Kosten- und Gebührenrecht

Beihilfefähigkeit von Fahrtkosten zur und von Rehabilitationseinrichtung

Aktenzeichen  14 BV 15.212

Datum:
19.4.2016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 3 Abs. 1
BayBhV § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
EStG EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4

 

Leitsatz

§ 29 Abs. 6 S. 1 Nr. 5 BayBhV ist dahingehend auszulegen, dass die An- und die Abreise nicht als Einheit, sondern getrennt zu betrachten sind, mit der Folge, dass Aufwendungen für beide Fahrten beihilfefähig sind. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 K 13.463 2014-12-09 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Dezember 2014 wird abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 20. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2012 verpflichtet, dem Kläger weitere Beihilfe für Fahrtaufwendungen in Höhe von 39,50 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung wurde vom Kläger mit Schriftsatz vom 7. April 2016, vom Beklagten mit Schriftsatz vom 11. April 2016 erklärt.
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe für Fahrtaufwendungen in Höhe von 39,50 €. Das Urteil des Verwaltungsgerichts und der Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2012 waren entsprechend abzuändern.
1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (st. Rspr., vgl. statt aller BVerwG, U. v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Da die streitgegenständlichen Aufwendungen (spätestens) mit Beendigung der Heimreise entstanden sind (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV), beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit der Kläger für die von ihm geltend gemachten Aufwendungen die Gewährung einer Beihilfe beanspruchen kann, nach der auf der Grundlage des Art. 86a des Bayerischen Beamtengesetzes (i. d. F.d. Bek. v. 8.12.2006, GVBl S. 987 – BayBG a. F.) erlassenen Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15), die im hier einschlägigen Teil bis heute unverändert geblieben ist.
2. Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte (weitere) Beihilfe zu Aufwendungen für (weitere) 395 Entfernungskilometer in Höhe von je 0,20 € ist § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV. Hiernach sind aus Anlass einer stationären Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung entstandene Aufwendungen für die An- und Abreise in Höhe von 0,20 € je Entfernungskilometer, höchstens bis zu 200 €, unabhängig vom benutzten Beförderungsmittel, beihilfefähig, wobei sich die Entfernungskilometer regelmäßig nach der kürzesten üblicherweise mit einem Kraftfahrzeug zwischen Wohnung und Einrichtung zurückzulegenden Strecke bestimmen. Aufwendungen sind dabei jeweils für die Anreise und die Abreise beihilfefähig, insgesamt bis zu einem Betrag von höchstens 200 €. Für ein entsprechendes Verständnis der Norm spricht der Wortlaut der Vorschrift. Dieser Befund wird durch die Gesetzessystematik nicht in Frage gestellt.
a) Der Wortsinnn des § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV weist deutlich in die Richtung, dass die An- und die Abreise nicht als Einheit, sondern getrennt zu betrachten sind, mit der Folge, dass Aufwendungen für beide Fahrten beihilfefähig sind. Dies ergibt sich schon aus der Verwendung des Begriffs „An- und Abreise“, der zum Ausdruck bringt, dass es sich um zwei erstattungsrelevante Vorgänge handeln soll. Aus grammatikalischer Sicht bezieht sich der Begriff „Entfernungskilometer“ ausschließlich auf die Art und Weise der Berechnung der Kilometer. Er ist Anknüpfungspunkt für die in Satz 2 der Vorschrift enthaltene Legaldefinition der „Entfernungskilometer“ als „kürzeste üblicherweise mit einem Kraftfahrzeug zurückzulegende Strecke zwischen Wohnort und Einrichtung“. Der vom Beklagten gezogene Schluss, die Verwendung des Begriffs „Entfernungskilometer“ bedeute, dass lediglich die einfache Strecke beihilfefähig sei, weil ansonsten der Normgeber von „Kilometern zurückgelegter Strecke“ gesprochen hätte, ist nicht überzeugend. Wie sich aus der Legaldefinition ergibt, sollten gerade nicht die zurückgelegten Kilometer bei der Berechnung der Strecke in Ansatz kommen, sondern die kürzeste Strecke zwischen Wohnort und Rehabilitationseinrichtung, die mit einem Kraftfahrzeug üblicherweise zurückzulegen ist. Dem Begriff „Entfernungskilometer“ eine weitere Bedeutung dahingehend zuzumessen, dass die Aufwendungen zu pauschalieren seien und damit nur die Beihilfefähigkeit des einfachen Weges in Betracht komme, findet im Gesetzeswortlaut keine Entsprechung. Auch das Argument, der Begriff der Entfernungskilometer sei aus dem Steuerrecht übernommen, das eine Pauschalierung für Fahrtkosten im Rahmen der Entfernungspauschale vorsehe, überzeugt nicht. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG lautet wie folgt: „…Zur Abgeltung dieser Aufwendungen [für die Wege zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte] ist…eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr…“. Der Vergleich mit dieser Norm macht deutlich, dass maßgeblich für die steuerrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit lediglich der einfachen Wegstrecke die Verwendung des Begriff „Entfernungspauschale“ ist. Von einer Entfernungspauschale spricht jedoch § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV hinsichtlich der Wegstrecke nicht. Die beihilfefähigen Aufwendungen werden lediglich insofern pauschaliert, als sie auf einen Betrag von 0,20 € pro Kilometer und einen Höchstbetrag von 200 € beschränkt sind.
b) Systematische Gründe stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Ein Vergleich mit Regelungen zur Fahrtkostenerstattung in weiteren Vorschriften des Beihilferechts führt nicht zu einem anderen Verständnis des Begriffs „Entfernungskilometer“. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c BayBhV ist im Rahmen der Aufwendungen für Blindenhilfsmittel sowie die erforderliche Unterweisung im Gebrauch eine Fahrtkostenerstattung für Fahrten einer Trainingskraft je gefahrenem Kilometer vorgesehen. Nach Nr. 10.5 der Anlage 1 zu § 7 Abs. 1 BayBhV ist eine Nebengebühr für einen Hausbesuch eines Heilpraktikers für jeden zurückgelegten Kilometer zwischen Praxis- und Besuchsort in Höhe von 1 € angemessen und damit beihilfefähig. Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs „Entfernungskilometer“ in dem Sinne, dass die An- und Abreise als Einheit zu betrachten sei und damit nur die einfache Wegstrecke Berücksichtigung finden könne, lassen sich den hierbei verwendeten Formulierungen „für jeden zurückgelegten Kilometer“ bzw. „je gefahrenem Kilometer“ nicht entnehmen. Abweichend von letzteren Vorschriften hat sich der Normgeber im Rahmen des § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV entschieden, lediglich die kürzeste übliche Strecke als erstattungsfähig festzulegen und nicht die tatsächlich gefahrenen Kilometer zu berücksichtigen. Weiteres ergibt sich für die Auslegung des Begriffs „Entfernungskilometer“ daraus nicht.
c) Der entsprechenden Auslegung des § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV steht auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht entgegen.
Die Argumentation, wohnortnahe Rehabilitationsmaßnahmen wären unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG beihilferechtlich begünstigt, wenn auch die Rückfahrt als beihilfefähige Aufwendung angesetzt werden könnte (vgl. Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand November 2015, Anm. 9 (10) zu § 29 Abs. 6 BayBhV), übersieht, dass die Auslegung des Begriffs „An- und Abreise“ als solche keine Ungleichbehandlung hervorruft. Unabhängig davon, ob lediglich die Aufwendungen für die einfache Wegstrecke oder für Hin- und Rückfahrt beihilfefähig sind, gilt dies für alle Beihilfeberechtigten gleichermaßen. Eine beihilferechtliche Ungleichbehandlung wäre erst dann zu diskutieren, wenn infolge einer Anwendung der in § 29 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BayBhV enthaltenen Höchstbetragsregelung im Ergebnis die von einem Beihilfeberechtigten durchgeführte Rückfahrt von einer Rehabilitationseinrichtung ganz oder teilweise nicht berücksichtigt werden könnte. In der hier zu entscheidenden Fallkonstellation ist dies jedoch nicht relevant, da die Höchstbetragsregelung nicht zum Tragen kommt.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Prozesszinsen ergibt sich aus § 291 Satz 1 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB analog.
Nach alledem war der Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des anderen Oberverwaltungsgerichts (Verwaltungsgerichtshofs), des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die angefochtene Entscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 39,50 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 GKG (wie Vorinstanz).


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