Kosten- und Gebührenrecht

Fiktive Terminsgebühr bei Entscheidung durch Gerichtsbescheid

Aktenzeichen  M 11 M 17.36562

Datum:
20.12.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35309
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 2, § 151, § 165
VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. In Fällen eier Entscheidung durch Gerichtsbescheid kann nur derjenige Rechtsanwalt eine Termingebühr geltend machen, der auch einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Geltendmachung einer Termingebühr ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht davon abhängig, dass gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der im Verfahren M 11 K 16.33617 erlassene Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. März 2017 wird abgeändert:
In Absatz 1 des Kostenfestsetzungsbeschlusses wird der Betrag „EUR 492,54“ durch den Betrag „EUR 925,22“ ersetzt.
In Absatz 2 des Kostenfestsetzungsbeschlusses wird der Satzteil „EUR 369,41 (i. W. dreihundertneunundsechzig 41/100)“ durch den Satzteil „EUR 693,92“ (sechshundertdreiundneunzig 92/100)“ ersetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2017 hob das Gericht einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2016 auf und wies die Klage des Klägers im Übrigen ab (M 11 K 16.33617). Die Verfahrenskosten wurden zu drei Vierteln der Beklagten und zu einem Viertel dem Kläger auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2017 machte der bevollmächtigte Rechtsanwalt des Klägers Kosten von insgesamt EUR 925,22 geltend, wovon nach der Kostenentscheidung des Gerichtsbescheids die Beklagte drei Viertel, also EUR 696,91, zu tragen habe. In dem geltend gemachten Betrag war auch eine 1,2 fache Terminsgebühr in Höhe von EUR 363,60 enthalten.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. März 2017 setzte die Kostenbeamtin die dem Kläger entstandenen notwendigen Aufwendungen auf insgesamt EUR 492,54 fest, wovon die Beklagte dreiviertel, also EUR 369,41, zu tragen habe. Die Kostenbeamtin ließ die geltend gemachte Terminsgebühr unberücksichtigt, weil der Gerichtsbescheid die Möglichkeit der Berufung zugelassen habe.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. März 2017 am 31. März 2017
die Entscheidung des Gerichts.
Er legte zur Begründung näher dar, dass nach Nr. 3104 VV Abs. 1 Nummer 2 RVG die Terminsgebühr entstanden sei.
Das Bundesamt trat dem Antrag mit undatiertem Schreiben, das am 26. April 2017 bei Gericht einging, entgegen. Es legte näher dar, dass diese Gebühr nicht entstanden sei.
Die Kostenbeamtin half der Erinnerung nicht ab und hat sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch diejenigen des vorangegangenen Klageverfahrens M 11 K 16. 33617, Bezug genommen.
II.
Der nach § 165 i. V. m. § 151 VwGO zulässige Antrag ist begründet.
Die Terminsgebühr ist in Ansatz zu bringen. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Eine solche Situation lag hier vor.
Das Gericht teilte zwar die Meinung, dass nur derjenige Rechtsanwalt die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG geltend machen kann, der im konkreten Fall auch einen zulässigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte stellen können (so OVG Lüneburg, B. v. 16.08.2018 – 2 OA 1541/17 – juris; BayVGH, B. v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – juris; VG München, B. v. 14.01.2019 – M 22 M 17.49678 – juris; VG Würzburg, B . v. 29.05.2019 – W 10 M 19.50363 – juris). Diese Voraussetzung war hier jedoch gegeben. Der Kläger hat nicht vollständig obsiegt. Die Klage wurde teilweise abgewiesen, sodass nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine mündliche Verhandlung hätte zulässigerweise beantragt werden können.
Soweit die Beklagte näher dargelegt hat, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG sei noch weiter einschränkend so zu verstehen, dass die fiktive Terminsgebühr nur in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO entstehe, kann dem nicht gefolgt werden. Eine derart enge Auslegung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG getroffenen Regelung noch kann sie aus der Entstehungsgeschichte gefolgert werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471, S. 275) sollte die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr „konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist.“ Diese Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung zu „erzwingen“, hatte der Bevollmächtigte des Klägers auch in dem hier vorliegenden Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Gesetzesbegründung (a. a. O.) enthält zwar auch die Erwägung, dass die Beteiligten in beiden Verfahrensarten (VwGO und SGG) „nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen [können], wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist“. Diese Erwägung ist jedoch jedenfalls für die VwGO unzutreffend, wie sich aus § 84 Abs. 2 Nr. 2 (und auch Nr. 4) VwGO ergibt. Nach Ansicht des Gerichts kann sie deshalb für die Frage, wann die fiktive Terminsgebühr entsteht, keine maßgebliche Bedeutung haben. Als maßgeblicher gesetzgeberischer Wille ist daher die Erwägung anzusehen, dass die Vorschrift in den Fällen Anwendung finden soll, in denen der Rechtsanwalt eine mündliche Verhandlung hätte erzwingen können. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn der gesetzgeberische Wille tatsächlich so zu verstehen sein sollte, dass in den Verfahren nach der VwGO das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hätte beschränkt werden sollen, eine solche Auslegung nicht geboten, weil sie im Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG keinen hinreichenden Niederschlag gefunden hat. Insgesamt teilt das Gericht deshalb die inzwischen wohl überwiegende Ansicht, dass die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr nicht auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt ist (so ausdrücklich VG Karlsruhe, B v. 29.11.2018 – A 12 K 16238/17- juris; VG Augsburg, B. v. 29.03.2019 – Au 4 M 19.30226 – juris; VG Würzburg, B. v. 29.05.2019 – W 10 M 19.50363 – juris Rn. 12; VG Saarlouis, B. v. 28.08.2019 – 3 O 1092/19 – juris).
Die Terminsgebühr ist daher anzusetzen.
Dem Antrag war somit im Wesentlichen zu entsprechen. Der vom Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 19. Januar 2017 geforderte Betrag von EUR 696,91 ist allerdings rechnerisch in geringem Umfang zu hoch. Drei Viertel von EUR 925,22 sind EUR 693,92. Soweit mehr verlangt wurde, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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