Kosten- und Gebührenrecht

Erzwingung einer mündlichen Verhandlung nach Gerichtsbescheid im Kostenfestsetzungsverfahren

Aktenzeichen  W 10 M 19.50363

Datum:
29.5.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14424
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 2, § 151, § 165
AsylG § 80
VVRVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2
RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Voraussetzung für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr ist es, dass die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es kommt für das Entstehen der Gebühr nicht alleine darauf an, ob gegen den Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist. Nur die zumindest teilweise unterlegene Partei verfügt über die Möglichkeit, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung setzt, wie jeder Rechtsbehelf, eine Beschwer voraus Bei fehlender Beschwer kommt eine Ablehnung des Antrags als unzulässig durch Beschluss in Betracht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin und Erinnerungsführerin trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Klägerin des ursprünglichen Verfahrens und Erinnerungsführerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsänderungsbeschluss vom 11. April 2019 des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Würzburg.
Im Verfahren W 10 K 18.50527 erging am 11. Januar 2019 ein Gerichtsbescheid. Im Tenor dieses Gerichtsbescheides wurde der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 12. November 2018 entsprechend dem klägerischen Antrag aufgehoben. Zudem wurde die Beklagte (Erinnerungsgegnerin) verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Auf Antrag des Klägerbevollmächtigten vom 16. März 2019 erließ der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichts am 19. März 2019 einen Kostenfestsetzungsbeschluss und setzte die Kosten antragsgemäß (inkl. einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG) fest. Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss beantragte die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. April 2019 die Entscheidung des Gerichts, woraufhin der Urkundsbeamte mit Kostenfestsetzungsänderungsbeschluss vom 11. April 2019 die außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin auf 492,54 EUR festsetzte. Die ebenfalls begehrte fiktive Terminsgebühr kam jedoch nicht zum Ansatz.
Der Kostenfestsetzungsänderungsbeschluss wurde der Erinnerungsführerin am 16. April 2019 zugestellt.
Gegen diesen Beschluss beantragte die Erinnerungsführerin mit Schriftsatz vom 29. April 2019,
am selben Tag per Telefax beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg eingegangen,
die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung bezieht sich die Erinnerungsführerin auf den Beschluss des VG Würzburg vom 12. Juli 2016 und die zugrunde liegende Stellungnahme des Urkundsbeamten im Verfahren Az.: W 2 M 16.30916, vormals W 2 K 15.30120.
Mit Nichtabhilfeentscheidung vom 30. April 2019 legte der Urkundsbeamte dem Gericht die Erinnerung zur Entscheidung vor.
II.
Über den Antrag auf Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsänderungsbeschluss vom 11. April 2019 entscheidet vorliegend die Einzelrichterin, da diese die der Kostenfestsetzung zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO – Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 165 Rn. 3; BayVGH, B.v. 19.1.2017 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2018, 417).
Die Erinnerung ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Der Urkundsbeamte hat zu Recht die vom Klägerbevollmächtigten beantragte fiktive Terminsgebühr nicht zum Ansatz gebracht.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Trotz des Wortlauts der Vorschrift, der sich zunächst auf alle Gerichtsbescheide bezieht und daher auch den vorliegend einschlägigen Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfasst, liegen die Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG gleichwohl nicht vor, weil die Klägerin nach Ergehen des Gerichtsbescheids, mit dem sie vollständig obsiegte, mangels Beschwer keinen – zulässigen – Antrag auf mündliche Verhandlung stellen konnte (so auch BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – BeckRS 2018, 28752 Rn. 8 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 1.8.2018 – RN 5 M 18.1069 – BeckRS 2018, 19483 Rn. 22 ff.)
Da aus dem Wortlaut alleine nicht deutlich hervorgeht, ob das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr alleine davon abhängig ist, ob theoretisch ein Antrag auf mündliche Verhandlung von irgendeiner Partei gestellt werden könnte oder ob Voraussetzung für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr ist, dass die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3104 VV Rn. 38), ist die Bedeutung der Rechtsnorm durch Auslegung zu ermitteln.
Bereits die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht dafür, dass die theoretische Möglichkeit der Antragstellung nicht genügt. Durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurde in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG der Zusatz eingefügt, dass nicht lediglich eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr genügt, sondern zusätzlich das Erfordernis aufgestellt, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Dieser Zusatz wäre überflüssig, wenn man die bloße Entscheidung durch Gerichtsbescheid genügen ließe, da im Fall des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO stets mündliche Verhandlung beantragt werden kann, sofern die Beteiligten nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Dies wird auch durch die Gesetzesbegründung gestützt, nach der die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle beschränkt werden sollte, in denen der Beteiligte die Möglichkeit hat, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 275).
Auch eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Nr. 3104 VV RVG ergibt, dass es für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nicht alleine darauf ankommen kann, ob gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist. Die Nr. 3104 VV RVG soll dem Ziel dienen, verfahrensökonomisch mündliche Verhandlungen zu vermeiden, die alleine mit dem Ziel des Erhalts einer Terminsgebühr beantragt werden. Dementsprechend wird zur Vermeidung derartiger Fälle eine fiktive Terminsgebühr gewährt. Folglich ist es auch nur in den Fällen erforderlich, die fiktive Terminsgebühr zu gewähren, in denen es andernfalls dem entsprechenden Beteiligten möglich wäre, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Auch wenn dies im Einzelfall zu einer Ungleichbehandlung führen mag, besteht für diese ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur die (zumindest teilweise) unterlegene Partei über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, Rn. 16).
Der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, dass eine Terminsgebühr nicht deswegen entfiele, weil der Kläger durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert sei, da auch ein (unterliegender) Anwalt in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könne, indem er einen Antrag auf mündliche Verhandlung stelle (vgl. VG Magdeburg, B.v. 15.11.2017 – 5 E 485/17 – BeckRS 2017, 140892; VG Oldenburg, B.v. 27.7.2017, 1 E 5687/17 – BeckRS 2017, 118630), ist nicht zu folgen. Denn ein (zulässiger) Antrag auf mündliche Verhandlung setzt, wie jeder Rechtsbehelf, eine Beschwer voraus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37). Wird gleichwohl trotz fehlender Beschwer ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, kommt eine Ablehnung als unzulässig durch Beschluss in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – BeckRS 2018, 28752 Rn. 12 mit Verweis auf Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 84 Rn. 21; BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15.01 – juris Rn. 10; a.A.: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 39).
Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich bereits aus § 83b AsylG. Zudem sieht das Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz) einen Kostentatbestand für eine gerichtliche Entscheidung im vorliegenden Erinnerungsverfahren nicht vor.


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