Kosten- und Gebührenrecht

Erstattungsfähigkeit fiktiver Terminsgebühr

Aktenzeichen  RO 9 M 16.929

Datum:
27.6.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VV-RVG Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2
SGG SGG § 105 Abs. 2 S. 2
VwGO VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Eine fiktive Terminsgebühr ist nur erstattungsfähig, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist (§ 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG). (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.
Das Hauptsacheverfahren (Az: RO 9 K 15.1115) wurde am 19. Februar 2016 vom Verwaltungsgericht Regensburg durch Gerichtsbescheid beendet. Nach Klagestattgabe durch Verbescheidungsausspruch (nach Verpflichtungsantrag) und Klageabweisung im Übrigen haben der Kläger ¼ und der Beklagte ¾ der Verfahrenskosten mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen. Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 7. März 2016 einen Kostenfestsetzungsantrag in Höhe von 976,57 Euro zulasten des Beklagten stellen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die dem Kläger erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen auf 402,92 Euro fest. Darin enthalten ist nicht die fiktive 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG) in Höhe von 363,60 Euro.
Am 15. Juni 2016 beantragte der Kläger die Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016, soweit die beantragte fiktive Terminsgebühr nicht für erstattungsfähig erklärt wurde.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids dahingehend gelautet habe, dass innerhalb eines Monats Antrag auf Zulassung der Berufung oder stattdessen mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Wenn durch Gerichtsbescheid gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO entschieden und die Berufung nicht zugelassen werde, entstehe eine Terminsgebühr. Müsse die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 4 VwGO beantragt werden, führe dies nicht zum Ausschluss der Terminsgebühr. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Voraussetzungen der Nr. 3104 Nr. 2 VV-RVG seien erfüllt. Die einengende Auslegung im Kostenfestsetzungsbeschluss sei daher nicht nachvollziehbar. Auch der Bezug auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 21. September 2015 gehe fehl. In dieser Entscheidung sei ein Anspruch auf Terminsgebühr bei vollständigem Obsiegen durch Gerichtsbescheid verneint worden. Im vorliegenden Fall sei der Kläger – anders als in dem vom Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein entschiedenem Fall – indessen teilweise unterlegen, so dass eine Beschwer gegeben sei und der Kläger mündliche Verhandlung beantragen könne.
Der Beklagte äußerte keine Einwände gegen die Rechtsauffassung des Urkundsbeamten zur Erstattungsfähigkeit einer fiktiven Terminsgebühr.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle half der Erinnerung nicht ab und legte diese dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt einschließlich der Gerichtsakte aus dem Verfahren RO 9 K 15.1115 Bezug genommen.
II.
Der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) ist zulässig (§§ 165, 151 VwGO), jedoch nicht begründet.
Gemäß §§ 165 Satz 1, 151 Satz 1 VwGO entscheidet über Erinnerungen das Gericht, dessen Urkundsbeamter gemäß § 164 VwGO die Kosten festzusetzen hat. Nachdem die der Kostenfestsetzung zugrundeliegende Kostenentscheidung durch die Kammer getroffen wurde, entscheidet das Gericht über die Erinnerung ebenfalls in Kammerbesetzung (vgl. Kopp, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 165 Rn. 3).
Der Urkundsbeamte hat in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016 zu Recht die geltend gemachte (fiktive) Terminsgebühr (Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG) nicht als eine dem Kläger erwachsene notwendige und zu erstattende Aufwendung festgesetzt.
Nach Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Vorliegend wurde zwar durch einen Gerichtsbescheid entschieden, es fehlt jedoch an der weiteren Voraussetzung, dass durch den Kläger (nur) eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO können die Beteiligten zwar grundsätzlich statt eines Antrags auf Zulassung der Berufung auch mündliche Verhandlung beantragen. Diese bloße Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung (neben einem Antrag auf Zulassung der Berufung als Rechtsmittel) ließ nach der Rechtslage vor dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (2. KostRModG) die Geltendmachung und Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr zu, unabhängig davon, ob mündliche Verhandlung zulässigerweise (nur wenn Beschwer gegeben durch vorangegangenen Gerichtsbescheid und fristgerechter Antrag auf mündliche Verhandlung, vgl. VG Regensburg, B.v. 30.3.2015 – RO 9 K 15.50006 – juris) überhaupt beantragt werden konnte und wurde, und unabhängig davon, ob Antrag auf Zulassung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gestellt wurde.
Soll mit der durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz durch die Formulierung: „…und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann…“ vorgenommene Ergänzung im Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG eine gesetzgeberische Absicht zum Ausdruck gebracht werden – auch im Sinne einer transparenteren und einfacheren Gestaltung der Kostenregelungen (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 1) -, die eine klar umsetzbare inhaltliche Veränderung gegenüber dem alten Rechtszustand herbeiführen soll, so kann diese nur darin gesehen werden, dass die fiktive Terminsgebühr nur mehr dann anfallen soll, wenn im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren kein Rechtsmittel gegeben ist bzw. zugelassen wird und deshalb nur mehr mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind das die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, im sozialgerichtlichen Verfahren die des § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Rn. 38 zu Nr. 3104 VV-RVG; Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., Rn. 85 zu Nr. 3104 VV-RVG).
Der Gesetzgeber hat diese Absicht der Einschränkung der fiktiven Terminsgebühr in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11471, S. 275) entsprechend zum Ausdruck gebracht: „Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist. Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der VwGO, als auch im Verfahren nach dem SGG liegt es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist.“
Die entscheidende Aussage in der Gesetzesbegründung ist darin zu sehen, dass (alle) Beteiligten, gleich ob unterliegende oder obsiegende Partei – und damit unabhängig von einer materiellen Beschwer durch den vorausgegangenen Gerichtsbescheid – nur dann eine mündlichen Verhandlung beantragen und erzwingen können, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Damit wollte der Gesetzgeber auch einer Ungleichbehandlung der Beteiligten vorbeugen, die dadurch entstanden wäre, wenn man den Anfall der fiktiven Terminsgebühr davon abhängig gemacht hätte, ob eine Beschwer für einen Verfahrensbeteiligten gegeben ist oder nicht, denn nur im ersteren Fall wäre ein Antrag auf mündliche Verhandlung überhaupt zulässig. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein (B.v. 21.9.2015 – 12 A 3/15 – juris; v. 13.11.2015 – 12 A 30/15 – juris) ist diesen weiteren Schritt noch nicht gegangen und hat den Anspruch auf die fiktive Terminsgebühr nur im Fall vollständigen Obsiegens durch Gerichtsbescheid versagt.
Dem Kläger ist aber unabhängig von seiner nach dem Gerichtsbescheid vorhandenen Beschwer die fiktive Terminsgebühr zu versagen, da kein Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vorliegt.
Die Erinnerung war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung für das vorliegende Verfahren ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Da das Verfahren nach § 165 VwGO gerichtsgebührenfrei ist, konnte die Festsetzung eines Gegenstandswertes unterbleiben.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen

Europarecht

Schadensersatz, Ermessensentscheidung, Aussetzungsantrag, Kommission, Aussetzung, Fahrzeug, Vorabentscheidungsverfahren, Zeitpunkt, Beschwerde, Verfahren, Schriftsatz, Rechtssache, EuGH, Anspruch, Aussetzung des Rechtsstreits, erneute Entscheidung
Mehr lesen