträge wurden mit den Beschwerdeschriftsätzen gegen die Beschlüsse im Verfahren M 12 E 19.4574 und M 12 E 19.4997 gestellt, in denen bereits die Zuweisung von Wohnungen in München Verfahrensgegenstand war. Auch der Umstand, dass antragsbegründend die bereits in diesen Verfahren geltend gemachte Gefährdung durch einen Stalker angeführt wurde, spricht für diese Auslegung.
3. Die so verstandenen Anträge sind unzulässig.
Es kann dabei dahinstehen, ob die Anträge als Antrag auf Abänderung der Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 analog § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO oder als neue Anträge auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO auszulegen sind, da die Anträge in beiden Fällen unzulässig sind.
a) Soweit man die Anträge als Abänderungsanträge nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog auslegt, sind sie mangels Antragsbefugnis unzulässig. Eine solche ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich die Umstände, von denen das Gericht im vorangegangenen Eilverfahren ausgegangen ist, nachträglich geändert haben. Dazu gehören Änderungen der Sach- oder Rechtslage, aber auch der Prozesslage, sowie das Bekanntwerden neuer Gesichtspunkte und Beweismittel, die objektiv geeignet sind, die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens anders zu beurteilen oder die zumindest eine neue Interessenabwägung erfordern (VGH Mannheim, B.v. 14.2.2007 – 13 S 2969/06 – NVwZ-RR 2007, 419 m.w.N.). Diese Voraussetzungen müssen jedenfalls durch schlüssigen Vortrag geltend gemacht werden (Schoch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL 2019, § 80 Rn. 576; a.A. BVerwG, B.v. 29.1.1999 – 11 VR 13/98 – BeckRS 1999, wonach das tatsächliche Vorliegen für die Zulässigkeit erforderlich ist).
Es ist schon keine geänderte Sachlage schlüssig vorgetragen worden. Die Gefährdung durch einen Stalker wurde bereits in den vorangegangenen Eilanträgen umfangreich vorgetragen. Dieser Vortrag wurde im Rahmen des Verfahrens M 12 E 19.4997 auch berücksichtigt (vgl. Rn. 12 und Rn. 30 der Beschlussabschrift). Im Verfahren M 12 E 19.4574 war er mangels Zulässigkeit des Antrags bereits nicht entscheidungserheblich.
b) Soweit man die Anträge als neue Anträge auf einstweilige Anordnung auslegt, sind sie wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG kann während der Rechtshängigkeit eines Streitgegenstandes dieser von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Eine doppelte Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit des zeitlich später anhängig gewordenen Verfahrens.
Die Anträge sind nach Auslegung auf denselben Verfahrensgegenstand wie die Verfahren M 12 E 19.4574 und M 12 E 19.4997 gerichtet. Diese Verfahren sind aufgrund der durch die Antragstellerinnen eingelegten Beschwerden noch nicht abgeschlossen und daher immer noch rechtshängig.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 Satz 2 VwGO.
5. Mangels Erfolgsaussichten waren die Anträge auf Prozesskostenhilfe ebenfalls abzulehnen. Nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolges. Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist dabei der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (BayVGH, B.v. 10.4.2013 – 10 C 12.1757 – juris). Diese ist regelmäßig dann gegeben, sobald das Gesuch um Prozesskostenhilfe vollständig, einschließlich der Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, vorliegt.
Gemessen an diesen Voraussetzungen bietet die Rechtsverfolgung nach den obigen Ausführungen schon keine hinreichende Erfolgsaussicht.


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